Kürzlich gesehen: La La Land von Damien Chazelle ( Aufbruch zum Mond ). Nominiert für 14 Oscars, was zuletzt Titanic (1997) geschafft hat – da kann man ruhig mal klatschen. Aber im Rhythmus bitte, zur grandiosen Musik, die diesen Instant Classic begleitet. Nach dem Trommler-Drama Whiplash haut uns Chazelle ein neues, pompöses Meisterwerk um die Ohren. Es geht um große Träume und tugendhafte Helden.
Wenn Träumer erwachsen werden
Ein Film aus Hollywood über Hollywood mit sehr langen Takes, Emma Stone und etlichen Oscars, als einen solchen hatte ich zuletzt Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit) (2014) gesehen. Nun trifft all das auch auf La La Land zu, und doch ist es ein absolut anderer Film geworden. Ein Musical. Eine Romanze. Ein Leuchtturm.
Hinweis: Liebe Leser*innen, bis zum Absatz »Diskussionsstoff | zum Thema des Films« wünsche ich spoiler-freies Lesen! Danach, aufgepasst, wird sozusagen das Ende verraten. Allerdings kann man in einem Film von solch Virtuosität und visueller Kraft das Sehvergnügen kaum durch Infos über die Story-Verlauf schmälern. Anschauen kann man sich La La Land aktuell bei Amazon Prime (Stand: April 2018).
Totale: La La Land im Zusammenhang
Cineastischer Kontext
Damien Chazelle ist ein Rising Star , der ziemlich schnell ziemlich hoch gestiegen ist. Schon sein erster Spielfilm war ein schwarzweißes Jazz-Musical – Guy and Madeline on a Park Bench .
Das war 2009 . Dafür hat sich Chazelle, damals noch Student, eine Auszeit aus Harvard gegönnt und mit einem Cast ohne professionellen Schauspiel-Hintergrund auf 16mm gedreht. Das Ergebnis wurde aufgrund seiner Leichtigkeit und Rauheit von vielen Kritikern (etwa von Elizabeth Weitzman und Joe Neumaier ) als »mumblecore musical« bezeichnet.
2016 . Nur sieben Jahre später kommt La La Land heraus, der ebenso gut Seb and Mia on a Park Bench hätte heißen können. In den Hauptrollen glänzen Ryan Gosling und Emma Stone, in einer Nebenrolle J.K. Simmons, der mit Chazelle zwischen diesen beiden Filmen noch Whiplash (2014) gedreht hat. Ein Film wie ein Peitschenhieb, kurz, hart, laut, schmerzhaft mitreißend. Schwer zu toppen, das Ding. Doch Chazelle hat’s geschafft.
Schon für Whiplash war er Oscar-nominiert – 2017 hat der junge Filmemacher ihn für La La Land dann bekommen, in der Kategorie: Beste Regie. Die anderen Nominierten kann man kaum als Konkurrenz wahrnehmen: Denis Villeneuve mit Arrival , Mel Gibson mit Hacksaw Ridge , Kenneth Lonergan mit Manchester by the Sea und Barry Jenkins mit Moonlight . Gute Filme? Klar. Großes Kino? Vielleicht. Episch geiler Scheiß? Ach, komm ey-
Persönlicher Kontext
Sonia hat den Film im Kino gesehen und hängt mir seitdem – inzwischen also Jahre – damit in den Ohren: La La Land sei sooo abgefahren schön! Ja, okay. Das sagst du über jeden dritten Sonnenaufgang auch. »Was schauen wir heute Abend?« – » La La Land! «, dieser allabendliche Wortwechsel wurde zum etwas lahmen Running Gag , weil der Film eben noch nirgends verfügbar war (es sei denn, natürlich, man hätte sich proaktiv um eine Blu-ray oder Online-Leihe gekümmert, aber proaktiv sind wir abends nicht mehr).
Dann hat Amazon Prime den Film in seine Videothek aufgenommen. Da gab’s kein Vorbei mehr. Rückblickend weiß ich nicht, wie an mir bis dato vorbeigehen konnte, dass der Film vom Whiplash -Regisseur ist. Und überhaupt, halt: 14 Nominierungen, Riesen-Bohei, was dachte ich denn!? Dass es nicht irgendwie bemerkenswert werden würde?
Ich ahnte ja nicht, wie bemerkenswert.
Close-up: La La Land im Fokus
Erster Eindruck | zum Inhalt des Films
Die Kamera sinkt aus dem Himmel herab und fährt einen Stau entlang, von Auto zu Auto, jedes davon eine Raumkapsel für sich. Eine Bubble. Erfüllt von eigener Musik. Es klingt nach Oper, Hip Hop, dann werden Köpfe zu Techno gewippt…
In meinem Kopf blitzt eine Erinnerung an den Kurzfilm Tune (2011) der ungarischen Filmemacherin Szonja Szabó auf. Er ist leider nicht mehr online, nur noch ein Ausschnitt daraus . Vor Jahren habe ich ihn gesehen und nie vergessen: Tune erzählt die Geschichte einer Melodie, die von Hirn zu Hirn, Ohr zu Ohr, Mund zu Mund wandert, gesummt, gesungen, aufzeichnet, populär wird… naja, der Kurzfilm war super. Und allein wegen dieser plötzlichen unbestimmten Assoziation ist mein allererster Eindruck von La La Land , nach wenigen Sekunden schon: uuuh, cool!
Mein zweiter Eindruck: Versaut’s nicht durch Übertreibung! Die Kamera hielt inne auf einer Dame im gelben Kleid, singend, sie stieg aus, singend. Und ehe ich mich versehe, tanzt ein halbes Dutzend Sänger*innen zwischen den Autos her. Auftakt zur ersten Musical-Sequenz in diesem Musical-Film und ich hab Bammel, dass es jetzt schon ins Kitschige abdriftet. Zu geil, Damien Chazelle’s Kommentar dazu im Making-of:
Nur damit das klar ist
Ich wollte sichergehen, dass man innerhalb der ersten fünf Minuten merkt: Du siehst gerade ein Musical – und was für eine Art von Musical. Das war die Logik dahinter, nicht nur mit einer Musical-Nummer zu beginnen – sondern mit der musical-mäßigsten Nummer, die du dir vorstellen kannst. Es sollte ein großes, lautes Kanonenfeuer sein: Pass bloß auf! Du gehst lieber jetzt sofort, wenn dir sowas nicht gefällt.
Ich bleibe. Erst recht, als Sonia mir während der Opening Scene – immer mehr Leute steigen aus ihren Autos, singen, tanzen, springen auf die Dächer ihrer Karren, es nimmt irre Dimensionen an – von der Seite zuflüstert: »Und das alles in einem Take, krass, oder?« Bitte, was!? Für sowas brauch ich normalerweise keinen Wink von der Seite: Tatsächlich, die Kamera tanzt mit, zwischen den Autos her, über sie hinweg, dreht sich, fängt alles ein, von nah und fern, schlichtweg: Wahnsinn!
Ein paar versteckte Schnitte soll’s geben – einen davon vermute ich im Reißschwenk. Letztlich tut es nichts zur Sache, wenn die Illusion so perfekt ist. Als über die abschließende Totale eines Verkehrsstaus in L.A. (die im Kontext der vorausgegangenen Musical-Nummer natürlich monumental krass wirkt) der Titel LA LA LAND in meinem tarantinoesken Lieblingsgelb geknallt wird, da bin ich angefixt. Der Film hat meine volle Aufmerksamkeit.
Besser als jeder Trailer, weil’s Lust auf den Film macht und nichts vorwegnimmt,
was nicht ohnehin am Anfang steht – die
Opening Scene von
La La Land
:
Bleibender Eindruck | zur Wirkung des Films
Der Auftakt verspricht nicht zu viel – auch wenn er an Epicness kaum zu übertreffen ist. Eben darin liegt die eigentliche Güte des Films: Nach fünf Minuten hat er bewiesen, dass er große Massenchoreographien, ja, ein wahres Tanzfeuerwerk lässig aus dem Hemdsärmel schütteln kann. Dann verlagert er den Fokus auf nur zwei Figuren, die in ihren Paartanz-Einlagen zwischendurch bei weitem nicht an die tänzerische Meisterklasse vieler der Verkehrsstau-Athleten aus den ersten Paar Minuten heranreichen. Trotzdem ist dadurch nichts verloren. Statt reines Wow! -Effektgewitter mit Klimax abzufeiern (wie Mamma Mia! mit Meryl Streep es ungleich kitschiger gelingt), gewinnt La La Land Ebene um Ebene und erzählt am Ende eine durchdachte, schöne Liebesgeschichte für Idealisten.
…also im Sinne von Idealisten als Menschen, die der Verwirklichung von Idealen nachstreben – aber schönen, kleinen, persönlichen Idealen halt. Komm mir jetzt nicht mit Bakunin und »Hitler war aber auch Idealist«. Ja, danke, das mein ich gerade nicht.
Diskussionsstoff | zum Thema des Films
Der Film schwappt über vor Musik und Liebe, aber das übergeordnete Thema ist Tugend. Tugend als »gut in etwas sein«, ganz so, wie die alten Griechen es diskutierten. Platon und Co haben viel darüber nachgedacht, was genau das Gute sei (mehr darüber in Platons Ideenlehre ). Platon bezeichnet das Gute als den letzten Zweck all unseres Handelns – wir alle streben nach etwas, das wir selbst als gut empfinden. Bloß kann das je nach Skrupellosigkeit des Individuums halt auch ein Banküberfall sein, der dann gut ist, wenn man gerade dringend Geld braucht.
Nur wo sich das wahrhaft Gute in einer Handlung verwirklicht, sieht Platon eine Tugend. Grundsätzlich zielen all unsere Handlungen auf Glückseligkeit ab, doch diese erlangen wir (so der alte Grieche) nicht durch Augenblicksglück, Drogen, Sex oder einen Lustkauf. Zu erreichen ist Glückseligkeit nur durch ein konstantes Streben nach einem als bedeutend angesetzten Ziel. Sebastian und Mia verfolgen solche Ziele. Er will einen eigenen Jazzclub eröffnen, sie will Schauspielerin werden – als Ort für dieses Streben haben sie ausgerechnet L.A. ausgewählt, womit ihnen ein langer, steiniger Weg bevorsteht.
Entschlossenheit als Tugend
Weil die beiden aber jeweils ihr Ziel kennen, können sie durch dieses Zielwissen all ihre Handlungen auf eben ihre Ziele ausrichten. Das ist tugendhaft. Tugend erwächst aus Übung heraus, aus tugendhaftem Handeln, und festigt sich zur Haltung. Wer tugendhaft ist, muss im Einzelfall nicht mehr überlegen. Sie und er wissen , was sie wollen. Ihr Ziel leitet sie wie ein Leuchtturm in der Nacht.
Dass Sebastians und Mias Entscheidung damit am Ende nicht füreinander fällt, sondern in gegenseitiger Anerkennung des tugendhaft strebenden Wesens für ihre jeweilige Ziele, das ist für mich ganz großes Kıno. Als im Finale dann diese Ziele erreicht wurden und die Alternative nochmal wie im Traume vorbeifliegt, das setzt dem Ganzen das i-Tüpfelchen auf: ganz großes Kino!
Der perfekte Abschluss ist der Blickwechsel, in dem ohne Worte gesagt wird, dass schon alles seine Richtigkeit hat. Zwei erwachsene Träumer, die zu ihren Entscheidungen stehen. Romantischer geht’s nicht, für mein Empfinden. Auch wenn ich den Film damit eventuell aus anderen Gründen feiere, als meine ebenfalls enthusiastische Partnerin.
Fazit zu La La Land
Das überlasse ich mal Sonia, die da schreibt: Ich bin verknallt in die Energie von Mia und Sebastian, die Musik, die Tänze, das leuchtende Bühnenbild, die Fantasie und Gefühlswelt der Story und die omnipräsente Ästhetik. Und ein bisschen in Ryan Gosling. Ein Luftsprung für La La Land !
Hier gibt’s den Blogbeitrag als Video zu sehen:
Lesenswert
- DIE ZEIT über La La Land : Auf die Narren, die träumen