Der Vampir ist nicht totzukriegen. Nicht in der Literatur, nicht im Kino. Jede Dekade bringt Dutzende Filme rund um Nosferatu, Dracula und die unsterblichen Verdächtigen hervor. Doch in diesen Jahren erleben wir einen Hype, wie ihn selbst der blasse Blutsauger selten zu sehen bekommt. Auslöser sind die Bis(s) -Romane von Stephenie Meyer und deren kassenträchtige Verfilmungen. Seit 2008 Twilight – Bis(s) zum Morgengrauen anlief, locken Vampire wieder Zuschauer ins Kino. Bevor diese Welle abklingt, gilt es, aufzuspringen. Das werden sich auch Rat Pack und Constantin Film gedacht haben. Und natürlich Dennis Gansel, der seit geraumer Zeit eine präzise Vorstellung von einer Vampir-Romanze in der Berliner Clubszene hegt. Jetzt ist die Zeit reif. Doch die Idee ist es nicht. Hier kommt: Wir sind die Nacht .
Emanzipation der Vampire
Zum Inhalt: Lena (Karoline Herfurth) führt in Berlin das Leben einer Kleinkriminellen, die sich manchmal in den falschen Taschen vergreift. Etwa in der eines russischen Zuhälters. So macht sie den Kommissar Tom Serner (Max Riemelt) auf sich aufmerksam. Der aber hat eine Schwäche für schöne Frauen und verzichtet auf eine Festnahme. Zum Abreagieren verschlägt es Lena erstmal auf eine Rave-Party, deren Veranstalterin Louise (Nina Hoss) sich als Vampirin herausstellt. Es dauert nicht lange, da wird Lena gebissen und zum jüngsten Mitglied der blutrünstigen Clique um Louise.
Diese Rezension erschien zuvor im Schnitt Magazin
Obwohl sie schon seit 1996 in Gansels Kopf herum spukt, von ihm längst in Form eines Exposés namens The Dawn niedergeschrieben und nun von Jan Berger ( Die Tür ) in ein Drehbuch mit dem Titel Wir sind die Nacht verwandelt wurde, hat die Geschichte über eine weibliche Vampir-Clique mit homoerotischen Spannungen dramaturgische Unebenheiten und logische Brüche.
Bedauerlich ist das verschenkte Potential angesichts der visuellen Kraft des Films. Mit spektakulären Actionszenen und turbulenten Verfolgungsjagden in Großstadt-Kulissen spielt Wir sind die Nacht technisch auf hohem Niveau . Man hätte die Handlung leicht als Kammerspiel in wenigen Räumlichkeiten ansiedeln könnten – stattdessen hat sich Regisseur Dennis Gansel dazu entschieden, Berlin zu seiner Hauptdarstellerin zu machen, und wählt imposante Settings.
Randnotiz: Einen Vampir-Kurzfilm als Kammerspiel haben wir selbst gedreht, in eben diesem Blutsauger-Hype-Jahr 2010, siehe Die gefesselte Braut mit Schauspielerin Nina Kierdorf.
Teufelsberg und Tropeninsel
Sein Blick auf die Metropole ist angenehm unverbraucht: Im Mittelpunkt stehen nicht die allseits bekannten Touri-Hotspots und Standard-Panoramen, sondern Ecken und Winkel der Hauptstadt, die es bislang selten auf die große Leinwand geschafft haben – wie das Palasseum, der Teufelsberg oder die ruinösen Abbruchhäuser des ehemaligen DDR-Rundfunks in Oberschönweide.
Eine Szene, die beispielhaft für die qualitative Divergenz zwischen Dekor und Dramaturgie ist, spielt sich in einer ehemaligen Luftschiffhalle nahe Berlin ab. Darin findet sich dank des Freizeitparks »Tropical Islands« eine nachgebaute Strandlagune inklusive künstlichem Sonnenaufgang, den die bekanntlich sonnenscheuen Vampirinnen in knapper Badebekleidung genießen. Diese originelle Idee wird von dem Klischee erstaunlich dummer Wachtmänner gekreuzt, die allzu rasch (»Dat is ne Riesen-Chance!«) auf ihren Job pfeifen und zu den reizenden Frauen in Wasser springen.
Wem die Stunde schlitzt
Jetzt steht die paradiesische Umgebung im starken Kontrast zur Raubtier-Beute-Situation , die sich aus den blutdurstigen Vampirinnen und den notgeilen Wachtmännern ergibt – trotzdem kommt keine Spannung auf. Das blutige Szenario feiert einen originellen Höhepunkt, in dem einem Wachtmann mit einer Buchseite aus dem Hemingway-Roman Wem die Stunde schlägt der Hals aufgeschlitzt wird. Doch die Zuschauer*innen dürfte das Massaker kalt lassen.
Hier gibt’s den Trailer zum Film zu sehen:
Dieses Problem der mangelnden Atmosphäre zieht sich durch den ganzen Film: Er ist nicht gruselig, wenn er gruselig sein will, nicht lustig, wenn er lustig sein will und Folge dessen auch nicht dramatisch, wenn er endlich dramatisch sein will. Der Grund dafür sind die Dialoge, die sich oft auf geradezu kindischem Niveau bewegen, und das Schauspiel, das häufig angestrengt, zuweilen total überzogen wirkt. Zu überzeugen weiß Hauptdarstellerin Karoline Herfurth ( Fack ju Göhte ), die dem Publikum ihre Verwandlung von einer kleinkriminellen Jugendlichen zu einem strahlenden Vampir glaubwürdig näher bringt.
Auch ihr männlicher Gegenpart, Max Riemelt als Polizist , liefert eine solide Leistung. Schade, dass den beiden seitens des Drehbuchs so schwere Brocken in den Weg gelegt werden: Als der Polizist die Kleinkriminelle bei ihrer zweiten Begegnung kaum wiederkennt (sie wurde inzwischen gebissen und ist unsterblich), sorgt deren kurzes Gespräch für einen peinlichen Drehbuch-Tiefpunkt. Angesichts solcher Hänger ist das Prädikat »Besonders Wertvoll« (verliehen von der Deutschen Film- und Medienbewertung) besonders fragwürdig.
Fazit zu Wir sind die Nacht
Dennis Gansel, der seine Qualitäten als Regisseur mit der Adaption Die Welle unter Beweis gestellt hat, bietet mit Wir sind die Nacht die gute Inszenierung eines halbgaren Stoffes – style over substance in Form einer mit Schauwerten gespickten, unausgereiften Geschichte rund um blasse Protagonisten. Und damit ist nicht die Hautfarbe gemeint.