Die Begriffe »negativ« und »positiv« begegnen uns in verschiedensten Lebensbereichen. Am häufigsten natürlich im Alltag, in unserer Umgangssprache. Eine positive Erfahrung ist etwas Tolles, Schönes, Gelungenes, Wohltuendes, kurzum: etwas Gutes. Eine negative Erfahrung ist etwas Blödes, Unschönes, Misslungenes, Schmerzhaftes, kurzum: etwas Schlechtes. Im Folgenden möchte ich kurz die Unterscheidung von negativ und positiv im Kontext der Mathematik, der Fotografie, der Medizin und des Rechts vornehmen. Letzteres bringt gar die Frage mit sich, was denn »überpositiv« bedeutet?
Etymologisch stammen die Begriffe »negativ« und »positiv« aus dem Lateinischen, von negatum (verneint) und positum (gesetzt, platziert).
In der Mathematik ist dementsprechend eine positive Zahl eine gesetzte Zahl über Null, also 1, 2, 3… und so weiter. Eine negative Zahl ist in der Mathematik eine Zahl unter Null, also -1, -2, -3… und so fort.
Umgekehrte Bilder
Ähnlich schnell erklärt ist die Unterscheidung in der Fotografie : Ein positives Bild ist ein Abbild oder Abzug vom einem Negativfilm. So nennt man das Filmmaterial, das in den heute immer selteneren analogen Film- und Fotokameras steckt. Es handelt sich um lichtempfindliches Material. Wenn damit nun Motive in der Welt um uns herum gefilmt oder fotografiert werden, ist es egal, ob diese Motive nun Menschen, Landschaften oder Objektive sind. Sie alle sehen wir nur, weil sie im Licht sind und das Licht reflektieren, in unterschiedlichen Farben.
Zum Unterschied zwischen Film und Video gibt es hier einen Blogbeitrag .
Das Filmmaterial verarbeitet diese unterschiedlichen Farblichtwerte der Motive nun auf eine Weise, die zu einem »umgekehrten« Bild führt. Besonders helle Stelle im Motiv hinterlassen eine besonders dunkle Stelle auf dem Filmmaterial. Ein solches Bild mit umgekehrten Hell-Dunkel-Tonwerten nennt man negativ. Dreht man diese Werte in einem anschließenden Verfahren wieder um, kommt dabei ein positives Bild heraus. Obwohl dieses Phänomen aus der Analogfotografie kommt, kann man sie noch wunderbar an digitalen Bildern veranschaulichen:
Links ein positives Bild von einem voll schönen Sonnenuntergang mit Möwen am Strand. Ist aber nicht positiv, weil es so voll schön, fast romantisch ist. Sondern einfach nur wegen der Tonwerte: Die Sonne am Horizont ist hell, die Vögel im Gegenlicht sind dunkel. Rechts daneben das negative Bild mit umgekehrten Tonwerten. So wäre das Bild von einer analogen Kamera aufgezeichnet worden. Noch ein Beispiel, hier die Schauspielerin Anni C. Salander im Porträt:
Wer mit Fotografie nichts an der Mütze hat, kennt negative Bilder vielleicht vom Arztbesuch. Ein Röntgenbild ist ein negatives Bild, das die hellen, lichtdurchlässigen Bereiche rund ums geröntgte Körperteil schwarz darstellt. Je dichter und lichtundurchlässiger ein Gewebe in diesem Körperteil ist, desto heller wieder es wiederum dargestellt. Knochen zum Beispiel.
Umgekehrte Bedeutung
In der Medizin haben positiv und negativ jedoch noch andere, zuweilen verwirrende Bedeutungen. Dabei geht es um den bejahenden beziehungsweise verneinenden Charakter dieser Begriffe. Ein positiver Befund oder eine positive Diagnose bestätigen (also bejahen), dass die Krankheit, auf die hin der Patient untersucht wurde, vorhanden ist. Für den Patienten ist das natürlich, in der Alltagsbedeutung des Begriffs, eine negative Neuigkeit. Lautet Diagnose »negativ« heißt es wiederum: yay , keine Anzeichen auf diese oder jene Krankheit gefunden!
Zuletzt begegnet uns der Begriff »positiv« auch in der Rechtswissenschaft . Dort heißt sein Gegenwort jedoch nicht »negativ«, sondern »überpositiv«. Das positive Recht ist unser geltendes Recht, wie es in Deutschland zum Beispiel im Bürgerlichen Gesetzbuch niedergeschrieben ist. Aber auch in Ländern, in denen sich das Recht etwa an der Scharia orientiert und für unser Verständnis diskriminierend ist, spricht man von positivem Recht. Es handelt sich schlicht um dasjenige in Form von Gesetzen real geltende Recht, das von Menschen festgelegt wurde.
Positiv und überpositiv
Das überpositive Recht hingegen versteht sich, wie der Begriff schon andeutet, als über dem positiven, von Menschen gemachten Recht stehend. Wenn man das Recht etwa von der Natur vorgegeben oder von einem Gott diktiert versteht, ist es überpositiv. Aber Moment mal, mag nun die aufmerksame Leserin denken. Versteht das islamische Recht die Scharia nicht von einem Gott diktiert?
Das islamische Recht existiert […] zum einen als unwandelbares und zeitloses, nicht von Menschen gesetztes, also überpositives Recht, welche insgesamt implizit und an einigen Fixpunkten konkret formuliert im Koran enthalten ist. Es existiert zum anderen als das aus Koran und Sunna mittels der Vernunft gewonnene und durch das Verfahren des Konsenses der Rechtsgelehrten geläuterte konkretisierte Regelwerk – die Scharia. | aus Peter Schmiedel: Wirtschaftsethik als Brücke zwischen westlicher Vernunftethik und islamischem Denken (2009), hier nachzulesen
In dem Prozess der Erschaffung und Etablierung von Scharia-Gesetzen durch Menschen ist das überpositiv gedachte Recht positiv geworden. Diese Positivierung des Rechts und inwiefern sie mit dem menschlichen Vernunftvermögen zusammenhängt, das ist das Thema der Rechtsphilosophie.