Duterte hat Trump ein Liebeslied gesungen . In Tagalog zwar (einer philippinischen Sprache), aber die Geste zählt. Wenn ein Mörder und Diktator mit einem Möchtegern-Diktator flirtet und beide gemeinsam die Welt ein bisschen schlechter machen möchten, ja, wenn einen die Gegenwart mal wieder fassungslos und fremdschämend im Regen stehen lässt, dann flüchtet man sich doch gerne auf einen kleinen Ausflug in die Geschichte. Die Vereinigten Staaten, die Philippinen, Nationalstolz und das Wirrwarr mit den Sprachen – wie fing es an, wo ging es hin?
„We shall never have any genuine national pride until we have a language of our own. We shall always have that sign of inferiority.“ – Manuel Quezon, zitiert nach: Joshua A. Fishman, In Praise of the Beloved Language
Nationalstolz und Sprachen
Der Mangel einer eigenen Sprache als Zeichen der Unterlegenheit. Das sind die Worte des ersten Staatspräsidenten der Philippinen, 1935 trat er das Amt an. Was ist sein Problem? In einem Wort ließe sich sagen: Nationalstolz. Und nach dieser kurzen Antwort, ab ins Detail! (Apropos Sprachen und Unterlegenheit: Was hat das griechische Alphabet mit Überlegenheit zu tun? Hier die Antwort. )
Die Philippinen sind ein Archipel im Pazifik, von der Fläche her etwa ein Schleswig-Holstein kleiner als Deutschland. Dass es Zeiten gab, da auf den Philippinen über 100 Sprachen mit unzähligen Dialekten gesprochen wurden, liegt daran, dass das Archipel aus über 7000 Inseln besteht (nur 13 davon größer als Berlin). 1935 wurde Manuel Quezon zum Präsidenten über diese Inseln gewählt. Er benötigte in vielen Teilen seines Landes einen Dolmetscher, um zum eigenen Volk sprechen zu können. Dieser demütigende Umstand verleitete ihn zum obigen Zitat.
Als Quezon das Amt übernahm, blickte er auf eine Landesgeschichte zurück, die von Fremdbestimmung und – durchaus sprachlich bedingten – Identitätswirren geprägt war. Er selbst hatte ein Jahrzehnt zuvor noch dafür plädiert, Englisch zur Umgangssprache zu machen. Alles andere sei Zeitverschwendung und ungerecht gegenüber der jungen Generation. Man kann Quezon den U-Turn in seiner Sprachphilosophie verzeihen, wenn man die philippinische Geschichte ein Stück weit resümiert. Sie ist kompliziert, also der Reihe nach:
16. Jahrhundert, eine Kolonie unter spanischer Krone
Die Spanier beanspruchen die Philippinen 1565 als Kolonie. Sie bringen ihre Sprache mit, doch die spanischen Ordenskleriker, die auf den Inseln in den folgenden 300 Jahren höchste Autorität genießen, ziehen die lokalen Slangs ihrer Muttersprache vor. Linguistisch bewandert, haben die Mönche sie gelernt und wollen die Bevölkerung damit soweit für ihren Glauben gewinnen, dass sie beten und gehorchen kann. Dazu braucht es kein Spanisch. Außerdem sei Missionsarbeit in lokalen Sprachen »glaubwürdiger«, soll heißen: Missionierte neigen eher zu glauben, was in ihrer Muttersprache gepredigt wird (so wie die eigene Mutter gewöhnlich für eine glaub-würdige Person gehalten wird). Auf diese Weise sichern sich die Kleriker zudem ihre Macht als Instanz zwischen Volk und Krone. Ohne den Willen der Geistlichen ist staatliche Einflussnahme auf die Provinzen kaum möglich. Doch diese Einflussnahme wird zunehmend ambitionierter.
18. Jahrhundert, die Ausnahme-Kolonie
Die Philippinen stellen eine koloniale Ausnahme dar: Sie sind nicht nur lokaler Stützpunkt, sondern sollen territorial von spanischer Herrschaft durchdrungen werden. Obwohl sich die Spanier dabei ihr Vorgehen in Südamerika zum Vorbild nehmen (ein doppelter Genozid), geht es auf den Philippinen weniger blutig vonstatten. Auch darin zeigt sich die Autorität der Kleriker, die unter anderem deshalb so stark sind, da es kaum europäische Immigration auf die Philippinen gibt. Wohl aber intensiven Kontakt der Mönche zu den Einheimischen. Die Missionare leisten einen großen Beitrag dazu, die spanische Macht auf den Inseln zu etablieren und zu erhalten. Sie gewinnen die Einheimischen für das Christentum und binden sie in die administrativen Strukturen der weltlichen Herrschaft ein.
Neuerliche Versuche, Spanisch als Sprache zu etablieren, scheitern an Geld-, Lehrer- und Motivationsmangel. Warum sollen fünf Millionen Filipinos ihre Sprache (und damit Kultur und Identität vernachlässigen), um mit eintausend spanischen Beamten ins Gespräch kommen zu können. Und was haben die Bauern der Agrargesellschaft diesen Beamten schon zu sagen? Schuld am Scheitern des Spanischen wird auch den Klerikern angelastet, die sich von Anfang an gegen die Verbreitung der indogermanischen Sprache gesperrt haben.
19. Jahrhundert, Spanien zieht ab
Spanien kämpft allerorts um kolonialen Machterhalt, der auch auf den Philippinen zu schwinden droht – dort werden Nationalisten laut. Unter anderem die sogenannten Ilustrados (spanisch für: Gelehrte), die nicht etwa Loslösung von den Spaniern fordern, sondern deren Assimilation, etwa indem sie ihre Sprache nicht mehr unter Verschluss halten, sondern ernsthaft etablieren. Als sich die Spanier reformunwillig zeigen, kommt es seitens der Nationalisten zur spanisch formulierten Forderung nach Tagalog als Nationalsprache (zeitgenössisches Pendant: »Make America Great Again«-Kappen, die in China produziert werden). Tagalog ist neben Visaya eine der zwei großen Sprachen auf den Philippinen, inzwischen die größere. Ihre Dominanz hat sie den Spaniern zu verdanken. Als diese Ende des 19. Jahrhunderts abziehen, nehmen ihre Sprache wieder mit. Lediglich markante Rückstände des Spanischen haben sich lokale Slangs endgültig festgesetzt. Doch Spaniens größter »Fußabdruck« bleibt: Manila, das Zentrum der Tagalog sprechenden Region – von den Spaniern schon zu Beginn der Kolonialzeit zur Hauptstadt erhoben, was Tagalog auf lange Sicht zur wichtigeren Sprache macht. Groben Schätzungen zufolge lernten letztlich nur 2,5 bis 10 Prozent der Filipinos während der spanischen Kolonialzeit die spanische Sprache.
Von Manila aus geht 1896 ein Aufstand aus, mit dem sich die radikalisierte politische Szene Ausdruck verleiht – der Befreiungskampf richtet sich zunächst gegen Spanien, später gegen die USA, die Unabhängigkeitsbestrebungen der Filipinos im Keim erstickten. Nachdem 1897 eine erste Verfassung der Philippinen veröffentlicht wurde (die Tagalog zur Amtssprache erklärte), und 1898 eine zweite Version folgte (die Spanisch zur Amtssprache machte und die philippinischen Sprachen als gleichberechtigt einstufte), fällt der Inselstaat 1899 an Amerika.
19. bis 20. Jahrhundert, Amerika kommt, um zu bleiben
Die neuen Herren meinen es gut – sie wollen den Filipinos das Tor zur modernen Welt öffnen. Von der Bevölkerung wird diese Haltung begrüßt: Sie erhoffen sich vom Englischen Chancen für ihre persönliche und gemeinsame Zukunft. Mit einem flächendeckenden Schulsystem, in dem Englisch unterrichtet wird, wollen die Amerikaner regionale Differenzen überwinden und philippinischen Kindern Aufstiegschancen bieten (wie diese Illusion an der Wirklichkeit zerschellt, lässt sich in dem Roman America is in the Heart nachlesen). Tatsächlich wissen die Amerikaner, dass ihr Handeln einer imperialistischen Politik entspricht, die zum Verlust kultureller Identität führt. Als die Filipinos dessen in den 1920er Jahren zunehmend gewahr werden, kommt erneut die Debatte um eine Nationalsprache auf. Denn am Missverhältnis von Lehrern und Sprechern hat sich nichts geändert. Auf elf Millionen Filipinos kommen zehntausend Amerikaner. Plötzlich steht die zurückhaltende spanische Sprachpolitik in einem guten Licht.
Die Frage ist, welche der Sprachen zur Nationalsprache werden soll? Tagalog liegt ob seiner Dominanz nahe, hat jedoch auch viele Gegner – also diskutiert man Kompromisse und Möglichkeiten. In diese Findungsphase fällt Quezons Ausspruch über mangelnden Nationalstolz und Zeichen von Unterlegenheit. Als Nationalsprache wird schließlich Filipino festgelegt, eine auf Tagalog basierende Sprache mit einigen Elementen anderer Dialekte (zu wenigen, sagen Kritiker). Trotzdem hat sich Filipino (umgangsprachlich wieder als Tagalog bezeichnet, um die Verwirrung komplett zu machen) gemeinsam mit Englisch als Verkehrssprache durchgesetzt – bis heute.
21. Jahrhundert, bad language
Das philippinische Online-News-Portal Rappler führt im Mai 2016 eine Online-Umfrage durch. Welche Sprache soll der neue Präsident in seiner Antrittsrede verwenden? Englisch kommt auf 36 Prozent, Tagalog gewinnt mit 48 Prozent. Die Sprache, in der Duterte nun sein Liebeslied an Donald sangt. Dieser Tage ist auf den Philippinen weniger die Sprache ein Problem. Es sind die Worte des Präsidenten (die jenseits des Liebesliedes) und des Menschen, den man dahinter vermuten muss. Dass der 72-jährige Rodrigo Duterte seinen ehemaligen Amtskollegen Barack Obama als »Hurensohn« beschimpft (ebenfalls auf Tagalog – statt in einer Sprache, die er ebenfalls spricht und die Obama versteht), kann man noch als männlichen Macho-Idiotismus abtun.
Wenn Duterte seinen persönlichen Krieg gegen Drogensüchtige jedoch mit der deutschen Judenvernichtung und sich selbst stolz mit Hitler vergleicht, diesen Worten auch Taten in Form tausendfacher Morde folgen lässt, wird es zunehmend wichtiger, dass die Vereinten Nationen reagieren, sei es mit Sanktionen gegen die philippinische Regierung oder Unterstützung desjenigen Teils der Bevölkerung, der um sein Leben fürchten muss – in jedem Fall jedoch nicht mit einer Einladung Dutertes ins Weiße Haus. Das kriegt nur ein Mann hin, der verzweifelt auf der Suche nach Leuten ist, neben denen er noch als das kleinere Übel dasteht.
1989 sagte Duterte, damals Bürgermeister von Davao, über das Opfer einer Gruppenvergewaltigung:
Sie war so schön. Ich dachte, der Bürgermeister hätte der Erste sein sollen.
Im Mai 2017 verhängte Duterte im Süden der Philippinen das Kriegsrecht und sagte seinen Soldaten, sollten sie Vergewaltigungen ausüben, nehme er das auf seine Kappe. [dieser Absatz passt hier nicht so recht, aber ich lass ihn mal stehen.]
Nachtrag: Hier geht es zu einem Interview mit Raffy Lerma (samt Transkript), einem philippinischen Fotografen, der die von seinem Präsidenten motivierten Taten dokumentiert (geführt mit Amy Goodman von Democracy Now! ).