Die Bühne gerahmt in Luftballons und Lichterketten, das Catering Backstage gepimpt mit Datteln und Gebäck – der SpokenWordClub fängt an, sich heimisch zu fühlen. So mein erster Eindruck, als ich gestern Abend zwei Stunden vor Showbeginn in den Club Bahnhof Ehrenfeld rein bin. Bei der ersten Sause , vergangenen Monat, war die Bude voll, Publikum und Veranstalter anschließend happy mit dem Verlauf des Abends. Der hatte zwar Überlänge, aber das machte den Auftakt umso epischer. Die Erwartungen an die zweite Show mit Stargast Mo-Torres waren also hoch – wurden sie erfüllt?
Statistisch gesehen okay
Regression zum Mittelwert, so nennt man ein Phänomen aus der Statistik, das man kennen sollte, um vom Leben nicht enttäuscht zu sein – und vom gestrigen Abend mit Mo-Torres, Makeda und Co. Um die Wichtigkeit dieses Phänomens zu veranschaulichen, nehmen wir das Beispiel der Kindererziehung: Manche beinharte Eltern sind überzeugt, dass nicht Lob sondern Kritik ihren Nachwuchs zu besseren Menschen mache, in welcher Hinsicht auch immer.
Grund dafür sind Erfahrungswerte: Wenn man das Kind aufgrund einer herausragenden Mathe-Note lobt, wird die nächste Note meist schlechter. Unser auf Kausalzusammenhänge abfahrendes Gehirn strickt direkt einen passenden Narrativ: Vermutlich hat das Lob das Kind faul gemacht, es war noch zu gesättigt von den Lorbeeren, um bei der nächsten Mathe-Arbeit wieder Vollgas zu geben. Macht man dem Kind dafür stattdessen bei einer besonders schlechten Mathe-Note die Hölle heiß, mit Hausarrest, Smartphone-Entzug, Popohaue, stiller Treppe, was weiß ich, dem ganzen Programm, dann oha! Die nächste Mathe-Note wird besser! Und unser Hirn so: Klar, Kind hat Schiss, sich nochmal so einen Ärger zu holen. Das spornt an.
Jetzt: Regression zum Mittelwert . Dieses Phänomen bestätigt unsere Beobachtungen – und erklärt unsere Erklärungen für Bullshit. Es erklärt sogar unsere Reaktionen für einigermaßen nichtig. Denn ja, nach einer herausragenden Mathe-Note folgt meist eine schlechtere und nach einer besonders schlechten meist eine bessere. Das hat nichts damit zu tun, ob wir das Kind loben oder kritisieren – sondern schlichtweg mit der Regression zum Mittelwert, reine Statistik: Nach Spitzenleistungen (hoch oder tief), folgen wieder Leistungen, die näher am (jeweils eigenen) Durchschnitt oder Mittelmaß sind. Bevor ich hier völlig vom Thema abkomme, schnell zurück zur Show:
Line-up geht steil ab
Der Auftakt des SpokenWordClub im Club Bahnhof Ehrenfeld war so stark, dass danach erstmal eine „normalere“ Auflage folgen musste. Und so war es, meinem Eindruck nach, gestern Abend. Das Line-Up war wieder stark, keine Frage. Mit am Start: die Comedians Cüneyt Akan , David Kebe und Costa Meronianakis , der grandiose Poetry-Slammer Jay Nightwind und Ausnahme-Musikerin Makeda . Außerdem, als Talk-Gast: Mo-Torres , der sein Jubiläum feiert – seit 10 Jahren macht der Mann sein Ding (in der Regel: Musik). Durchweg großartige Künstler also!
Zu Beginn gab David Kebe ein paar Anekdoten zum Besten – und legte die Messlatte prompt so hoch, dass ich kurz zweifelte, ob die Showmacher ihre Dramaturgie gut durchdacht hatten. Kebe quatschte aus dem Leben eines 33-Jährigen, dem der Stress abgegangen ist, im Leben was Besonders sein oder werden zu müssen (was ihn in den Zwanzigern noch sehr unter Druck gesetzt habe, muss zugeben, kann ich mich da ein bisschen mit identifizieren…). In den Dreißigern sei sein Lieblings-Aufenthaltsort die Couch und die sowieso die bessere Platzwahl, für alle Menschen, immer. Wir würden weniger Hass ins Internet rausschreien, und so, dieser David Kebe hat da ein paar echt gute Argumente sehr amüsant verpackt.
Die Vielfalt des SpokenWordClub
Was ich stark finde, im (oder am?) Konzept des SpokenWordClub: Ich komme gar nicht in die Verlegenheit, ein gedankliches Ranking aufzustellen. Nach dem Motto, welcher Comedian hat mir am besten gefallen? Dafür waren die drei Jungs schlichtweg zu unterschiedlich, eigenartig und jeder für sich ne echte Marke. Zusammen hätten die Drei auch ne gute Boy-Band abgegeben, Kebe, Akan & Meronianakis, so vor 15 Jahren vielleicht, für jeden Groupie was dabei.
Nicht zu vergessen, der vierte Spaßmacher im Bunde: Newcomer Timur Turga . Wer mit wenig Erfahrung vor eine große Menschenmenge tritt (der CBE war wieder voll besetzt), der kriegt von mir schonmal ein paar mentale Vorschusslorbeeren. Ich stehe dann so unten am Bühnenrand, glubsche durch meine Kamera-Linse hoch und denke mir… Junge, ich möcht nicht tauschen … da oben im Rampenlicht versuchen, diese über hundert Unbekannten zum Lachen zu bringen!? Viel Glück. Leider bin ich so erbarmungslos, meine mentalen Vorschusslorbeeren ganz schnell wieder einzusammeln, wenn mir der Auftritt missfällt. Dann denkt ein bösartiger Zweig meines Denkapparats… Jung, hätteste einfach mal gelassen … aber nein: Timur Turga ist auf der Bühne echt gut aufgehoben! Wirkt authentisch, strahlt Ruhe aus, kein effekthascherisches Gezappel, sondern gerade heraus, ein paar amüsante Anekdoten aus dem Leben eines jungen Mannes, der wegen ziemlich starker Seeschwäche in ein paar ziemliche lustige Situationen reinläuft.
Etwas ernstere Töne angeschlagen hat im Anschluss das Poetry Slam »Urgestein« (meine Wortwahl, kann man das mit sieben Jahren in der Szene schon sagen?) der Essener Jay Nightwind. Wobei auch er bald den Bogen geschlagen zu seeehr unterhaltsamen Wutausbrüchen, die ihm einiges an Puste gekostet haben. Hut ab für die wortgewaltige Performance! Hier geht’s zu Jays Blog .
Rap-Battle mit Mo-Torres
Es war wieder eine bunte Mischung von allem. So, wie es sich der SpokenWordClub eben zur Mission gemacht hat. Mit Makeda gab es noch deutsche Balladen, authentisch schön, was fürs Herz. Und später im Rap-Battle »Mo-Torres vs. Norman Soltan aka Ro-Meo« wieder das zu Lachen. Norman hat sich gegen den Pro Mo-Torres gut geschlagen, muss ich sagen! Die Moderation findet beim SpokenWordClub immer im Duo statt.
Der zweite Mann am Mikro ist der Schauspieler Jesse Albert, um den man in dieser deutschen Fernseh-Woche gar nicht rumgekommen ist. Man konnte hin und her zappen, um seinen Auftritten zu folgen. Das ist glaube ich so eine Zwischenstufe in der Karriere eines Schauspielers. Nächste Stufe: dass die Leute gar nicht mehr zappen müssen, um einen Abend lang die volle Dröhnung Jesse Albert zu kriegen. Nächste Stufe: dass die Leute ihren Hintern vom Sofa rollen und sich ins Kino trollen, den »neuen Jesse Albert Film« sehen.
Philosophie-Mini-Exkurs
Auf der Bühne also alles tippi-toppi mal wieder. Etwas strafferes Programm diesmal, weil man pünktlich die Location für die nächste Sause freigegeben musste – aber vielleicht gut so. Denn was diesen Abend gegen den ersten im Club Bahnhof Ehrenfeld etwas schwach aussehen lässt, war die Unruhe im Publikum. Klar, die Konzentration der Zuschauer hängt stark von dem ab, was auf der Bühne los ist. Die Showmacher sind in der Bringschuld, gewiss.
Doch die haben abgeliefert. Wenn aber beim Talk-Element mit Mo-Torres mal für fünf Minuten Ruhe einkehrt ins Programm, dann ist das Publikum in der Bringschuld. Habe darüber erst vorgestern in der Philosophie-Klausur schreiben dürfen: Kommunikationsethik. Dem Sprechenden Anerkennung zollen, indem man ihm zuhört – statt selbst schnattert, »Erbsenundmöhrenerbsenundmöhrenerbsenundmöhren«. (Apropos, wo war Dan O’Clock eigentlich? Der hat mir gefehlt.) Aber, ach, Gruppendynamik in sozialen Gefügen ist eine komplexe Angelegenheit. Das will ich als Kritikpunkt ins Feld führen. Nur als kleines »na ja, schade«. Zumal es ja immer nur ein paar Geschwätzige sind, die Unruhe reinbringen.
Ein Video von dem Abend mit Talk-Gast Mo-Torres gibt’s hier:
Nachtrag: Hier geht’s zum Blogbeitrag zur dritten Show des SpokenWordClub im Club Bahnhof Ehrenfeld – unter anderem mit Jann Wattjes, Tim Perkovic, Amiaz Habtu und (da isser wieder!) the one and only Dan O’Clock !