In diesem Beitrag geht’s um das Werk Spiegel der einfachen Seelen von Margareta Porete. Das war eine französische Begine und Schriftstellerin, die um 1250 zur Welt kam und im Sommer 1310 in Paris bei lebendigem Leibe verbrannt wurde. Damit befinden wir uns im finsteren europäischen Mittelalter und vertiefen im Anschluss an den Beitrag über Gottesbeweise unseren Theologie-Exkurs. Im Folgenden geht’s um drei Fragen: Was sind Beginen? Was hat Porete geschrieben? Und warum wurde sie verbrannt?
Beginentum statt Zwangsheirat
Beginen- und Begardentum waren eine von vielen religiösen Strömungen, die es in der Wende zum 13. Jahrhundert gab. Diese Bewegung unterteilte sich in Frauen (Beginen) und Männer (Begarden), wobei es von Letzteren deutlich weniger gab. Das Beginentum stellte für die Frauen jener Zeit jedoch eine echte Alternative dar, zu einem Leben in Unterdrückung – sei es als zwangsverheiratetes Eheweib oder Nonne. Die Beginen wohnten allein, verdienten ihren Lebensunterhalt selbst und verpflichteten sich zu Armut und Keuschheit, bloß halt ohne Bindung an die Kirche und ohne Priester als geistigem Oberhaupt. Diese Frauen brachten eine neue, autonome Lebensweise samt eigener Form der Spiritualität hervor. Dabei ging es unter anderem um die Einmaligkeit und einzigartige Würde einer jeden Seele – damit sind wir schon beim Thema von Poretes Philosophie und ihrer Schrift, dem Spiegel der einfachen Seelen .
Spiegel der einfachen Seelen
Obwohl es in ihrer Zeit keine Bildungseinrichtungen für Frauen gab, eignete sich Porete ein außergewöhnliches Wissen an, insbesondere in der Theologie – der Lehre von Gott. Ihr Bildungsstand lässt vermuten, dass Porete aus guten Verhältnissen kam. Trotzdem wählte sie mit ihrem Beitritt zum Beginentum ein Leben in Armut, aber eben auch Autonomie, also Selbstbestimmtheit. Diese Lebensform bildet den geistigen Hintergrund, vor dem Poretes Spiegel der einfachen Seelen überhaupt erst entstehen konnte.
Die Spiegel-Literatur ist eine besondere Textgattung aus dem Mittelalter. Das sind Schriften, die ihre jeweilige Zielgruppe erbauen oder belehren sollen, sodass die Lesenden sich darin spiegeln können: Wie sieht’s aus, lebe ich mein Leben richtig? Solche Spiegel gab’s etwa für das Fürstentum, für Sünder*innen oder eben für »einfache Seelen«, womit so ziemlich alle angesprochen waren. Poretes Schrift versteht sich als eine Hinführung zu einem Leben der Seele aus göttlicher Liebe heraus. Seele und Liebe treten im Buch als Gesprächspartner auf – denn so wie viele von Platons Werken ist Poretes Spiegel in Dialogform geschrieben. Die Seele als personifizierte Wesenheit soll das Buch gar in Auftrag gegeben haben, was Porete quasi zu einem Medium macht. Deshalb wird ihre Philosophie auch als Mystik eingeordnet, aufgrund von Poretes Bemühen um die Erfahrung einer absoluten, göttlichen Wirklichkeit.
Willensstark in den Feuertod
Die Vernunft kommt im Spiegel der einfachen Seelen ebenfalls zu Wort, als Kritikerin und Skeptikerin, die zuweilen verspottet wird. Dabei handelt es sich um die Art von Vernunft, die in der Kirche vorherrschte, die Porete als »Kirche im Kleinen« bezeichnete. Der Kirche hat das Ganze nicht gefallen. Margarete Porete wurde der Häresie beschuldigt. Häresie, das kann eine vom Anerkannten abweichende Meinung oder Philosophie sein – etwas, das im Widerspruch zu kirchlich-religiösen Glaubensgrundsätzen steht. Toller Vorwurf, oder? Du hast eine andere Meinung und als gerechte Strafe dafür beschließen die Kirchenmänner, dich auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen.
Im vorausgegangenen Prozess hat Porete sich standhaft gezeigt. Sie verweigerte jede Aussage und den geforderten Widerruf, den Treueeid und damit die Anerkennung des Tribunals – sie lehnte sogar die Absolution ihrer »Sünden« ab, die sie nicht als solche empfand. Als »Sokrates des Mittelalters« lässt sich Porete beschreiben. Ähnlich wie der antike Philosoph, der vergleichsweise zivilisiert mit einem Schierlingsbecher – also Gift – hingerichtet wurde, schlug Porete die Möglichkeit aus, ihrer Strafe zu entgehen. Damit blieb sie ihrem Denken treu. Die Verurteilte sollte schließlich mit ihrem Buch in der Hand in den Feuertod gehen.
In memoriam… Hypatia
Poretes Hinrichtung erinnert an ein weiteres Schicksal in der Philosophiegeschichte, nämlich an den Tod von Hypatia. Diese lebte in der Spätantike im heutigen Ägypten. Dort wurde die Mathematikerin und Philosophin ums Jahr 415 von einem christlichen Mob ermordet, zerstückelt und dann verbrannt. Kurzum: Von den wenigen Frauen, die uns in der Philosophie der Antike und des Mittelalters begegnen, war diesen beiden ein brutales Ende beschieden. Mehr über Leben und Werk von Porete erfährst du in dem Buch Der Spiegel der einfachen Seelen: Mystik der Freiheit , herausgegeben von Louise Gnädinger. Über Hypatia gibt es einen großen Historienfilm, Agora – Die Säulen des Himmels , mit Rachel Weisz in der Hauptrolle.