Vorige Woche schrieb mir eine Brieffreundin, dass sie wegen »Personenschadens« in der Bahn festgesessen habe – und fragte nach meinen Gedanken zum Thema Suizid. Gestern diskutierte ich eifrig mit einer Hebamme darüber, wie mit Eltern umgegangen müsse, die ein behindertes Kind erwarteten – und es führte zum Thema Abtreibung. Heute darf ich mich fürs Fernstudium mit der Ethik bei Immanuel Kant beschäftigen. Was will das Schicksal mir sagen?
Dass ich mich gefälligst ein bisschen mit der Verantwortung auseinander zu setzen habe, die mit meiner Freiheit einhergeht – die Freiheit nämlich, zu tun und zu lassen, was ich will… oder soll? … oder so?
Ethik auf dem kantschen Prüfstand
Im Folgenden geht es um Philosophie auf Möchtegern-Philosophen-Niveau. Dies sei als Warnung vorangestellt, Ausweichtipp heute: Über 6000 Videos von ein- und derselben Pfeife mit all seinen Pfeifen. Enjoy! … … … noch da? Dann darf ich dich mit den Worten eines großen deutschen Philosophen begrüßen, der einst sprach (auf englisch… und explicit …):
Have you ever heard of the categorival imperative, asshole? Read Kant, cunt! | Ja, okay, eigentlich singt die Zeile ein kleines Mädchen, dessen Namen ich nicht kenne; selber hören/sehen/feiern hier: Be Deutsch!
Ohne uns bei all den Kraftausdrücken angesprochen zu fühlen, nehmen wir das Mädchen mal beim Wort und lesen Kant, zumindest ein bisschen, wenigstens einen Satz, den hier:
Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Princip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.
Das ist er schon, jener categorial imperative , der kategorische Imperativ. Kategorisch deshalb, weil er unbedingt – nicht unter bestimmten Bedingungen (also hypothetisch) – gilt. Das Besondere an der Ethik bei Kant ist, dass sie nicht aus einer Reihe von Soll-Sätzen besteht, wie sie uns in etwaigen Traditionen zuhauf begegnen, religiös (Du sollst nicht töten!), kulturell (Ellbogen vom Tisch!) oder politisch (Achte das Grundgesetz.). Als Maxime versteht er einen subjektiven Grundsatz, sowas wie: »Ich esse kein Fleisch.«
Im Zeitalter der Kritik , so Kant (im 18. Jahrhundert), könnten sich weder Religion noch Gesetzgebung der Vernunftprüfung entziehen, obwohl sie dies, wie Kant sagt, »gemeiniglich wollen«. Nun ist das »Zeitalter der Kritik« eine ernüchternde Bezeichnung, weil es – ähnlich wie »Anthropozän« – eine Endlichkeit impliziert, die man nicht so recht wahrhaben will. Philosophen wie Noam Chomsky tragen das Gedankengut Kants an die heutigen Denker von Morgen heran: Autoritäten seien immerzu in Frage zu stellen (Lesestoff zum Thema bietet die anarchistischebibliothek.org ).
Ein Hoch auf die Vielfalt!
Kants Formel ist universell gehalten. Sie richtet den Blick nicht auf wirkliche Handlungen, deren zugrunde liegenden Maxime (oder: Motive) ohnehin oft im Dunkeln liegen. Ein gutes Beispiel ist vielleicht Trumps Executive Order 13769, besser bekannt als
muslim ban
, eine wirkliche Handlung, mit deren Konsequenzen sich jetzt Gerichte befassen müssen, die jedoch über die dahinterstehende (gerichtlich relevante!) Maxime nur mutmaßen können: Ist es beinharter Rassismus, republikanisch tradierte Soziopathie, oder geistige Verwirrung? Nehmen wir mal Rassismus als Maxime an, um die universelle Formel greifbar zu machen.
Losgelöst von allen wirklichen Handlungen, die alltäglich unter dieser Maxime vollzogen werden – und abgesehen davon, wie wir sie deuten, also ob gut oder böse: Könnte sie zugleich als Princip [Kant schreibt das so, ich lass es so] einer allgemeinen Gesetzgebung gelten?
Als Ausgangspunkt nimmt Kants Ethik die gegebene Maximenvielfalt, ohne irgendein Vorurteil über die Qualität einzelner Maximen. Diese müssen bloß auf ihre Rationalität hin überprüfbar sein. Dementsprechend ist in Kants Formel die Maxime austauschbar, was uns zum Beispiel Hedonismus, Konservatismus, Dataismus oder eben Rassismus einsetzen lässt. Jede für sich transportiert Wertvorstellungen nach materialen Maßstäben, die Prüfung derselben ist daher nur anhand eines Prinzips vorzunehmen, das selbst nicht materialer Natur bestimmt ist. Ziel der Prüfung ist es indes keine ethische Homogenisierung durch Ausschluss etwaiger Maxime ( maxim ban ), sondern alle möglichen Maximen zu berücksichtigen, im Sinne einer Freiheit der Maximenwahl. Die Freiheit reicht im übrigen soweit, dass es nach Kants Verständnis niemals auch nur zwei Individuen geben müsse, die derselben Gesinnung sind – ein Kompromiss an die Heterogenität unserer Gesellschaft, anerkannt von einem Mann, der sich nur selten und ungern über die Grenzen seines Städtchens Königsberg hinaus bewegt hat.
Könnte also, in diesem Lichte betrachtet, eine Gesinnung, die Gleichschaltung für sinnvoll betrachtet, als Princip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten – in Anbetracht besagter heterogener Gesellschaft, für welche die allgemeinen Gesetze gelten sollen? Diese Frage möge jede/r für sich selbst beantworten.
Genug Hirnschmalz für heute verrieben. Über traurigen Themen im Vorspann wird ein andermal weiterphilosophiert.