Marlon Bundo ist ein Kaninchen mit eigenem Instagram-Account . Das überrascht heute niemanden mehr. Seit der Geburtsstunde des Internets wird es doch eigentlich von Tieren dominiert. Und homo sapiens schaut schmunzelnd zu. Marlon Bundo jedenfalls hat jetzt ein Buch rausgebracht: Ein Tag im Leben von Marlon Bundo. Auch das traut man in diesen verrückten Zeiten einem Kaninchen durchaus zu. 2018 staunt man nicht mehr, man nimmt zur Kenntnis. Alle haben alles schon einmal gesehen. Trotzdem möchte ich über Marlon Bundos Buch schreiben, weil es diese Welt ein kleines bisschen besser macht, wie ich finde. Dazu muss ich ein wenig ausholen und statt über Bücher erstmal übers Fernsehen schreiben.
Angefangen hat alles mit Jon Stewart. Er war der erste Moderator, der mein Interesse an amerikanischer Nachrichtensatire weckte. Das war lange vor dem Erscheinen von Ein Tag im Leben von Marlon Bundo . Im August 2015 gab er – nach 16 Jahren im Amt – die Moderation von The Daily Show an den Komiker Trevor Noah ab. Wenig später wurde ein anderer Komiker von knapp einem Fünftel der Amerikaner ins Weiße Haus gewählt. Seitdem Donald Trump von dort die aberwitzige Reality Show über das Leben eines geisteskranken Narzissten fortsetzt, haben Nachrichtensatire-Sendungen, die diese Show laufend kommentieren, an Beliebtheit gewonnen.
Trevor Noah ist seit Jon Stewarts Abgang mein absoluter Liebling und ein würdiger Nachfolger für den schwer zu übertreffenden Stewart. Aber auch Noahs Kollegen schaue ich mir beinahe täglich an. Wenn nicht als Nachrichtenersatz, so doch als unentbehrlichen Nachrichtenzusatz. Ob Seth Meyers, Stephen Colbert, Bill Maher oder hin und wieder Jimmy Fallon – diese Laber-Formate über Tagespolitik treffen bei mir einen Nerv. Dass ich als deutscher Jung damit nicht alleine stehe, zeigt die Zunahme solcher Formate auch hierzulande. Jüngst ist Klaas Heufer-Umlauf mit Late Night Berlin in einen entsprechenden Versuch gestartet. Eine Show, über die sich – wie DIE ZEIT nach der ersten Folge treffend schrieb – »fairerweise noch wenig sagen lässt«.
Genau wie Böhmermann geht Heufer-Umlauf nicht täglich an den Start, sondern erst einmal im Wochentakt. Ohne Experte auf dem Gebiet zu sein, nehme ich an, dass dieser Rhythmus einer niedrigen Erwartung, der wenigen Erfahrung und einer gesunden Vorsicht bezüglich der (Daily) Late Night in Deutschland entspringt.
Der sympathische Platzhirsch in der Late Night
Eine Late-Night-Show von ganz anderem Kaliber, die bewusst und gekonnt nur wöchentlich – sonntags – auftaucht und daraufhin nicht selten für eine Woche Gesprächsstoff sorgt, ist Last Week Tonight mit John Oliver. Unter anderem produziert von dem Sender HBO, der dieser Welt auch The Wire, Six Feet Under, True Detective und Game Of Thrones beschert hat – das tut hier nichts zur Sache, will nur sagen: I❤U HBO.
Und John Oliver liebe ich immer zweimal mehr wie du.
Als ich Last Week Tonight im Jahr 2015 für mich entdeckte, suchtete ich in kürzester Zeit deren gesamtes YouTube-Archiv durch. Chronologisch und lückenlos, wie es sich für einen neurotischen Binge-Watcher gehört. Die Sendung hat mir viele erhellende Momente und herzhafte Lacher beschert. Die Erwartungshaltung hat sich aufgrund unvergesslicher Highlights leider bei »sehr hoch« eingependelt, weshalb ich von vergleichsweise »normalen« Folgen (jeder neue Upload wird binnen Stunden weggeguckt) fast enttäuscht bin. Ich verlange von Last Week Tonight nicht weniger, als dass dieser bescheidene Superheld John Oliver die Welt ein bisschen besser macht. Meistens ist es dann doch nur meine Laune, aber immerhin.
Nicht hinterherhecheln
Kurz zum Format: Jeden Sonntagabend geht Last Week Tonight eine halbe Stunde lang auf die »vergangene Woche« ein, wie im Titel versprochen. In Wahrheit nimmt sich das Herzstück der Sendung (ein Segment von 15 bis 20 Minuten Dauer) hingegen oft ein Thema vor, dessen Relevanz nicht davon abhängt, ob es in der vergangenen Woche eine besondere Schlagzeile dazu gab.
Der Vorteil von Last Week Tonight gegenüber etwaigen tatsächlich-täglichen Daily-Show- Formaten ist der, dass John Oliver nicht dem irren Tagesgeschehen nachrennen muss, das zurzeit (gefühlt) mehr denn je von kleinen Geistern in hohen Ämtern diktiert wird. Via Tweets im Stundentakt. TV-Blödelbarde Trump wirft mit »verbalen Rauchbomben« um sich, wie Oliver bei Ellen DeGeneres vor kurzem sagte. Zuweilen lenkt diese beschämende Reality Show von realen Problemen ab.
Das Konzept von Last Week Tonight lautet eher: Nicht hinterherhecheln, sondern vorausschauen.
Gestatten, Mike Pence
Vergangenen Montag (die Spätsonntagabendsendung von HBO landet erst ein paar Stunden später via YouTube auf dem Schirm deutscher Zuschauer) widmete Last Week Tonight besagtes Herzstück-Segment der Show dem Vize-Präsidenten Mike Pence . Das ist einer der wenigen Personen der amerikanischen Regierung, die Trump noch nicht gefeuert hat, eventuell, weil es er schlichtweg nicht darf/kann. Thematisiert wurde in dem Segment vor allem die Schwulenfeindlichkeit, die Mike Pence bekanntlich unterstellt wird – aufgrund seines Abstimmungsverhaltens als Abgeordneter im US-Repräsentantenhaus.
Öffentlich spricht sich Pence gegen die Diskriminierung von Homosexuellen aus. Wie seine Geisteshaltung zu dem Thema nur wirklich und wahrhaftig auf immer geartet ist, dass er sich als Vize-Präsident an die Seite eines untragbaren Opas stellt und dessen Bullshit vor aller Welt verteidigt, reicht mir eigentlich, um Mike Pence nicht so dolle zu finden. Auch seine arg simpel gestrickte Argumentationsweise stößt mir sauer auf. Hier spricht Pence leidenschaftlich über (bzw. gegen) die Evolutionstheorie:
Gestatten, Marlon Bundo
Was hat nun das Kaninchen Marlon Bundo mit dem Ganzen zu tun? Dieses Kaninchen gehört als Haustier zur Familie von Mike Pence. Es ist auch bekannt als Bunny Of The United States (BOTUS) . Als solches sieht es sich wohl in der Pflicht, seinen Beitrag zur Pence-Promotion zu leisten. Das tat Marlon Bundo, indem es am Montag besagtes Kinderbuch veröffentlichte: Ein Tag im Leben von Marlon Bundo . Eine Lesung dieses Buchs sollte bei der von Mike Pence unterstützten Organisation Focus on the Family stattfinden, deren FAQ zum Thema Homosexualität für sich sprechen: Menschen sind von Gott gemacht, rebellieren gegen Gottes perfekten Plan und Homosexualität ist EBEN NUR EINE Sünde von vielen, also chillt mal, Leute, wir haben nichts gegen Schwule. Wir haben was gegen Menschen.
Naja, jedenfalls hat Last Week Tonight von der geplanten Buchveröffentlichung Wind bekommen und kurzerhand ein eigenes Buch herausgebracht – einen Tag vorher, also am vergangenen Sonntag. Heute vor einer Woche. Das Buch heißt: A Day in the Life of Marlon Bundo . Es handelt davon, dass das Kaninchen Marlon Bundo (ein Männchen übrigens) ein anderes Kaninchen namens Wesley (auch ein Männchen übrigens) kennenlernt. Die beiden verlieben sich Hals über Kopf ineinander und wollen heiraten, was auch die Stinkwanze (die einem gewissen Politiker recht ähnlich sieht) nicht verhindern kann. Das Buch hat es binnen Stunden auf Platz 1 bei Amazon geschafft – die Verkaufszahlen des anderen, einen Tag später erschienenen Buchs über Marlon Bundo hat es in den Schatten gestellt. Nachdem es rasch ausverkauft war, hat HBO inzwischen die nächste Auflage ins Rollen gebracht.
Ein Tag im Leben von Marlon Bundo als E-Book
Ich hatte mir schon das eBook von Ein Tag im Leben von Marlon Bundo besorgt, weil man aus Deutschland kein »echtes« Hardcover bestellen konnte. Das geht inzwischen, weshalb ich nochmal zugreifen werde. Mit einem Kauf des Kinderbuchs von Last Week Tonight unterstützt man das Trevor Project (eine US-weite Telefonseelsorge für Mitglieder der LGBTQ-Community) sowie die Organisation AIDS United . Das Buch über den homosexuellen Marlon Bundo ist natürlich ein richtiges Kinderbuch – mit tollen Illustrationen und einer schönen kleinen Geschichte. Nur halt auf Englisch. Ob meine zukünftigen Kinder im Zielgruppenalter schon bilingual unterwegs sind, wage ich mangels meiner persönlichen Fähigkeiten zu bezweifeln.
Aber zuweilen sind die Kinder ja zum Glück etwas cooler drauf, als ihre Eltern.
Wie der Vater so… nicht
Charlotte Pence , die Tochter des Vize-Präsidenten, hat Marlon Bundo einst über Craigslist gekauft. Die Mittzwanzigerin, deren politische Ansichten nach eigenen Aussagen nicht mit denen ihres Vaters übereinstimmen, hat dem Kaninchen auch geholfen, das »offizielle« Buch überhaupt zu schreiben. Und siehe da, sie hat auch nicht lange gefackelt, Marlon Bundo beim Kauf des »inoffiziellen« Buchs Ein Tag im Leben von Marlon Bundo von Last Week Tonight zu helfen. Das Kaninchen hat sich auf Instagram demonstrativ in die bunte Garderobe des schwulen Marlon Bundos geschmissen und lässt verkünden:
Besser als EIN Buch für einen guten Zweck
sind ZWEI Bücher für einen guten Zweck.
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an@lastweektonight @iamjohnoliver Not gonna lie, I do look pretty fly in a bow tie. The only thing better than one bunny book for charity is…TWO bunny books for charity. #BOTUS – Marlon
Der Erlös des offiziellen Buchs von Marlon Bundo und Charlotte Pence geht an A21 , eine Organisation im Einsatz gegen Menschenhandel.