Madame Beudets sonniges Lächeln (1923) gilt heute als einer der ersten feministischen Stummfilme – nach The Consequences of Feminism (1906). Geschrieben und inszeniert wurde das etwa 38-minütige Werk – auch bekannt als Das Lächeln der Madame Beudet – von der französischen Filmemacherin Germaine Dulac . Sie orientierte sich dabei an einem Theaterstück aus dem Jahr 1921. Ihr Film handelt vom Schicksal einer unglücklichen Ehefrau, erzählt in zwei Teilen. Wegen des schonungslosen und seltenen weiblichen Blickwinkels zählt Madame Beudets sonniges Lächeln zum sogenannten Avantgardefilm.
Hinter dem Oberflächen-Lächeln
Madame Beudet (Germaine Dermoz) lebt in einem Provinznest. Ihr Ehemann (Alexandre Arquilliere) ist ein Tuchhändler von herrischer Art und bösem Humor. Als sie eines Abends seine Einladung verweigert, eine Aufführung von Faust zu besuchen, tut er so, als wolle er sich mit dem Revolver in seiner Schreibtisch-Schublade erschießen. Trotz seiner Wut beugt sich Madame Beudet nicht seinem Willen – und so nimmt der Mann statt seiner Frau zur Strafe den Schlüssel für das Klavier mit ins Theater, damit sie daheim nicht ihrer Lieblingsbeschäftigung nachgehen kann. Im Laufe des folgenden Abends zeigt sich, dass Madame Beudet nicht nur eine heitere Tagträumerin ist, sondern auch von sehr finsteren Gedanken geplagt wird. In ihrer Verzweiflung interessiert sie sich bald für den Revolver im Schreibtisch des Mannes.
Eine Puppe ist zerbrechlich, sie ist fast wie eine Frau. | Filmzitat
Der Begriff »Avantgarde« stammt aus der französischen Militärsprache und bezeichnet »die Vorhut«. Gemeint ist jener vorausgehende Spähtrupp, der die Lage für die nachrückende Kavallerie auskundschaftet. Übertragen auf die Kunst sind avantgardistische Werke solche, die herrschende Normen hinter sich lassen und neue Ideen vorantreiben. Werke des Fortschritts. Inwiefern ist nun Madame Beudets sonniges Lächeln von fortschrittlichen Ideen geprägt?
[…] eine bissige und geistreiche Sozialstudie, die die herkömmliche Dramaturgie sprengt. Bonner Sommerkino 1
Schonungsloser und deutlicher ist eine eheliche Depression selten gezeigt worden.
Thomas Mühlfellner ( Der Filmkürbis )
Dulacs Meisterwerk
Germaine Dulac (*1882) war, wie passend, die Tochter eines Kavallerie-Hauptmanns – und als solche vielleicht prädestiniert dazu, auf ihrem Felde eine Art Vorhut zu bilden. Mit Madame Beudets sonniges Lächeln inszenierte sie bereits ihren dritten Film. Der rund 770 Meter lange Streifen ist gespickt mit fortschrittlichen, filmtechnischen Finessen. Sei es der kreative Einsatz von Blenden, Zeitlupen, Licht und Schatten, oder auch die Blickführung und der gekonnte Spannungsaufbau. Jener Revolver, mit dem Monsieur Beudet zu Beginn des Films herumspielt, kommt natürlich auch noch zum Einsatz – ganz so, wie Tschechows Gesetz es will. Im Finale wird Madame Beudets Motiv schließlich auf eine Weise fehlinterpretiert, dass die Filmstudentin Holly Weaver in Madame Beudets sonniges Lächeln ein gutes Beispiel für die Wichtigkeit des »weiblichen Blicks« (female gaze) hält.
Eine von Frauen geführte Erforschung der Psyche einer Frau kann eine intime Darstellung davon liefern, wie die Kämpfe, die wir austragen, viel tiefgreifender sind als das, was auf der Oberfläche erscheint, wie Dulac in ihrem Meisterwerk so perfekt zeigt.
Holly Weaver, in: The Female Gaze (2018), S. 21
Madame Beudets sonniges Lächeln
Hier ist Madame Beudets sonniges Lächeln in der restaurierten Fassung zu sehen, in der Arte den Film am 21. April 2006 sendete – mit neuer Begleitmusik von Manfred Knaak: