Spotlight war der einzige Nominierte für die Kategorie »Bester Film«, den ich nicht vor der Verleihung Ende Februar gesehen habe. Natürlich bekam er den Oscar. Das war – SO – KLAR. Sonntag erst hat es mich ins Kino verschlagen: Licht aus, Spotlight an.
Nicht nur der Goldjunge machte mich neugierig, auch und insbesondere der ProPublica-Artikel »Spotlight« gets investigative journalism right . So so. Ja ja. Mal sehen. Jetzt habe ich den Film gesehen, aber woher soll ich wissen, was in Sachen investigativer Journalismus right ist? Da geht es mir wie DiCaprio, der nach der Oscar-Verleihung gefragt wird, ob er seine Trophäe jedes Jahr gravieren lässt: »I wouldn’t know.«
Zum Film Spotlight
Spotlight erzählt die Geschichte des gleichnamigen Journalisten-Kollektivs, das im Namen des Boston Globe Stories ans Licht der Öffentlichkeit bringt, die lieber im Dunkeln bleiben möchten: 2001 war das die uralte und längst nicht zu Ende erzählte Story vom vielfachen Kindesmissbrauch durch kirchliche Würdenträger. Das ist nun schon über eine Dekade her. Fühlt sich gar nicht so an, oder?
Vor zwei Jahren erst, im Sommer 2014 exkommunizierte der Papst bei einer Ansprache in Kalabrien die Mafia:
Coloro che nella loro vita hanno questa strada di male, i mafiosi, non sono in comunione con Dio: sono scomunicati .
Diejenigen, die den falschen Weg wählen, die Mafiosi, sind nicht in der in der Gemeinschaft mit Gott. Sie sind exkommuniziert.
Lesetipp: Hier geht’s zur Filmkritik über die Doku Papst Franziskus – Ein Mann seines Wortes (2018) von Wim Wenders.
Dreck von gestern
Diejenigen, die den falschen Weg wählen… strada di male … den verkehrten, den schlechten Weg… viele Wege führen bekanntlich nach Rom – und viele weg von dort. »Die Mafia«, ein geflügelter Begriff für ein globales und zeitloses Phänomen, das in so vielfältiger Form Ausdruck findet: Organisierte Kriminalität. Schutzgelderpressung, Schleuserei, all diese Schandtaten, die Zeitungen wie den Boston Globe füllen.
Nun waren Ablassbriefe doch nichts anderes, als Schutzgelderpressung. Ich weiß, alter Hut. Ein paar hundert Jahre her. Die aktive Fluchthilfe für Nazis aus dem geschlagenen Deutschland über die Rattenlinien ins südamerikanische Nirgendwo, eindeutig eine Art Schleuserei, aber auch irgendwie Schnee von gestern (mehr dazu im Jugendbuch: Das Paradies der Täter ). Jahrzehnte her. Spotlight ruft jetzt nochmal den Missbrauchsskandal ins Gedächtnis. Die Kirche hat schon abgesprochen , wie man darauf reagieren möchte: Es ist ja immerhin ein paar Jährchen her. Lasset das Gras wachsen.
In our experience, Catholics and others will take the movie as proof of what is happening today, not what happened in the past, heißt es laut Cruxnow.com in einem entsprechenden Memo, Do not let past events discourage you. This is an opportunity to raise the awareness of all that has been done to prevent child sexual abuse in the church .
Ja. Aber.
Heute ist morgen schon gestern
Wie sang schon Tic Tac Toe in den 90ern? »Heute ist morgen schon gestern.« Gerade im Kontext ihres ewiglichen Konzepts ist ein Zeitraum von anderthalb Jahrzehnten für eine Reformvollendung der Uralt-Institution doch ein Witz. Hat ja auch keiner gesagt, »Reformvollendung« … dennoch ist’s die Krux mit der Ewigkeit, um es mit Fight Club (1999) zu sagen, leicht angepasst:
Ist die Zeitkoordinate nur lang genug, steigt die Fehlerquote für jeden auf 100 Prozent […] zuerst musst du zugeben, nicht leugnen, sondern zugeben, dass du wieder Mist bauen wirst.
Kontrastzitat: »Unfehlbarkeit bedeutet die Unmöglichkeit der Kirche, in Glaubens- und Sittenfragen in Irrtum zu fallen.« Gefunden auf Kathpedia. Wer pflegt das eigentlich? Ah, das Internetmagazin kath.net . Und »über Kathpedia« liest man: » Die Richtigkeit einer Sache wird gegebenenfalls durch einen Administrator ermittelt.« Das mit der Unfehlbarkeit hat also einer der drei aktiven Administratoren (Asteriscus, Gandalf oder Wolfgang; Stand März 2016) auf Richtigkeit überprüft. Ist ja auch nur eine allgemeine Definition, keine… ach, was verstricke ich mich hier in dämliches Geschwätz zwecks Aufführung einer willkürlichen Auswahl an Widersprüchen und purer Rechthaberei? Dumme, alte Angewohnheit.
Randnotiz: Hier ein paar Gedanken zu dem Film xxy samt Schwachsinn im Namen des Papstes.
Unfehlbarkeit am Arsch
Natürlich ist »die Kirche« – vom kleinen Kirchensteuerzahler hin zum Papst – nicht unfehlbar. Natürlich werden Vertreter der Kirche wieder Unrecht tun. Wie alle Menschen. Was stört mich also?
Kurzum, dass ich so ein kleiner Kirchensteuerzahler bin und damit den großen Apparat subventioniere, in dessen Namen und Rahmen unweigerlich auch Unrecht geschieht – der dann aber auch noch höchste Mühe darauf verwendet, dieses Unrecht zu verdecken oder zu verharmlosen; dass ich mit meinem popeligen Steuerobolus ein System stütze, das mit Berufung auf Traditionen und Werte an Dingen wie dem Zölibat oder dem Kondomverbot festhält – zwei Hebel, die im Hier und Jetzt einiges zum Positiven bewirken könnten, wenn man sie denn umlegte… denke ich.
Warum zahle ich dann noch? Warum trete ich nicht aus? Aus Konformismus und Unentschlossenheit. Ich meide den Konflikt, den mein Austritt mit mir nahestehenden Menschen auslösen würde, auf der Suche nach einer Antwort: Ist Austritt nicht nur die naheliegenste, sondern auch die sinnvollste Lösung? Ziemlich anmaßend von einem leidlich belesenen Laien, die Institution Kirche so mir nichts, dir nichts zu verteufeln…
Andererseits verspüre ich eine selten empfundene Sicherheit, dass der Dalai Lama mit seinem Appell Ethik ist wichtiger als Religion und der Erkenntnis »Ich denke an manchen Tagen, dass es besser wäre, wenn wir gar keine Religionen mehr hätten« recht hat. Was bedarf es einer Religion, einem dicken Buch, einem Gott, um falsch von richtig zu unterscheiden und mit meinen Mitmenschen gerecht umzugehen? (Alles, was es braucht, um den Laden hier am Laufen zu halten.)
Zum Abschluss, die Weisheit eines Reisenden vom Planeten K-Pax:
Every being in the universe knows right from wrong.*
*Das war bevor Kevin Spacey im Zuge der Sexismus-Debatte im Jahr 2017 in Verruf geriet.