Vor kurzem verbrachte ich einen Abend mit einem Amerikaner, der zum ersten Mal Deutschland besuchte. Wir waren Sushi essen. Von allen Themen, die besprochen wurden – Las Vegas, Waffenrecht, Religion, Trump – stach eines hervor: Virtual Reality. The next big thing? Nö.
The already there fucking huge thing . Besagter Amerikaner kam nicht aus dem Silicon Valley oder so, kam nicht einmal aus irgendeiner Großstadt, sondern einem 300-Seelen-Dörfchen in Missouri, aus jenem überflogenen Mittelfeld Amerikkkas , das uns kulturell inzwischen fremder scheint, als… na ja, Asien? Der junge Mann entpuppte sich jedenfalls als Tech-Nerd. Landei hin oder her, mit seinen Gadgets war/ist er am Zahn der Zeit: Fotos schießt der Typ in 360 Grad – und Spiele zockt er daheim nur noch in »VR«. Überhaupt, wenn er heimkehrt, sei das erste, wonach sein Opa (!) stets fragt: das Smartphone. Er schiebt es in so eine Smartphone-reinschieb-Brille und zieht sich die 360-Grad-Urlaubsfotos aus Übersee an.
Und da dämmerte es mir – begleitet von der Vorstellung des virtuell reisenden Greises – das ich (selbst aus einem Paarhundert-Seelen-Dörfchen) da etwas Großes verpasse. In Yuval Noah Hararis Homo Deus las ich über Virtual Reality, gewiss, doch mein Hirn hat es weiterhin stur in die Zukunft hin verortet. Noch kein Thema. Später. Chill mal.
Das »Ich« zur Absorption bereitmachen
Von wegen. Ab sofort wird hier RIGOROS die Virtuelle Realität gestalkt. Was macht sie, wohin breitet sie sich aus, wen betrifft sie? Soldat*innen, Patient*innen, Schauspieler*innen? Wir wollen wissen: Welchen Einfluss hat die Virtuelle Realität auf jeden Bereich des Lebens? Bezüglich der Filmindustrie stellte phys.org unlängst die Frage, ob VR Gimmick oder Game-Changer sei? Der koreanisch-amerikanische Filmemacher Eugene Chung kommt darin zu Wort, unter anderem mit dieser bemerkenswerten Aussage:
Going to the movies will not be the same social experience if everyone is in their own world wearing headsets.
Bemerkenswert deshalb, weil sie unsere (im Historiker-Deutsch:) »kulturelle Standortgebundheit« so deutlich zeigt: Wenn VR so weit etabliert sein wird, dass das Aufsetzen eines Headsets zur ersten Wahl für ein Filmerlebnis ist, dann ist es doch unwahrscheinlich, dass Menschen sich zu diesem Zweck noch »to the movies« begeben, statt daheim zu bleiben. Wozu noch Kinos? Andererseits, hier bremst mich meine mangelnde Vorstellungskraft aus: Vielleicht sind die Kinos von morgen Räumlichkeiten, in denen die physischen Körper der Zuschauers mit auf die Reise genommen werden, indem sie die passende Umgebung zum bestmöglichen Filmerlebnis gewähren. Weg mit der Leinwand. Stattdessen eine kleine Area der totalen Bewegungsfreiheit, mit sich neigendem Boden, mit Wind, Temperatur, Luftfeuchtigkeit… alles, was der Immersion zuträglich ist. Unser Bewusstsein wird absorbiert.
Virtual Reality durch die Brille eines Dokumentarfilmers
Wie die komplette Absorption zu mehr statt weniger Aufmerksamkeit für die Probleme echter Menschen führen können, führt der Entwicklungshelfer und Filmemacher Gabo Arora (@gaboarora) vor Augen: Wer eine VR-Doku sehe, etwa über den Alltag in einem Flüchtlingscamp, könne nicht einfach zwischendurch aufs Handy schauen. Man werde voll eingesogen, wodurch die Gerätschaften letztlich gar zu mehr Mitgefühl verleiten könnten. Mehr dazu (und Impressionen von »Kinos im Zeitalter von VR-Brillen«) in diesem Beitrag von Tim Rittmann (@krautpleaser):
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