Es war einmal, vor der Böhmermann-Affäre: »Moment, da sind Sie im Bereich des Justiziablen…«, unterbrach ein gut gelaunter Jan seinen Gast Jörg Kachelmann. Zuvor hatte der ehemalige ARD-Wetterfrosch die Journalistin Alice Schwarzer als Depp bezeichnet. Ob man das dürfe? Müsste gerade noch gehen. Gerade noch. »Sie wissen das sehr genau, ne?«, fragt Jan Böhmermann. Dann möchte er Sachen ausprobieren, die man sagen könne, für die man verklagt werde…
Das war im Januar , erste Folge von Schulz & Böhmermann , der Sendung mit dem Insert für die potenziell justiziablen Momente. Rund zwei Monate später sitzt Bloggerin Ronja von Rönne neben Jan von Böhm, dieses Mal im Neo Magazin Royale , der Sendung ohne Insert. Ronja sagt: »Du kennst ja Shitstorms eher vom Leute reinschubsen, ich bin da eher so Opfer.« Rund zwei Wochen später – jetzt – fliegt Jan die Scheiße im Zuge der Böhmermann-Affäre um die Ohren. Was ist passiert? Eine Lesung ist passiert. Wenige Minuten vor jenem Talk mit der Bloggerin. Hier das (…ehm… gekürzte…) Transkript eines Sendungsschnipsels zwischen zwei Showelementen:
Ein halbes Transkript
[ Dende rappt über Bocklosigkeit ]Böhmermann: Meine Damen und Herren: Dendemann und die Freie Radikale!!!!1!!! Hashtag der Woche #MakeGermanyGreatAgain. Das hier ist das Buch * unseres heutigen Gastes, Ronja von Rönne. Es heißt Wir kommen . Ich darf im ZDF aus Schleichwerbungsgründen nicht sagen, dass Sie das kaufen sollen, das Buch. Bitte gehen Sie in die Bibliothek, leihen sich das aus – oder klauen Sie sich das aus’m Buchladen und überweisen Sie der Autorin selber die 19 Euro, die es normalerweise kostet. Aber kaufen Sie das auf keinen Fall! Das dürfen Sie nicht!
Darf der das? Keine Ahnung.
Apropos »dürfen«… ursprünglich wollte ich hier das komplette Transkript der Sendung hinterlegen, das ich in einem meditativen Tastenrausch abgetippt habe. Aber meine dicken Eier sind wieder auf Erdnussgröße zurückgeschrumpft und ich ziehe meine freche Idee zurück, aus Angst vor dem unberechenbaren Rechtsstaat. Nur das Schlusswort noch, mit dem Jan Böhmermann das Segment beendete:
[ Musikvideo Be Deutsch ]Make Germany Great Again! Lass uns Deutsch, Deutschland wieder groß machen, aber auch konstruktiv erklären, wofür Deutschland eigentlich steht, ich meine, ich sach das ganz ehrlich, das ist ne Zeit lang, ehm, nicht so, kommod gewesen, das öffentlich zu sagen: ‚Ich bin stolz, deutsch zu sein.‘ Ich bin stolz, deutsch zu sein. Und auch Sie, Sie, wir alle können stolz sein, deutsch zu sein. Jeder in Germany kann stolz sein, deutsch zu sein, so-, solang wir uns darüber einig sind, was deutsch eigentlich bedeutet.
Worte auf der Goldwaage
Soweit Jan Böhmermanns (dezent gekürzte) Moderation – eingebettet zwischen zwei Showelemente, die zu mehr Engagement, zu weniger Verdrossenheit aufrufen. Nun kann man sich einen Heidenspaß daraus machen, die verhängnisvollen Sätze des März-Böhmermanns auf die Goldwaage der April-Gegenwart zu legen: Wie schnell sich das gesprochene Wort binnen zwei Wochen doch gegen einen wenden kann… Podolskis späte Genugtuung. Über die Ironie könnte ich mich amüsieren, doch das Lachen bleibt mir im Halse stecken , wenn ich von Drohungen, Polizeischutz, Strafverfahren lese. Volles Programm in der Böhmermann-Affäre.
Um wen dreht sich die Böhmermann-Affäre?
All der Trubel rund um den Mann, der die freiheitlichen, europäischen (Soll-)Werte so vorbildlich hoch in Ehren hält. Eben den Mann, der mir den Gram über den Rundfunkbeitrag genommen hat (ja, das hat in etwa den gleichen Stellenwert). Den Mann, der mir mit Varoufake einen viel sensibleren Umgang mit den Medien quasi über Nacht eingetrichtert hat. Den Mann halt, der wie kein anderer den Finger (oder die Faust) in die Wunde legt – bis einer weint. Das Transkribieren hatte wie gesagt etwas Meditatives, war mir Ventil gegen die Wut im Bauch, wie ich sie nur selten empfinde. Also noch ein Transkript, das die Böhmermann-Affäre ins Rollen brachte:
Gesprächsgegenstand war auch die jüngste Veröffentlichung eines sogenannten Schmähgedichts gegen den türkischen Staatspräsidenten Erdoğan. Die Bundeskanzlerin und der Ministerpräsident stimmten überein, dass es sich dabei um einen bewusst verletzenden Text handele. Die Bundeskanzlerin verwies auf die Konsequenzen, die der ausstrahlende Sender bereits gezogen hat. Sie bekräftigte noch einmal den hohen Wert, den die Bundesregierung der Kunst- und Pressefreiheit beimisst. Soviel zu diesem Telefonat. | Regierungssprecher Steffen Seibert, 4. April 2016
Wortklauberei aus Mangel an Beweisen
Ich habe die beiden Wörter gefettet, die seit der Pressekonferenz im Kontext der Böhmermann-Affäre eifrig rezitiert und interpretiert werden (nicht immer von seriösen Medien – was aber ja auch oft ziemlich tagesformabhängig ist). Merkel kritisiert Jan Böhmermann, heißt es, wahlweise deutlich oder scharf , sie rügt ihn, liest man. In der Kommentarspalte eines Lokalblattes schrieb ein Mann namens Giese, Merkel habe »Böhmermann öffentlich die Leviten gelesen«. Echt? Wo? Wann? Wir haben doch alle die gleiche Pressekonferenz gesehen, oder? Merkel und Davutoğlu stimmten überein . Wer von den beiden hat »bewusst verletzend« zuerst gesagt – und wer »ja, das stimmt«? In welcher Sprache wurde das Telefonat geführt? Was heißt »bewusst verletzend« auf Türkisch? Kann man das wörtlich übersetzen? Oder sinngemäß? Was ist sinngemäß? Gibt es einen Mitschnitt des Telefonats?
Sehr oft finde ich das indirekte Zitat, Merkel habe die Pressefreiheit als »nicht schrankenlos« bezeichnet. Wirklich sehr oft lese ich das, hier etwa, und hier , hier , und hier (kann jemand der FOCUS -Videoabteilung mal ne Schulung spendieren? In allem?). Muss wohl stimmen, das »Schrankenlos-Zitat«, auch wenn ich nirgends eine konkrete Angabe finde. Wo und wann hat Merkel das genau gesagt? Oder Seibert im Namen Merkels? Als die Kameras schon ausgeschaltet waren? Gab’s ein Handout? Anschließende Fragen? Ja, ich würde mich über Quellenangaben freuen – Fußnoten! – weil ich zuweilen das Gefühl habe, die Einen plappern nach, was die Anderen sich aus den Fingern saugen.
Randnotiz: Im Nachspiel der Böhmermann-Affäre hat Jan Böhmermann mit Anne Will das Fernsehen auf den Kopf gestellt – ein sehenswerter TV-Moment!
Der obszöne Klassenclown
Nehmt euch die Dresdner Rede von Giovanni Di Lorenzo zu Herzen, liebe Presseleute, und gewinnt das Vertrauen eurer Leser*innenschaft mit gewissenhafter und wenn möglich transparenter Arbeit zurück. Ich kann und will nicht einfach alles glauben, was ihr gewissenhaft in Anführungsstriche setzt. (Der Blog vom Bleiben erhebt, bei se wäy , nicht den Anspruch auf Seriosität – ich verteile bloß Kritik unter den Armen und zieh mir selbst nichts davon an…)
Nochmal: bewusst verletzend, oder – über die richtige Betonung hat Seibert nachgelegt – bewusst verletzend, da schwingt für mich vollstes Verständnis dafür mit, worauf Böhmermann mit seinem Gedicht abzielte: Er wollte Erdoğan verbal verletzen. Der Präsident wurde, meinetwegen stellvertretend für alle Türken, in seinem Stolz gekränkt. So wie ich mich, jetzt mal eben stellvertretend für alle Deutschen, in meinem Sinn für freie Meinung gekränkt fühlte, als Erdoğan eine Löschung des extra 3 -Videos forderte (Quelle: anonym ). Der Jan hat also verbale Notwehr geleistet, für uns alle. Und weil er eben der Klassenclown und ein ziemlich verzogener Bubi ist, hat er Wörter in den Mund genommen, für die ich mich schämen würde – und sei’s nur gegenüber Mama und Papa.
Was ist die richtige Dosis Bullshit ?
Amüsant, die Einschätzung des Medienrechtlers Herrn Höcker (schön auch, wie in dieser Affäre jede*r was vom Rampenlicht abbekommt) – tagesschau.de zitiert ihn so: »Das quantitative und qualitative Verhältnis des Beitrags spreche dafür, dass die Satire nicht zulässig sei. (…) Eine Beleidigung hätte demnach ausgereicht, um zu zeigen, was Böhmermann habe beweisen wollen.« Welche Beleidigung denn? Qualitativ? Hätte »sackdoof« ausgereicht? Oder »Ziegenficker«? Ist weniger nicht manchmal mehr? Herr Höcker führt noch ein Beispiel an, Zitat von deutschlandfunk.de: »Wenn man zu jemandem Arschloch sagt, dann nimmt man das auch nicht wörtlich. Man hält ihn nicht für eine Afteröffnung im biologischen Sinne, sondern will einfach nur seine Missachtung kundtun.« Ach, Herr Medienrechtler… Sie begraben das richtige Argument unter behämmerter Wortklauberei, danke für nichts.
Missachtung kundtun: Wenn das der Vorsatz ist, da kann man ruhig mal rügen (Rüge = Ermahnung ohne Strafe).
Annähern, gefälligst!
Ich muss nicht Jura studiert haben, um zu erkennen, dass der Vorsatz hinter dem Schmähgedicht nicht die Anfeindung, sondern Aufklärung – gar provokant verlangte Annäherung – war. Dabei wurde ein guter Ton getroffen, um Gehör zu finden (oder doch der falsche, weil nun im Getöse gar nichts mehr zu hören ist?). Verdammt schade, dass sich die türkischen Untertitel ausschließlich auf das »Musterbeispiel« innerhalb dieser Lerneinheit bezogen haben. Wäre der ganze Part türkisch untertitelt gewesen, vielleicht wäre von der Message mehr angekommen. Ja, ich weiß, dass das viel Arbeit gewesen wäre, die keinen Spaß macht – aber rückblickend… wäre es die Mühe nicht wert gewesen?
Ich bin übrigens enttäuscht darüber, dass das Musikvideo zu Be Deutsch – aus der gleichen Sendung – in diesem medialen Rummel um die Böhmermann-Affäre so untergeht. Es trifft einen besseren Ton:
Say it clear, say it loud: We are proud of not being proud.
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