Im Original heißt er Doubles vies (»Doppeltes Leben«), im Englischen Non-Fiction und hierzulande nun Zwischen den Zeilen . In jedem Fall empfiehlt sich der Titel zu dieser Filmkomödie mit Juliette Binoche als Zaunpfahl, der auf eine bestimmte Bedeutungsebene des Werks hinweisen will. An der Oberfläche – auf Dialogebene – geht’s um eine wortreiche Reflexion von Kommunikation und Verlagsarbeit im 21. Jahrhundert. Dass der Streifen, der am 31. August 2018 in Venedig seine Weltpremiere feierte, in seiner Bestandsaufnahme bald überholt sein würde, wird Drehbuchautor und Regisseur Olivier Assayas ( Personal Shopper ) bewusst gewesen sein. Drum drängt sich die Frage auf: Wie zeitlos ist sein Film zwischen den Zeilen?
Techtelmechtel der Plaudertaschen
Zum Inhalt von Zwischen den Zeilen: Der Schriftsteller Léonard (Guillaume Canet) trifft sich mit seinem Verleger Alain (Vincent Macaigne), um ein neues Manuskript zu besprechen. Ein Jahr Arbeit hat Léonard reingesteckt und in dem »Feel-Bad-Buch« wieder einmal seine Liebschaften verarbeitet. Nun hofft er, dass Alain es publiziert. Beide beobachten derweil den Wandel ihrer Zeit mit Bauchgrummeln. »Es gibt weniger Leser und mehr Bücher«, stellen sie bekümmert fest. Alain hat eine junge Online-Expertin (Christa Théret) angeheuert, um im Verlag die Digitalisierung voranzubringen. Seine Frau, die Serien-Schauspielerin Selena (Juliette Binoche) vermutet, dass ihr Mann eine Affäre mit dieser jungen Expertin hat. Doch sie selbst trägt auch keine weiße Weste.
Gleich zu Beginn versprüht Zwischen den Zeilen den Vibe von Mein Essen mit André (1981). Das ist jener Film von Louis Malle, der 111 Minuten lang ein Tischgespräch zweier Plaudertaschen zeigt. Auch die Konversation zwischen Autor und Verleger am Anfang von Assayas‘ Film verlagert sich zwar vom Büro ins Café, plätschert dort allerdings so bedächtig vor sich hin, dass kurz der Verdacht aufkommt: Oh je, geht das in Echtzeit so weiter? Ganz so sehr Konzeptfilm ist Zwischen den Zeilen dann doch nicht. Stattdessen bricht er rasch auf, folgt beiden Protagonisten nach Hause und fädelt weitere Figuren und Handlungsstränge ein. Der Dialog nimmt jedoch, davon nur bereichert, seinen Lauf.
Ein Blow Job als Boomerang
Obwohl er dabei visuell an seinen vorausgegangen Film Personal Shopper (2016) anknüpft, mit unaufdringlicher, meist halbnaher Kamera und schlichten Schwarzblenden, unternimmt Olivier Assayas hier etwas völlig anderes. Während er in jenem Mystery-Drama maßgeblich Kristen Stewart im vagen Kontakt zum Jenseits in Szene setzte, bietet Zwischen den Zeilen ein lebhaftes Ensemble-Kino voller Charaktere, die mit beiden Beinen im Diesseits stehen. Nur eben nicht unbedingt im Hier und Jetzt.
Vor dem Hintergrund der sich fortlaufend ihren Weg bahnenden Digitalisierung diskutieren die Figuren in Zwischen den Zeilen darüber, was der Vergangenheit angehört und die Zukunft bringen wird. Sie bedauern den Gang der Dinge, sind aber selbst längst aufgesprungen, auf den digitalen Zug – mit ihren Tablets und Smartphones und Serienrollen. Überhaupt kommt so manche Kritik am Zeitgeschehen wie ein Boomerang zurück. Der Buchautor Léonard etwa darf die Erfahrung machen, wie digitale Shitstorm ins Analoge auswirken – höchst selbstverschuldet, wohlgemerkt. Die Filmkritikerin Maria Wiesner bezeichnet ihn treffend als…
…Schriftsteller, der am Ende nichts anderes tut als die Menschen auf Facebook, Twitter und Instagram, über die seine gutbürgerlichen Pariser Freunde reden: Er stellt sein eigenes Leben [über seine Bücher] in die Öffentlichkeit und freut sich auch ein wenig darüber, wenn alle erkennen, mit welchen berühmten Frauen er geschlafen hat.
Maria Wiesner (Kino-Zeit) · zur Rezension
Ein Blow Job während einer Kino-Vorführung von Michael Hanekes Das weiße Band spielt dabei eine nicht unwesentliche Rolle – und sorgt für die amüsantesten Momente dieser eher wort- als witzreichen Komödie. Wobei sich das Drehbuch auch nicht scheut vor einem Gespräch über die Schauspielerin Juliette Binoche ( Godzilla ) unter Beteiligung eben derselben. Eine geradezu alberne Idee, gekonnt eingeflochten.
Fazit zu Zwischen den Zeilen
Da ist die Rede von Fake News, Google Alerts, dem Internet als »Supermarkt der Informationen« und natürlich dem »postfaktischen Zeitalter« (mit Harari gefragt: Wann war denn das faktische Zeitalter?) – sodass Zwischen den Zeilen einer dieser Filme sein wird, die gerade ob ihrer Verankerung im Veröffentlichungszeitraum noch lange danach eine interessante Studie darstellen dürften. Wer waren diese Menschen, die ihre Affären schon via Messenger organisierten und gleichzeitig Dschingis Khan und dem »produktiven Chaos« nachhingen?
Olivier Assayas schreibt starke Dialoge und beleuchtet das Thema Digitalisierung von etlichen Seiten. Zugleich erzählt er vom menschlichen Miteinander, das einfach fließend weitermacht, mit dem einander lieben und belügen. Wenn am Ende die Sehnsucht nach Eskapismus wie ein letzter Fluchtweg von Gefangenen des digitalen Zeitalters besprochen und schließlich Here Come the Martian Martians angestimmt wird – dann offenbart sich Zwischen den Zeilen trotz all der missmutigen Worte als munter-stoisches Zeitdokument. Lass kommen, die schöne neue Welt.