Drachenläufer · von Marc Forster | Film 2007 | Kritik

Drachenläufer ist die Verfilmung des gleichnamigen Welt-Bestsellers von Khaled Hosseini. Buch und Film erzählen die Geschichte einer Kindheit in Kabul, Afghanistan. Das auf dem Roman basierende Drehbuch schrieb der Emmy-Preisträger David Benioff ( Game of Thrones ). Regie führte Marc Forster ( Warld War Z ). Obwohl Drachenläufer überwiegend in Afghanistan spielt, diente die Stadt Kaxgar in China als Hauptdrehort – da ein Dreh in Afghanistan für eine amerikanische Crew als zu gefährlich galt. 1 Vom afghanischen Informations- und Kulturministerium wurden Ausstrahlung und Vertrieb des am 14. Dezember 2007 veröffentlichten Films schließlich verboten : »fragwürdig« und »nicht akzeptabel« seien einige Szenen der Geschichte – sie könnten Gewalt entfachen. Und Gewalt ist, wie Drachenläufer eindrucksvoll zeigt, das letzte, was Afghanistan braucht.

[yasr_overall_rating null size=“–„]

Der Himmel über Kabul

Kabul in den späten 1970er Jahren. Der 10-jährige Amir (Zekeria Ebrahimi) ist der Sohn eines wohlhabenden Paschtunen (Homayoun Ershadi), der ehrfürchtig als »Agha Sahib« angesprochen wird. Sie leben auf einem schönen Anwesen mitten in Kabul. Amirs bester Freund ist Hassan (Ahmad Khan Mahmoodzada), der Sohn des Hausdieners. Als Angehörige der Hazaren, einer diskriminierten Ethnie in Afghanistan. Amir nimmt gerne an Wettkämpfen teil, in denen die Jungen in Kabul mit ihren Papierdrachen gegeneinander antreten. Hassan assistiert ihm dabei als »Drachenläufer«: Wann immer Amir einen fremden Drachen so »schneidet«, dass dessen Schnur reißt und der Drache herabsegelt, rennt Hassan los, um die Trophäe zu sichern, bevor ein einer Junge den Drachen findet. Doch bei einem dieser Drachenläufe gerät Hassan in einen Hinterhalt. Amir bemerkt es, traut sich aber nicht, seinem Hazaren-Freund zur Hilfe zu kommen – und lässt geschehen, was fortan ihre Freundschaft überschatten soll. Dann bricht der Krieg aus.

Filmtipp: Über ein Mädchenschicksal in Kabul zur Zeit der Taliban-Herrschaft erzählt der Film Osama (2003).

In Kleine Geschichte Afghanistans beschreibt Conrad Scheffer die zwei hier thematisierten Volksgruppen des Landes so: »In ihrem Selbstverständnis sehen sich die Paschtunen als die eigentlichen Afghanen« und »die Hazaren stellen in Afghanistan die am stärksten benachteiligte und ausgegrenzte Gruppe dar«. Diese Gefälle macht Drachenläufer spürbar. Doch die Geschichte verharrt nicht in Zuständen, sondern erzählt vom ständigen Wandel. Freunde kehren einander den Rücken und Wohlhabende werden zu Flüchtlingen, die bei Null anfangen müssen – in einem fremden Land (ausgerechnet den USA, die mitverantwortlich sind für das Aufkommen der Taliban). Das pulsierende Kabul überziehen Jahrzehnte des Kriegs mit Armut und Elend zwischen Ruinen. Was die russischen Invasoren zurücklassen, wird von den Taliban in Beschlag genommen.

Drachenläufer als Filmische Ergänzung

In Nach Afghanistan kommt Gott nur noch zum Weinen beschreibt Siba Shakib die Taleban [Schreibeweise des Buches] als »rückschrittliche Despoten, wie Afghanistan sie noch nicht gesehen hat« – und in einem kraftvollen Vergleich als die Leichenschänder eines Landes, das schon von den »USA und ihren Verbündeten« zugrunde (bzw. Grabe) gerichtet worden sei. Was auch immer diese mit Afghanistan angestellt hätten, es sei besser gewesen »als das, was ihre gezüchteten Marionetten, die Taleban, die sie uns geschickt haben, mit uns machen.« Dieses vernichtende Bild wird von Drachenläufer trotz seiner Jugendfreigabe (FSK 12) nachvollziehbar vermittelt und unterstrichen.

Insofern ist Drachenläufer nicht nur die gelungene Verfilmung des Bestseller-Romans von Hosseini, sondern funktioniert auch als filmische Ergänzung zu anderer Lektüre über Afghanistan. Ob sie denn wirklich so schlimm seien, wie alle sagen?, fragt einmal jemand in Drachenläufer über die Taliban. »Schlimmer«, lautet die Antwort – und dann zeigt es der Film. Die brutale Gewalt wird zumeist angedeutet, doch in einer Klarheit, die keinen Spielraum für verharmlosende Vorstellungen lässt.

Fazit zu Drachenläufer

Technisch ist der Film, als amerikanische Produktion mit 20 Millionen Dollar Budget, entsprechend gut gemacht. Es gibt sehr schöne visuelle Übergänge und auch die Drachen über Kabul sind imposant in Szene gesetzt, insbesondere im Kontrast zur Armut, die sich auch aus der Vogelperspektive auf die Hauptstadt offenbart. Das Spiel der Schauspieler*innen ist durch die Bank gelungen – oblgeich deren Beteiligung zumindest den jungen Hauptdarstellern viele Schwierigkeiten eingebrachte. Das verantwortliche Filmstudio unterstützte ihre Umsiedlung in die Vereinigten Arabischen Emirate, nachdem sich die Jungen in Afghanistan nicht mehr sicher fühlen konnten, weil die Darstellung der Hazaren und Paschtunen beide Seiten empörte – der junge Hauptdarsteller Zekeria Ebrahimi bereut es inzwischen, in Drachenläufer mitgemacht zu haben.

Ist dieser Film es wert, dass dafür Kinderleben in Bredouille geraten? Ist es überhaupt irgendein fiktiver Film? Was für mich diese Frage umso bedrückender macht: Ich habe den Film vor etwa 10 Jahren zum ersten Mal gesehen. Als ich ihn im Mai 2019 erneut sah, stellte ich fest, dass ich besonders den Part über die Schreckensherrschaft der Taliban in Kabul (samt der Szenen im Fußballstadion) tatsächlich vergessen hatte. Nun kann und will ich mein Vergessen nicht dem Film ankreiden, doch es betrübt unweigerlich meinen zweiten Eindruck. Drachenläufer ist ein gut geschriebener, gespielter und inszenierte, aber leider kein unvergesslicher Film. Altersempfehlung: ab 15 Jahre.

Fußnoten

  1. https://www.nytimes.com/2006/12/31/movies/31fren.html?pagewanted=1

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.