Die wichtigen Dinge · von Peter Carnavas | Kinderbuch 2015 | Kritik

Wenn der Vater nicht mehr Teil der Familie ist, reißt das ein Loch ins Leben. Dieses versucht Christophers Mutter nun allein zu füllen. Im Bilderbuch Die wichtigen Dinge erzählt und schweigt Peter Carnavas über das Loslassen und Festhalten kleiner und wichtiger Dinge.

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Woran willst du dich erinnern?

In der ersten Klasse hatte ich eine Glasmurmel, die ich gerne bei mir trug oder zwischen meinen Fingern gleiten ließ. Irgendwie hatte sie etwas Magisches an sich. Doch eines Tages war sie plötzlich weg. Einfach futsch. Es liefen Tränen, ich verweigerte einen Ersatz, Drama, Drama. Wegen einer banalen Glaskugel. Aber so sind Kinder halt. Manchmal Heulsusen und manchmal erstaunlich tiefgründig. Denn die Dinge, die uns wichtig sind, murmeln etwas über unser Wesen.

Wichtig ist mir bei einem Bilderbuch zu allererst das Cover. So waren es die niedlich gezeichneten Figuren auf dem Titelbild von Die wichtigen Dinge , die mich an den liebreizenden Stil der Illustratorin Joëlle Tourlonias erinnerten, und der bedeutungsschwangere Titel, die mich zur Ausleihe veranlassten.

Zum Inhalt: Die wichtigen Dinge von Carnavas erzählt die Geschichte von Christophers Mutter, die permanent mit Dingen rund um Familie, Haus, Hund und Garten beschäftigt ist. Denn der Vater von Christopher ist nicht mehr da und es gibt viel zu tun. Doch plötzlich kehren wie von Geisterhand Vaters abgegebene Dinge aus dem Trödelladen nach und nach ins Haus zurück. Was ist da los?

Zur Wirkung des Buchs

Warum Christophers Vater nicht anwesend ist und wo er nun steckt, das verrät der auktoriale Erzähler nicht. Somit besinnt sich die Story auf die wichtigen Dinge: das neue Leben von Mutter und Sohn. Ein Mikrokosmos, der für Kinder mit nur einem Elternteil und für Alleinerziehende sicher das Zentrum der Aufmerksamkeit ist und somit reichlich Identifikationspotential bietet.

Inwieweit die kleine Familie jedoch glücklich ist, lässt sich bis zum Schluss der Geschichte nicht eindeutig beantworten. Das mag sowohl am sparsamen Text als auch am undurchschaubaren Gesichtsausdruck der Figuren liegen, die während des ganzen Buches in sich gekehrt wirken. Überhaupt mutet das Buch auffällig leise, fast schüchtern an, da den Lesern Gedanken und Gefühle der Figuren verwehrt werden. Diese Kombination an reduzierten textlichen und visuellen Elementen verleihen der Geschichte eine grundlegende Melancholie, die sich durchs gesamte Werk zieht.

Nur ein Wort

Christopher schaut schweigend dabei zu, wie seine Mutter die Habseligkeiten vom Familienvater in einen Karton packt und beim Trödelladen abgibt. Auch bleibt Christopher sprachlos, als auf seltsame Weise dieselben Dinge wieder in der Wohnung auftauchen und seine Mutter fragt: »Haben wir die nicht in den Karton gepackt?«. Christophers Reaktion bleibt aus. Das Grübeln der Mutter dauert an, bis sie in einer schlaflosen Nacht eine überraschende Entdeckung macht ( Achtung Spoiler ):

Es ist Christopher, der heimlich Vaters Dinge wieder ins Haus holt.

Schließlich möchte er sich an seinen Vater erinnern, während seine Mutter diesen vergessen will. Ein Konflikt, dem sich Trennungskinder nicht selten gestellt sehen. Doch statt mit dem Kind darüber zu reden und einen Kompromiss zu schließen, beugt sich die Mutter Christophers Wunsch wortlos und räumt alle Besitztümer des Vaters zurück ins Haus. Was in ihr vorgeht, als sie ausdruckslos auf die Habseligkeiten des Vaters blickt, weiß nur der Autor. Ein Ende, von dem ich mir in einem Kinderbuch über solch ein sensibles Thema etwas mehr Aufklärung gewünscht hätte. Zumindest um dem Kind in seiner egozentrisch angelehnten Entwicklungsstufe (Schlaumeier-Notiz: Piaget nennt die Phase zwischen 2 und 7 Jahren präoperatonial und sie hat nichts mit Egoismus zu tun) bei der Wahrnehmung anderer Perspektiven Hilfestellung zu leisten. In dieser Hinsicht bleibt sich der Autor immerhin treu und überlässt die Interpretation und Wertung allein den Lesern.

Ausschnitt aus der kindlichen Lebenswelt

Mit dem Thema »Verlust« greift der Autor einen Bereich der kindlichen Lebenswelt auf, zumindest der Kinder, die mit nur einem Elternteil aufwachsen müssen. Für Betroffene gehört das Bewahren und Ausmisten von Gegenständen eines ehemaligen Familienmitglieds entsprechend zum vertrauten Terrain. Insbesondere Kinder tendieren dazu, materiellen Dingen einen emotionalen Wert zu verleihen, der für Erwachsene nicht immer nachvollziehbar ist. In Christophers Welt handelt es sich ebenfalls um emotional aufgeladene Dinge, die stark mit dem Vater assoziiert werden. Umso überraschender: Die Abgabe des Kartons vollzieht sich ohne nennenswerte Emotionen, so dass zu spekulieren bleibt, ob sich Mutter und Sohn mental bereits von dem Vater gelöst haben.

Pokerface und Papageist

Mit liebevollen und im Gegensatz zu Auch Monster müssen schlafen dezenten Buntstift-Illustrationen, mal im Panoramaformat, mal in mehreren Einzelbilder-Folgen zeichnet Carnavas eine fürsorgliche Mutter, während Christopher stets in ihrer Nähe ist. Beide schmächtige Figuren, die nur verhalten lächeln, wirken wie die Dinge selbst klein, fast verletzlich. Ihr winziger Hund verstärkt den Beschützerinstinkt, den man für sie entwickelt. Durch den Fokus auf das Zusammensein von Mutter und Kind zeigt Peter Carnavas eindringlich, wie sie sich gegenseitig Halt geben. Mehr erfahren wir nicht. Vielleicht, weil die dritte Rolle der Vater einnimmt, der wie ein Schatten die Geschichte begleitet und auf diese Weise Teil der Familie bleibt. Die Gefühle und die Vergangenheit der Familie bleiben ein Rätsel, über das man am besten mit den kindlichen Lesern spricht.

Fazit zu Die wichtigen Dinge

Peter Carnavas Buch stimmt nachdenklich und weist in kindgemäßer Sprache auf die Schwierigkeit zwischen Loslassen und Festhalten in einer zerrissenen Familie hin. Seine unaufdringlichen und hübschen Illustrationen passen ideal zum Inhalt der Geschichte. Was fehlt, ist der Dialog zwischen Mutter und Kind, der den kleinen Lesern einen Lösungsweg, einen Kompromiss aufzeigt. Ein Bilderbuch mit ästhetischen Bildern und Geheimnissen, welches sanft ins Verlustthema einführt, und zeigt, dass auch kleine Dinge bedeutsam, für andere jedoch belastet sein können. Ich vergebe 7 von 10 Sternen.


Titel Die wichtigen Dinge
Erscheinungsjahr 2011, Neu: 2015
Autor/Illustrator Peter Carnavas
Verlag Boje (2011), Carl-Auer Verlag (2015)
Seiten 36 Seiten
Altersempfehlung 4-6 Jahre
Thema Abschied, Kinder- und Jugendtherapie

Weblinks:
  • Die offizielle Website des Autors und Illustrators Peter Carnavas
  • Die offizielle Website des Carl-Auer Verlags

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