Man meidet oder man mag sie: die Nachbarn. Natürlich muss es nicht immer die große Freundschaft sein, die sich zwischen den Wänden anbahnt. Aber wenn man sich einmal für die Hausgenossenschaft öffnet und hinter die Fassade blickt, tun sich wundersame Seiten auf. Das Kinderbuch Die Nachbarn aus der Dingsda-Straße von Cristina Zafra zeigt, wie bereichernd der Zusammenhalt zwischen denen ist, die sich räumlich am nächsten sind.
Zusammen ist man weniger verrückt
Zum Inhalt von Die Nachbarn aus der Dingsda-Straße : Eines Tages steht in der Dingsda-Straße ein seltsames Haus in der Nachbarschaft mit noch seltsameren Bewohner*innen. Der Vorsitzende dieser sonderbaren Hausgemeinschaft, Herr Schegenrirm, lebt etwa mit Regenschirm-Händen. Auf diese Weise verliert er nie einen Regenschirm. Nur sich den Rücken kratzen, das kann er nicht. Auch die anderen Bewohner*innen, wie Frau Blühgirne oder Frau Hausendtand, haben ihre Eigenarten. Doch so nützlich ihre Besonderheiten auch sind, sie machen ihnen auch schlimme, schreckliche Probleme. Wie sie diese gemeinsam meistern, erzählt das Kinderbuch mit bunten Illustrationen und witzigen Randbemerkungen.
Zur Wirkung des Buchs
Ein Strauß kurioser Ideen
Für welche Kinder eignet sich die Geschichte? Für alle Neugierigen und Fantasie-Hungrigen und für alle, die gerne Alice ins Wunderland gefolgt wären. Das Bilderbuch Die Nachbarn aus der Dingsda-Straße hält Kindern ab circa 7 Jahren einen bunten Strauß skurriler Ideen hin, aus dem man zu pflücken nicht müde wird. Neben der originellen Story bietet auch die Text- und Bildgestaltung viele wunderbare Reize, die zum Weiterspinnen einladen und Spaß machen. Die ganzseitigen Illustrationen und der überschaubare Textumfang motiviert auch leseschwache Kinder zum Lesen.
Ein holpriger Anfang
Zugegeben, der erste Eindruck war nicht gerade glatt. Als Medienpädagogin mit Augenmerk auf kindgemäße Leseförderung habe ich bei den ersten beiden Seiten etwas schlucken müssen. Chaotische Randnotizen, Bandwurmsätze und das Zurückgreifen auf Märchenelemente wirkten auf mich wie ein Versuch, der Geschichte zwanghaft Fantasie einzuhauchen und die Lesefreundlichkeit zur Seite zu kicken. Doch zum Glück hat sich dieser Eindruck rasch in Herzchen aufgelöst. Notiz für Groß und Klein: es lohnt sich, dran zu bleiben.
Schreibstil und Sprache
Socke. So heißt unser Hund, der meine Mutter immer ärgert und im Winter, wenn er sich zum Schlafen auf meinen Beinen einrollt, die Füße wärmt, fast so wie die bunten warmen Socken, die mir meine Oma gestrickt hat.
Ein Beispiel für einen wunderbaren Bandwurmsatz
Entgegen der allgemeinen Empfehlung zur Leseförderung konfrontiert der Text von Cristina Zafra die Kinder zu Beginn mit teilweise verschachtelten und langen Sätzen. Vor allem leseschwache Kinder, die sich nur zaghaft an Texte herantrauen, werden hier beim Textverstehen vor Hürden gestellt. Es empfiehlt sich deshalb, eine*n Vorleser*in auf Abruf zu haben.
Eine weitere Herausforderung für Kinder ist der teils stockende Lesefluss. Mit zahlreichen Pfeilen und Sternchen erklärt die Kinderbuch-Autorin Cristina Zafra wichtige Begriffe. Eine an sich schöne, witzig umgesetzte Idee, um den kindlichen Forschungsdrang und Spieltrieb zu bedienen. Nur, dass das Hin- und Herblättern den Lesefluss und die Story unterbricht. Der Blick auf nachfolgende Illustrationen birgt zudem Spoilergefahr. Für geübte Buch-Liebhaber*innen kann dieses Wirrwarr aber auch eine willkommene Abwechslung sein.
Das Chaos im Textaufbau scheint jedoch bewusst gewählt, wenn man den Inhalt ins Auge fasst. Die dynamische Anordnung von Textelementen und Skizzen entspricht den zerstreuten Figuren wie Herr Schegenrirm, der namensbezogenen Anagramme und anderen skurrilen Vorkommnissen. So gesehen besteht zwischen Inhalt und Text eine harmonisches Zusammenspiel, an dem auch Lesepolizist*innen Vergnügen haben können.
Weißt du, welches das größte Problem von allen ist, das schlimmste und schrecklichste?
Ein schönes Hilfsmittel für die Kontinuität im Storytelling ist die oben genannte Frage. Diese nutzt die Kinderbuch-Autorin als wiederholendes, unterstützendes Stilmittel, um den roten Faden zu halten. Das hilft Klein und Groß, der Geschichte zu folgen.
Hinweis: Liegt nicht in der Dingsda-Straße, trotzdem sehr lesenswert: Die große Wörterfabrik (2018) von Agnès de Lestrade. Ein weiteres Kinderbuch zum Thema Anderssein ist außerdem Herr Anders (2011).
Zur Visualität des Buchs
Das Markanteste an ihrem Bilderbuch-Debüt sind die virtuosen Illustrationen von Cristina Zafra. Mit ihrer künstlerischen und ausdrucksstarken Note erinnern die Bilder mich an Salvador Dalí. Auch hier vermischt das Verrückte mit dem Surrealen in einer harmonischen Farbgebung, für die mein Auge anfällig ist. Die Hauptfigur verzaubert mit ihren großen Augen und dem niedlichen Gesicht. Auch die anderen Figuren sind markant gezeichnet adäquat zur sprachlichen Darstellung. Bonus: Diese Kunst fühlt sich dank des hochwertigen Papiers auch noch schön an.
Ein seltsames Ende
So eigensinnig die Geschichte ist, so wunderlich endet sie auch. Denn die Ich-Erzählerin wacht mit einer Idee auf, die sie ihren Nachbarn unbedingt mitteilen möchte. Doch es kommt anders und unerwartet. Diese Mischung aus offenem Ende und Fragen und einem bunten Schlussstrich kann zu gemischten Gefühlen führen. Es bleibt zu hoffen, dass eine Fortsetzung etwas Ordnung oder zumindest erhellendes Chaos hereinbringt.
Fazit zu Die Nachbarn aus der Dingsda-Straße
Wie langweilig wäre die Welt, wären wir alle normal. Dass man durch Diversität und Teamgeist nur gewinnen kann, zeigt das Kinderbuch Die Nachbarn aus der Dingsda-Straße . Die Geschichte von Cristina Zafra bezaubert mit Witz und Originalität, ebenso wie mit einer Moral, die für mehr Toleranz einsteht. Die Nachbarn aus der Dingsda-Straße bekommen für so viel Fantasie 9 Sterne von mir.
Eckdaten im Überblick
Titel
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Die Nachbarn aus der Dingsda-Straße
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Erscheinungsjahr |
2016
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Autorin, Illustratorin | Cristina Zafra |
Verlag
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àbac ( zur Buchseite des Verlags ) |
Umfang
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32 Seiten
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Altersempfehlung
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ab 7 Jahren
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Thema
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Anderssein, Diversität |