Die Kinder des Dschihad · über Terror in Europa | Buch 2006 | Kritik

Am Morgen des 1. November lese ich in der WashPost , dass in New York ein Auto in Passanten gerast ist. Aktuell ist von 8 Todesopfern die Rede – und in meinem Kopf rattern sie los, die vorhersehbaren Reaktionen auf den Terror. Dabei wird egal sein, woher der Täter kommt, wo er geboren, wie er aufgewachsen ist, was ihn wirklich zu dem Verbrechen getrieben hat, all das… Wichtig wird allein der Umstand sein, dass der Täter den Islamischen Staat als Inspiration proklamierte, den eigentlichen Feind. So ein Bullshit. Die engstirnigen Diskussionen zum Thema ärgern vor allem deshalb, weil es Bücher wie dieses gibt: Die Kinder des Dschihad .

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Es trägt den Untertitel: Die neue Generation des islamistischen Terrors in Europa . Das klingt sehr präzise und passt auch zum Inhalt, der seinen Fokus auf den »neuen Terror« in Europa legt. Doch schon das Buchimpressum sollte stutzig machen: Erstausgabe 2006. Das war vor dem Arabischen Frühling, lange vor dem IS. Damals war das Buch topaktuell. Meine Ausgabe ist vom Jahr 2015, neu aufgelegt, weil wieder mal topaktuell. Jetzt rutschen wir bald ins Jahr 2018 und nichts spricht dafür, dass dieses Buch nicht eben das bleiben wird, topaktuell.

This crusade, this… war on terrorism, eh, is gonna take a while. / Dieser Kreuzzug, dieser… Krieg gegen den Terror, eh, der wird eine Weile dauern. – George Bush, 2001 ( in Bild und Ton )

Die Geschichte zurückspulen

Was haben die Autoren gemacht? Nun, sie schlagen zu Beginn von Die Kinder des Dschihad den großen Bogen. Wenn der amerikanische Präsident erneut von einem Kreuzzug spricht, macht es Sinn, ein Jahrtausend zurückzudrehen und von da an – als der Papst 1095 kampflustige Europäer zur Verteidigung von Christen nach Jerusalem abkommandierte – den Weg zurück in die Gegenwart zu gehen. Wozu? Um den Kampf der Kulturen, den wir als Zeitgeist empfinden, in Perspektive zu rücken: ist nichts Neues. Und keine der beteiligten Parteien hat sich dabei mit Ruhm bekleckert.

Christen katapultierten beispielsweise die abgeschlagenen Köpfe muslimischer Soldaten über die Wehranlagen einer belagerten Stadt, Muslime hängten tote Kreuzritter hoch oben an ihren Mauern auf (…) – Abdel Bari Atwan, Das digitale Kalifat (2015), S. 195

So darf man sich das als blutiges Hin und Her vorstellen, bis heute. Letztes Jahr noch hängten islamistische Gotteskämpfer die Leichen ihrer Opfer an Strommasten auf , während die Kampfkräfte eines überwiegend christlich geprägten Staates ihre Opfer mit Angriffen aus der Luft in Stücke rissen. Das Buch, zum Glück, bleibt nicht bei der Erkenntnis stehen, dass sich die Geschichte wiederholt, weil Menschen gewalttätige Raubaffen sind, nach wie vor. Im Zentrum von Die Kinder des Dschihad stehen eindeutig Geschehnisse der jüngeren Zeitgeschichte – der Karikaturenstreit, die Ermordung van Goghs, Anschläge auf europäische Großstädte – sowie ihre konkreten Protagonisten, eben jene Kinder des Dschihad. Wer sind sie? Woher kommen Sie? Wie sind sie so geworden?

Fazit zu Die Kinder des Dschihad

Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, haben die Autoren von Die Kinder des Dschihad – S. Mekhennet, C. Sautter und M. Hanfeld – keine Mühen gescheut, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Das Wertvollste an diesem Buch sind die Einsichten in die Lebens- und Gedankenwelten von Menschen, die sich für den Terror entschieden haben. Beziehungsweise: für die Gewalt. Biographien und Interviews von und mit den Tätern oder deren Nächsten machen das Herzstück dieses Buches aus. Einmal mehr darf man sich fragen, ob Terror wirklich mit Terror zu bekämpfen ist?

Denn was diesen Akt menschenverachtender Brutalität angeht, so könnte man die Nachrichten vom 1. November auch anders formulieren: Die Terrormacht USA hat Opfer innerhalb der eigenen Grenzen zu beklagen. So, wie die Terrormacht Europa gelegentlich Opfer innerhalb der eigenen Grenzen zu beklagen hat.


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