Seit gestern sind die 99 Stunden des diesjährigen 99Werbe-Films Wettbewerb abgelaufen. Die ersten 99-sekündigen Clips fluten YouTube – und nicht wenige davon sind Protestfilme. Denn in diesem Jahr haben sich die Veranstalter des 99Fire-Films 2018 weit aus dem Fenster gelehnt.
Es war einmal ein dummer Junge: Vor kurzem habe ich noch ein lächerliches Rätselraten darüber betrieben, was es braucht, um diesen 99Firlefanz-Award zu gewinnen. Ich zitiere mich selbst aus jenem Beitrag :
Keine Ahnung, wer in diesem Jahr der Hauptsponsor des Festivals ist. Vielleicht findet ihr es bis zum Drehstart heraus.
David von vor zwei Wochen oder so
Ja, vielleicht. Oder die Veranstalter sprühen den Namen des Sponsors auf eine Keule und prügeln damit auf ihre Teilnehmer*innen ein. Vergangenen Donnerstag um 10 Uhr kam die Mail mit den Wettbewerbsbedingungen . Um 10:05 Uhr dürfte allen Lesern klar gewesen sein, wer in diesem Jahr das Preisgeld stellt und dafür den Ton angibt.
99Fire-Films 2018 – das Kernproblem
Kernproblem war die Bedingung, ein Produkt oder einen »Moment« im Sinne des Sponsors einzubauen. Das fanden nicht wenige Teilnehmer*innen wortwörtlich – wenigstens zwei entsprechende Filme habe ich gesehen ( hier und hier ) – zum Kotzen. Ich bin kein Jurist, aber im Prinzip wurde uns abverlangt, Schleichwerbung zu machen. Na ja, es sei denn, man wollte die Kreativität aufbringen, die Bedingungen zu erfüllen, ohne den Sponsor zu beglücken. Womit man, gut möglich, auch seine Chancen verbaut hat.
Nachtrag: Es kam natürlich alles ganz anders. Hier ein Rückblick zur Preisverleihung in Berlin. Der 99Fire-Films Award 2019 wurde am 14. Februar verliehen.
Man stelle sich diejenigen Kurzfilmliebhaber*innen vor, die nicht selbst zur Kamera greifen, sondern sich einfach gerne anschauen, was die deutschen Kreativen so hervorbringen. Man stelle sich mal vor, diese Fans seien nicht im Bilde über die Wettbewerbsbedingungen, sondern binge-watchen nur die 99-Sekunden-Clips, die aktuell hochgeladen werden. Ich schätze, es wird keine 9 Filme dauern, bis dieses unbedarfte Publikum merkt, dass in 2018 irgendwas schief lief. Und wenn sie es nicht merken, umso schlimmer, dann werden sie unbewusst mit Werbung eingelullt. Ey, APROPOS WERBUNG:
Dafür oder dagegen
Es gibt zwei Positionen, die sich jetzt gegenüberstehen. Viele halten die Aktion der 99Veranstalter für ein No-Go und haben zum Boykott aufgerufen. Andere haben mitgemacht und verteidigen nun den Verkauf ihrer Seele. Oh, und es gibt noch eine dritte Position, vertreten von den allermeisten Menschen: Nämlich, dass es piepegal ist, was irgendein Werbefilm-Wettbewerb in der Hipster-Hochburg treibt.
Es gibt Wichtigeres auf der Welt als den 99Fire-Films 2018.
Diese Position ist relevant, die sollten wir bei der Diskussion ums Für und Wider vielleicht im Gedächtnis behalten. Denn dass ich mich so bescheuert ausführlich mit einem doch recht banalen Award auseinandersetzen kann, ist dem Umstand geschuldet, dass ich offenbar gerade keine dringlichen Probleme habe. Jetzt möchte ich sofort aufhören, mit dem was ich tue, und intensiv über mein Leben nachdenken. Aber leider teile ich eine Gemeinsamkeit mit Sheldon Cooper – und es ist nicht sein IQ. Sondern seine closure issues . Wenn man irgendwas angefangen hat, muss man es auch irgendwie zu Ende bringen.
Deshalb werde ich in der Debatte um den 99Fire-Films 2018 argumentativ eher für diejenigen in die Presche springen, die trotzdem teilgenommen haben. Da gehöre ich nämlich zu. Doch bevor wir zu Argumenten übergehen, erstmal die Frage:
Sind wir wirklich überrascht?
Nachdem ich für meinen Jubiläumsrückblick recherchiert habe, bin ich es kein Stück. Es gab sogar einen Moment, an dem ich dachte, den diesjährigen Sponsoren entdeckt zu haben, durch ein kleines Logo irgendwo unten auf der 99Werbe-Films Website. Doch als ich darauf in meinem Beitrag hinweisen wollte, habe ich das Logo nicht mehr wiedergefunden und dachte okay, haste wohl verwechselt mit irgendwelchem alten Promo-Material von anno dazumal.
Denn der diesjährige Sponsor war schon einmal der Takt-Angeber , im Jahr 2011.
Damals hieß das Thema: »Alles Gute beginnt mit einem guten Kaffee«. Was auch dem Slogan des Sponsors entsprach. Die Bedingung war einfach noch dezenter: Man sollte bloß eine Tasse Kaffee einbauen. Deshalb ist dem Gewinnerfilm Ding Dong auch nicht anzusehen, wer der Sponsor war – es war eben derselbe Burger-King-Konkurrent, wie in diesem Jahr, nur eben mit seiner Kaffee-Abteilung, statt mit seinem ganzen Imperium. Genau genommen, übrigens, ist es jetzt eigentlich kein Stück anders. Man kann irgendein Produkt einbauen, sagen wir, eine Fritte, und fertig. Aber, »for the sake of the argument«, wie Sheldon so schön sagt, behalte ich mal ne gesunde Antihaltung bei.
Von Moral und Möglichkeiten
Ich war also wirklich nicht überrascht. Zunächst nicht über den Sponsoren an sich, der ja für viele schon ein Ausschlusskriterium ist. Sei moralisch nicht vertretbar . An dieser Stelle möchte ich daran erinnern, dass es im letzten Jahr Ratiopharm war. Und wie bei so ziemlich jedem großen Player in die Pharma-Industrie: Googelt einfach »Ratiopharm Skandal« und ergötzt euch an den Ergebnissen. »Moralisch vertretbar« war kein Anspruch mehr, den ich an einen 99Werbe-Films Sponsoren hatte. Schande über mich, ja, trotzdem. Und dass der Wettbewerb in diesem Jahr so übelst den Werbefaktor pusht, das überrascht mich auch nicht.
Und noch mehr WERBUNG in eigener Sache:
Es ist eher wie mit dem Onkel, der jahrelang 8 von den Top 9 Klischees männlicher Homosexualität erfüllt und sich dann als schwul outet. Die ganze Filmemacher-Familie hat es insgeheim gewusst und fragt sich, warum der Onkel das nicht früher gesagt hat, Mensch, mach dir das Leben doch nicht so schwer! Zumal der schwule Onkel doch auch nur Liebe und Anerkennung will wie jeder andere Mensch auf dieser Welt… ah, ich sehe den Knackpunkt. Der 99Werbe-Films Wettbewerb will keine Liebe und Anerkennung, sondern Kohle vom Sponsoren und unbezahlte Arbeitsstunden von den Teilnehmern. Das ist natürlich wesentlich unsympathischer.
Was Kant dazu sagt
Trotzdem werde ich die Teilnahme an dem Wettbewerb verteidigen. Dabei fühle ich mich ein bisschen wie der Typ, der seine Haustür öffnet und draußen steht ein Mörder, der fragt:
Ist Hans da, den ich gerne umbringen würde?
Das Beispiel ist, so ähnlich, von Immanuel Kant. Das ist der Philosoph, der den Grundsatz »Du sollst nicht lügen« verteidigen möchte. Denn laut Kant darf man auch in diesem Fall nicht lügen und dem Mörder sagen: »Nö, Hans ist nicht da«, obwohl Hans da ist. Heißt das, Kant will, dass man sagt: »Klar, Hans ist da, im Wohnzimmer, hereinspaziert, aber mach bitte den Teppich nicht blutig.« NEIN! Man soll einfach nicht so tun, als gäbe es nur zwei Optionen : Sich an seine Prinzipien halten und Hans ausliefern oder eben lügen. Man hat immer die Freiheit, weitere Optionen zu wählen.
Und auch beim 99Fire-Films 2018 gab es nicht nur zwei Optionen: Boykott und Seelenverkauf – sondern durchaus mehr Möglichkeiten, sich zu positionieren . Wie, was und warum, das bespreche ich im nächsten Beitrag .
Diesen Blogartikel als Video gibt’s hier zu sehen:
Ich kommentiere mal unter dem Blog statt unter dem YouTube-Video gleichen Titels, das wirkt doch etwas seriöser. Zumal der erste YouTube-Kommentar schon weg ist, was mit das „First“ madig macht.
McDonald’s ist ein fragwürdiger Sponsor, keine Frage. Das war Ratiopharm auch, sicherlich auch MediaMarkt und einen Großkonzern ohne Leichen im Keller wird man nur schwerlich finden. Würde ich das glauben, könnte ich zum Sport kaum meine adidas-Schuhe überstreifen oder diese Zeilen hier auch meinem MacBook tippen. Darum geht es mir auch nur in geringerem Maße und während ich persönlich nie in der Goldenen Möwe essen würde, ist mir die Existenz der Kette egal. Es ist fein, alles fein, es spielt keine Rolle, die Burger sind nicht gut, McCafé auf dem Niveau von Kamps und Co. – es ist fein.
Es ist eher die vertikale Integration, die mir sauer aufstößt, denn die ist in diesem Jahr etwas steiler als sonst. Und, das spreche ich auch in meinem Beitrag an – und ja, den Film habe ich eingereicht, er erfüllt alle Wettbewerbsbedingungen hinsichtlich Länger, das mit der Liebe ist wie im Leben auch schwieriger zu klären -, nicht im Interesse des Sponsoren.
Die nutzen die Filme natürlich nicht als Werbefilme, wer das denkt, hat wenig Ahnung von der Werbebranche und sollte mal genauer die Spots im TV oder vor den YouTube-Videos stoppen, doch aber sehr wohl als Marketingtool. Für McDonald’s sind die 99FrieFilms (ja, Absicht) keine billige Werbebeschaffung, sondern Teil einer Imagekampagne. McDonald’s möchte das Image eines Kulturförderers. Die Ambition sagt, man müsse mehr sein als eine billige Frittenbude. Vielmehr ein Beweger, die Innovationskraft, von der die 99FireFilms in der Themenbekanntgabe sprechen.
Das funktioniert aber nur so lange, wie das Marketing auch einen positiven Einfluss auf die Marke hat. Bei den Facebook-Kommentaren, und ich behaupte nicht, alle gelesen zu haben, wage ich das allerdings zu bezweifeln. Wenn der zuständige Marketing Executive sich das durchliest, wird er sich sicherlich zwei oder drei Mal überlegen, ob er im nächsten Jahr auch noch Budget für Kulturförderung reserviert.
Dem Sponsoren ist damit ebensowenig ein Gefallen getan wie dem Festival und mit etwas weniger Anbiederung und etwas mehr Chuspe hätte man das McDonald’s sicherlich auch erklären können. Man mag von den Burgern halten, was man will, eine gute Werbeabteilung besitzt das Franchiseunternehmen.
Durch einen Zufall sah ich ein altes Foto von vor drei (oder vier?) Jahren, in dem ich das Dankesbild sah, dass die 99FireFilms nach dem Wettbewerb posten. Damals dankten sie mehr Teilnehmern als dieses Jahr. Im zehnten Jubiläumsjahr sicherlich ein herber Rückschlag. Wie hoch die Drop Off Rate zwischen Anmeldungen und Teilnehmern ist, darüber kann ich nur spekulieren. Ich mutmaße aber, dieses Jahr war sie höher als in den letzten Jahren. Damit entgehen dem Festival viele kreative Beiträge und auch die Gelegenheit, das Jahr mit einer hochkarätig besetzten Jury zu etwas wahrhaft Besonderem zu machen.
Auch schade ist diese Themenmauschelei, weil es eigentlich noch nie gute Themen gab. Dafür sind die Themen zu austauschbar. Man sehe sich einige Beiträge der letzten Jahre an, kaum lässt sich behaupten, dass minimale Änderungen einen Film nicht von „Hauptsache, Ihr habt Spaß“ über „Wir machen’s einfach“ bis hin zu „Ich liebe es“ für gleich mehrere Jahre qualifizieren.
Das ist schade, weil es natürlich Leuten auch die Chance gibt, die Arbeit bereits vor den 99 Stunden mehr oder weniger abzuschließen. Dies wird dadurch abgerundet, dass die Themenerklärung jedes Jahr ein bereits allgemein gehaltenes Thema noch allgemeiner gestaltet. So sieht Inspiration nicht aus, das lernen Schüler in der ersten Stunde Improvisationstheater. Gerade die Einschränkungen sind es, die Kreativität beflügeln und zu Höchstleistungen anspornen können. Die Anweisung „Macht mal irgendwas!“ dagegen ist austauschbar und hat höchstens von Jahr zu Jahr das unschöne Brandzeichen des Hauptsponsors.
In besonderem Maße ist dies dieses Jahr ärgerlich, weil das zehnte Jubiläum allerhand Themen rund um die 10, das Jubiläum, dem Countdown, dem Jahrestag, der Feier etc. Tür und Tor geöffnet hätte.
Ich persönlich freue mich jedes Jahr mit Zurückhaltung auf die Teilnahme an den 99FireFilms, es ist spaßig und ein gewisser erster Pflichtspieltermin im Kalender des noch jungen Jahres. Doch letztendlich bedeutete es mir in diesem Jahr nicht viel, nur mit einem schnell gedrehten Protest teilzunehmen. Ich kenne genug Schauspieler, um auch kurzfristig einen Film zu besetzen und die meiste Ausrüstung besitze ich. Aber was ist mit den Teams, die bereits Wochen im Voraus ihre Ausrüstung beim Verleih gebucht haben? Die geplant haben, die Freunde organisiert haben oder sich sogar Freitag und Montag von der Arbeit freigenommen? Und dann fanden sie sich vom Thema am Donnerstag um 10.00 Uhr zu einem riesigen Burger transformiert?
Es ist einfach schade, dass ein so großes Festival es nicht schafft, kreative Ansprüche und Kommerz zu mischen. Dass das geht, zeigt ja auch Hollywood immer wieder, in Deutschland ist die Trennung zwischen Kultur und Kasse größer – aber irgendeinen Kompromiss fände man da sicherlich schon. Einen, der befriedigend für die Filmemacher und Veranstalter gleichermaßen ist.
Und deswegen war mir auch ein Boykott zu wenig und ein Weiter so zu viel. Ich verurteile niemanden, der mitgemacht hat. Ich habe kein Problem damit, einen Werbeslogan als Film umzusetzen (das habe ich in den Jahren davor auch gemacht). Aber ein Produkt im Film zu platzieren zu lassen, ist mehr als nur dämlich von den Ausrichtern des Wettbewerbs.
Und ein Thema, das ein absolutes Nicht-Thema ist, geht dann doch etwas zu weit.
Also, zinkt uns, woran Ihr Spaß habt, da gibt’s doch was, damit wir’s einfach machen können und alles Gute fängt mit Liebe an.
Your friend in time,
SMW
PS: Respekt an alle, die ihren 99FireFilm als eine Lieberserklärung an den „Es“-Zweiteiler der 90er angelegt haben.
Hey Sebastian! Vielen Dank für den ausführlichen Kommentar und deine Sicht auf die Dinge. Du hast recht, da steckt noch ne Menge Verbesserungspotential im 99Fire-Films Spektakel. Nr. 1 wäre, sich in Sachen Kreativität an die Filmemacher anzunähern, die sie so gerne auf ihrer Seite hätten: Interessantere, relevantere, konkretere Themen und Bedingungen – und dann vor allem mehr Feedback, wenigstens zu den Top 9 eine ordentlich „Bekanntgabe der Jury“, warum diese und nicht andere Filme. In jedem Fall aber sollten wir uns in Sachen Schaffenslust nicht ausbremsen lassen, auch wenn ne große Burgerbude einen Filmwettbewerb für sich instrumentalisiert. Inzwischen ist mein diesjährige Beitrag online, falls du reinschauen magste: https://youtu.be/EjNbbRK5mN8