Werk – Blog vom Bleiben http://www.blogvombleiben.de Kinderbücher, Kinofilme und mehr! Thu, 04 Oct 2018 10:18:48 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 http://www.blogvombleiben.de/wp-content/uploads/2017/03/Website-Icon-dark.png?fit=32,32 Werk – Blog vom Bleiben http://www.blogvombleiben.de 32 32 138411988 KLEINER DRECKSPATZ AURELIA über Hygiene | Kinderbuch 2017 | Kritik http://www.blogvombleiben.de/buch-kleiner-dreckspatz-aurelia-2017/ http://www.blogvombleiben.de/buch-kleiner-dreckspatz-aurelia-2017/#respond Sun, 26 Aug 2018 07:00:11 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=5150 Wie sagt man einem Kind, dass es stinkt? Auf jeden Fall nicht so. Eine Freundin und…

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Wie sagt man einem Kind, dass es stinkt? Auf jeden Fall nicht so. Eine Freundin und Grundschullehrerin von mir stand einmal vor dieser heiklen Aufgabe… Hier sind Fingerspitzengefühl, aber auch Deutlichkeit gefragt. Wie der Zufall es wollte, bin ich einen Tag später auf das Kinderbuch Kleiner Dreckspatz Aurelia gestoßen. Ein Buch, das ich Dreckspatz-Hütern wärmstens empfehlen kann.

Kinderbuch-Bloggerin Sonia Lensing mit dem Buch Kleiner Dreckspatz Aurelia

Lieber Schlamm als Schwamm

Zum Inhalt: Die kleine Aurelia findet Baden und Duschen doof. Viel lieber spielt sie draußen im Schlamm und Dreck, so wie das Abenteurer machen. Doch bei so viel Schmutz am Leib muss sich selbst Aurelias Papa die Nase zu halten. Seine Kleine muss sich mal waschen. Denn sogar Dreckspatzen machen sich sauber. Was erzählt Papa da? Aurelia wird neugierig. Wie wäscht sich denn ein Spatz, eine Katze, ein Bär oder ein Eichelhäher? Ihr Papa kennt sie alle, die speziellen Putzrituale der Tiere. Das muss sie dringend alles selbst ausprobieren… allerdings, bei all der Putzwut im Dreck flüchtet selbst Aurelia zu einem besonderen Ort.

Dorothea Flechsig – Kinderbuchautorin, Geschichtenschreiberin für KiKAninchen und Prinzessin Lillifee und auch noch Verlegerin des Glückschuh Verlags (ich bin beeindruckt!) – gelingt mit Kleiner Dreckspatz Aurelia ein rund um kindgerechtes Lesevergnügen. Das liegt zum einen sicher am Alltagsthema. Mit dem Schwerpunkt Hygiene nähert sich die Autorin der Lebenswelt der Kleinen und der Erziehungsberechtigten an.

Zur Wirkung des Buchs

Vor allem bei den Jüngsten löst das regelmäßige Putzen eher wenig Euphorie aus. Umso höher ist das Identifikationspotenzial für die kleinen Leser mit der quirligen Hauptfigur Aurelia. Denn dass sich das Mädchen viel lieber in der Natur suhlt, als mit dem Schwamm geschrubbt zu werden, können kleine Dreckspatzen gut nachvollziehen. Diese Vertrautheit zum Geschehen und zur Kinderfigur ist für die jungen Leser von besonderer Bedeutung. Zumal Kinder bis zum 7. Lebensjahr noch nicht in der Lage sind, andere Perspektiven einzunehmen und hier dementsprechend Unterstützung brauchen (sagt Piaget). Diese Unterstützung liefert Dorothea Flechsig, indem sie die Kleinen in Kleiner Dreckspatz Aurelia mit nur reduziertem Text konfrontiert und kindgemäße Bilder von Suse Bauer einsetzt, die für sich alleine stehen und auch leseschwache Kinder abholen.

Ein weiterer Kniff von Dorothea Flechsig für ein kindgemäßes Storytelling ist das Wieder-Aufgreifen von Elementen, wie der Tierreihenfolge. So tauchen die Tiere, von denen Aurelias Papa in Kleiner Dreckspatz Aurelia erzählt, in der gleichen Reihenfolge bei Aurelias animalischer Waschaktion auf. Der rote Faden hilft den Kindern, das Mini-Universum von Aurelia abzustecken und zu einem harmonischen Abschluss zu kommen.

Zur Visualität des Buchs

Huch, das Buch ist ja dreckig! So mein erster Gedanke, als ich das Hardcover zu Kleiner Dreckspatz Aurelia in den Händen halte. Dann ein näherer Blick. Ah! Wenn der Titel mit dem Coverbild inhaltlich verschmilzt, hat die Illustratorin etwas richtig gemacht. Ich bin jedenfalls auf die Schmutzflecken reingefallen. Und das obwohl Suse Bauer in diesem Werk eher minimalistisch als realistisch zeichnet.

Dieser grobe Zeichenstil entspricht dem empfohlenen Lesealter von 3 Jahren. So besinnen sich die Bilder im Grundschulstil auf das Wesentliche. Ohne mit zu vielen Details zu überfordern, sondern mit einigen zu überraschen, bleibt somit genug Raum für die eigene Fantasie. Welche putzeifrigen Tiere könnte Aurelia noch nachmachen? Hier lädt die Geschichte zur Anschlusskommunikation mit Eltern und Kindern ein.

Buchtipp: Wer auf den groben Zeichenstil steht, dem kann ich das Bilderbuch Überraschung (2014) von Mies van Hot empfehlen.

Fazit zu Kleiner Dreckspatz Aurelia

Das Buch Kleiner Dreckspatz Aurelia eignet sich hervorragend, um Kindern auf spielerische und deutliche Weise die Wichtigkeit von Hygiene zu vermitteln. Durch die ideale Kombination aus klarem Storytelling und kindlichen Illustrationen bietet das Werk Anlass, gemeinsam mit Kindern Aurelias Welt zu erkunden und sich eigene Gedanken über das Putzverhalten zu machen. Ein unterhaltsames Lesevergnügen, das ohne den pädagogischen Zeigefinger auskommt. Ich vergebe 9 Sterne.

Eckdaten im Überblick

TitelKleiner Dreckspatz Aurelia – Wasch dich doch mal
Erscheinungsjahr2017
Autor/IllustratorDorothea Flechsig (Autorin) Suse Bauer, (Illustratorin)
VerlagGlückschuh Verlag
Seiten38 Seiten
AltersempfehlungAb 3 Jahren
ThemaKörper, Tiere

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FINDET NEMO, FINDET DORIE, findet den Fehler | Filme 2003, 2016 http://www.blogvombleiben.de/film-findet-nemo-findet-dorie-2003-2016/ http://www.blogvombleiben.de/film-findet-nemo-findet-dorie-2003-2016/#respond Fri, 10 Aug 2018 07:00:42 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=4854 »Du hattest mich bei Fisch«, so reagierte Pixar’s Chief Creative Officer gegenüber Andrew Stanton, nachdem dieser…

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»Du hattest mich bei Fisch«, so reagierte Pixar’s Chief Creative Officer gegenüber Andrew Stanton, nachdem dieser ihm lang und breit sein Herzensprojekt gepitcht hatte: Der Fisch-Film, aus dem später Findet Nemo (2003) werden würde. Als sich Stanton sein Werk mit 7 Jahren Abstand noch einmal ansah, da machte er sich Sorgen um Dorie: Sie weiß ja immer noch nicht, wo sie herkommt! »Sie könnte Marlin und Nemo schon am nächsten Tag vergessen, während sie herumstreunt, und wäre wieder am Ausgangspunkt – das gefiel mir nicht.« So kam es, dass der Schöpfer von Dorie ihr schließlich einen eigenen Film schuf: Findet Dori (2016).

Vorweg: Hier werden die Filme Findet Nemo und Findet Dori als Animationsfilme aus der Erwachsenen-Perspektive besprochen. In ihrem Dasein als Kinderfilme wird Sonia die beiden Pixar-Abenteuer in Zukunft nochmal näher unter die Lupe nehmen.

Marlin und Dorie in Findet Nemo

Im Meer der Möglichkeiten

Inhalt: Im ersten Film geht es darum, wie ein Familienvater erst zum Witwer wird und dann seinen Sohn verliert. Das Kind wird von einem unbekannten Mann gekidnappt und verschleppt, während sich der Vater auf der Suche nach ihm mit einer vergesslichen Freundin verirrt und in allerlei Gefahren begibt. Im zweiten Film erinnert sich diese vergessliche Freundin daran, dass sie ja auch eine Familie hat, von der sie als Kind getrennt wurde. Später findet sie heraus, dass ihre Eltern seither gefangen gehalten und zur Schau gestellt werden. Klingt gar nicht nach Kinderfilmen? ABER ES SIND DOCH NUR FISCHE! Na schau, dann ist alles nur noch halb so grausam…

Hinweis: Dieser Text enthält keine Spoiler. Bei JustWatch finden sich aktuelle Streaming-Möglichkeiten zu Findet Nemo und Findet Dorie.

Totale: Nemo & Dorie im Zusammenhang

Cineastischer Kontext

Es war nach Der Herr der Ringe III – Die Rückkehr des Königs der erfolgreichste Film des Jahres 2003. Und obwohl Pixar bereits eigene und sehr gute Erfahrungen mit Sequels hatte (Toy Story 2 wurde 1999 trotz turbulenter Produktionsphase von Publikum und Kritik gefeiert), dauerte es satte 13 Jahre (!) ehe Findet Nemo mit Findet Dorie eine Fortsetzung bekam. Regisseur Andrew Stanton gestand seine große Nervosität vor einem solchen Sequel mit all den Erwartungen, die Fans des Originals daran hätten – doch er und sein Team taten, was Dorie tun würde: Sich optimistisch ins Risiko stürzen! Und vergessen, dass es sich um ein Sequel handelt.

Was würde Dorie tun?

Um eine Chance zu haben, eine anständige Fortsetzung zu drehen, muss man vergessen, dass es eine Fortsetzung ist – und versuchen, den Film so eigenständig wie möglich zu machen. Als hätte es keinen Film davor gegeben. 

Andrew Stanton

Persönlicher Kontext

Als Findet Nemo ins Kino kam, war ich 14 Jahre alt – und ich habe diesen Film vielleicht etwas öfter gesehen, als es für 14-Jährige cool ist. Ich hatte sogar eine Findet-Nemo-DVD mit virtuellem Aquarium im Bonusmaterial. Und das hab ich benutzt. Stundenlang blubberten die animierten Fische über meinen alten Computer-Monitor, der auch die Ausmaße eines Aquariums hatte – die Illusion war perfekt (man muss dazu sagen, das ich ein Fisch-Nerd war, mit über einem Dutzend echter Aquarien in der Garage).

Als Findet Dorie dann ins Kino kam, da war ich natürlich schon viel zu alt für solche Filme. Also nahm ich die einmalige Chance wahr, 4 Kinder von befreundeten Familie sozusagen als »erwachsene Begleitung« mit ins Kino zu nehmen (wie gesagt: einmal, alle 4 Kids auf einmal – ich war nicht 4 Mal im Kino… das wäre ja total verrückt…) | Kurz die eigene statistische Erhebung: Die LKW-Szene in Findet Dorie kam bei den Kindern, gemessen an der Lach-Lautstärke, definitiv am besten an.

Schnuppe ob geschuppt oder gefiedert

Zu der Zeit hatte ich die Aquaristik als Hobby längst aufgegeben und der Fisch-Nerd war dem Film-Nerd gewichen. Aber so ein Herz für diese schuppigen, flossigen, quirligen Tiere, das hört wohl nie wirklich auf zu schlagen. 

Vögel sind im Übrigen auch echt in Ordnung. An dem Pixar-Kurzfilm Piper (2016), der als Vorfilm zu Findet Dorie im Kino gezeigt wurde, hatte ich jedenfalls meine Freude. Hier ein kleiner Einblick in dieser beeindruckend detailliert animierte Werk:

Close-up: Nemo & Dorie im Fokus

Erster Eindruck | zum Inhalt der Filme

Findet Nemo beginnt mit einem Prolog, der die »Nachbarschaft« und Lage des neuen Zuhauses am äußeren Rand des Korallenriffs behandelt. Die anfängliche Harmonie wird, ziemlich abrupt, von einem Barracuda unterbrochen. Dieser Zwischenfall hat zur Folge, dass der kleine Clownfisch Nemo ohne Mutter und 399 Geschwister aufwächst. Dafür mit einem umso besorgteren Vater namens Marlin.

Die Auftaktszene nach dem Prolog zeigt die beiden an Nemos erstem Schultag. Der kleine Fisch hat, vermutlich aufgrund der Barracuda-Attacke von damals, eine unterentwickelte Brustflosse – seine »Glücksflosse«, wie Vater Marlin sie nennt. Nemo schwirrt so aufgedreht umher, als würde er durch Kaffee statt Salzwasser schwimmen – und sein Vater ist sehr bedrückt darüber, sein einziges Kind gehen lassen zu müssen. Nemo könne mit dem Schuleinsteig doch noch warten, meint Marlin, »so 5 bis 6 Jahre…«

Glücksflosse und Siebgedächtnis

Findet Dorie hat eine ähnliche Ausgangssituation: Ohne düsteren Prolog geht’s direkt zur kleinen Dorie. Ein Palettendoktorfischchen, das quasi nur aus Augen besteht. Riesigen, putzigen Kulleraugen. Dahinter ist nicht mehr viel Platz für ein vollausgereiftes Gedächtnis, so scheint es. Denn Dorie leidet, zur großen Sorge ihrer Eltern, an Amnesie. Sie vergisst sehr vieles sehr schnell. Und so wie Nemo im ersten Film seinem Vater entrissen wird, kommt Dorie ihren Eltern abhanden. Die Fischkinder müssen, mit Glücksflosse und Siebgedächtnis, ohne ihre Familien klarkommen.

Filmfehler gefunden? Wäre Findet Nemo wissenschaftlich korrekt, hätte es ein ziemlich kurzer Film werden können. Erstmal leben Clownfische nicht in monogamen Beziehungen, wie sie im Film zwischen Marlin und Coral (Nemos Mutter) gezeigt wird, sondern in Polyandrie: ein Weibchen, mehrere Männchen. Wenn das Weibchen stirbt (weil es zum Beispiel von einem Barracuda gefressen wird), verwandelt sich das stärkste Männchen – innerhalb von einer Woche! – in ein Weibchen. Denn Clownfische sind Hermaphroditen (siehe Blogbeitrag: Bio mit Beauvoir). Marlin hätte sich also, noch bevor Nemo aus dem Ei schlüpft, in ein Weibchen verwandeln und eine Bande verantwortungsvoller Männchen um sich versammeln können. Bei so viel Obacht wäre Nemo bestimmt nicht verloren gegangen. Und der Film hätte geheißen: Nemo – ein Leben ohne Abenteuer.

Hier noch weitere Filmfehler oder Logiklücken in Findet Nemo, informativ zusammengefasst von CinemaSins (auf Englisch):

Bleibender Eindruck | zur Wirkung der Filme

Findet Nemo ist ein Film, der überfürsorglichen Eltern einen Spiegel vor die Nase hält und Kinder dazu ermutigt, ihren Weg zu gehen. Vor allem aber führt der Film vor Augen, dass Behinderungen nicht gleich Einschränkungen sind.

Findet Dorie führt diese Idee noch einen Schritt weiter, mit einer ganzen Geschichte rund um das Meistern einer Benachteiligung. 

Aus dem Leben mit Behinderungen

Die Hauptfigur in Findet Nemo hat eine zu kleine Flosse und kann damit nicht so gut schwimmen. Doch in der Not und mit ähnlich ungleich-flossigen Vorbildern [der Halfterfisch namens Khan] findet Nemo zu Selbstbewusstsein. Findet Dorie hat eine Hauptfigur mit einem hemmenden Handicap (das schwache Gedächtnis), für das sie bestimmte Mechanismen entwickelt, die ihr in der Not helfen.

Dorie kämpft sich voran, wenn keine Hilfe in Sicht ist, und hat auf ihre eigene Weise Erfolg. (…) Die meisten Zuschauer*innen werden diese besondere Message des Films nicht bemerken – wohl aber diejenigen, die sie am ehesten brauchen, und die sich am meisten mit den Charakteren identifizieren werden können.

Tasha Robinson (The Verge)

Hier je eine kleine Vorschau zu den Filmen, via YouTube:

Bechdel-Test bestanden

Den Bechdel-Test hat Findet Dorie übrigens in allen 3 Kategorien bestanden: Kommt mehr als eine Frau (hier: Charaktere mit weiblicher Geschlechterrolle) vor? Check. Haben sie Namen? Check. Sprechen die Frauen miteinander über etwas anderes als Männer? Check.

Neben Dorie kommen etwa deren Freundin Destiny oder ihre Mutter Jenny vor – und sie quatschen über Themen wie Freundschaft und Familie. Doch selbst in einem so klaren Fall lädt das Gender-Thema immer gern zu einer Diskussion ein. Hier eine kleine Perle aus der Kommentarspalte zum Bechdel-Test:

Gender einfach streichen

Steve: Dori ist ein Fisch, keine Frau. Ein Fisch.

Arc: Es geht um Kontext. »Frau« meint hier nicht »Frauen«, sondern schlicht weiblich. Wenn man diesen Kontext nicht berücksichtigt, würden sich die meisten Animationsfilme und die Filme, in denen Kinder die Hauptrollen spielen, nicht für diesen Test qualifizieren. […]

Jake: Es sind wortwörtlich verdammte Fische in einem verdammten Kinderfilm! Wie um alles in der Welt kann irgendwer denken, dass deren Geschlecht irgendeine Tragweite für den Film haben sollte? Man könnte sämtliche Geschlechterrollen aus diesen Charakteren streichen und es würde keinen Unterschied für die Handlung machen!

Powers: Ja, Jake, das könnte man – das ist der ganze Sinn dieser Website. Der Punkt ist, dass die Filmemacher*innen diese Rollen weiblich gemacht haben, obwohl sie hätten männlich sein können. Und damit haben sie qualitativ wertvolle, weibliche, interagierende Figuren in einen Mainstream-Film platziert.

Fazit zu Findet Nemo und Findet Dorie

Ein vegetarischer Hai, »Meins«-schreiende Möwen, der 7-armige Octopus und die Popcorn-liebende Becky – das Universum von Nemo und Dorie ist voll von liebenswerten Ideen und Details. Technisch für ihre jeweilige Zeit perfekt umgesetzt und dramaturgisch gekonnt zu in sich geschlossenen Abenteuern verpackt, sind Findet Nemo und Findet Dorie heute schon Klassiker, die aus dem immer größer werdenden Meer der animierten Filme herausstechen.

Und hier nochmal für alle: Ein Aquarium! Nicht mehr virtuell, von einer verpixelten DVD, sondern in 4K und direkt aus dem Netz – 3 Stunden Fische gucken! Allein dafür hat sich die Erfindung des Internets schon gelohnt.

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GATTACA über Designer-Babys und Gentechnologie | Film 1998 | Kritik, Review http://www.blogvombleiben.de/film-gattaca-1998/ http://www.blogvombleiben.de/film-gattaca-1998/#respond Fri, 27 Jul 2018 07:00:35 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=4397 Der Neuseeländer Andrew Niccol war noch keine 30 Jahre alt, als er das Drehbuch zu Die Truman…

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Der Neuseeländer Andrew Niccol war noch keine 30 Jahre alt, als er das Drehbuch zu Die Truman Show (1998) schrieb und an einen Produzenten verkaufte. Der junge Mann bekam »extra money« dafür, dass er von seinem Wunsch, auch die Regie zu führen, zurücktrat und einen erfahreneren Regisseur walten ließ. Niccol stimmte zu, zog sich zurück und schrieb das Drehbuch zu Gattaca. Dieses Mal ließ er sich die Regie nicht nehmen und setzt sein Skript selbst um. Schließlich kam Gattaca sogar noch ein Jahr vor Die Truman Show in die amerikanischen Kinos.

Mutter Natur und ihre Beta-Babys

Die Truman Show entpuppte sich als cineastisches Verbindungsglied zwischen orwellschen Überwachungsdystopien und dem Big-Brother-Realitätsfernsehen der 2000er Jahre. Inzwischen, im Jahr 2018, hat sich Die Truman Show überholt. Die Vorstellung, dass wir von Geburt bis Tod als Teil eines medialen Spektakels mit globalem Publikum geworden sind, ist gelebte Wirklichkeit geworden. Mit YouTube-Kanälen, auf denen Eltern die ersten Schritte ihrer Kinder dokumentieren, zelebrieren und für höhere Klick- und Abo-Zahlen inszenieren.

In den 2010er Jahren können wir sagen, dass auch Gattaca zur Gegenwart wird. In seinem jüngsten Report hat das Nuffield Council of Bioethics – eine renommierte, britische Organisation, die sich mit bioethischen Fragen beschäftigt – der Einflussnahme auf das Genmaterial menschlicher Embryos grünes Licht gegeben, es sei »moralisch zulässig«.

Die Schauspieler Uma Thurman und Ethan Hawke in dem Film Gattaca

Inhalt: Gattaca handelt von einem natürlich gezeugten Baby, Jungen, Mann (gespielt von Ethan Hawke) in einer »nicht allzu weit entfernten Zukunft«, in der natürlich Gezeugte bereits die Unterschicht der Gesellschaft darstellen. Unter falscher Identität versucht dieser unperfekte Mensch, seinen Traum zu erfüllen.

Hinweis: Diese Kritik enthält keine konkreten Spoiler zu Gattaca. Allein im vorletzten Absatz, »Zur Position des Films«, wird ein Hinweis darauf gegeben, in welche Richtung das Filmende tendiert.  Aktuelle legale Streamingangebote gibt’s wie gehabt bei JustWatch.

Totale: Gattaca im Zusammenhang

Historischer Kontext

Manche Filme kommen also ins Kino, um vom Tag ihrer Veröffentlichung an immer aktueller zu werden. Manche über die Jahre – das Zukunftsszenario aus Her (2013) von Spike Jonze nähert sich rasant unserer alltäglichen Realität. Andere über die Jahrzehnte. Als Gattaca im Jahr 1997 in die amerikanischen Lichtspielhäuser kam, floppte er an den Kinokassen. Obwohl von Kritiker*innen unmittelbar gut aufgenommen, brauchte es seine Zeit. Bis sein Thema für ein immer breiteres Publikum eine immer größere Toleranz bekam. Heute, 20 Jahre nach seinem Kinostart in Deutschland, genießt der Film Gattaca einen gewissen Kultstatus.

Inzwischen leben wir in einer Zeit, da die Kreation von Designer-Babys keine Frage des »Ob«, kaum einmal mehr des »Wann« ist. Sondern nur noch die »Wie genau«. Und die ethischen Bedenken, von denen es jetzt noch abhängt, haben den Menschen in seiner Geschichte auf lange Sicht noch nie am Fortschritt gehindert.

Weil […] Alter und Tod die Folge von nichts anderem als eben spezifischen Problemen sind (Organversagen etc.), gibt es keinen Punkt, an dem Ärzt*innen und Forscher*innen aufhören und erklären: »Bis hierher und keinen Schritt weiter. Wir haben die Tuberkulose und den Krebs besiegt, aber wir werden keinen Finger krümmen, um Alzheimer zu bekämpfen. Die Menschen können weiterhin daran sterben.« | Yuval Noah Harari, Homo Deus

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte spreche nicht davon, die Menschen hätten ein »Recht auf Leben bis ins Alter von 90 Jahren.«

Sie spricht davon, der Mensch habe ein Recht auf Leben. Punkt. Dieses Recht hat kein Verfallsdatum. | s.o.

Persönlicher Kontext

Mag sein, dass ich zu viel Harari und Haraway gelesen habe oder meine Vorstellungen von Dataismus und Transhumanismus naiv sind. Selbst beim Betrachten eines Films wie Gattaca spüre ich eine angenehme Aufregung im Anbetracht des Potentials, das solch gentechnologischer Fortschritt entfesselt. Unsere Ängste und Sorgen machen Sinn in dieser Übergangsphase, die vielleicht noch 100 Jahre dauern mag (und somit die Lebenszeit von uns und unseren unmittelbaren Nachkommen umfasst) – da wird es gesellschaftliche Konflikte und ethische Verwerfungen geben. Ungerechtigkeiten ohne Ende – aber wenn wir zurückschauen, sehen wir denn ihren Anfang?

Ungerechtigkeit (und damit: Ungleichheit) haben das Leben immer begleitet. Wenn überhaupt, dann stecken in den gentechnologischen Fortschritten die Möglichkeiten, Ungleichheit zu überwinden. Ob das gut oder schlecht ist, steht als Frage nicht wirklich zur Diskussion, sondern eher als abzuwartende Aussicht im Raum, die von jedem Standpunkt zu jeder Zeit unterschiedlich erscheinen wird.

Close-up: Gattaca im Fokus

Erster Eindruck | zum Inhalt des Films

Betrachte das Werk Gottes; wer kann begradigen, was er krumm gemacht hat? | Buch Kolehet 7,13

Ich glaube nicht nur, dass wir an Mutter Natur herumpfuschen werden. Sondern ich glaube auch, dass die Mutter es will. | Willard Gaylin, Gründer des bioethischen Recherche-Instituts The Hastings Center

Mit diesen beiden Zitaten beginnt Gattaca und schlägt damit noch vor seinem ersten Bild den Bogen über 2000 Jahre Entwicklungsgeschichte des Menschen: Von der gefühlten Ohnmacht, die in der Antike (das Buch Kolehet stammt aus dem 3. Jahrhundert vor Christus) wie zu jeder Zeit davor und lange danach im ehrfürchtigen Glauben ans Übermächtige mündete, bis in das Zeitalter, da der Mensch sein Schicksal selbst in die Hand nimmt. Aus dem simplen Grund, dass Homo Sapiens es jetzt kann. Die Macht und damit des göttlichen wichtigste Eigenschaft – wenn nicht das Göttliche an sich – hat auf des Menschen Seite gewechselt. Homo Deus.

Die Essenz unserer Gene

Das erste Bild ist tiefblau, erinnert an einen Nachthimmel, den Blick ins Weltall – bis Fingernägel fallen und sich die Einstellung als Detailaufnahme entpuppt. In großformatigen Zeitlupenbildern sehen wir die frisch geschnittenen Fingernägel fallen, dann Haare, wuchtig wie gefällte Bäume. Dazu werden die Vorspanntitel eingeblendet, wobei bei den Namen der Schauspieler*innen gewisse Buchstaben hervorgehoben werden: A, C, G, T. Das sind Abkürzungen für Adenin, Cytosin, Guanin und Thymin, die vier Nukleinbasen, aus denen sich DNA zusammensetzt. In der menschlichen DNA kann sich eine bestimmte Abfolge dieser Basen besonders häufig wiederfinden lassen: GATTACA.

Als der Titel sich aus dem Nachtblau abhebt, setzt auch der epische Gänsehaut-Score von Michael Nyman ein. Mal reinhören? Here you go:

Gattaca geht so tief, wie ein Film nur gehen kann. […] Gibt es etwa eine perfektere Eröffnungssequenz? Das Abschaben des Körpers, seltsam, schauderlich und wunderschön. Hautpartikel wie Schnee, Haar wie fallende Zedern und Follikeln, die sich in einer Helix kräuseln. […] Diesen Film kann man über eine Lebensspanne immer wieder sehen, denke ich, und immer tiefer eintauchen. | Remy Wilkins mit Joshua Gibbs, in einer ausführlichen Diskussion über den Film Gattaca (aus dem Englischen übersetzt)

Bleibender Eindruck | zur Wirkung des Films

Im Vorspann werden mit präziser Bildsprache die Vorbereitungs-Maßnahmen der Hauptfigur Gerome (Ethan Hawke) gezeigt, bevor sie morgens ihr Haus verlässt und zur Arbeit geht. Witziger Kontrast: Diese Maßnahmen bestehen unter anderem darin, dass sich Gerome einen falschen Fingerabdruck samt winzigem Blutpolster aufklebt. Denn beim Betreten der Arbeitsstelle wird eben keine Karte mehr in einen Schlitz gesteckt, sondern der Finger für einen DNA-Check ausgestreckt. Und dann nimmt Gerome an einem Computer Platz, dessen Tastatur-Tasten immer noch so säulenartig hoch hervorstehen, wie bei unseren klotzartigen PCs der Jahrtausendwende. Bemerkenswert, wie man scheinbar simple Ideen wie flache Tastatur so Vordenker*innen, wie sie definitiv hinter Gattaca stehen, nicht gekommen sind.

Doch von solchem Detail-Kram mal abgesehen liegt eine große Kunst darin, ohne gesprochenes Wort einen Charakter und sein Problem zu etablieren und eine Atmosphäre der Bedrohung aufzubauen, die den gesamten Film über gehalten wird. Auch nach 20 Jahren des Wandels, im Bereich der Gentechnologie, sowie hinsichtlich unserer Sehgewohnheiten, ist Gattaca ein Film geblieben, der die Zuschauer*innen zu packen weiß. Vielleicht heute mehr denn je, angesichts der zunehmenden Lebensnähe.

Vor knapp 10 Jahren hat der renommierte Filmkritiker A. O. Scott (The New York Times) sich dem Film im Rahmen eines Critics‘ Picks noch einmal aus Sicht der später Nuller Jahre angenommen. Hier zu sehen (in englischer Sprache):

Zur Position des Films

In dem Buch Angewandte Ethik und Film (2018) wird die Position des Films von Thomas Laubach als eindeutig auf Seiten der »Gotteskinder« beschrieben.

[Gattaca] ergreift Partei für die Unterprivilegierten, die in der grausam-schönen neuen Welt der genetischen Selektion scheinbar keine Chance und keine Perspektiven haben. Am Schluss, so lässt sich Gattaca zusammenfassen, triumphiert der autonome, willensstarke Mensch, und nicht das, was andere aus ihm machen wollen oder wozu sie ihn bestimmen. | S. 70

Fazit zu Gattaca

Ja, dieser Film der späten 90er Jahre zeichnet die Welt der Genmanipulation als beklemmende Sackgasse für alle Unperfekten. Ein abschreckendes Bild für uns schrecklich unperfekten Menschen des frühen 21. Jahrhunderts. All die gentechnologischen Entwicklungen unserer Zeit werden in Gattaca darin gezeigt, wo und wie sie Grenzen setzen, Wege versperren, Leben bedrohen. Man darf, während man einen solch fantastischen, dystopischen, rundum gelungenen Thriller wie Gattaca sieht, aber nicht vergessen, dass diese Entwicklungen auch eine andere Seite haben. Die Seite der Möglichkeiten, die diese Entwicklungen überhaupt erst anspornen und vorantreiben.


Weitere Filmkritiken:

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HERR ANDERS von Eva Schatz, Stefanie Reich | Kinderbuch 2011 | Kritik http://www.blogvombleiben.de/buch-herr-anders-2011/ http://www.blogvombleiben.de/buch-herr-anders-2011/#respond Sun, 08 Jul 2018 07:00:48 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=4209 Ein Kinderbuch über die Schwierigkeiten bei der Partnersuche. Ist das überhaupt kindgemäß? Was sich zunächst befremdlich…

Der Beitrag HERR ANDERS von Eva Schatz, Stefanie Reich | Kinderbuch 2011 | Kritik erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.

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Ein Kinderbuch über die Schwierigkeiten bei der Partnersuche. Ist das überhaupt kindgemäß? Was sich zunächst befremdlich anhört, meistern Eva Schatz und Stefanie Reich. In ihrem Bilderbuch Herr Anders geht es vor allem ums Anderssein. 

Herr Anders sucht eine Freundin 

Bloggerin Sonia Lensing hält das Kinderbuch hoch: Herr Anders von Eva Schatz und Stefanie Reich

Wenn man sein Frühstücksbrot am liebsten mit Erdnussbutter, Marmelade, Käse und Pizzatomaten isst, dann isst man anders als das gemeine Volk. Was sich David genüsslich auf der Zunge zergehen lässt, erfreut nicht immer meine Geschmacksknospen. Allerdings bin ich mit meiner euphorischen Liebe für Bäume und meinem Hang zum Babyhumor (wo ist das Vöglein?) auch etwas eigen. Das Bilderbuch Herr Anders zeigt Klein und Groß, worauf es ankommt: Solange man gemeinsam im gleichen Schritt aus der Reihe tanzt, spielt das Anderssein keine Rolle.

Zum Inhalt: Der Protagonist der Autorin Eva Schatz, gezeichnet von Illustratorin Stefanie Reich, ist ein seltsamer Kerl. Dass er wie Spongebob mit einer Schnecke zusammenlebt, erscheint noch als normalstes. Tatsächlich erinnern mich rückblickend einige Eigenarten von Herrn Anders an den berühmten Gegenteiltag aus der Serie Spongebob Schwammkopf. So schwimmt die Hauptfigur des Bilderbuchs stets gegen den Strom, wenn sie beispielsweise bei eingetretener Müdigkeit aus dem Bett springt oder sich seine Hose über den Kopf zieht.  

Er steigt in seinen Pullover, die Hose kommt über den Kopf. Nach einer heißen Himbeersirupdusche kann der Tag beginnen!

Diese alberne, unlogische Art von Witz ist der Stoff, der mein inneres Kind erheitert. Doch auch, wenn das Buch visuell wie inhaltlich humoristisch aufgezogen ist, geht es nicht immer lustig zu. Obwohl Herr Anderes ein grundsätzlich zufriedener Mensch ist, der es sich in seinem Leben schön macht, ist sein Herz ein wenig bedrückt. Was Herrn Anders fehlt, ist eine Partnerin, eine Gleichgesinnte, mit der er sein verrücktes Glück teilen und somit vergrößern möchte. Doch alle Damen, die Herr Anders kennenlernt, verstehen ihn nicht. Zum Glück stolpert er eines Tages über Frau Anders.   

Zur Wirkung des Buches

Das Bilderbuch von Eva Schatz erschien 2011 im Tulipan Verlag, der damit wirbt, besondere Kinderbücher zu verlegen. Mit Herr Anders bestätigt sich dieser Anspruch jedenfalls. Durch seine Originalität in der Figurencharakteristik und Visualität ist das Werk schon jetzt eines meiner diesjährigen Lieblingsbücher, die ich per Zufall in der Stadtbibliothek gefunden habe.  

Ein etwas anderes Motiv in der Kinderliteratur  

Obwohl es sich um ein Kinderbuch ab 4 Jahren handelt, adressiert die Geschichte mit seinem Motiv der Partnersuche auch die Erwachsenenwelt. Das entlockt den Vorleser*innen das eine oder andere Schmunzeln. Mit seinen unglücklichen Verabredungen, der aufkeimenden Hoffnung und niederschmetternden Ablehnung, die Herrn Anders abermals widerfährt, greift die Autorin ein universelles Thema auf, das sich gegenwärtig immer mehr in der virtuellen Welt abspielt. Wieso das Sujet, einen Freund fürs Leben zu finden, also nicht auch kindgerecht aufarbeiten? Dieses Vorhaben gelingt Eva Schatz mit der Leipziger Illustratorin Stefanie Reich, die für etliche Verlage tätig ist, mit Bravour.  

Man selbst bleiben

Die fehlende Wellenlänge zu den potentiellen Herzdamen und die achterbahnmäßigen Gefühle von Herrn Anders werden kindgemäß und mit ausdrucksstarker Mimik dargestellt. Auch, wenn sich Herr Anders besonders viel Mühe für die Damen gibt, bleibt sich die Figur in ihrem Wesen treu. Ein Vorbild für die kleinen und großen Leser*innen. Die Botschaft, immer man selbst zu sein, wird den Kindern und Erwachsenen in der Person von Herrn Anders liebevoll nahegelegt. Denn dass wir uns zeitweise sogar verbiegen, nur damit wir nicht alleine sind, ist kein seltenes Phänomen unserer Gesellschaft. Umso wichtiger, dass die Kernbotschaft des Bilderbuchs so weise und spielerisch für die Kinderperspektive vermittelt wird. 

Randnotiz: Hier geht’s zur Rezension von der Buchhexe zu Herr Anders.

Mit dem dritten und zuletzt veröffentlichten Kinderbuch der Autorin Eva Schatz ist ein Werk entstanden, das sich trotz kinderlebensferner Thematik als kindgemäße Story eignet. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die Skurrilität der Geschichte die Fantasie der Kinder anregt und die vielen, verspielten und witzigen Illustrationen von Stefanie Reich im Comic-Stil den Text ideal ergänzen. Die Figuren sind so liebevoll und ausdrucksstark gezeichnet, dass sie bereits auf deren markanten Charakter deuten. Durch einfache Formen und farbenfrohe Panoramabilder und ganzseitige Bilder bleibt viel zu entdecken, ohne das Kind zu überfordern.   

Dies gilt auch für den Textanteil in dem Buch, der reduziert und verständlich gehalten ist und ab und an mit Neuwortschöpfungen amüsiert. Vom Textumfang und Stil ist das Buch deshalb auch ideal für Leseanfänger. Zudem gelingt es der Autorin, trotz untypischem Thema, eine liebenswürdige und spannende Figur zu kreieren, die selbst noch so viel Kindliches in sich trägt, dass man Herrn Anders auf seiner Suche begleiten möchte und ihm die richtige, verrückte Partnerin wünscht, die ihn so liebt und annimmt wie er ist.  

Fazit zum Bilderbuch Herr Anders

Das Bilderbuch Herr Anders von Eva Schatz und Stefanie Reich ist ein unterhaltsames, etwas durchgeknalltes, fantasievolles und weises Buch. Es macht sowohl Kindern als auch Erwachsenen Spaß. Ein Wohlfühlbuch, das Mut macht, zu sich zu stehen und auch mal rigoros anders zu sein. Dafür gibt es 9 Sterne.


Weitere Kinderbuch-Kritiken:

Der Beitrag HERR ANDERS von Eva Schatz, Stefanie Reich | Kinderbuch 2011 | Kritik erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.

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HAIRSPRAY mit Ricki Lake, Nikki Blonsky | Filme 1988, 2007 | Kritik, Vergleich http://www.blogvombleiben.de/film-hairspray-1988-2007/ http://www.blogvombleiben.de/film-hairspray-1988-2007/#respond Sat, 30 Jun 2018 09:03:03 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=4097 Selbst homophobe Menschen würden zum Finale mit den Füßen zum Beat tapsen, denn: »Es ist schwer,…

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Selbst homophobe Menschen würden zum Finale mit den Füßen zum Beat tapsen, denn: »Es ist schwer, der Überschwänglichkeit dieses Films zu widerstehen!« Das schreibt der Rolling Stone im Jahr 2007 über das Remake von Hairspray. Zum Original im Jahr 1988 verfasste David Edelstein für den Rolling Stone ein Review mit der Formel: »Ein Familienfilm, für den sowohl die Bradys als auch die Mansons geschwärmt hätten.« Diese Filmkritik nannte der Regisseur John Waters seine liebste. Das überrascht kaum und verstört sehr.

Außenseiter im Rampenlicht

Mit den »Bradys« sind Ian Brady und Myra gemeint, seine Lebensgefährtin oder vielmehr: Komplizin. Die beiden haben in den 60er Jahren mehrere Kinder und Jugendliche gefoltert und grausam ermordet. »Die Mansons« sind jenes kriminelle Kollektiv um den Rassisten Charles Manson, der seine Anhänger*innen ebenfalls zu Morden aufrief. Die Faszination des Filmemachers John Waters für die Manson-Familie, deren Mitglieder*innen er gar im Gefängnis besuchte, geht soweit, dass er seinen Film Female Trouble (1974) einem Manson-Mitglied widmete: Charles Watson. Dieser war unter anderem an der Ermordung der Schauspielerin Sharon Tate beteiligt. Mit der Aufsehen erregenden Bluttat sollte – so die Idee des fanatischen Charles Manson – ein Rassenkrieg zwischen Schwarzen und Weißen ausgelöst werden.

Wie passt die Faszination für derart menschenverachtende, rassistisch motivierte Taten mit einem Film wie Hairspray zusammen, der wie kaum ein anderer für Nächstenliebe und Toleranz wirbt, Menschen zusammenbringen will und Anstand statt Ausschluss fordert? Diese Frage stellt sich nur dann, wenn wir unser logisches Denkvermögen auf einen Gegenstand anwenden, der von Natur keiner inneren Logik folgt: Homo Sapiens.

[andere Frage: Wie kommt David Edelstein zu einer solch grauenvollen, unnötigen Floskel? Als Familienmitglied eines der Mordopfer liest sich ein solcher Humor sicher als blanker Hohn.]

Die Schauspielerinnen Ricki Lake und Amanda Bynes aus dem Film Hairspray (1988, 2007)

Der integrative Exhibitionist

Jener John Waters, Regisseur des Hairspray-Originals, hat im Hairspray-Remake einen kleinen Gastauftritt. Die Hauptfigur Tracy (Nikki Blonsky) begegnet ihm, während sie singend den Bürgersteig entlangmarschiert. Waters, mit seinem markanten Bleistift-Schnurrbart und einem langen Mantel, grüßt das Mädchen freundlich. Dann wendet er sich ab und reißt den nächsten Passantinnen gegenüber seinen Mantel auf, darunter offenbar nackt, der alte Perversling.

Diese Szene, in der zwischen nettem Gruß und obszöner Geste nur Sekunden liegen, ist beispielhaft für John Waters. Dessen zotiger Flausenkopf ist es, der das Original-Drehbuch zu Hairspray hervorgebracht hat, einem integrativen Feel-Good-Familienfilm vom Feinsten, sowohl in alter als auch in neuer Version.

Inhalt: Hairspray handelt von der Teenagerin Tracy Turnblad (1988: Ricki Lake, 2007: Nikki Blonsky). Sie und ihre Freundin Penny sind große Fans der Corny Collins Show. In dieser TV-Show, die von ihrer Heimatstadt Baltimore ausgestrahlt wird, tanzen weiße Teens zu hipper Musik (für die schwarzen Teens gibt es einen »Negro Day«, einmal im Monat). Die jungen Tänzer*innen der Show werden vom Publikum als Stars gefeiert – und Tracy träumt davon, selbst einmal in dieser Show aufzutreten… der Traum wird wahr, dank ihrer Tanzbegabung und trotz ihres Übergewichts. Die Berufung des fröhlichen, fülligen Mädchens in die Show löst einen ungeahnten Wandel in Baltimore aus.

Hinweis: Liebe Leser*innen, dieser Text nimmt (im Absatz »Bleibender Eindruck«) nur ein paar Pointen vorweg, verrät aber nichts über den durchaus spannenden Handlungsverlauf. Aktuelle legale Streamingangebote finden sich bei JustWatch.

Totale: Hairspray im Zusammenhang

Cineastischer Kontext

Dass ausgerechnet John Waters einen Film über die Integration von Außenseitern in die öffentliche Wahrnehmung und Wertschätzung macht, hat einen autobiografischen Touch. So integrierte sich der Untergrund-Filmemacher mit einem Faible für Fetische und gesellschaftliche Außenseiter mit seinem ersten Mainstream-Film Hairspray doch selbst in die öffentliche Wahrnehmung.

Während sein wohl berüchtigtes Werk, Pink Flamingos (1972) nur von einem vergleichsweise kleinen Personenkreis als Kultfilm und »Meilenstein des schlechten Geschmacks« gefeiert wird, hat Hairspray seit seiner Veröffentlichung im Jahr 1988 eine breite Rezeption erfahren. Von einer Adaption als Broadway-Musical im Jahr 2002 bis zum Kino-Remake im Jahr 2007, das Film und Musical auf virtuose Weise miteinander verbindet.

Persönlicher Kontext

Durch die Lektüre von Judith Butlers Das Unbehagen der Geschlechter bin ich auf Hairspray aufmerksam geworden. Butler führt diesen Film aufgrund des Schauspielers Harris Glenn Milstead alias Divine an, der – als vermutlich berühmteste Drag-Queen seiner Zeit – in Hairspray eine Doppelrolle spielt. Er tritt als rassistischer Fernsehstudio-Boss sowie als Mutter der Hauptfigur auf. Letztere Rolle fällt deutlich größer aus.

Divine hat bis Hairspray in jedem Film, den er mit seinem Jugendfreund John Waters zusammen gemacht hat, die weibliche Hauptrolle gespielt und (darum geht es Butler bei besagter Referenz) den Eindruck geprägt, dass »weiblich sein« vielmehr ein Akt der Nachahmung als eine »natürliche Tatsache« ist.

Eine Hommage an Divine

Wenige Wochen nach dem Kinostart von Hairspray (1988) starb Divine im Alter von 42 Jahren an einem Herzstillstand. Er hatte Zeit seines Lebens mit seinem Übergewicht zu kämpfen und wog zum Zeitpunkt seines Todes etwa 170 Kilo.

Im Remake von Hairspray (2007) wurde die Rolle der Mutter Edna Turnblad, gewiss als Hommage an Divines Darstellung, an einen Mann vergeben: John Travolta. Diese Besetzung der Mutterrolle mit einem Mann hatte auch schon eine gewisse Tradition, wurde so doch bereits bei der Musical-Adaption vorgegangen. Aufgrund meiner closure issues habe ich Original und Remake von Hairspray kurz hintereinander gesehen.

Close-up: Hairspray im Fokus

Erster Eindruck | zum Inhalt der Filme

Hairspray (1988) beginnt mit dem gleichnamigen Song von Rachel Sweet (mit Deborah Harry). Dazu sehen wir, in der ersten Einstellung, den Haupteingang zu einer TV-Station, an deren Fassade die Buchstaben WZZT prangen. Drinnen sind Vorbereitungen in Gange. Junge Damen und Herren machen sich fit für den Beginn einer neuen Folge von The Corny Collins Show. Tanzende Teens im TV, die hunderttausende Teens vor Amerikas Fernsehgeräten in Euphorie versetzen.

Diese Show hat es wirklich gegeben. Und tatsächlich basiert der Handlungsstrang über die Integration schwarzer Jugendlicher in das weiße Show-Format in gröbsten Zügen auf wahren Tatsachen. Die echte Show (The Buddy Deane Show) wurde 1964 abgesetzt, weil die echte TV-Station (WJZ-TV) unfähig war, die Diskriminierung von Afroamerikanern zu unterlassen. Dieses Kapitel aus einer Zeit des gesellschaftlichen Wandels hat sich John Waters in Hairspray zum Thema gemacht. Neben Schön- und Schlankheitswahn, Bodyshaming, Generationenkonflikten und der Verlogenheit des Showgeschäfts. Eine Menge Stoff für einen knapp 90-minütigen Film.

In die Länge gesungen

Ob das Remake, Hairspray (2007), deshalb eine satte halbe Stunde länger ist, als das Original? Nein, thematisch geht die Neuauflage nicht mehr in die Tiefe. Wohl aber in Sachen Genre. Durch die Integration der Musical-Nummern bekommt das Remake eine neue Facette. Diese macht es zu etwas Eigenständigem, das sich inszenatorisch vom Original emanzipiert. Schon die erste Szene wird zwar auch mit einem Song eröffnet, doch diesen singt – aus vollem Leibe und Herzenslust – die »neue Tracy Turnbled« auf ihrem Weg zur Schule.

Immer wieder wird die Handlung, die sich am Original orientiert, allerdings dramaturgische Änderungen vornimmt, von Gesangseinlagen der Schauspieler*innen übernommen. Denn siehe da: Sie können alle fantastisch singen! Außer John Travolta, aber ok.

Bleibender Eindruck | zur Wirkung der Filme

Man hat es hier zweifelsfrei mit zwei Herzensprojekten zu tun. Jedes für sich begeistert durch eine leidenschaftliche Umsetzung aller Beteiligten. Und auch die Brücke zwischen den Filmen steckt voller schöner Details. Schubst die Tracy im Original noch eine Ratte weg, um in Ruhe einen romantischen Moment auskosten zu können, füttert die Tracy im Remake ein paar Ratten am Straßenrand, wie zur Wiedergutmachung. Jerry Stiller, der im Original Tracys Vater spielt (und in dieser Rolle ein 90er-Kind wie mich sehr an Arthur aus King of Queens erinnert), tritt im Remake als Inhaber eines Schönheitssalons auf.

Neben derlei kleinen Verbindung stechen Kenner*innen beider Filme natürlich umso mehr die Unterschiede ins Auge. Wie sehr diese nun als Mehrwert oder Missetat empfunden werden, ist Geschmackssache. Mir persönlich gefällt das Erzähltempo des Originals besser (auch wenn dadurch die Musical-Nummern wegfallen). Das Drehbuch des Remakes lässt sich bedachtsam Zeit, jede Wendung und Gefühlsregung so im Dialog zu klären, dass auch wirklich jede*r checkt, was abgeht. Muss nicht sein. Im Original passieren Dinge einfach. Manchmal auch überrumpelnd schnell, das atmet den Charme eines impulsiveren Projekts. (Hängt gewiss mit dem markanten Budget-Unterschieden zusammen.)

Das gewisse Etwas namens Waters

So gelungen ich Waters Cameo im Remake finde, ist seine Rolle als sadistischer Psychiater im Original umso grandioser. Und die Rolle der Penny Pingleton, die im Original noch mit einem »P« für »Punished« herumlaufen muss, bleibt im Remake (trotz der tollen Schauspielerin Amanda Bynes) meinem Empfinden nach vergleichsweise blass. Insgesamt fehlt es dem Remake an dem absurden John-Waters-typischen Humor. Wenn etwa (im Original) der Mädchenschwarm in einem »police riot« von Handtaschen niederknüppelt wird und mega die Show draus macht.

Auch die »Special Education Class«, im Remake ganz offensichtlich die Klassse mit den cooleren Kids, ist im Original noch ne urkomische Rasselbande, die selbst von Sportlehrerin (die Dogdeball-Trainerin, grandiooos lustig!) hart gedisst wird.

Fazit zu Hairspray (1988, 2007)

Beide Filme sind sehr lustig und versprühen ansteckend gute Laune. Während im Original der Humor mehr Raum einnimmt, sind es im Remake die Musik- und Tanzeinlagen, dann auch mit Gesang. Das Original ist kurzweiliger, das Remake opulenter, das Original flotter, das Remake bunter. Man kann getrost beide Filme schauen und sich auf zwei tolle Umsetzungen der gleichen Geschichte freuen. Die Hauptdarstellerinnen Ricki Lake und Nikki Blonsky sind übrigens gleichermaßen großartig charismatisch und liebenswert, die Highlights dieser Filme!

Weitere Filmkritiken:

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ZUSAMMEN UNTER EINEM HIMMEL | Kinderbuch 2017 | Kritik http://www.blogvombleiben.de/buch-zusammen-unter-einem-himmel-2017/ http://www.blogvombleiben.de/buch-zusammen-unter-einem-himmel-2017/#respond Sun, 24 Jun 2018 17:34:08 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=3434 2017 war das Kinderliteraturjahr, indem der Wald als Trendthema boomte. So liest es sich in der…

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2017 war das Kinderliteraturjahr, indem der Wald als Trendthema boomte. So liest es sich in der aktuellen Ausgabe vom Eselsohr (der Fachzeitschrift für Kinder- und Jugendmedien, Heft 5, 2018). Obwohl der Wald auch im 2017-Bilderbuch Zusammen unter einem Himmel ein wiederkehrendes Motiv ist, nimmt die Illustratorin und Autorin Britta Teckentrup auf etwas Größeres Bezug. Diese Welt, auf der wir leben.

Wald, Welt, Wir

Stille Geschichte mit starker Botschaft

Zum Inhalt: Zugegeben, eine klassische Geschichte mit Drei-Akte-Struktur wird man in diesem Bilderbuch vergeblich suchen. Es gibt keine Hauptfigur, keinen Konflikt, kein Ziel, außer als Leser*in zu wissen, was sich hinter dem nächsten Bild, hinter der Perforation verbirgt. Wie ein warmes Flüstern, das unter die Haut geht, erzählt das Werk von der inneren Verbundenheit, die uns Lebewesen allesamt vereint. Denn ganz gleich, welches Aussehen, welche Herkunft uns auszeichnet, welcher Tierart wir angehören. Unter dem einen Himmel, da sind wir alle gleich.

Bloggerin Sonia Kansy mit dem Kinderbuch Zusammen unter einem Himmel

Politisch und poetisch

Es ist eine Königsklasse des literarischen Einstiegs, wenn die ersten Zeilen auf dem Schmutztitel bereits eine Grundstimmung hervorrufen. Britta Teckentrup beherrscht diesen meisterlichen Auftakt. »Für eine vereinte Welt« schreibt sie und lädt das Werk mit einer gesellschaftlichen Botschaft auf. Hier werden zu Beginn nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene und Eltern angesprochen. Denn wie das poetische Buch zeigt, macht das Groß- oder Klein-sein keinen Unterschied vor der Verantwortung, die jede*r für unsere Welt trägt. Mir fällt direkt eine Schar Politiker ein, denen ich das Buch gerne auf den Nachttisch legen würde.

Ein erwachsenes Kinderbuch

Mit dem Thema der Brüderlichkeit und Toleranz greift die Britta Teckentrup ein Thema auf, das in erster Linie gesellschaftlich relevant ist. In zweiter Linie sensibilisiert es aber auch die Kinder für Respekt untereinander. Neben dem sozialen Bildungsaspekt ist jedoch das Identifikationspotenzial für das Kind nicht so sehr ausgeprägt, wie es in anderen erzählenden Bilderbüchern der Fall ist (zum Beispiel in Hat das Nilpferd Streifen? aus dem Jahr 2006). Die fehlende Haupt- und Identifikationsfigur erschwert den Kindern zunächst den emotionalen Zugang zum Buch. Was dem jedoch entgegenwirkt, sind die Tätigkeiten der Tiere. So etwa das Singen, Spielen, Fürchten, Lieben und Träumen. Dinge, die ebenfalls Teil der kindlichen Lebenswelt sind. Und allein durch die formwandelnden Perforationen, die dem Buch eine Art roten Pfaden verleihen, wird die Neugier des Kindes auf die nächsten Seiten geweckt.

Zwischen Illusionen und Illustrationen

Was das Bilderbuch zum echten Hingucker macht, ist zum Einen die hochwertige Aufmachung durch die Perforationen. Insbesondere auf dem Cover und dem matten Papier, das angenehm in der Hand liegt, kommt die Aufmachung großartig zur Geltung. Zum Anderen und zum Wichtigen erhält das Werk Zusammen unter einem Himmel seinen Zauber durch die Zeichnungen von Britta Teckentrup. Mit deckenden und sanften Farben und Übergängen aus Aquarell und Buntstift und eher groben Zeichnungen wirken ihre Illustrationen wie Traumbilder, etwas verwischt, sanft und tiefgründig.

Allein aufgrund des visuellen Ausdrucks und der wenigen, aber großen Worte berührt das Buch den Leser auf einer höheren Ebene und bleibt im Gedächtnis. Für die Kinder gibt einiges zu entdecken. So etwa die vielen Häschen im Wald, die sich nur dezent von dem Hintergrund abgrenzen und mit dem Leser Verstecken spielen.

Fazit zu Zusammen unter einem Himmel

Das Bilderbuch Zusammen unter einem Himmel ist eine Überraschung unter den Wald-Kinderbüchern von 2017. Still, aber mit einer elementaren Botschaft zeigt Britta Tuckentrup, dass alle Lebewesen auf der Erde im Kern gleich sind. Und dass wir alle zusammen die gleichen Träume haben. Ein einfühlsames, kluges Bilderbuch, das auch Erwachsenen ans Herz gelegt werden sollte. Für Kinder könnte man mit einem Joker-Buch in der Hinterhand aufwarten. Nur für den Fall, dass dieses eine kurze Lesevergnügen zum Müde-werden vorm Schlafen-gehen nicht ausreicht. Ich vergebe 8 von 10 Sterne.


Titel Zusammen unter einem Himmel
Erscheinungsjahr 2017
Autor/Illustrator Britta Teckentrup (Autorin, Illustratorin)
Verlag arsEdition GmbH
Seiten 32 Seiten
Altersempfehlung Ab 4 Jahre
Thema Toleranz, Gesellschaft

 

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MARTYRS mit Morjana Alaoui + New French Extremism | Film 2008 | Kritik http://www.blogvombleiben.de/film-martyrs-2008/ http://www.blogvombleiben.de/film-martyrs-2008/#respond Sat, 23 Jun 2018 07:00:22 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=4295 Wie so viele brutale Dinge kennen wir Märtyrer*innen vor allem aus der Bibel. Mit »wir« meine…

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Wie so viele brutale Dinge kennen wir Märtyrer*innen vor allem aus der Bibel. Mit »wir« meine ich natürlich die römisch-katholisch erzogene Leserschaft, die wie ich im Kommunion-Unterricht immer dann wach wurde, wenn es gerade um Mord und Totschlag ging – was ja, bei aller Nächstenliebe, durchaus geregelt der Fall war, Gott sei Dank. Dieselbe seltsame Gewalt-Faszination, die mich damals in Glaubensfragen bei der Stange gehalten hat, mischt sich inzwischen in Film-Geschmacksfragen. Und damit kommen wir zu Pascal Laugiers Paradebeispiel für den neuen Extremismus im französischen Kino: Martyrs mit den Schauspielerinnen Mylène Jampanoï und Morjana Alaoui.

Mit dem Hammer gen Abgrund

Inhalt: Eine junge Frau, die als Mädchen lange Zeit gefangen gehalten und gefoltert wurde (gespielt von Mylène Jampanoï), macht sich Jahre später auf, um ihre Peiniger zu töten. Begleitet wird sie dabei von grauenvollen Halluzinationen und einer Freundin (Morjana Alaoui), die ahnungslos in ihren schlimmsten Alptraum tappt.

Hinweis: Dieser Text enthält Spoiler, also Details zu den gezeigten Gewaltexzessen. Wer auf solch ultrabrutalen Filme steht, den oder die wird das kaum stören. Höchstens neugierig machen, nicht wahr? Unter »Bleibender Eindruck« wird die Auflösung des Films kritisch besprochen. Aktuelle Streaming-Angebote gibt es bei JustWatch.

Eine ältere Dame mit Brille und Turban schaut ernst drein. Standbild aus dem Film Martyrs. | Bild: Wild Bunch Distribution

Mit seinem Spiefilmdebüt Haus der Stimmen (2004) – mit Model und Schauspielerin Virginie Ledoyen in der Hauptrolle – servierte der Regisseur Pascal Laugier einen etwas abgeschmackten Horror-Eintopf aus altbekannten Zutaten. 4 Jahre später lässt er nun sein nächstes Werk folgen, und wieder: ein Horror. Warum denn, Herr Regisseur?

Ich habe das Genre immer gemocht. Insbesondere in den 70er Jahren hat es einige sehr einzigartige Werke hervorgebracht, von Filmemacher*innen, die das Genre nutzten, um sehr persönliche Dinge auszudrücken – ebenso, wie eine bestimmte Vorstellung von der Welt. Wir sehen John Carpenter heute als einen Auteur, im europäischsten Sinne des Wortes (Filmschaffende als geistige Urheber*innen und zentrale Gestaltende eines filmischen Kunstwerks). Ich wollte in aller Bescheidenheit mit diesem Geist in Verbindung treten und einen Film machen, der – obwohl er alle Codes und Archetypen des Genres verwendet – so unerwartet wie möglich ist.

Pascal Laugier im Interview mit Virginie Sélavy (Electric Sheep), aus dem Englischen

Totale: Martyrs im Zusammenhang

Cineastischer Zusammenhang

In der Literaturwelt heißt es, das zweite Buch sei für Autor*innen das schwierigste Projekt. Wie es in der Filmwelt heißt, weiß ich nicht. Bloß, dass Quentin Tarantino sich nach seinem Debütfilm Reservoir Dogs (1992) mit dem Kult-Kracher Pulp Fiction (1994) in den Kino-Olymp schoss. Und dass Baz Luhrmann nach seinem Debüt Strictly Ballroom (1992) im Nachfolger William Shakespeares Romeo + Julia (1996) seinen ausgeflippten Inszenierungsstil salonfähig machte. Und dass James Cameron nach seinem (ungewöhnlichen) Debüt Piranha 2 – Fliegende Killer (1981) mit Terminator (1984) Filmgeschichte schrieb. Und dass Sofia Coppola nach ihrem Debüt The Virgin Suicides (1999) den Instant-Klassiker Lost in Translation (2003) ablieferte.

In der Filmwelt setzt das zweite Projekt zuweilen ungeahnte Potentiale frei. Die jungen Filmschaffenden stecken noch voller unverbrauchter Ideen und Schöpfungskraft und haben durch ein gelungenes Debüt meist mehr Budget zur Hand, um größere Visionen zu verwirklichen – oder dunklere. Pascal Laugier nutzte sein zweites Werk, um sich mit Anlauf in die Welle des New French Extremism zu stürzen.

Was ist der New French Extremism?

Dieses Label brachte der Filmkritiker James Quandt ins Gespräch, für einige französische Filme des 21. Jahrhunderts, die in Sachen Brutalität respektive Härte die Grenzen verschieben. Dazu werden etwa High Tension (2003) von Alexandre Aja oder Frontier(s) (2007) von Xavier Gens gezählt. Martyrs gilt als mustergültiges Beispiel für den New French Extremism, obwohl Regisseur Pascal Laugier ihn gar nicht so extrem sieht [und der Film etwa im Vergleich zu besagtem Frontier(s) auch weniger blutig ist].

Ich schwöre, dass es nie meine Motivation war, im Publikum Abscheu hervorzurufen. Wenn Kritiker*innen den Film als Gemetzel bezeichnen, als Zurschaustellung von Eingeweiden und als Gore, dann macht mich das traurig. Ich sehe meinen Film als eher zurückhaltendes Werk, ehrlich gesagt. Und ich würde mein Publikum damit gerne berühren, sie eintauchen lassen in einen Zustand tiefgreifender Melancholie, wie ich ihn erlebte, während der Dreharbeiten – denn ich denke, dass Martyrs in Wirklichkeit ein Melodram ist. Hart, gewalttätig, sehr verstörend, aber ebenso ein Melodram.

Pascal Laugier im Interview (s.o.)

Tatsächlich ist Martyrs also nicht so explizit, wie er angesichts der darin enthaltenen Gewalthandlungen hätte ausfallen können. Aber was heißt das schon, in einem Werk, in dem geschlitzt, geschossen und gehäutet und mit Rasierklinge, Schrotflinte und Vorschlaghammer getötet wird? Ist immer noch brutal, das Ding.

Persönlicher Zusammenhang

Ach, das waren noch Zeiten… Videoabend in Köln: Am 14. November 2011 sah ich mit einem Kumpel, betrunken und zu später Stunde, nach dem Kurzfilm Vanilleduft und Blutgeschmack (ausgezeichnet mit dem Deutschen Jugendfilmpreis – mit der Stimme von Larissa Rieß, inzwischen bekannt aus Neo Magazin Royale) und 30 Minuten oder weniger (enttäuschender Nachfolger von Zombieland-Regisseur Ruben Fleischer) zum ersten Mal den Film Martyrs. Jener Kumpel hatte ihn mitgebracht, ein »krasser Film« sei das.

Ich erinnere mich noch, dass wir uns über einige Logiklücken lustig machten und ich gen Ende dachte: Was für ein dumpfer Torture Porn ist das denn!? Besagter Kumpel war fasziniert vom Finale und der Pointe. Ich fand das ganze Ding nicht so dolle und war mir sicher, Martyrs »einmal und nie wieder« gesehen zu haben.

Einmal und nie wieder und noch einmal

Stattdessen aber, um über den neuen Film Ghostland (2018) von Pascal Laugier besser schreiben zu können, zog ich mir 7 Jahre später dessen extremsten Film tatsächlich nochmal rein… aus Gründen der Vollständigkeit oder was weiß ich. Und sogar das amerikanische Remake davon. Aus Gründen, die ich rückblickend so gar nicht mehr nachvollziehen kann.

Jedenfalls musste ich überrascht feststellen, wie vieles mein Hirn von all dem fleißigen Filmkonsum vergangener Jahre doch wieder vergessen hat (was vielleicht am Captain-Morgan-Konsum während damaliger Videoabende lag, Rätsel über Rätsel, die wohl nie beantwortet werden…)

Den Prolog von Martyrs zum Beispiel, den hatte ich komplett vergessen…

Close-up: Martyrs im Fokus

Erster Eindruck | zum Inhalt des Films

Der Film beginnt mit einem Mädchen, das verstört, verdreckt, mit kurzgeschorenen Haaren und in blutbesudelter Unterwäsche von einem Industriegelände flieht. Sie rennt und schreit und Schnitt. Es folgt ein Vorspann im Super-8-Look, dokumentarische Filmaufnahmen aus dem Jahr 1971, in dem jenes Mädchen von der Polizei gefunden und in einem Waisenhaus untergebracht wird. Die Tatort-Begehung der Polizei erbringt keine Hinweise und das verstörte Mädchen mit dem Namen Lucie schweigt. Nur zu einem anderen Mädchen im Waisenhaus, Anna, baut sie Vertrauen auf. Sie schlafen gemeinsam in einem Raum, in dem Lucie nachts die traumatischen Erfahrungen in Form einer Grauengestalt heimsuchen…

Aber na ja, gääähn. Dieser komplette Prolog ist (obwohl technisch und visuell toll gemacht) dermaßen mit Horrorfilm-Klischees gespickt, das mein Hirn ihn wohl unter »ferner liefen« versenkt und vergessen hatte.

Bleibender Eindruck | zur Wirkung des Films

Der eigentliche Horror – mit einer Szene, die im Gedächtnis bleibt – beginnt nach 8 Minuten oder eher: »15 Jahre später«, so die Einblendung nach dem Titel. Wir sehen eine Familie am Frühstückstisch. Vater, Mutter, Tochter, Sohn (letzterer gespielt von Xavier Dolan, der später als gefeierter Jungregisseur reichlich berühmt werden sollte). In der Küche wird einander liebevoll geneckt.

Das Beste an einer Familie – man ist nie allein!
Das Schlechteste – man ist nie allein.

Alter Kalenderspruch

Das alltäglich-zänkisch-harmonische Beisammensein wird jäh unterbrochen, als es an der Tür klingelt. Der Vater öffnet und muss als Erster dran glauben. Wenige Minuten später ist die gesamte Familie tot. Dermaßen kalt und konsequent hingerichtet, dass etwaige Langweile ob des abgelutschten Prologs futsch ist und selbst gestandene Horror-Begeisterte gebannt vorm Bildschirm sitzen.

Der Film wird das Haus, das soeben Schauplatz eines Blutbads geworden ist, nur noch für ein paar gekonnt eingeflochtene, kurze Rückblenden verlassen. Ansonsten spielt sich die weitere Handlung eben dort ab, wo die scheinbar so harmlose Familie wohnte: Die erste Hälfte des Films ist im Erdgeschoss angesiedelt, die zweite Hälfte im Keller. Die letzte halbe Stunde ist dominiert von einem »Martyrium«, so muss man’s wohl verstehen. Das heißt: minutenlange, dumpfe Folter ohne Aussicht auf Entkommen (heißt auch: ohne Spannung). Die Hauptfigur soll im Handlungsverlauf eine Entwicklung durchmachen, so schreibt es die Erzähltheorie vor. In Martyrs besteht diese Entwicklung darin, dass die junge Frau (Morjana Alaoui) mental und körperlich gebrochen wird. Sie dient als bloßes, wort- und willenloses Objekt einer gewaltversessenen Sekte und mehr nicht.

Mädchen schlagen

In der ersten Hälfte steht diese Frau noch im Dienste ihrer Geliebten, die wiederum eine von ihren Dämonen Getriebene ist. Kurzum: Die Hauptfiguren von Pascal Laugiers Martyrs lassen sich schwerlich als Subjekte mit freiem Willen bezeichnen. Da liegt es nahe, mal einen feministischen Blick auf den Film zu werfen. Dazu die Filmbloggerin Ariel Schudson:

Was ich gesehen habe, war ein Regisseur, der sich daran aufgegeilt hat, Mädchen zu schlagen – weil er das in einem Film machen darf. Das ist… na ja, Kunst-  und Meinungsfreiheit und so, aber meine freie Meinung lautet, dass es ein armer Gebrauch dessen ist. Zumal es ein guter Film hätte werden können.

Das Konzept war verblüffend. Der erste Akt war intensiv, gut gemacht, dramaturgisch ausgefeilt und das Timing war wundervoll. Ich hab den Fucker genossen. Aber sorry. Ich denke nicht, dass das Märtyrer-Konzept dadurch vermittelt wird, dass meine Augäpfel geprügelt werden mit Bildern von ihrem zerbrechenden Körper.

Das nächste Mal, wenn jemand zu mir sagt, Martyrs sei ein verstörender Film, dann werde ich kontern müssen mit: Bitte verwechsele verstörend nicht mit abstoßend. Es ist ein schmaler Grat, und wenn der Film nur die Kontrolle über sich behalten hätte, nicht versucht hätte, einen Kotau vor den Folter-Pornografen dieser Welt zu machen, dann hätte er ein echt Meisterwerk werden können. Darüber, was man mit Gewalt, der Gedankenwelt und den Ideen von Religiosität und Schmerz machen kann.

Ariel Schudson, in: Martyrs & Misogyny: Simply Disturbing, or Disturbingly Simple? (aus dem Englischen)

Der magische Schnitt und anderer Bullshit

Noch kurz was zur inneren Logik: Diese Luke, die in den Keller führt, mit einer Leiter… vom Szenenbild her ne schöne Sache, für die Handlung ein bisschen – schwierig? Es gibt die Szene, in der Anna eine Frau aus dem Keller befreit. Letztere ist in einem fürchterlichen Zustand, abgehungert, schwach, und hat eine Metallvorrichtung an den Schädel genagelt (!) bekommen, die sie blind macht. Anna geleitet diese arme Frau, die kaum gehen und schlecht sehen kann, also durch den Keller und – Schnitt! – durchs Obergeschoss. Wie hat sie die Frau denn die Leiter hoch durch die Luke gekriegt?

Andere Szene: Anna wird im Obergeschoss von den Bösewichten an den Haaren gepackt, weggezerrt und – Schnitt! – durch den Keller weitergezerrt. Ob sie Anna an der Luke kurz losgelassen haben, damit sie selbst hinabsteigen kann? Oder haben sie Anna an den Haaren herabgelassen? Aber okay, das sind technische Details, die man ignorieren kann.

Am Ende aber versammelt sich eine Runde älterer Damen und Herren, die ihre Märtyrerin feiern wollen. Man hat Anna also so lange gefoltert und ihr schließlich die Haut abgezogen, dass sie – kurz vor ihrem Ableben – Visionen hat, die nicht von dieser Welt sind. Ich zitiere einen Vorsprecher der Sekte, der sich an die Versammelten richtet (übersetzt aus dem Englischen):

Erklärung? Zweifelsohne fragwürdig

[…] Zwischen 12:15 und 2:30 Uhr sah Anna ins Jenseits und die dahinter liegende Welt. Sie haben mich richtig gehört. Ihr ekstatischer Zustand dauerte 2 Stunden und 15 Minuten. Das war keine Nahtoderfahrung. Es gibt keinen Zweifel daran, dass ihr Märtyrertum authentisch war. Um 2:30 Uhr verließ sie den Zustand…

Stop, stop, stop, mit so einem flauschigen Nebensatz kommt ihr nicht davon! Es gab »keinen Zweifel« an den Aussagen dieser euch feindlich gesinnten, wenn überhaupt noch bei Sinnen seienden, endlos gefolterten, im Schmerzdelirium wabernden Zeugin? Warum denn nicht? Was hat sie so glaubwürdig gemacht? Abgesehen davon, dass ihr Irren sicher nur gehört habt, was ihr hören wolltet… ach, ich fürchte, mit dieser lahmen Ausrede kann man jede noch so verkorkste Story rechtfertigen: Die Protagonisten sind halt irre.

Dasselbe Argument kann Pascal Laugier aus zu seinem nächsten, noch hanebücheneren Film auftischen: Es sind halt alle irre. Ein ähnlich dämliches Argument kann Laugier anwenden, wenn die »Warum ausgerechnet Gewalt gegen Frauen?«-Frage fällt: Eine ältere Dame, das Oberhaupt der Sekte, erklärt feierlich, dass ihre langjährigen Studien ergeben hätten, dass junge Frauen für ein Martyrium am besten geeignet seien. Warum? Darum. Isso. Erklärung Ende.

Ja, ok. Find ich doof. Aber…

Das Remake: Martyrs (2015)

…es geht immer noch ein bisschen doofer. Dazu verlasse man sich einfach auf die Amerikaner und ihren Hang zu unnötigen Remakes. Ein solches gibt es natürlich auch zur Martyrs, unter demselben Titel, aus dem Jahr 2015.

Das Remake beginnt mit einem Mädchen, das von einem Industriegelände flieht. Weniger verstört und verdreckt als im Original und ohne kurzgeschorene Haare, weil, naja, ach, keine Ahnung, war wohl einfacher so. Schon während dieser Szene werden die Vorspann-Titel eingeblendet: »Directed by Kevin Goetz & Michael Goetz«. Mh, da hättet ihr euch ein »Goetz« doch schenken können, Jungs, dachte ich noch… aber siehe da: die Gebrüder Goetz hätten sich den ganzen Film schenken können. Das Remake ist in jeder Hinsicht billiger produziert, als das Original, zum Fremdschämen schlecht. Es sei denn, der Film versteht sich als Trash-Kunst à la The Asylum – aber selbst diese Filmproduktionsgesellschaft (verantwortlich für Titanic 2, Nazi Sky, Sharknado und ähnliche Perlen) würde das Martyrs-Remake vermutlich aufgrund »mangelnder Ambitionen« schelten.

Fazit zu Martyrs

Auf Festivals wurde Pascal Laugier beschimpft und gefeiert. Ich hätte vermutlich dazwischen gesessen und einfach nicht geklatscht. Der letzte Akt war mir zu stumpf, die Auflösung schlicht dämlich.

Horror sollte meiner Ansicht nach kein vereinendes Genre sein. Es muss teilen, schocken, Brüche hinterlassen in den Gewissheiten der Zuschauer*innen und ihrem Hang zu einer Art Konformismus. Horror ist grundsätzlich subversiv. Sonst sehe ich darin keinen Sinn.

Pascal Laugier

Subversiv im Sinne von aufrüttelnd, nehme ich an. Zerstörerisch, Konventionen aufbrechend, zu Streit anregend, aus dem Neues erwächst – ja! So sollte Horror sein! Allein, dass Laugiers vorheriger Film (Haus der Stimmen) zu gehaltlos und sein nachfolgender Film (The Tall Man) zu absurd ist, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Laugiers vierter und neuster Film (Ghostland) vereint die Brutalität aus Martyrs mit den Twists aus The Tall Man und funktioniert als solider Horrorfilm, seine aufwändigste und technisch beste Arbeit bis dato. Der letzte gesprochene Satz aus Ghostland scheint mir – »subversiv« hin oder her – den Antrieb von Pascal Laugier (der bisher all seine Drehbücher selbst schrieb) mehr auf den Punkt zu bringen:

I like to write storys.

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Deutscher Jugendfilmpreis 2018 – die Jury und die Gastgeberstadt http://www.blogvombleiben.de/deutscher-jugendfilmpreis-2018-die-jury/ http://www.blogvombleiben.de/deutscher-jugendfilmpreis-2018-die-jury/#respond Wed, 20 Jun 2018 07:06:38 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=3923 Anfang dieser Woche bin ich von einer Reise nach Polen heimgekehrt. Verwandte in Jawor besuchen und Jurassic…

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Anfang dieser Woche bin ich von einer Reise nach Polen heimgekehrt. Verwandte in Jawor besuchen und Jurassic World in Breslau anschauen. Schöne Städte, tolle Dinos, prima Reise. Ende der Woche geht’s gleich weiter, Richtung Hildesheim. Auch dort stehen ebenfalls Filme auf dem Programm. Allerdings kürzere Streifen von jüngeren Kreativen, beim Bundes.Festival.Film.! Nach der Sitzung der Jury im März (hier geht’s zum Rückblick) bin ich gespannt, die Köpfe hinter den Projekten kennenzulernen!

Hildesheims Tochter und Filmdeutschlands Nachwuchs

Von Freitag bis Sonntag, 22. bis 24. Juni ist das Bundes-Festival.Film. in Hildesheim zu Gast, und damit zum ersten Mal in Niedersachsen. Zur Umsetzung arbeiten Ministerien, Behörden und Facheinrichtungen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene zusammen – das hat schon Tradition: Bereits 1988 wurde das Deutsche Kinder- und Jugendfilmzentrum (KJF) mit der Durchführung dieses Festivals beauftragt, vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ, so die offizielle, etwas zungenbrecherische Abkürzung). Das Bundes.Festival.Film. ist ein Wanderfestival.

Hinter der Idee mit dem Bundes.Festival.Film. an immer neuen Austragungsorten zu gastieren, steckt der Anspruch, dass sich das Festival und die jeweiligen lokalen Veranstaltungspartner gegenseitig mit frischen Impulsen bereichern. | Thomas Hartmann, Festivalleiter / Deutsches Kinder- und Jugendfilmzentrum

Diane Krüger und die Stadt Hildesheim, dazu der Text: Deutscher Jugendfilmpreis, die Jury und die Gastgeberstadt

Impulse für die Weiterentwicklung

Im Auftakt 1988 jedenfalls wurden beeindruckende 350 Videos zu dem Wettbewerb Jugend und Video eingereicht. Ausgetragen wurde das erste Bundesfestival übrigens in Bonn, damals noch Bundeshauptstadt. Hier habe ich mal die Historie zusammengefasst: Deutscher Jugendfilmpreis – wie alles begann

Seither setzt das Festival jährlich Impulse für die Weiterentwicklung der Film- und Medienarbeit in den gastgebenden Regionen und beteiligt die jeweiligen Partner an der inhaltlichen Ausgestaltung und Organisation der Veranstaltung. In der Kulturstadt Hildesheim trifft das Bundes.Festival.Film. auf besonders engagierte Mitveranstalter und Kooperationspartner.

So heißt es in einer aktuellen Pressemitteilung zum Bundes.Festival.Film., in der auch Dr. Ingo Meyer zitiert wird, stolzer Oberbürgermeister der Gastgeberstadt Hildesheim:

Der Film ist ein zentraler und populärer Bestandteil der Kultur in Hildesheim. Dank der renommierten kulturwissenschaftlichen Studiengänge der Hochschulen gilt Hildesheim als Ideenschmiede und Ausbildungsstätte für Kunst und Kultur.

Im Jahr 2019 soll das Bundes.Festival.Film noch einmal in der Stadt Hildesheim gastieren.

Da, wo die Diane herkommt

Eine berühmte Tochter der Stadt Hildesheim ist übrigens die Schauspielerin Diane Krüger, bekannt aus Meisterwerken wie Inglorious Basterds und Mr. Nobody (beide aus dem Jahr 2009). In Mr. Nobody werden bekanntlich auf grandiose Weise die Zeitebenen aus dem Leben eines Helden (gespielt von Jared Leto) miteinander verstrickt. Wir begleiten ihn als Kind und Mann und Greis, generationsübergreifendes Storytelling, ja ja… hey, apropos Generationen!

Ein weiteres Merkmal des Wanderfestivals ist sein generationsübergreifender Ansatz. Sowohl dem Bundesministerium als auch dem Land Niedersachsen ist dieser Aspekt wichtig. Das Teamwork von jüngeren und älteren Filmemachern werten sie als demokratiebildend und bestens dafür geeignet, eine positive Gesprächskultur unter den Teilnehmenden und Gästen des Festivals zu stiften.

Who is Who – die Jury hinterm Deutschen Jugendfilmpreis

Das ist Pressemitteilungs-Deutsch für: »Hier kommen Jung und Alt ins Gespräch.« Aus Hunderten von Einreichungen schafften es nach Sichtung durch das Vorauswahl-Gremium rund 100 Filme in die Auswahl, die von der 5-köpfigen Jury im März gesichtet und besprochen wurden. Hier mal eine kleine Vorstellungsrunde der Damen und Herren, mit denen ich da vor einigen Monaten im dunklen Kämmerchen über Filme von Kindern und Jugendlichen diskutieren durfte:

Philipp Eichholtz, Stargast und alter Hase: Zum wiederholten Male in der Jury zum Deutschen Jugendfilmpreis am Start, ist Philipp Eichholtz, seinerseits gestandener Regisseur. Sein Film Rückenwind von vorn mit Victoria Schulz eröffnete in diesem Jahr die Perspektive Deutsches Kino auf der Berlinale, andere Werke von ihm (wie der wundervolle Luca tanzt leise mit Martina Schöne-Radunski) laufen bei Netflix und dem Indie Film Netzwerk realeyz. Philipps neuester Film Kim hat einen Penis wird in der Reihe »Neues Deutsches Kino« beim Filmfest München seine Weltpremiere feiern.

Ilona Herbert arbeitet als Redaktionsleiterin in der Jugendfernsehredaktion matz im Medienzentrum München, wenn sie nicht gerade in klösterlicher Abgeschiedenheit in einer Bande Filmenthusiasten Filme suchtet und ihren Senf hinzugibt. Dabei war Ilonas Perspektive bei der Jurysitzung im März stets besonders kenntnisreich: Gerade aus dem süddeutschen Raum hatte sie die jungen Filmemacher*innen, deren Werke wir sichteten, bereits auf dem Schirm und kannte sie von anderen Festivals, bei denen sie ebenfalls mit in der Jury sitzt. Sie ist auch Mitveranstalterin des Münchner Jugendfilmfests flimmern&rauschen.

Verschiedene Blickwinkel

Louis Huwald, das Jury-Küken mit dem Blick fürs Künstlerische. Louis und ich wurden als ehemalige Teilnehmer zur Jurysitzung eingeladen. Mit Grün Blau Gelbe Legosteine räumte Louis noch im Vorjahr (2017) einen der Wettbewerbs-Preise ab. In diesem Jahr entschied der frisch eingeschriebene Student an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf mit, welche Filme 2018 ausgezeichnet werden sollen. Er selbst zeichnete sich dabei durch die Fähigkeit aus, seinen eigenen Geschmack voll in den Hintergrund zu stellen und die ganz eigenen Stärken eines Werks zu bemerken. Als freischaffender Filmeditor und Montage-Student galt sein Blick dabei nicht selten dem Schnitt.

Vera Schöpfer leitet seit 2014 die Junge Akademie für Dokumentarfilm YOUNG DOGS im Dortmunder U. Damit einher geht ein Faible für Dokumentarfilm, das bei der diesjährigen, fiktionslastigen Filmauswahl ein wenig kurz kam. Vergangenes Jahr hat Vera, ihrerseits ehemalige KHM-Studentin und selbst Filmemacherin, die Geschäftsführung im Scope Institute übernommen. Dabei handelt es sich um eine gemeinnützige Bildungseinrichtung für Film und digitale Medien in Köln. Kommendes Wochenende wird Vera aber anderorts unterwegs sein: Sie ist in Hildesheim mit dabei, wenn wir Jury-Mitglieder*innen die Ehre haben, die Filmemacher*innen hinter den Werken persönlich kennenzulernen und auszuzeichnen!

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AUF WIEDERSEHEN, PAPA über Trennung | Kinderbuch 1995 | Kritik http://www.blogvombleiben.de/buch-auf-wiedersehen-papa-1995/ http://www.blogvombleiben.de/buch-auf-wiedersehen-papa-1995/#respond Sat, 16 Jun 2018 11:58:45 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=3910 Kein Abschiedskuss für Papa. Denn Tom ist wütend und gekränkt. Schon wieder wird er von ihm…

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Kein Abschiedskuss für Papa. Denn Tom ist wütend und gekränkt. Schon wieder wird er von ihm verlassen. Dabei hat er doch gar nichts getan. Teddy weiß, wie Tom sich fühlt und erzählt ihm eine Geschichte. Über das Kinderbuch Auf Wiedersehen, Papa von Brigitte Weninger und Christian Maucler.

Tom und Teddy verarbeiten die Trennung

Die Puppen fallen lassen, in den Flur laufen, dem Vater um den Hals fallen, festkrallen. Dinge, die für meine Schulfreundin zum Ritual wurden, während ich das Spektakel aus dem Türrahmen beobachtete. Und das ganze Trara mit meinen 6 Jahren nicht so ganz verstand. Mein Vater war auch toll, klar. Aber gleich so auszurasten? Dass die Gefühlswelt von Trennungskindern eine andere ist, erzählt Brigitte Weninger einfühlsam in ihrem Buch Auf Wiedersehen, Papa.

Bloggerin Sonia Kansy mit dem Kinderbuch Auf Wiedersehen, Papa

Zum Inhalt: Sehnsuchtsvoll. Das ist mein erster Eindruck vom Bilderbuch Auf Wiedersehen, Papa mit Blick auf den Titel und das Cover im Hochformat. In einer einzigen Illustration mit reduzierten Elementen gelingt es Christian Maucler, den Kern der Geschichte aufzuzeigen: Ein Junge im Schlafanzug sitzt mit angewinkelten Knien auf dem Boden, hält seinen Teddybären fest und blickt in die Ferne, zum Schatten seines Vaters. Uns kehrt er dabei die Schulter zu. Hinter ihm – wie im Spiegelbild – sitzt ein kleiner Bär, der ebenfalls mit seinem Kuscheltier seinem Papabären hinterherschaut. Deutlicher könnte ein Titelbild kaum mitteilen, dass das Thema der Kindergeschichte »Abschiednehmen« ist und gleichzeitig auf die Emotionalität der Story einstimmen. Wer dieses Buch in die Hand nimmt, sieht: Das ist kein Friede-Freude-Eierkuchen-Buch. Hier geht es um ernste Kindergefühle.

Ich fühle was, was du auch fühlst

Emotionen, die zwischen fröhlich, traurig, wütend und verletzt hin und her pendeln. Tom reagiert wie ein Kind reagiert, wenn es zwischen den Eltern hin und her gereicht wird. So hält seine Begeisterung für den Vater gerade an, bis dieser ihn wieder verlässt. Beim Abschied weicht Tom aus und verwehrt ihm einen Abschiedskuss. Den Schmerz, den Tom nachfolgend verspürt, lässt er verbal an seiner Mutter aus: »Lass mich in Ruhe!«, und verkriecht sich in seinem Bett.

Doch Tom ist nicht allein mit seiner Wut und Traurigkeit. Sein Teddybär erzählt ihm eine Geschichte, die Toms Familienleben auf fantasievolle Weise spiegelt. Eine Geschichte in der Geschichte, ein Déjà-vu mit gleichen Rollen und neuen Figuren. Denn Teddy hadert ebenfalls mit der Trennungssituation und vermisst Papabär schrecklich. Dass er immer wieder aufs Neue von seinem Vater verlassen wird, versteht Teddy nicht: »Aber ICH hatte doch keinen Streit mit Papa!« Alles sehr verwirrend für Teddy und Tom. Doch Mamabär findet die richtigen Worte, damit Teddy und Tom inneren Frieden mit ihren Vätern schließen können und sich beim Abschied auf ein Wiedersehen freuen können.

Bleibender Eindruck / Zur Wirkung des Buches:

Mit der Trennungsproblematik greift Brigitte Weninger ein sensibles Thema auf, das die zielgruppenrelevanten Kinder vor eine Herausforderung stellt. Wie mit allen heiklen Stoffen, ist das Risiko der Autorin, das Feingefühl zu verfehlen, entsprechend groß. Zumal das Buch laut Klappentext für Sprösslinge ab 3 Jahren empfohlen wird. Doch mit ihrem Debüt, das bereits 1995 erschien, beweist die Kinderbuchautorin und Pädagogin das richtige Maß an Empathie für die Zielgruppe. Das Buch ist nah an der Lebenswelt von Trennungs- und Scheidungskindern angesiedelt.

Hinweis: Ein weiteres Kinderbuch zum Thema Trennung vom Vater ist Die wichtige Dinge (2015) von Peter Carnavas.

In einfacher, kindgerechter Sprache, mit wenig Text und gleichermaßen klaren und feingezeichneten Illustrationen von Christian Maucler konzentriert sich die Handlung auf das Wesentliche, auf die Gefühlslage von Tom und Teddy, die sich von ihren Vätern abgewiesen und vernachlässigt fühlen. Ein Zustand, den Trennungskinder nachempfinden und sich mit beiden Figuren identifizieren können. Durch den Fokus auf die konfliktträchtige Vater-Sohn-Beziehung, die zwischen Freud und Leid hin und her schwankt, rückt die ernste, traurige Stimmung der Story in den Vordergrund. Aus diesem Grund empfiehlt sich das Buch auch bei älteren Kindern zum gemeinsamen Vorlesen mit den Eltern, um anschließend darüber zu sprechen.

Die ganzseitigen, teilweile collagenartigen und seitenüberlappenden Bilder unterstützen die melancholische Atmosphäre des Inhalts ideal, indem die feinen Striche und gedeckten Farben das zarte Kindsgemüt reflektieren. Der innere Konflikt des Kindes wird auf behutsame Weise gelöst, indem die Autorin Mamabär – stellvertretend für Toms Mutter – erklären lässt, was sich so schwer erklären lässt. Am Ende bleibt die eindringliche Botschaft an das Kind zur Elternliebe: »Dieses Liebhaben hört nie auf.«

Umstrittene Buchbewertungen

Um auf einige kritische Käuferstimmen (etwa bei Amazon) einzugehen: Keine Frage, der »Bösewicht« in dem Buch ist die Vaterfigur. Ob dies dem konservativen Rollenverhältnis geschuldet ist oder einfach der Geschichte, ist reine Spekulation. Emanzipierte Stimmen haben recht, die Mutterfigur hätte ebenfalls der Buhmann des Kindes sein können. In dieser Konsequenz müsste jede Geschichte auf das andere Gender übertragen werden. Für die Handlung und den Kern der Geschichte spielt es jedoch aus meiner Sicht keine Rolle, ob die Person mit dem Sorgerecht männlich oder weiblich ist. Für das Identifikationspotenzial des Kindes allerdings schon, so dass Kinder, die bei der Mutter wohnen, einen besseren Zugang zu dem Buch finden.

Was aber auch zählt, ist das Eingehen auf die innere Zerrissenheit des Kindes, welches sich von seinen Erziehungsberechtigten schmerzlich abgewiesen fühlt. Man kann die Trennung von Eltern verurteilen, wie einige Rezensenten, aber man kann ihr Vorkommen in unserer Gesellschaft nicht verleugnen. Für Kinder, die mit diesem Zustand umgehen müssen, ist es umso wichtiger, ihnen eine liebevolle Botschaft zu senden, die sie ein wenig tröstet.

Hinweis: Auf Wiedersehen, Papa wird auch in der Broschüre Kinderbücher zum Thema Trennung/Scheidung der Stadt Aachen vorgestellt (hier: Download als PDF).

Fazit zu Auf Wiedersehen, Papa

In wenigen, aber umso bedeutungsvolleren Worten und Bildern haben Brigitte Weninger und der französische Illustrator Christian Maucler mit Auf Wiedersehen, Papa ein einfühlsames Bilderbuch zum Trennungsthema kreiert. Mit Aufgreifen der Kinderperspektive bringt die Geschichte den betroffenen Kindern Verständnis und Mitgefühl entgegen und hilft, diese konfuse Situation ein wenig besser zu verstehen und mit friedlicherem Herzen »Auf Wiedersehen« zu sagen. Ein empfehlenswertes Werk zum Vorlesen für Kinder in Trennungsverhältnissen, ab 3 Jahren mit Appel an Anschlusskommunikation. Ich vergebe 8 von 10 Sternen für Auf Wiedersehen, Papa.


 

Titel Auf Wiedersehen, Papa
Erscheinungsjahr 2008 (erstmals 1995 erschienen)
Autor/Illustrator Brigitte Weninger (Autor), Christian Maucler (Illustrator)
Verlag minedition
Seiten 32 Seiten
Altersempfehlung Ab 3 Jahre

 

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Das Unbehagen der Geschlechter, Judith Butler | Buch 1991 | Zusammenfassung http://www.blogvombleiben.de/buch-gender-trouble-1990/ http://www.blogvombleiben.de/buch-gender-trouble-1990/#respond Wed, 13 Jun 2018 07:00:09 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=4167 1990 veröffentlichte die Philosophin Judith Butler ihr (nach ihrer Dissertation) erstes und bis heute bekanntestes Buch:…

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1990 veröffentlichte die Philosophin Judith Butler ihr (nach ihrer Dissertation) erstes und bis heute bekanntestes Buch: Das Unbehagen der GeschlechterGender Trouble. Es wurde bereits kurz nach dem Erscheinen von Vertreter*innen des Feminismus und der Geschlechterforschung (Gender Studies) kontrovers diskutiert.

Der Grund liegt vor allem in der These, dass neben dem sozialen Geschlecht (engl. gender) auch das körperliche Geschlecht (sex) diskursiv geformt wird, durch performative Sprechakte. Dass Natur demnach schon ein Ergebnis kultureller Erkenntnisse (und nicht diesen vorausgehend) sei, das ist diejenige Prämisse von Judith Butler, die den Zugang zu ihrem Werk Das Unbehagen der Geschlechter für viele Leser*innen erschwert.

Die Annahme, dass Körper durch Diskurse und performative Sprechakte konfiguriert werden, bedeutet jedoch nicht, dass Körper als materielle Realitäten vollständig auf Diskurse zurückführbar sind; lediglich, dass es keine von der symbolischen Ordnung unberührte körperliche Materialität gibt.

Hannelore Bublitz, in: Judith Butler zur Einführung (2002), S. 41

Vielfalt in die Kategorien katapultieren

Im Folgenden soll eine grobe Übersicht zu dem Werk Das Unbehagen der Geschlechter / Gender Trouble und den davon ausgehenden Kontroversen gegeben werden. Hier geht es zu einer Zusammenfassung des Vorworts. Ein PDF der englischen Original-Fassung Gender Trouble von Judith Butler stellt die Mexikanerin Laura González Flores bereit.

Artwork von Drag-Queen Divine, dazu der Text: Zum Wort von Gender Trouble / Das Unbehagen der Geschlechter

In der Doku Judith Butler, Philosophin der Gender (2006) des Sender arte, sinniert die Autorin über den Ursprung von Das Unbehagen der Geschlechter / Gender Trouble. Dabei geht es um ihre jüdische Familie und deren Assimilation in Amerika. Judith Butler kam 1956 in Cleveland, Ohio zur Welt. Die Familie ihrer Mutter besaß eine Kinos in Cleveland. Wie viele Jüdinnen waren sie in diese neue Industrie eingestiegen, die im 20. Jahrhundert boomte.  

Für die Generation amerikanischer Juden, die mich aufzog, bedeutete Assimilation offenbar, dass man sich den Geschlechtsrollen aus Hollywood-Filmen anzupasste. So wurde meine Großmutter zu Helen Hayes, […] mein Großvater war so etwas wie Clark Gable […].

In den späten 60ern und frühen 70ern, als ich versuchte, mit der Verteilung der Geschlechtsrollen klarzukommen, war ich mit diesen übertriebenen Rollenerwartungen konfrontiert. […] Vielleicht ist die Theorie von Das Unbehagen der Geschlechter aus meinem Versuch entstanden zu verstehen, wie meine Familie diese Hollywood-Normen verkörpert hat. Und dann auch wieder nicht. Sie versuchten sie zwar zu verkörpern, aber in gewisser Hinsicht war es ihnen gar nicht möglich.

Meine Schlussfolgerung war, dass jeder, der sich bemüht, diese Normen zu verkörpern, auf eine Weise daran scheitert, die viel interessanter ist, als ein Erfolg es sein könnte. | aus: Judith Butler, Philosophin der Gender (2006)

Das Unbehagen der Geschlechter / Gender Trouble sei eine Schrift, so Butler, in der es darum geht, wie wir als Gesellschaft gewisse Geschlechtsnormen konstruieren. In dieser Schrift wird die Geschlechtsidentität (gender) als eine Tätigkeit beschrieben. Wir stellen etwas dar, handeln in einer bestimmten Weise, sind ständig im Werden begriffen. Darüber definieren wir unsere Identität. Es geht um die Frage, auf welche Arten wir unsere Geschlechtsrollen erschaffen und was wir damit anstellen können?

Übersicht der 3 Haupt-Kapitel

Judith Butlers Buch Das Unbehagen der Geschlechter / Gender Trouble unterteilt sich in folgende 3 Kapitel.

1. Die Subjekte von Geschlecht/Geschlechtsidentität/Begehren

Das erste Kapitel handelt von »Frauen« als Subjekte des Feminismus und der Unterscheidung zwischen körperlichem Geschlecht (sex) und Geschlechtsidentität (gender). Zwei zentrale Begriffe dieses Kapitels sind die »Zwangsheterosexualität« (die gesellschaftliche Fixierung auf heterosexuelle Lebensweisen) sowie der »Phallogozentrismus« (demnach viele Festlegungen dessen, was in der Gesellschaft als »weiblich« gilt, von Männern ausgehen). Ist zum Beispiel die »Frau« nur eine sprachlich konstruierte Geschlechter-Kategorie und die Sprache selbst phallogozentrisch? So sieht es die Psychoanalytikerin Luce Irigaray.

Luce Irigarays grundlegendes Argument ist, dass Philosophie seit Platon – und sogar schon vor diesem – auf der Idee eines singulären, operierenden Subjekts beruht, das seine Umwelt betrachtet und zu verstehen versucht – als einzelnes Subjekt; und dass darin die Auslöschung von Unterschieden begründet liegt, und des Weiblichen.

Isabelly Hamley, in: Luce Irigaray by Isabelle Hamley (YouTube, 02:40)

Neben Luce Irigaray geht es um die Schriftstellerin Monique Wittig. Diese stellte die These auf, dass »das Weibliche« das einzige Geschlecht sei, das in einer Sprache repräsentiert wird, die das Weibliche mit dem Sexuellen verknüpft. Wittig ist der Ansicht, dass nur die leiblichen Personen, die keine heterosexuellen Beziehungen im Rahmen der Familie (mit dem Zweck der Fortpflanzung als dem Telos der Sexualität) unterhalten, die Kategorien des Geschlechts anfechten oder zumindest in keiner Komplizenschaft stehen. Butler schreibt über Wittig:

In Erwiderung auf Beauvoirs These »Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es«, stellt Wittig die Behauptung auf, daß man, anstatt eine Frau zu werden, eine Lesbierin werden kann. Indem sie die Kategorie »Frau(en)« zurückweist, schneidet Wittigs lesbischer Feminismus scheinbar jede Art von Solidarität mit den heterosexuellen Frauen ab […]. 

Was für ein tragischer Fehler ist es […], eine schwule/lesbische Identität durch dieselben Mittel der Ausschließung zu konstruieren, als würde das Ausgeschlossene nicht gerade durch seine Ausschließung stets vorausgesetzt und damit sogar für Konstruktion dieser Identität erfordert. | S. 188-189

Jede Matrix, der eine Binarität zugrunde liegt, (ob nun weiblich/männlich oder lesbisch/schwul), verwirft diejenigen Subjekte, die sich in dieser Matrix nicht unterbringen lassen. Die verworfenen Subjekte werden zum »Anderen«, durch dessen Ausschließung sich die Subjekte innerhalb der Matrix konstituieren.

Das Verworfene [the abject] bezeichnet hier genau jene »nicht-lebbaren« und »unbewohnbaren« Zonen des sozialen Lebens, die dennoch dicht bevölkert sind von denjenigen, die nicht den Status des Subjekts genießen, deren Leben im Zeichen des »Nicht-Lebbaren« jedoch benötigt wird, um den Bereich des Subjekts einzugrenzen. Diese Zone der Unbewohnbarkeit wird die definitorische Grenze für den Bereich des Subjekts abgeben.

Judith Butler, in: Körper von Gewicht (1997), S. 23

Fragen, die in diesem Kapitel zu erörtern sind:

Wie bringt Sprache selbst die fiktive Konstruktion des »Geschlechts« hervor, die diese verschiedenen Macht-Regime (Zwangsheterosexualität, Phallogozentrismus) trägt? (als solche werden Zwangsheterosexualität und Phallogozentrismus verstanden  in ihnen bündelt sich gesellschaftliche Macht)

Welche Kontinuitäten zwischen Geschlecht (sex), Geschlechtsidentität (gender) und Begehren suggeriert eine Sprache unterstellter Heterosexualität? Sind diese Begriffe eventuell diskret, also in ihrer jeweiligen Bedeutung gar nicht stetig fest und eindeutig bestimmt?

Und wenn Geschlecht, Geschlechtsidentität und Begehren nicht fest bestimmt sind, welche kulturellen Verfahren bringen ihre angeblichen Beziehungen ins Wanken?

2. Das Verbot, die Psychoanalyse und die Produktion der heterosexuellen Matrix

Das zweite Kapitel behandelt unter anderem das Inzesttabu. Dieses untersagt in fast allen Kulturen sexuelle Beziehungen zwischen Blutsverwandten. Das Verbot kann als ein Mechanismus dargestellt werden, der innerhalb eines heterosexuellen Rahmens versucht, bestimmte Geschlechtsidentitäten (gender identities) zu erzwingen. So lässt es sich in strukturalistischen, psychoanalytischen und feministischen Schriften darstellen, drei Perspektiven, die Judith Butler hier vorgestellt.

Sie unterzieht das Inzesttabu einer Kritik vermittels der Repressionshypothese von Michel Foucault. Die Repressionshypothese besagt, dass Macht repressiv individuelle Triebregungen und -äußerungen zurückdränge. Im Fall des Inzesttabus besteht die Repression in einem Verbot inzestuöser Handlungen, womit aber – indirekt – die Zwangsheterosexualität in der männlich bestimmten Sexualökonomie bestärkt wird. Gleichzeitig eröffnet das Inzesttabu eben diese Sexualökonomie jedoch auch für Kritik.

Des Weiteren werden im zweiten Kapitel die Begriffe »Identität«, »Identifizierung« und »Maskerade« analysiert. Sowohl im Werk der Psychoanalytikerin Joan Riviere als auch in anderen Theorien der Psychoanalytik. Fragen, die in diesem Kapitel zu erörtern sind:

Können psychoanalytische Theorien für eine Darstellung der komplexen geschlechtlich bestimmten »Identitäten« angewendet werden?

Handelt es sich bei der Psychoanalyse um eine anti-fundamentalistische Theorie, die sexuelle Vielschichtigkeit bejaht, womit die hierarchischen sexuellen Codes unserer Gesellschaft de-reguliert werden?

Oder arbeitet die Psychoanalyse eben zugunsten dieser Hierarchien, indem sie einen Komplex von Voraussetzungen über Identitätsgrundlagen aufrecht erhält?

3. Subversive Körperakte

Das dritte Kapitel von Das Unbehagen der Geschlechter / Gender Trouble unterzieht zunächst die Konstruktion des mütterlichen Körpers bei der Psychoanalytikerin und Schriftstellerin Julia Kristeva einer Kritik. Butler verweist auf die impliziten Normen, die Kristevas Ausführungen zu Geschlecht und Sexualität zuweilen zugrunde liegen. Ein Beispiel von Butlers Beobachtungen:

Scheinbar akzeptiert Kristeva […] den Begriff einer primären Aggression und unterscheidet die Geschlechter je nach dem primären Objekt der Aggression […]. Daher versteht Kristeva die männliche Position als nach außen gerichteten Sadismus, während die weibliche Position ein nach innen gerichteter Masochismus ist. | S. 230

Für diese Kritik zieht Butler wieder den Philosophen Michel Foucault heran. Jedoch nicht, ohne auch Kritik an diesem zu formulieren und auf Widersprüche in seinem Werk hinzuweisen. Butler unterstellt Foucault eine »radikale Fehllektüre« der Tagebücher des intersexuellen Herculine Barbin, die Foucault entdeckte und veröffentlichte. Sowohl Foucault als auch Barbin vertraten, laut Butler, der Ansicht, dass Sexualität »außerhalb jeglicher Konvention« steht. Butlers Meinung nach hingegen sei die Sexualität »gerade von diesen Konventionen geprägt«. Foucaults Lesart von Barbins Tagebüchern verkenne…

…wie diese Lüste immer schon in das zwar unausgesprochene, aber durchgängig wirksame Gesetz eingelassen sind und gerade durch das Gesetz erzeugt werden, dem sie sich angeblich widersetzen. […]

Foucault, der nur ein einziges Interview zur Homosexualität gab und sich dem Moment der Beichte in seinem eigenen Werk stets widersetzt hat, präsentiert uns Herculines Geständnis in einer unverhohlen didaktischen Art und Weise. Handelt es sich hier vielleicht um eine verschobene Beichte, die auf eine Kontinuität oder Parallele zwischen seinem und ihrem Leben verweist? | S. 148, 152

Aller Kritik zum Trotz erweist sich Foucaults Auseinandersetzung mit der Kategorie des Sexus (die differenzierte Ausprägung eines Lebewesens bezüglich seiner Rolle bei der Fortpflanzung) als hilfreich, um zu Butlers Zeiten aktuelle, medizinische Fiktionen als solche zu entlarven.

Außerdem thematisiert Butler Wittigs Vorschlag einer »Desintegration« kulturell konstituierter Körper, deren Morphologie selbst eine »Folgeerscheinung des hegemonialen Begriffsschemas« sei. Mit Rückgriff auf Mary Douglas und einmal mehr Julia Kristeva schreibt Butler hier auch über die Begrenzung und Oberfläche von Körpern als politische Konstruktion.

Die Aufgabe von Das Unbehagen der Geschlechter

Zuletzt schlägt Judith Butler einige parodistische Praktiken vor, die auf einer performativen Theorie der Geschlechter-Akte (gender acts) beruhen. Akte, welche die Kategorien des Körpers und Geschlechts, der Geschlechtsidentität und Sexualität ins Wanken bringen. Ziel ist es, diese Kategorien zu resignifizieren (neu zu bezeichnen) und eine Vervielfältigung innerhalb des binären Rahmens herbeizuführen.

Die Aufgabe [von Das Unbehagen der Geschlechter / Gender Trouble] ist, sich auf solche definierenden Institutionen: den Phallogozentrismus und die Zwangsheterosexualität zu zentrieren – und sie zu dezentrieren. | Vorwort, S. 9

Wichtige Namen/Personen aus Das Unbehagen der Geschlechter / Gender Trouble:

Simone de Beauvoir · Jacques Derrida · Mary Douglas · Michel Foucault · Sigmund Freud · Luce Irigaray · Franz Kafka · Julia Kristeva · Jacques Lacan · Claude Lévi-Strauss · Friedrich Nietzsche · Joan Riviere · Jacqueline Rose · Jean-Paul Sartre · Joan Scott · Monique Wittig · uvm.

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