Review – Blog vom Bleiben http://www.blogvombleiben.de Kinderbücher, Kinofilme und mehr! Thu, 04 Oct 2018 10:18:48 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 http://www.blogvombleiben.de/wp-content/uploads/2017/03/Website-Icon-dark.png?fit=32,32 Review – Blog vom Bleiben http://www.blogvombleiben.de 32 32 138411988 COCO CHANEL – DER BEGINN EINER LEIDENSCHAFT | Film 2009 | Kritik http://www.blogvombleiben.de/film-coco-chanel-2009/ http://www.blogvombleiben.de/film-coco-chanel-2009/#respond Tue, 31 Jul 2018 07:00:15 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=4530 Ein Biopic über Coco Chanel von ihrem Einzug ins Waisenhaus bis zu ihrem Einzug in die…

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Ein Biopic über Coco Chanel von ihrem Einzug ins Waisenhaus bis zu ihrem Einzug in die Modewelt, wobei man über beiderlei Hintergründe ähnlich wenig erfährt: Das ist Coco Chanel – Der Beginn einer Leidenschaft. Während die Kindheit und Jugend der größten Modeschöpferin des 20. Jahrhunderts in einem Dunkeln liegen, dass Coco selbst nicht aufhellen wollte, ist vieles über ihre ersten Karriere-Schritte in Paris bekannt. Da kommt es nur auf den Fokus an.

Die fabelfreie Welt der Rebellin

Hinweis: Aktuelle Streamingangebote zu Coco Chanel – Der Beginn einer Leidenschaft finden sich bei JustWatch.

Audrey Tautou als Coco Chanel | Bild: Warner Bros. France

Totale: Coco im Zusammenhang

Cineastischer Kontext

Manche Leben sind zu groß für die Leinwand, oder vielmehr: für eine herkömmliche Filmlänge. Selten bietet es sich da an, solche Leben in ihrer Gesamtheit einzufangen, von der Kindheit bis zum Tod. Mit Amadeus (1984) über Wolfgang Amadeus Mozart ist es dem Regisseur Miloš Forman gelungen. Doch der exzentrische Komponist wurde auch nur 35 Jahre alt. Und der Director’s Cut dieser Filmbiografie dauert knapp dreieinhalb Stunden. Coco Chanel hingegen ist 87 Jahre alt gewesen, als sie 1971 altersschwach im Hotel Ritz starb, wo sie die letzten drei Jahrzehnte gewohnt hatte. Da verwundert es nicht, wenn sich ein weniger als zwei Stunden langer Film nur auf einen Lebensabschnitt seiner Heldin konzentriert. In diesem Fall also: der Beginn einer Leidenschaft.

Im selben Jahr wie Coco Chanel – Der Beginn einer Leidenschaft von Anne Fontaine erschien Jan Kounens Film Coco Chanel & Igor Stravinsky. Letzterer setzt inhaltlich ungefähr dort an, wo Ersterer aufhört. Trotzdem handelt es sich dabei nicht um ein Sequel, sondern die eigenständige Adaption des gleichnamigen Romans von Chris Greenhalgh. Ich selbst habe den zweiten Film (mit Schauspieler Mads Mikkelsen als Stravinsky) noch nicht gesehen und überlasse mal der Bloggerin Andressa Lourenço (Miss Owl) eine kurze Stellungnahme:

Die beiden Filme ergänzen einander und erschaffen auf diese Weise erfolgreich ein Porträt von Chanel als Figur, die Generationen inspiriert hat – innerhalb und außerhalb der Mode. Nicht nur aufgrund ihres kritischen Blicks, sondern durch ihre Persönlichkeit: vieldeutig, ironisch, erfinderisch, ruhelos und stur. | Hier geht es zu Lourenços ausführlichem Vergleich der Filme (englisch)

Persönlicher Kontext

Sonia hat sich ein Buch zugelegt, Good Night Stories for Rebel Girls: 100 außergewöhnliche Frauen. Als es mit der Post kam und wir durch die kunstvollen Illustrationen blätterten, die jede Kurz-Biografie darin begleiten, blieben wir an Coco hängen: »Es war einmal ein Mädchen, das lebte in einem Kloster in Zentralfrankreich, umgeben von schwarzweiß gekleideten Nonnen…« – und gegenüber vom Text eine schwarzweiße, abstrakte Illustration von Karolin Schnoor, die eine elegante Coco zeigt, knallrote Lippen, mit ihrer Perlenkette spielend.

Kurzum: Die Doppelseite hat uns neugierig auf die Modeschöpferin gemacht. Und aus dieser spontanen Laune heraus haben wir uns noch am selben Abend den Film angeschaut.

Fokus: Coco im Fokus

Erster Eindruck | zum Inhalt des Films

Die Filmbiografie über Gabrielle Chanel (so zunächst ihr Name) beginnt 1893 mit einem Schwenk von der Puppe in den Händen eines Mädchen auf das Gesicht desselben. Es liegt mit seiner schlafenden Schwester auf der Ladefläche einer Kutsche, die sich einem großen, grauen Bau nähert. Durch die Holzlatten seitlich der Kutsche betrachtet das Mädchen, was für die nächsten Jahre sein Zuhause werden soll.

Die Kamera nimmt Gabrielles Point of View ein. Die Vorspanntitel werden schlicht aber kunstvoll zwischen den Holzlatten der Kutsche eingeblendet und weggewischt. Dazu ein zarter Piano-Score, ohne ein gesprochenes Wort. Auch nicht, als das Mädchen dem Kutscher einen letzten Blick zuwirft. Ein rauchender Mann, der sich nicht nochmal zu ihr umdreht. Das Mädchen wird von schwarzweiß gekleideten Nonnen in das Gebäude geführt.

Nach nur zwei sehr kurzen Szenen im Waisenhaus, die Gabrielle als melancholisches Kind zeigen, springt der Film 15 Jahre weiter. Nach Moulins in der Auvergne, 1908, wo sie im Grand Café mit ihrer Schwester als Sängerin arbeitet. Hier wird Gabrielle erstmals von der Schauspielerin Audrey Tautou gespielt. Sie bekommt den Spitznamen »Coco« und lernt Étienne Balsan kennen, einen Industriellensohn, der Cocos Eintrittskarte in die Welt der Schönen und Reichen ist.

Bleibender Eindruck | zur Wirkung des Films

Um einen Fuß in die Tür zu dieser Welt zu bekommen, bedarf es einiger Eigeninitiative seitens Coco. Und Beharrlichkeit, um in dieser Welt auch zu bleiben und mehr zu sein, als schmückendes Beiwerk.

Die Aufnahme in eine Biografie-Sammlung voller Rebellin erscheint sehr passend, wenn man diesen Film sieht: Audrey Tautou spielt Coco in geradezu bruchlos rebellischer Attitüde, sei es in ihren Umgangsformen, ihren Worten oder eben ihrer Mode. Letztere ist zwar immerzu präsent, an Cocos Körper und später auch an denen ihrer ersten Kundinnen, und auch Cocos Sinn fürs Modische begleitet subtil die Filmhandlung. Doch diese legt den Fokus doch deutlich auf Cocos Verhältnis zu den Männern. Zunächst ist da besagter Balsan, später noch dessen Freund Arthur »Boy« Capel.

Insbesondere Letzterer ermöglichte es Coco, mit ihrer Mode eine Geschäftstätigkeit zu starten und ein Atelier in Paris zu eröffnen. Wie sich das genau vollzieht, diese ersten Karriere-Schritte als Geschäftsfrau, das kommt in dem Film Coco Chanel – Der Beginn einer Leidenschaft für mein Empfinden zu kurz. Überhaupt ist Cocos »Leidenschaft« kaum zu spüren. Sie strebt konstant nach Unabhängigkeit, aber das hätte wohl auch auf anderem Wege geschehen können. Dass Coco für die Mode brannte, das stellt dieser Film jedenfalls nicht dar. Ich weiß zu wenig über die echte Coco Chanel und ihre Art, um beurteilen zu können, ob Audrey Tautous reserviertes Spiel die Persönlichkeit gut trifft.

So läuft’s eben nicht

Man kann diesen Aspekt des Biopics auch anders sehen, etwa durch die Augen des filmkundigen Roger Ebert:

Sie hatte einen visionären Sinn für die Mode, ja, aber wir bekommen das Gefühl, das davon nicht ihr Erfolg abhing. Sie arbeitete viel, behandelte Menschen auf realistische Weise, führte harte Verhandlungen und sah Mode als Job, nicht als Karriere oder Berufung. Dies zu unterstreichen, macht den Film umso fesselnder. Wir haben genug Filme über Heldinnen gesehen, die getragen wurden vom Schwung ihres gesegneten Schicksals. Das ist nicht, wie es läuft. |  Filmkritiker Roger Ebert (aus dem Englischen übersetzt)

Dramaturgisch ist der Film eher flach geraten, unaufgeregt, kann man wohlwollend sagen. Er fühlt sich wie eine überlange Downton-Abbey-Folge an – aber: eine gute Folge. Vor allem Balsan (grandios gespielt von Benoît Poelvoorde) und Cocos Freundschaft zu diesem Mann bekommen in vielen, schönen Szenen eine bemerkenswerte Tiefe.

Der Trailer zum Film

Schon während des Films, spät in der zweiten Hälfte, kam mit der Gedanke, wie man daraus wohl einen spannenden Trailer zusammen geschnitten hat? Danach habe ich mir den Trailer angesehen, nicht überrascht, dass größere Wendungen der Geschichte darin vorweggenommen werden. Zum Einstieg in den Trailer hat man sogar die letzte Einstellung des Films (!) gewählt. Das ist insofern ein Unding, als doch manch Zuschauer*in (schließe ich mal von mir auf andere) die Bilder aus dem Trailer wie Ankerpunkte im Hinterkopf hat, beim Betrachten des Filmes. Wenn dann eine der markantesten Aufnahmen bis zum Schluss auf sich warten lässt, verpufft dessen Wirkung in dem enttäuschten Aha-Effekt: schau an, da ist es ja… Ende.

Dunkle Seiten

Der Film zeigt Gabrielle Chanels Weg aus der Armut in die High Society, von der jungen Hut-Macherin zu ihrer ersten Catwalk-Show. Doch er schreckt davor zurück, die dunkle Episode ihres Lebens zu zeigen – ihre Affäre mit einem Nazi-Offizier im Pariser Ritz während der Besatzungszeit. Ebenso verfehlt der Film einen Einblick ins Chanels Versuch, die Gesetze gegen jüdisches Geschäftswesen zu nutzen, um der Wertheimer-Familie die Kontrolle über deren Parfüm-Herstellung zu entreißen. | Ben Leach (The Telegraph)

Einen mit 7 Minuten super-kurzweiligen Überblick von Coco Chanels Weg zur Stilikone inklusive dunklerer Seiten bietet dieses Video, durch das die Schauspielerin und Vloggerin Nilam Farooq führt:

Fazit zu Coco Chanel – Der Beginn einer Leidenschaft

Die Filmbiografie über die frühen Jahre der Modeschöpferin Coco Chanel ist ein wenig unbefriedigend. Zumindest mit der Erwartungshaltung, den Beginn einer Leidenschaft zu sehen. Denn Leidenschaft im Sinne einer ergreifenden Emotion, einer großen Begeisterung für etwas, das sprüht Audrey Tatou als Coco Chanel nicht aus. Doch vermutlich ist sie damit näher an der Wirklichkeit, als die Zuschauer*innen es gerne hätten. Was dieser Film bietet, ist ein hochwertig inszeniertes Biopic über eine rebellische Frau, die sich den Umgangsformen ihrer Zeit wirkungsvoll widersetzt. Kulissen, Kostüme und Schauspiel, all das ist erstklassig und machen Coco Chanel – Der Beginn einer Leidenschaft unterm Strich zu einem guten Film.


Weitere Filmkritiken:

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ASTERIX IM LAND DER GÖTTER | Film 2014 | Kritik, Review http://www.blogvombleiben.de/film-asterix-im-land-der-goetter-2014/ http://www.blogvombleiben.de/film-asterix-im-land-der-goetter-2014/#respond Mon, 30 Jul 2018 05:00:48 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=4439 »Wer Asterix-sozialisiert ist«, schreibt Christine Paxmann im aktuellen Eselsohr (Heft 7, 2018), »wird sicher noch die ersten…

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»Wer Asterix-sozialisiert ist«, schreibt Christine Paxmann im aktuellen Eselsohr (Heft 7, 2018), »wird sicher noch die ersten Ausgaben im Schrank haben.« Band 1, Asterix der Gallier, kam 1968, passend zu Paxmanns Schulstart. »Da waren die Figuren noch nicht stromlinienförmig, auch wenn das bei den beleibten Herren der gallischen Antike eh schwierig ist.« Aber, wie die Zeit vergeht: Inzwischen werden die beleibten Herren der gallischen Antike im digitalen Animationsprogramm gestaltet. Der Blog-vom-Bleiben-Gastautor Markus Hurnik hat sich den ersten computer-animierten Asterix-Film aus 2014 nochmal angesehen.

Gastbeitrag von Markus Hurnik

Hinweis: Liebe Leser*innen, dieser Beitrag enthält keine Spoiler. Aktuelle legale Streamingangebote finden sich bei JustWatch.

Asterix im Land der Götter: Topaktuell und spannend. Er garniert die weltpolitische Lage mit einer Prise Humor, zeigt einem aber auch die aktuellen Probleme und Missstände auf. Sei es Flüchtlinge, Migration, Gentrifizierung, Integration und Widerstand.

Asterix im Land der Götter, schüttelt einem Mann die Hand. | Bild: M6 STUDIO / BELVISION / M6 FILMS / SNC / LES ÉDITIONS ALBERT RENÉ / GOSCINNY-UDERZO

Erstmals in der dritten Dimension

Der Film Asterix im Land der Götter wurde bereits 2014 veröffentlicht. Er ist der erste 3D-Animationsfilm der Reihe. Viele haben vermutlich in den letzten Jahren irgendwann aufgehört zu verfolgen, wann neue Asterix-Filme veröffentlicht wurden, da die Filme mit echten Schauspieler*innen teilweise doch einigen Missmut hinterlassen haben. Sie konnten das asterix‘sche Flair nie richtig einfangen. Wer erinnert sich nicht an das Fiasko Asterix und Obelix gegen Caesar, in dem der Humor auf der Strecke blieb? Doch der neue Film der Reihe gibt einem wieder einen Grund ins Kino zu gehen bzw. die Blu-ray zu erwerben. Asterix im Land der Götter basiert auf dem 17. Comic der Reihe – der Trabantenstadt

Ansehnliche Animationen, ein schönes Farbbild und eine typische Asterix Geschichte sind zu erwarten.

Feinde ihrer selbst

Zum Inhalt: Der Film ist in Gallien angesiedelt. Caesar hegt wieder einmal Pläne, wie er das Dorf der Gallier*innen sich zu eigen machen kann. Ein kaltblütiger Plan soll her und man entscheidet sich zu dem Bau einer Trabantenstadt – dem Land der Götter (und Göttinnen). Das gallische Dorf wiederum soll dadurch in die Defensive gerückt werden und nach und nach zum unbedeutenden Vorort verkommen, welcher sich nach und nach integriert. Dabei wird die Bevölkerung des gallischen Dorfes auf eine harte Probe gestellt. Seine gesellschaftlichen Strukturen drohen zu zerfallen beziehungsweise die Dorfbewohner*innen die Feinde ihrer selbst zu werden.

Alles findet seinen Platz Asterix im Land der Götter und wird wunderbar humorvoll und amüsant in Szene gesetzt.

Das Schwein zwischen den Fronten

Dem neuen Animationsstil ist es auch zu verdanken, dass die Keilereien zwischen Römer*innen und Gallier*innen (*und eigentlich kloppen sich doch nur die Kerle) endlich wieder so sind, wie man Sie aus den alten Filmen kennt. Mal ragt eine Hand aus dem Gemenge, ein Römer fliegt über das Feld oder ein Wildschwein kommt zwischen die Fronten. Und alles wirkt schön unrealistisch und verspielt, wie es sein muss!

Man kann sagen, Asterix ist endlich im 21. Jahrhundert angekommen! Dafür ist vermutlich der zweite Regisseur Louis Clichy verantwortlich, der bereits einige Pixar-Filme prägte, wie WALL·E (2008) oder Oben (2009).

Asterix im Land der Götter auf Deutsch

Leider gibt es aber auch unschöne Aspekte. So ist die deutsche Synchronisation zum Teil etwas gewöhnungsbedürftig. Milan Peschel gefällt mir einfach nicht als Asterix. Der Charakter kommt einem teilweise so fremd vor, als würde die eigene Stimme nicht an Ihn glauben.

Der Humor kommt dagegen überhaupt nicht zu kurz. Schöne Szenen im römischen Dampfbad und auch szenische Darstellung holen sowohl das ältere Publikum, als auch den jungen Filmfan ab. Viel Witz spielt sich auch zwischen den Zeilen ab, hier muss man vermuten, dass durch die Synchronisation eventuell noch mehr verloren gegangen ist, dies bleibt aber vorerst Spekulation. Genug Ironie und dialogischen Feinschliff hat die Übersetzung auf alle Fälle mitgebracht. Passierschein A38 lässt grüßen.

Mit dem Zaubertrank auf die Couch!

Die 3D-Umsetzung kann leider nicht weiter bewertet werden. Ich durfte den Film im heimischen Heimkino genießen und war daher auf 2D angewiesen. Jedoch ist anzunehmen, dass die 3D-Umsetzung nur für Hardcore-3D-Fans absolut notwendig ist, der durchschnittliche Zuschauer dürfte mit der 2D-Variante sehr gut versorgt sein.

Holt Euch daher Euren Lieblingszaubertrank auf die Couch und fallt zurück in Eure Kindheit. Ihr werdet es nicht bereuen und viel Spaß und Freude mit Asterix im Land der Götter haben.

Und wem das alles nicht genug ist, der kann sich auf 2019 freuen. Der Regisseur Alexandre Astier arbeitet bereits an seinem neuen Asterix – The Secret of the Magic Potion, welcher 2019 in Deutschland erscheinen wird.


Zum Autor

Markus Hurnik (28), langjähriger Berliner und Vorortbewohner, den es beruflich inzwischen zunehmend in sächsische Gefilde verschlägt. Er hat in seinen frühen Jahren für die Verlagsgruppe Randomhouse Jugendbücher rezensiert. Anfang der 2000er kam er vermehrt ins Kino und wurde filmabhängig. Studiert hat Hurnik etwas vollkommen Kunstfernes, vis-à-vis der Filmstudios Babelsberg.

Stammkino: Cineplex Titania Palast, Berlin
Lieblingskinos: Programmkino Ost, Dresden Thalia, Potsdam
Lieblingsfilme (eine Auswahl): La Grande Bellezza, Metropolis, Three Billboards Outside Ebbing, Missouri, WALL·E, Train to Busan

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GATTACA über Designer-Babys und Gentechnologie | Film 1998 | Kritik, Review http://www.blogvombleiben.de/film-gattaca-1998/ http://www.blogvombleiben.de/film-gattaca-1998/#respond Fri, 27 Jul 2018 07:00:35 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=4397 Der Neuseeländer Andrew Niccol war noch keine 30 Jahre alt, als er das Drehbuch zu Die Truman…

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Der Neuseeländer Andrew Niccol war noch keine 30 Jahre alt, als er das Drehbuch zu Die Truman Show (1998) schrieb und an einen Produzenten verkaufte. Der junge Mann bekam »extra money« dafür, dass er von seinem Wunsch, auch die Regie zu führen, zurücktrat und einen erfahreneren Regisseur walten ließ. Niccol stimmte zu, zog sich zurück und schrieb das Drehbuch zu Gattaca. Dieses Mal ließ er sich die Regie nicht nehmen und setzt sein Skript selbst um. Schließlich kam Gattaca sogar noch ein Jahr vor Die Truman Show in die amerikanischen Kinos.

Mutter Natur und ihre Beta-Babys

Die Truman Show entpuppte sich als cineastisches Verbindungsglied zwischen orwellschen Überwachungsdystopien und dem Big-Brother-Realitätsfernsehen der 2000er Jahre. Inzwischen, im Jahr 2018, hat sich Die Truman Show überholt. Die Vorstellung, dass wir von Geburt bis Tod als Teil eines medialen Spektakels mit globalem Publikum geworden sind, ist gelebte Wirklichkeit geworden. Mit YouTube-Kanälen, auf denen Eltern die ersten Schritte ihrer Kinder dokumentieren, zelebrieren und für höhere Klick- und Abo-Zahlen inszenieren.

In den 2010er Jahren können wir sagen, dass auch Gattaca zur Gegenwart wird. In seinem jüngsten Report hat das Nuffield Council of Bioethics – eine renommierte, britische Organisation, die sich mit bioethischen Fragen beschäftigt – der Einflussnahme auf das Genmaterial menschlicher Embryos grünes Licht gegeben, es sei »moralisch zulässig«.

Die Schauspieler Uma Thurman und Ethan Hawke in dem Film Gattaca

Inhalt: Gattaca handelt von einem natürlich gezeugten Baby, Jungen, Mann (gespielt von Ethan Hawke) in einer »nicht allzu weit entfernten Zukunft«, in der natürlich Gezeugte bereits die Unterschicht der Gesellschaft darstellen. Unter falscher Identität versucht dieser unperfekte Mensch, seinen Traum zu erfüllen.

Hinweis: Diese Kritik enthält keine konkreten Spoiler zu Gattaca. Allein im vorletzten Absatz, »Zur Position des Films«, wird ein Hinweis darauf gegeben, in welche Richtung das Filmende tendiert.  Aktuelle legale Streamingangebote gibt’s wie gehabt bei JustWatch.

Totale: Gattaca im Zusammenhang

Historischer Kontext

Manche Filme kommen also ins Kino, um vom Tag ihrer Veröffentlichung an immer aktueller zu werden. Manche über die Jahre – das Zukunftsszenario aus Her (2013) von Spike Jonze nähert sich rasant unserer alltäglichen Realität. Andere über die Jahrzehnte. Als Gattaca im Jahr 1997 in die amerikanischen Lichtspielhäuser kam, floppte er an den Kinokassen. Obwohl von Kritiker*innen unmittelbar gut aufgenommen, brauchte es seine Zeit. Bis sein Thema für ein immer breiteres Publikum eine immer größere Toleranz bekam. Heute, 20 Jahre nach seinem Kinostart in Deutschland, genießt der Film Gattaca einen gewissen Kultstatus.

Inzwischen leben wir in einer Zeit, da die Kreation von Designer-Babys keine Frage des »Ob«, kaum einmal mehr des »Wann« ist. Sondern nur noch die »Wie genau«. Und die ethischen Bedenken, von denen es jetzt noch abhängt, haben den Menschen in seiner Geschichte auf lange Sicht noch nie am Fortschritt gehindert.

Weil […] Alter und Tod die Folge von nichts anderem als eben spezifischen Problemen sind (Organversagen etc.), gibt es keinen Punkt, an dem Ärzt*innen und Forscher*innen aufhören und erklären: »Bis hierher und keinen Schritt weiter. Wir haben die Tuberkulose und den Krebs besiegt, aber wir werden keinen Finger krümmen, um Alzheimer zu bekämpfen. Die Menschen können weiterhin daran sterben.« | Yuval Noah Harari, Homo Deus

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte spreche nicht davon, die Menschen hätten ein »Recht auf Leben bis ins Alter von 90 Jahren.«

Sie spricht davon, der Mensch habe ein Recht auf Leben. Punkt. Dieses Recht hat kein Verfallsdatum. | s.o.

Persönlicher Kontext

Mag sein, dass ich zu viel Harari und Haraway gelesen habe oder meine Vorstellungen von Dataismus und Transhumanismus naiv sind. Selbst beim Betrachten eines Films wie Gattaca spüre ich eine angenehme Aufregung im Anbetracht des Potentials, das solch gentechnologischer Fortschritt entfesselt. Unsere Ängste und Sorgen machen Sinn in dieser Übergangsphase, die vielleicht noch 100 Jahre dauern mag (und somit die Lebenszeit von uns und unseren unmittelbaren Nachkommen umfasst) – da wird es gesellschaftliche Konflikte und ethische Verwerfungen geben. Ungerechtigkeiten ohne Ende – aber wenn wir zurückschauen, sehen wir denn ihren Anfang?

Ungerechtigkeit (und damit: Ungleichheit) haben das Leben immer begleitet. Wenn überhaupt, dann stecken in den gentechnologischen Fortschritten die Möglichkeiten, Ungleichheit zu überwinden. Ob das gut oder schlecht ist, steht als Frage nicht wirklich zur Diskussion, sondern eher als abzuwartende Aussicht im Raum, die von jedem Standpunkt zu jeder Zeit unterschiedlich erscheinen wird.

Close-up: Gattaca im Fokus

Erster Eindruck | zum Inhalt des Films

Betrachte das Werk Gottes; wer kann begradigen, was er krumm gemacht hat? | Buch Kolehet 7,13

Ich glaube nicht nur, dass wir an Mutter Natur herumpfuschen werden. Sondern ich glaube auch, dass die Mutter es will. | Willard Gaylin, Gründer des bioethischen Recherche-Instituts The Hastings Center

Mit diesen beiden Zitaten beginnt Gattaca und schlägt damit noch vor seinem ersten Bild den Bogen über 2000 Jahre Entwicklungsgeschichte des Menschen: Von der gefühlten Ohnmacht, die in der Antike (das Buch Kolehet stammt aus dem 3. Jahrhundert vor Christus) wie zu jeder Zeit davor und lange danach im ehrfürchtigen Glauben ans Übermächtige mündete, bis in das Zeitalter, da der Mensch sein Schicksal selbst in die Hand nimmt. Aus dem simplen Grund, dass Homo Sapiens es jetzt kann. Die Macht und damit des göttlichen wichtigste Eigenschaft – wenn nicht das Göttliche an sich – hat auf des Menschen Seite gewechselt. Homo Deus.

Die Essenz unserer Gene

Das erste Bild ist tiefblau, erinnert an einen Nachthimmel, den Blick ins Weltall – bis Fingernägel fallen und sich die Einstellung als Detailaufnahme entpuppt. In großformatigen Zeitlupenbildern sehen wir die frisch geschnittenen Fingernägel fallen, dann Haare, wuchtig wie gefällte Bäume. Dazu werden die Vorspanntitel eingeblendet, wobei bei den Namen der Schauspieler*innen gewisse Buchstaben hervorgehoben werden: A, C, G, T. Das sind Abkürzungen für Adenin, Cytosin, Guanin und Thymin, die vier Nukleinbasen, aus denen sich DNA zusammensetzt. In der menschlichen DNA kann sich eine bestimmte Abfolge dieser Basen besonders häufig wiederfinden lassen: GATTACA.

Als der Titel sich aus dem Nachtblau abhebt, setzt auch der epische Gänsehaut-Score von Michael Nyman ein. Mal reinhören? Here you go:

Gattaca geht so tief, wie ein Film nur gehen kann. […] Gibt es etwa eine perfektere Eröffnungssequenz? Das Abschaben des Körpers, seltsam, schauderlich und wunderschön. Hautpartikel wie Schnee, Haar wie fallende Zedern und Follikeln, die sich in einer Helix kräuseln. […] Diesen Film kann man über eine Lebensspanne immer wieder sehen, denke ich, und immer tiefer eintauchen. | Remy Wilkins mit Joshua Gibbs, in einer ausführlichen Diskussion über den Film Gattaca (aus dem Englischen übersetzt)

Bleibender Eindruck | zur Wirkung des Films

Im Vorspann werden mit präziser Bildsprache die Vorbereitungs-Maßnahmen der Hauptfigur Gerome (Ethan Hawke) gezeigt, bevor sie morgens ihr Haus verlässt und zur Arbeit geht. Witziger Kontrast: Diese Maßnahmen bestehen unter anderem darin, dass sich Gerome einen falschen Fingerabdruck samt winzigem Blutpolster aufklebt. Denn beim Betreten der Arbeitsstelle wird eben keine Karte mehr in einen Schlitz gesteckt, sondern der Finger für einen DNA-Check ausgestreckt. Und dann nimmt Gerome an einem Computer Platz, dessen Tastatur-Tasten immer noch so säulenartig hoch hervorstehen, wie bei unseren klotzartigen PCs der Jahrtausendwende. Bemerkenswert, wie man scheinbar simple Ideen wie flache Tastatur so Vordenker*innen, wie sie definitiv hinter Gattaca stehen, nicht gekommen sind.

Doch von solchem Detail-Kram mal abgesehen liegt eine große Kunst darin, ohne gesprochenes Wort einen Charakter und sein Problem zu etablieren und eine Atmosphäre der Bedrohung aufzubauen, die den gesamten Film über gehalten wird. Auch nach 20 Jahren des Wandels, im Bereich der Gentechnologie, sowie hinsichtlich unserer Sehgewohnheiten, ist Gattaca ein Film geblieben, der die Zuschauer*innen zu packen weiß. Vielleicht heute mehr denn je, angesichts der zunehmenden Lebensnähe.

Vor knapp 10 Jahren hat der renommierte Filmkritiker A. O. Scott (The New York Times) sich dem Film im Rahmen eines Critics‘ Picks noch einmal aus Sicht der später Nuller Jahre angenommen. Hier zu sehen (in englischer Sprache):

Zur Position des Films

In dem Buch Angewandte Ethik und Film (2018) wird die Position des Films von Thomas Laubach als eindeutig auf Seiten der »Gotteskinder« beschrieben.

[Gattaca] ergreift Partei für die Unterprivilegierten, die in der grausam-schönen neuen Welt der genetischen Selektion scheinbar keine Chance und keine Perspektiven haben. Am Schluss, so lässt sich Gattaca zusammenfassen, triumphiert der autonome, willensstarke Mensch, und nicht das, was andere aus ihm machen wollen oder wozu sie ihn bestimmen. | S. 70

Fazit zu Gattaca

Ja, dieser Film der späten 90er Jahre zeichnet die Welt der Genmanipulation als beklemmende Sackgasse für alle Unperfekten. Ein abschreckendes Bild für uns schrecklich unperfekten Menschen des frühen 21. Jahrhunderts. All die gentechnologischen Entwicklungen unserer Zeit werden in Gattaca darin gezeigt, wo und wie sie Grenzen setzen, Wege versperren, Leben bedrohen. Man darf, während man einen solch fantastischen, dystopischen, rundum gelungenen Thriller wie Gattaca sieht, aber nicht vergessen, dass diese Entwicklungen auch eine andere Seite haben. Die Seite der Möglichkeiten, die diese Entwicklungen überhaupt erst anspornen und vorantreiben.


Weitere Filmkritiken:

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Novo Amor, BIRTHPLACE und der Wal aus Müll | Musikvideo 2018 | Review http://www.blogvombleiben.de/musikvideo-birthplace-novo-amor-2018/ http://www.blogvombleiben.de/musikvideo-birthplace-novo-amor-2018/#respond Wed, 25 Jul 2018 07:00:35 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=4288 Früher Nachmittag, ich bin gerade im Bad. Durch die Tür höre ich, dass Musik läuft. Sonia…

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Früher Nachmittag, ich bin gerade im Bad. Durch die Tür höre ich, dass Musik läuft. Sonia schaut ein Handyvideo. Sie sitzt auf dem Sofa. Draußen brütet die Hafenstadt Padstow unter der Sonne. Das Sprachwirrwarr der Tourist*innen und das Geschrei der Möwen dringen durchs offene Fenster herein, mit den Sonnenstrahlen. Ich setze mich zu Sonia, in den Schatten der Gardine. Das Video hat eine Freundin bei Facebook geteilt. Fünf Minuten, fast vorbei, Sonia scrollt nochmal auf Anfang. So derart im alltäglichen Zwischendurch begriffen, aus irgendwelchen Gedanken gerissen, entdecken wir das Musikvideo zu Birthplace von Novo Amor. Wie eine Flaschenpost im Meer der Massenmedien. Mit wichtiger Botschaft und doch hoffnungslos verloren im ganzen Müll, der das Netz anfüllt.

Im Rachen des Todes

»Hip Hop has always been political, yes, it’s the reason why this music connects« rappt Macklemore in seinem Song White Privilege II, in dem er reflektiert, wie man sich als weißer Mensch zu der Bewegung Black Lives Matter verhalten soll/kann. Rund 50 Jahre vor ihm hat der Künstler Norman Rockwell mit seinem Gemälde The Problem We All Live With (1964) ähnliche Gedanken angeregt, zum selben Problem, das nach wie vor besteht: Rassismus. Ein anderes Problem, das haben die Guerrilla Girls im Jahr 1989 adressiert. Auf einem ausdrucksstarken Poster fragen sie: Do women have to be naked to get into the Met. Museum? Unter dem Schriftzug ist der Sexismus einer Kunstwelt, in der Frauen lieber als Objekte denn Subjekte gesehen werden, in Zahlen belegt. Zahlen, die sich kaum verändert haben, in den Jahren, in denen dieses Poster in neuer Auflage verbreitet wurde, 2005 und 2012.

Kunst ist immer schon politisch gewesen, ja, aber hat sie jemals die Welt verbessert? 

Free Diver Michael Board und ein Manta Rochen im Meer, Standbild aus dem Musikvideo Birthplace von Novo Amor

Was kann Kunst schon ausrichten?

Und jetzt: Ein weiteres Problem. Beim Staunen über das Musikvideo zu dem Song Birthplace von Novo Amor spüre ich einen Stein im Magen. Kann es das Debakel, das darin so bildgewaltig in Szene gesetzt wird, zum Besseren wenden? Oder vielmehr zur Wende beitragen? Bevor wir über das Problem sprechen, und über das Musikvideo zu Birthplace, dieses politische Kunstwerk von atemberaubender Wirkung, hier ein kurzer Blick hinter die Kulissen. Denn die Entstehungsgeschichte ist, wie so oft, nicht minder beeindruckend als das Werk selbst. Da Song und Musikvideo den Titel Birthplace tragen, fangen wir passender Weise mal ganz vorne an. Denn den wenigsten wird einer der wichtigsten Protagonisten dieser Geschichte bis dato bekannt sein: Wer ist Novo Amor?

Novo Amor und die Natürlichkeit

Novo Amor ist der Künstlername eines Mannes, dessen birthplace man als Nicht-Waliser*in wohl kaum aussprechen kann. Llanidloes heißt sein Geburtsort – und der Mann mit bürgerlichem Namen: Ali John Meredith-Lacey. Als solcher ist er am 11. August 1991 zur Welt gekommen. Und als Novo Amor hat er 2012 – im Alter von 21 Jahren – erstmals eine Single mit 2 Tracks veröffentlicht: Drift. Seine erste EP mit 4 Tracks veröffentlichte er am 31. März 2014 mit dem norwegischen Label Brilliance Records. Woodgate, NY lautet der Titel der Platte, die von zahlreichen englischsprachigen Musikblogs besprochen und gefeiert wurde.

»Darin erklingt die sprießende Saat stilistischer Erfindungsgabe«, schreibt The 405 in fast ebenso erdiger, naturnaher Sprache, wie Novo Amor sie in seinen Songs verwendet. Er singt in Woodgate, NY von brennenden Betten und über die Ufer tretenden Seen, von exhumierter Liebe und gefrorenen Füßen. Mit den poetischen Lyrics und den erwartungsvollen Reviews, die großes Potential wittern, erreicht er bereits eine globale Hörerschaft.

Etymologie: Der Name Novo Amor leitet sich vom Lateinischen (novus amor) ab und bedeutet »Neue Liebe«. Nach eigenen Angaben durchlebte Ali Lacey im Jahr 2012 gerade eine Trennung, als er sich mit seinem Musikprojekt sozusagen einer neuen Liebe zuwendete.

Die Nähe zum Visuellen

Schon im Januar hatte Novo Amor eine künstlerische Zusammenarbeit mit dem englischen Produzenten und Songwriter Ed Tullett (1993 geboren) begonnen. Nach dem Erfolg von Woodgate, NY brachten die beiden Musiker am 23. Juni 2014 ihre erste gemeinsame Single heraus: Faux. Schon zu diesem Song drehte der Regisseur Josh Bennett (Storm & Shelter) ein Musikvideo, hier zu sehen. Ein weiteres, frühes Musikvideo gibt es zu From Gold, ebenfalls aus dem Jahr 2014, hier zu sehen. Mittlerweile finden sich auf YouTube zahlreiche, bemerkenswert unterschiedliche, oft stark naturverbundene Musikvideos zu Songs von Novo Amor. Dass dessen Musik eine filmische Interpretation geradezu anregt, ist kein Zufall.

Ich schrieb den Song From Gold für einen Film, der von einem Freund von mir produziert wurde – und das Feedback war wirklich gut, also entschied ich, ein paar Tracks zu sammeln und als EP zu veröffentlichen. Filmmusik ist also quasi, wo meine Musik herkommt. Ich möchte Musik produzieren, die ein wirklich visuelles Element hat. Das fühlt sich für mich wie eine natürliche Evolution an. | Novo Amor im Interview mit Thomas Curry (The Line of Best Fit)

Mehr Plastik als Fische

Nun wollte Novo Amor, der inzwischen ein Album veröffentlicht und ein weiteres in Arbeit hat, ein weiteres Musikvideo entstehen lassen – zu seinem Song Birthplace. Dazu wendete er sich an die Niederländer Sil van der Woerd (Regisseur) und Jorik Dozy (VFX-Artist), mit denen er 2017 bereits das Musikvideo zu Terraform (in Kollaboration mit Ed Tullett) umgesetzt hatte. Sil und Jorik setzten sich hin, um inspiriert von Novo Amors Birthplace eine Idee für ein Musikvideo niederzuschreiben. Hier kommt jenes Problem ins Spiel, dass die beiden niederländischen Filmemacher zu dieser Zeit beschäftigte: Das Problem mit unserem Plastikmüll in den Meeren.

Lasst uns mit ein paar Fakten starten. Mehr als 8 Millionen Tonnen Plastik werden in den Ozean gekippt – jedes Jahr. 1,3 Millionen Plastiktaschen werden auf der ganzen Welt benutzt – jede einzelne Minute. Die United States allein benutzen mehr als 500 Millionen Strohhalme – jeden einzelnen Tag. Und im Jahr 2050 wird mehr Plastik im Meer schwimmen, als Fische. Für all das sind wir verantwortlich. Du. Ich. Alle von uns. Als wir dabei waren, uns Wege zu überlegen, ein öffentliches Bewusstsein für diese globale Krise zu schaffen, sprach uns Novo Amor an, für ein neues Musikvideo. | aus: The Story Of Birthplace

Unsere selbstgemachte Nemesis

Und so entstand eine symbolische Geschichte, über einen Mann, der auf einer perfekten Erde eintrifft und auf seine Nemesis stößt: unsere Vernachlässigung der Natur in Form von Meeresmüll.

Im Herzen unserer Idee stand unsere Vorstellung eines lebensgroßen Wales aus Müll – in Anlehnung an die biblische Geschichte von Jona und dem Wal, in der Jona vom Wal verschluckt wird und in dessen Bauch Reue empfindet und zu Gott betet. Es gibt zahlreiche Berichte über Tiere, die große Mengen Plastik schlucken und daran verenden – einschließlich Wale. Obwohl wir von einem Visual-Effects-Background kommen (also viel mit Computer-Effekten arbeiten), wollten wir, dass unser Wal echt ist, authentisch. | s.o.

Die Geburt des Wals

Die Herausforderung bestand also darin, einen lebensgroßen Wal aus Müll zu bauen, der im Ozean schwimmen sollte. Die Erscheinung dieses Wales wurde dem Buckelwal nachempfunden, der bis zu 60 Meter lang und 36 Tonnen schwer werden kann.

Wir brachten unser Design des Wals in ein kleines Dorf im wundervollen Dschungel von Bali an den Hängen des Agung (ein Vulkan auf Bali). Hier arbeiteten wir mit den Dorfbewohnern an etwas zusammen, dass sich zu einem Gemeinschaftsprojekt entwickeln würde. Rund 25 Männer haben ihre Handwerkskunst im Umgang mit Bambus beigetragen, um den Wal zum Leben zu erwecken. Doch ebenso, wie die überwältigende Schönheit des Dschungels, haben wir hier die ersten Spuren des Antagonisten unserer Geschichte. | s.o.

Bali: Müll auch zu Lande

Dem Müll, der überall in Bali zu finden ist – einem Urlaubsort, der vom Massentourismus und den Mülllawinen, die damit einhergehen, zu ersticken droht. 7 Gründe, nicht nach Bali zu reisen hat die Reisebloggerin Ute von Bravebird im April 2018 zusammengefasst.

Der Wal wurde zunächst in Form eines gewaltigen Skeletts aus Bambus gebaut. Dabei musste der Wal sogar die Location wechseln, weil er aus seinen ersten Werkstätten »herauswuchs«. Zusammengesetzt wurde das Skelett schließlich in der lokalen Stadthalle – wobei die Aktivitäten dort wie gewohnt weitergeführt wurden, Musikunterricht zum Beispiel. Wie die Fertigstellung des Wals vonstatten ging und er seinen Weg ins Meer fand, das dokumentiert dieses liebevoll erstellte Making-of zum Musikvideo in großartigen Bildern:

In aller Ruhe atemlos: Michael Board

Der Mann, der dem Wal aus Müll schließlich im Meer begegnet, ist der britische Rekord-Free-Diver Michael Board. Er beherrscht dieselbe Kunst, wie die Free Diverin Julie Gautier, deren Kurzfilm AMA (2018) wir hier vor kurzem vorgestellt haben: Das lange und tiefe Tauchen ohne Atemmaske. Michael Board bezeichnet 2018 als sein bis dato erfolgreichstes Jahr, was das Tauchen im Wettbewerb angeht. Sein tiefster Tauchgang ging 108 Meter hinab ins Meer, 216 Meter, wenn man den Rückweg mit einrechnet – und das mit nur einem Atemzug.

Das Musikvideo war eine Herausforderung, weil es nicht die Art von Free Diving ist, die ich normalerweise mache. Im Free Diving geht’s eigentlich immer um Entspannung. (…) Normalerweise trägt man einen Flossen und einen Anzug, der vor der Kälte schützt. | Michael Bord in The Story Of Birthplace

Blind im Angesicht des Wals

Stattdessen trägt er in dem Video nur eine Jeans und ein Shirt. Mangels Tauchbrille war Michael Board bei den Dreharbeiten zudem praktisch blind und konnte den Wal nur sehr schwammig wahrnehmen – und nicht, wir wie als Publikum, in seiner ganzen bizarren Pracht. Hier ist das Musikvideo zu dem Song Birthplace von Novo Amor:

Es mutet seltsam an: Der Wal aus Müll hat etwas sehr Schönes an sich. Ich frage mich, ob diese Ästhetisierung des Problems von dem Schaden ablenkt, den der Müll anrichtet. Doch von der subversiven Kraft mal abgesehen: Künstlerisch ist das Musikvideo Birthplace zu dem Song von Novo Amor in jedem Fall ein starkes Statement und ein beeindruckendes Projekt.

Die Lyrics zu Birthplace + deutsche Übersetzung

Die Lyrics zu dem Song hat Novo Amor selbst unter dem Musikvideo gepostet. Hier der Versuch einer angemessenen, deutschen Übersetzung der poetisch vagen Sprache im Songtext:

Be it at your best, it’s still our nest,
unknown a better place.
// Gib dein Bestes, es ist noch immer unser Nest,
da wir keinen besseren Ort kennen.

Narrow your breath, from every guess
I’ve drawn my birthplace.
// Schmäler deinen Atem, mit jeder Vermutung
habe ich meinen Geburtsort gezeichnet.

[Refrain] Oh, I don’t need a friend.
I won’t let it in again.
// Oh, ich brauche keinen Freund.
Ich werde es nicht wieder hineinlassen.

Vom Menschen in Bestform

Be at my best, 
I fall, obsessed in all its memory.
/ Ich gebe mein Bestes,
falle, besessen von all den Erinnerungen.

Dove out to our death, to be undressed,
a love, in birth and reverie.
// Ich tauchte hinaus zu unserem Tode, um entblößt zu werden,
eine Liebe, in Geburt und Tagträumerei.

[Refrain]

Here, at my best, it’s all at rest, 
‘cause I found a better place.
// Hier, in meiner Bestform, ist alles in Ruhe,
denn ich habe einen besseren Ort gefunden.


Weitere Links:

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GOOD WILL HUNTING mit Minnie Driver | Film 1997 | Kritik, Review http://www.blogvombleiben.de/film-good-will-hunting-1997/ http://www.blogvombleiben.de/film-good-will-hunting-1997/#respond Thu, 05 Jul 2018 07:00:41 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=3908 Es gibt immer noch Leute, die behaupten, Good Will Hunting sei eigentlich ihre Idee gewesen – und…

Der Beitrag GOOD WILL HUNTING mit Minnie Driver | Film 1997 | Kritik, Review erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.

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Es gibt immer noch Leute, die behaupten, Good Will Hunting sei eigentlich ihre Idee gewesen – und Medien, die daraus im April 2018 eine Schlagzeile machen. Dabei ist die Genesis dieses Films längst als (kleiner) Meilenstein in die Geschichtsschreibung Hollywoods eingegangen. Zwei junge Männer, entfernte Cousins, fast Nachbarn und beste Freunde seit Schulzeiten, schreiben ein Drehbuch über einen genialen Typen in ihrem Alter…

Hinweis: Liebe Leser*innen, über Good Will Hunting und alle Themen, die mit dem Film und allen Beteiligten einhergehen, könnte man ein Buch schreiben. Im Folgenden gehe ich nur auf eine kleine Auswahl an Namen und Themen ein. Spoiler voraus!, wohlgemerkt. Aktuelle legale Streamingangebote gibt’s wie immer via JustWatch.

Good or Bad Will Hunting?

Inhalt: Besagter fiktive geniale Typ namens Will verbringt seine Tage als Bauarbeiter oder Hausmeister, seine Abende mit Kumpels in Kneipen – und nachts liest er Lehrbücher von Historikern wie Howard Zinn oder andere akademische Schinken. Schließlich wird ein Professor auf das verkappte Genie aufmerksam und will sich seiner annehmen. Einzige Bedingung: Will muss sich auf eine Therapie einlassen.

Minnie Driver und Matt Damon küssen in einem Bistro, Szene aus Good Will Hunting | Bild: Miramax

Jene junge Männer hatten eine Stolperfalle in ihr Drehbuch eingebaut, ehe sie es irgendwelchen Filmproduzent*innen gaben. Bei der Falle handelte es sich um eine völlig zusammenhangslose homoerotische Liebesszene zwischen Will und seinem besten Freund. Wer diese Szene nicht bemerkte, war reingetappt: Diese Person hatte das Skript offenbar nicht gelesen. Die beiden Drehbuchautoren, das waren die inzwischen weltbekannten Schauspieler Ben Affleck und Matt Damon (Der Marsianer). Nur ein einziger Produzent sprach sie auf die Liebesszene an – also setzten sie das Projekt mit diesem Produzenten um. Ausgerechnet Harvey Weinstein.

Totale: Good Will Hunting im Zusammenhang

Historischer Kontext

Um die Zeit, zu der Good Will Hunting herauskam, im Jahr 1997, da soll Harvey Weinstein unter anderem Asia Argento, Rose McGowan und Ashley Judd (einst für die Rolle von Minnie Driver in Good Will Hunting im Gespräch) belästigt haben – um nur drei der prominentesten Frauen aus einer langen Liste von Namen zu nennen, die gegen Weinstein ihr Wort erhoben haben. Aus dem aktuellen Heist-Movie Ocean’s 8 wurde der Cameo von Matt Damon herausgeschnitten, man munkelt, der Grund sei eine Unterschriftensammlung gegen ihn, nachdem er einen relativierend Kommentar bezüglich sexueller Belästigung abgelassen hat. Im Kern: ein Tätscheln auf den Po und eine Vergewaltigung oder Kindesmissbrauch seien nicht dasselbe und man dürfe nicht überreagieren mit den Verurteilungen.

Tatsächlich kann dem Schnitt eine andere, künstlerische Entscheidung zugrunde liegen – doch die Debatte um Damons Kommentar ist nicht wegzureden. Mit am lautstärksten hat darauf Minnie Driver reagiert, die Matt Damon schon aus Zeiten von Good Will Hunting kennt, in dem sie die einzige relevante Frauenrolle spielte.

Ich merke, dass die meisten Männer – gute Männer, Männer, die ich liebe – dass deren Fähigkeit begrenzt ist, es zu verstehen. Sie können einfach nicht verstehen, wie sich Beleidigung und Missbrauch auf einem täglichen Level anfühlen. […] Du kannst Frauen nicht einfach etwas über den von ihnen erlebten Missbrauch erzählen. Ein Mann kann das nicht tun, niemand kann das. Es ist so individuell und persönlich […]

Männer, die über Frauen schreiben

So individuell wie der körperliche Missbrauch, der dem verschlossenen Protagonisten Will Hunting widerfahren ist – in diesem Film, der thematisch zur MeToo-Debatte durchaus einen gewissen Bezug hat. Tatsächlich sollte man Matt Damons Bemerkungen nicht vorschnell aus dem Kontext seines ganzen Lebens reißen, das sowohl On- also auch Off-Screen stark von feministischem Engagement geprägt ist. Mehr darüber kann man in einem ausführlichen Porträt von Matt Damon auf Bitch Flicks nachlesen (englisch). Darin schreibt die Autorin Lady T auch über besagte einzige relevante Frauenrolle:

Skylar, gespielt von Minnie Driver, ist eine der am besten ausgearbeiteten supporting characters, die ich in Filmen gesehen habe. Weil sie ein supporting character ist, dient sich – bei Definition – dazu, Will’s Entwicklung im Film mit voranzutreiben. Trotzdem ist sie ein voll ausgestalteter Mensch. Abseits vom obligatorischen »Girlfriend«-Archetypen, der nur im Film ist, um dem weiblichen Publikum eine Identifikationsfigur zu bieten. […] Während ein Großteil der Wirkung von Skylars Charakter in der Performance von Minnie Driver liegt, muss man Damon und Affleck etwas Anerkennung dafür zollen, dass sie eine Frau mit Hintergrundgeschichte geschrieben haben. Mit einer größeren Ambition als bloß: »Hey, da muss ein Mädchen im Film sein.«

Lesetipp: Anlässlich seines 20. Jubiläums hat die TV-Journalistin und Filmproduzentin Ivana Imoli im Dezember 2017 einen lesenswerten Artikel über den Film Good Will Hunting geschrieben.

Zuletzt: Auch Ben Affleck (der Will Huntings besten Freund Chuck spielt) ist derweil beschuldigt worden, Fehlverhalten gegenüber Frauen an den Tag gelegt zu haben. Hier ist seine reumütige, rücksichtsvolle Antwort darauf, im Gespräch mit Stephen Colbert (ab Minute 02:30 geht es um Harvey Weinstein und die MeToo-Debatte).

Persönlicher Kontext

Good Will Hunting war einer der Filme, der wie Forrest Gump (1994), Gilpert Grape – Irgendwo in Iowa (1993) und Titanic (1997) mit als erster in meine Wahrnehmung als »richtige Filme mit Erwachsenen und für Erwachsene« rückte und von meiner Mutter als »super« eingestuft wurde. Das war nach meiner Disney-geprägten Kindheit. Und bevor ich mit dem systematischen DVD-Sammeln und Kultfilm-Suchten anfing. Kultfilme, die »cooler« waren als Good Will Hunting, was in ein paar meiner Jugendjahre leider synonym war mit: gewalttätiger. Bevor ich Good Will Hunting das erste Mal sah, war ich im Übrigen der Meinung, der Titel lasse sich übersetzen mit der »Jagd nach dem guten Willen«.

Close-up: Good Will Hunting im Fokus

Erster Eindruck | zum Inhalt des Films

Good Will Hunting beginnt nach einem Schlaue-Bücher-im-Kaleidoskop-Vorspann mit einer kurzen Szene von Will Hunting (Matt Damon) beim Speedreading in seiner heruntergekommenen Bude. Er blättert durch die schlauen Bücher durch, als seien es Fotobände, kleiner Hinweis auf sein fotografisches Gedächtnis. Dann rollt eine rostige Karre vor seine Haustür in eher ärmlicher Nachbarschaft. Ein Typ im Jogging (Ben Affleck) steigt aus. Wills Kumpel, der ihn von zu Hause abholt – dieses Ritual soll noch eine wichtige Rolle im Film einnehmen, in symbolischer und dramaturgischer Hinsicht.

Lesetipp: 14 verrückte Fakten über Good Will Hunting (von Mental Floss)

Bleibender Eindruck | zur Wirkung des Films

Mit jedem Mal Sehen gewinne ich dem Film neue kleine Entdeckungen ab und mag ihn dafür sehr. Jüngst etwas sensibilisiert für feministische Sichtweisen, war ich bei der jüngsten Sichtung arg erschrocken darüber, wie wenige Frauen darin vorkommen. Good Will Hunting mag krasse Mathe-Aufgaben packen, aber er rasselt mit Karacho durch den Bechdel-Test, in allen Punkten, angefangen damit, dass nicht einmal drei Frauenfiguren mit Namen darin vorkommen. Überrascht war ich, dass der Film in feministischen Reviews erstaunlich gut abschneidet. So schreibt Ashley Woodvine:

The Good, the Bad, the Ugly Will Hunting

Es klingt kindisch, aber Good Will Hunting hat mich gelehrt, tiefe Gefühle für einen Film zu entwickeln, der ausschließlich von männlichen Problemen handelt. Es ist nicht ungewöhnlich für mich, dass ich Filme über Männer mag (wie könnte man auch nicht, wenn 90 Prozent der Filme von Männern handeln), aber ich erwische mich oft bei dem Gedanken »das hier wäre besser, wenn es über Frauen wäre« […] – jedenfalls bin ich froh, dass Good Will Hunting ein Film über Männer ist. Wieso? […]

Good Will Hunting zeigt eine Männerfreundschaft auf eine Art und Weise, die sich nicht um Sexismus gegenüber Frauen dreht. Der Film vermeidet solche Stereotypen rund um junge Männer der Arbeiterschicht – und fordert sie dadurch heraus. Vor allem aber ist Good Will Hunting eine fantastische Kritik an der Idee von ultimativem männlichen Erfolg und dem »Streben nach Größerem«. | Ashley Woodvine (Screen Queens)

Gleichzeitig finden Männer-Portale, die ihre maskuline Vormachtstellung in Gefahr sehen, »powerful ideas« in diesem Film (»Wird alle brauchen einen Mentor, der uns bei der Seelenarbeit auf dem Weg zur Reife assistiert« … geht auch Mentorin? Wohl eher nicht.) Der Blogger Luke O’Neil schreibt indes als Mann einen feministisch-kritischen Artikel, während die Bloggerin astriaicow (unter Berücksichtigung anderer Artikel eher anti-feministisch eingestellt) einen ganz anderen Aspekt an dem Film kritisiert, als das Männer/Frauen-Verhältnis: die Fehldarstellung des Genies.

Harte Arbeit statt bloßer Begabung

Mit Hinweis auf ihren chinesischen Hintergrund (China, »wo Anstrengung und harte Arbeit von hoher gesellschaftlicher Bedeutung sind«) schreibt sie:

Der Film scheint sagen zu wollen, dass jemand, der ein Thema nicht tiefgreifend erarbeiten will, der es einfach als Hobby nebenbei macht, einfach so komplexe mathematische Beweise erbringen kann. Als ginge es um Brettspiele für Kinder. Es stimmt, dass es Genies gibt, die kein formales Training zu einem bestimmten Thema brauchen (formal im Sinne beständig geschult) und gewisse Dinge besser verstehen, als die meisten Menschen. Doch es gibt kein Genie, dass Dinge einfach am Rande als Hobby macht und trotzdem Leute aussticht, die ihr ganzes Leben diesen Dingen verschrieben haben. Selbst [der berühmte Mathematik-Autodidakt] Ramanujan, der in diesem Film erwähnt wird, hat sich in Mathematik abgeschuftet. Er ging nicht einfach zu seinem Alltags-Job und nächtlichen Partys und kam dann heim, boom!, um komplexe Probleme zu lösen. Diese Menschen widmen ihr Leben einem Thema, ob im Rahmen beständigen Unterrichts oder auch nicht. DAS IST, was den Unterschied macht.

Good Will Hunting legt den Fokus, wie viele amerikanische Filme, allzu sehr auf Talent und nicht auf die Anstrengung. Das macht ihn unglaubwürdig und setzt Genies […] herab.

Good Will Hunting ist ein Film, der versucht, Genies auf das Level normaler Leute abzusetzen. Damit normale Leute sich wohler damit fühlen können, keine Genies zu sein. Die Wirklichkeit funktioniert so nicht, Leute! Genies mögen kein perfektes Leben haben, aber sie entzünden ein Leuchtfeuer für uns Normalos, um aus der Dunkelheit unserer simpel gestrickten Gedankenwelten zu tappen. DAS IST ES, was sie zu etwas Besonderem macht. Aber Good Will Hunting will dich in dem Glauben lassen, dass dieses Leuchtfeuer nichts weiter als eine Taschenlampe ist – und die Dunkelheit das, wo’s am sichersten ist. | astriaicow, in: Why Good Will Hunting is a bad movie, hier im Original nachzulesen (englisch)

Fazit zu Good Will Hunting

Ich denke, selbst mit aller Kritik im Hinterkopf, kann man Filme wie Good Will Hunting noch mit Gewinn sehen. Bestenfalls entdeckt man darin einmal mehr neue Facetten. Dramaturgisch ist der Film absolut gewöhnlich, aber gut gemacht. Und er lässt sein Publikum (na ja… uns normale Nicht-Genies halt, als die wir entlarvt wurden…) mit einem Gefühl angenehmer Genugtung zurück. Zu erwähnen ist auch noch die Performance von Robin Williams. Der hat mit Charisma und Improvisation diesen Film bereichert und damit seinen ersten und einzigen Oscar gewonnen – für seine Rolle als Will Huntings Therapeut.

Zuletzt habe ich Good Will Hunting zufällig mit einem studierten Psychologen und Therapeuten gesehen. Der hat die Therapiestunden in Good Will Hunting mit einem milden Lächeln als »na ja, sehr unkonventionell halt« kommentiert. Sie seien allenfalls durch ihren Erfolg gerechtfertigt. Szenen wie der körperliche Übergriff des Therapeuten, der Will einmal wortwörtlich an die Kehle srpingt, zeugten zumindest nicht von Professionalität.

Zu guter Letzt, wie man aus Good Will Hunting einen Trailer für einen völlig anderen, aber irgendwie auch ziemlich coolen Film schnipseln kann, zeigt dieser grandiose Fake Trailer:


Weitere Filmkritiken

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THE TALL MAN mit Jessica Biel | Film 2012 | Kritik, Review http://www.blogvombleiben.de/film-the-tall-man-2012/ http://www.blogvombleiben.de/film-the-tall-man-2012/#respond Tue, 03 Jul 2018 07:00:01 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=4305 The Tall Man ist der dritte Streich von Regisseur Pascal Laugier, der zuletzt mit einem Budget…

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The Tall Man ist der dritte Streich von Regisseur Pascal Laugier, der zuletzt mit einem Budget von mutmaßlich 6,5 Millionen US-Dollar den Film Martyrs (2008) umgesetzt hat. Ein Schocker, der sich zum größten Teil in einem einzigen Haus abspielt und dermaßen aufs Maul ist, dass die Erwartungen an den Nachfolger unter Genre-Freund*innen hoch waren. Was haut uns dieser Typ wohl um die Ohren, wenn er sich mit dem knapp dreifachen Budget austoben darf?

Auf Schocker folgt Twister

Diese Budget-Spritze (mutmaßlich, mal wieder, solche Zahlen lassen sich schwerlich verifizieren: 18 Millionen US-Dollar) verdankt Pascal Laugier der Schauspielerin Jessica Biel (Eine himmlische Familie, Michael Bay’s Texas Chainsaw Massacre). Durch ihre Begeisterung für Martyrs und Zusage, in Laugiers neuem Projekt die Hauptrolle zu übernehmen, bekam er den finanziellen Support, den es brauchte. Für spektakuläre Drehorte, Kamera-Tricks und -Flüge und Auto-Stunts und Steven McHattie und, und, und…

Ich liebte Martyrs. Es war hart und brutal, ihn zu sehen, aber er war elegant – macht das Sinn? Ich war so beeindruckt von Pascals Schaffen, dass ich einfach mit ihm zusammenarbeiten musste. | Jessical Biel im Interview mit Ryan Turek (comingsoon.net)

Das Drehbuch hat Laugier, wie in seinem Erstlingswerk Haus der Stimmen (2004) und Martyrs wieder selbst verfasst. Also, worum geht’s in The Tall Man?

Zum Inhalt: In einer kanadischen Kleinstadt gehen Armut und Schrecken um. Nicht nur, dass nach Schließung der Bergbauminen die Männer ihre Arbeit verlieren – jetzt werden auch noch Kinder entführt! Eine ganze Reihe hat es schon erwischt. Angeblich wurden sie verschleppt von einer Gestalt, den man im Ort nur den »großen Mann« nennt…

Hinweis: Ab dem Abschnitt »Bleibender Eindruck« wird fleißig gespoilert, bis dahin, entspanntes Lesen! Aktuelle Streamingangebote gibt’s bei JustWatch.

Schauspielerin Jessica Biel rennt bei Nacht eine Straße entlang, Standbild aus dem Film The Tall Man

Totale: The Tall Man im Zusammenhang

Cineastischer Kontext

Ich wollte etwas völlig anderes machen, als in Martyrs. Das habe ich von Ruggero Deodate gelernt. […] Er hat mich eingeladen, in Rom, hat mir Pasta gemacht und sagte: »Pascal, du hast dasselbe Problem, das ich mit Cannibal Holocaust hatte. Dein Film ist so schockierend, dass die Leute noch in 20 Jahren nur über Martyrs reden werden. Mir ging es genauso, ich war halb glücklich, halb traurig darüber. Ich hab nach Cannibal Holocaust immerhin 15 andere Filme gemacht!« Mir war also die Falle, in die ich als Regisseur tappen konnte, sehr bewusst. | Filmemacher Pascal Laugier beim Film4 FrightFest-All Nighter in London, 27. Oktober 2012

Persönlicher Kontext

Ich kenne Cannibal Holocaust (1980, hierzulande auch bekannt als: Nackt und zerfleischt). Danach hatte ich erstmal nicht das Bedürfnis, noch weitere Filme von Ruggero Deodate zu sehen. Insofern weiß ich nicht, was dieser Regisseur nach seiner kontroversen Kannibalen-Pseudo-Doku noch so gemacht hat… ist er damals in eine Falle getappt, indem er versucht hat, sich selbst im selben Genre zu übertreffen? Und worin genau – Brutalität? Blutzoll? Oder hat er damals schon, wie Laugier jetzt, erstmal etwas völlig anderes gemacht? Und entgeht man damit der Falle? Oder kann man trotzdem eine große Enttäuschung abliefern?

[Enttäuschung in einem weniger persönlichen Sinne. Schon Martyrs hat mir zu wenig gefallen, als dass ich meine Erwartungshaltung an The Tall Man mit »Vorfreude« beschreiben würde. Stattdessen also bitte in einem filmkritisch-sachlichen Sinne verstehen, diese ENTTÄUSCHUNG!]

Close-up: The Tall Man im Fokus

Erster Eindruck | zum Inhalt des Films

Los geht’s mit einer Texttafel: »In den USA werden jedes Jahr 800.000 Kinder als vermisst gemeldet. Die meisten werden nach ein paar Tagen gefunden. 1000 Kinder verschwinden, ohne eine Spur zu hinterlassen.« Als Zuschauer*in rechne ich natürlich (nach Martyrs) mit einem derben Horrorfilm, keiner Doku. Auf mich persönlich wirkt es angesichts besagter Erwartungshaltung arg pietätlos, eine solche Statistik einzublenden. Hinter blanken Zahlen stehen schließlich echte Schicksale, aber naja… warum guck ich denn nicht gefälligst ne Doku, anstatt mich hier mit Horrorkino einzulullen?

Es beginnt als Thriller

Ein Kommissar kommt aus einer Höhle. Umgeben von Polizisten, die alles absperren sollen. Schnitt zu Detailaufnahmen vom Gesicht einer weinenden, zitternden Frau. Mit einer Pinzette werden ihr Scherben aus der blutenden Stirn entfernt. Der Kommissar kommt rein, schaut grimmig, sagt, man habe ihn nicht gefunden, die anderen Kinder auch nicht. Die Frau wirkt benommen… Schnitt zu einer Luftaufnahme über kanadische Wälder und die Kleinstadt Cold Rock, in der sich abspielen soll, was wie ein Thriller beginnt. Zu Stimmungsbildern aus der verwahrlosten Kleinstadt spricht ein Mädchen aus dem Off:

Unsere Stadt ist seit 6 Jahren tot. Zunächst dachten wir, die Schließung der Mine sei daran schuld. Am Verlust der Arbeitsplätze, an dem Fehlen von Geld, dem Fehlen von allem. Doch dann mussten wir etwas viel Schlimmerem die Schuld geben, denn es war etwas nach Cold Rock gekommen, etwas Böses, das unsere Stadt von innen heraus auffrass…

Sehgewohnheiten gefoltert

Knapp 10 Minuten von The Tall Man sind um, als der Vorspann eingeschoben wird. Einmal mehr: Kameraflüge über die Stadt und die Einblendung der Namen aller Beteiligten… An dieser Stelle hat mich dieser Film leider verloren. Die visuelle Art und Weise, wie die Vorspann-Schrift in die Filmaufnahmen eingebracht ist, bricht mit der bis dahin aufgebauten ernsten, düsteren Stimmung. Überhaupt bricht sie mit meinen Sehgewohnheiten, weil ich für gewöhnlich nicht gern Trash schaue – und der Vorspann schreit vom Look her so sehr nach TRASH!, dass man statt der Namen auch einer »Trash, Trash, Trash« hätte einblenden können.

Echt ey, als hätte da jemand gerade coole Tools bei After Effects entdeckt, die auf Teufel komm raus in den nächsten Film rein müssen… Gewiss, über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten, aber ich spreche ja auch nur von meinem Sinn für Ästhetik, der von diesem Vorspann gefoltert wurde.

Bleibender Eindruck | zur Wirkung des Films

Sprechen wir also, statt über Ästhetik (über die ich noch viel zu meckern hätte, Stichwort: alberne Schnitte, schlechte CGI), einfach über den Inhalt von The Tall Man. Manche User des Internets empören sich unter Negativkritiken zu dem Film, dass man diesen intelligenten Thriller doch nicht einfach mit Martyrs vergleichen dürfe, und überhaupt-

Stop! Was das »Intelligente« des Films angeht, möchte ich ihn dessen gerne berauben. Weil sich das »Intelligente« in meinem Schädel regelrecht beleidigt fühlte von dem, was es da zu verarbeiten bekam. (Und dazu brauche ich keinen Vergleich zu Martyrs!) Als »intelligent« wird noch am ehesten die Komposition der Story bezeichnet, mit ihren Twists and Turns, den 180-Grad-Wendungen, die bei den Zuschauer*innen für Verwirrung sorgen. Angenehme Verwirrung. Mindfuck-Filme halt, wie The Game (1997). Doch aufgepasst! Manche vermeintliche Mindfuck-Filme entlarven sich als »Fuck the mind!«-Mumpitz. Da wird die Logik der Story schon im Produktionsprozess so wenig hinterfragt, dass sich Zuschauer*innen fragen müssen: Bin ich der/die Erste, dem/der das dumm vorkommt?

Um die Leser*innen in die Diskussion miteinzubeziehen, hier mal die Story des Films The Tall Man in chronologischer Reihenfolge, ohne inszenatorische oder dramaturgische Tricks:

Die Story ohne die Twists

The Tall Man handelt von einem Ehepaar – er Arzt, sie Krankenschwester – das viel von der Welt gesehen hat. Afrika, arme Kinder. Das Paar entscheidet sich, etwas gegen die Kinderarmut zu tun. Aber nicht in Afrika, sondern in Kanada, da gibt’s ja auch arme Kinder. Etwas weniger arm, etwas besser behütet, aber sei’s drum. Das Paar will auf jeden Fall diesen Kindern helfen. Und zwar, indem sie die Kinder aus armen Familien klauen und an reiche Familien übergeben. Kid-Robbin‘ Hood.

Das ist die Prämisse des Films: Ein Paar will Kindern helfen, indem es sie auf eigene Faust aus armen Familie entfernt und in reiche Familie gibt. Das ist intelligent? Mir fallen spontan ein paar andere Ideen ein, wie ein Arzt und eine Krankenschwester armen Kindern helfen könnten. Diese spezielle Idee würde ich dabei, auf einer Intelligenzskala, eher unter »extrem dumm« einordnen, direkt unter: Arme Kinder mit Drogen versorgen, damit sie sich damit einen Kundenstamm aufbauen und finanzielle Unabhängigkeit erlangen können. Ach, lächerlicher Vorschlag?

Wie hättest du es getan?

Kommen wir zur Umsetzung der Prämisse: Um den Plan zu verwirklichen, bezieht das Ehepaar ein Haus über einem Minenstollen. In einem Städtchen, in dem augenscheinlich jede*r jede*n kennt. Dann fängt das Paar an, Kinder zu kidnappen. In dieser kleinen Stadt, in der sie wohnen, Kinder von Familien, die sie kennen. Alle paar Wochen entführen sie ein armes Kind und halten es in ihrem Haus (unter für das Kind angenehmsten Umständen) gefangen, bis sie es durch das Tunnelsystem aus der Stadt schleusen und an reiche Menschen verschenken.

Denn Geld wollen der Arzt und die Krankenschwester damit nicht verdienen. Ihr Motiv ist schlicht, das sie gute Menschen sind (und dass die Frau keine Kinder kriegen kann, das wird nebenbei auch erwähnt). Der Mann hält sich während dieses ganzen Treibens übrigens versteckt und gilt als verstorben, damit die Frau als Witwe ihr Dasein fristen kann, was irgendwie von Vorteil zu sein scheint, für ihre Strategie…

Eltern reich, alles gut

Am Ende zeigt sich, dass sie nicht nur alle Kinder aus ein- und demselben Städtchen entführen, sondern zuweilen auch in dieselbe Stadt vermitteln. So dass sich die Kinder dort begegnen. Kinder, die übrigens durchaus schon so alt sind, dass man von einem Erinnerungsvermögen sprechen kann. WTF!? Wie kann dieses Ehepaar nicht längst aufgeflogen sein?

Zu aller aller Letzt wird dann noch – mit einem dramatischen Bruch durch die vierte Wand – die moralische Frage aufgeworfen, ob die Kinder in ihren neuen, reichen Familien denn wirklich glücklicher sind? Oder nicht? Oder doch?

Um Hitchcocks Willen!

Was soll man denn als Wahrscheinlichkeitskrämer zu so einer Geschichte sagen? Ja, gut, danke, kauf ich dir ab!? Wie schon bei Martyrs lässt sich natürlich jede noch so dumme Aktion in einem Film entschuldigen, indem man die Protagonisten als irre abtut. Das Paar handelt zwar irgendwie rational und einigermaßen organisiert. Aber wenn schon die Prämisse derart idiotisch und deren Umsetzung so kompliziert wie möglich daher kommt, dann doch wohl, weil die Story im Dienste eines Filmes steht, der unbedingt Haken schlagen möchte.

Mein liebster Aufreger in The Tall Man ist übrigens die Szene, in der sich die Frau – als Kidnapperin entlarvt – mit einem entführten Kind in ihr Haus begibt. Ein großes Haus mit großes Fenstern und so. Ihr folgt ein Mob, der sich quasi aus der halben Stadt zusammensetzt. Sehr wütende Menschen, wütend darüber, dass die Kinder aus ihren Familien entführt wurden, Schicksal ungewiss. Leben sie noch? Oder nicht? Doch diese wütenden Menschen bilden den wohl harmlosesten Mob der Filmgeschichte. Stundenlang hält er sich vor dem Haus auf und brüllt rum. Ohne die Tür aufzubrechen oder wenigstens ein Fenster einzuschmeißen – obwohl ein Kind aus ihrer Gemeinschaft in dem Haus gefangen halten wird!

Der zahmste Mob aller Zeiten

Wir sehen den Mob nicht, stattdessen vollzieht der Herr Regisseur in dieser Szene einen schönen kleinen Trick, in dem die Kamera einmal von der Protagonistin, die auf dem Bett sitzt, einmal langsam durch den Raum schenkt, während die Zeit vergeht und Tag zu Nacht wird. Aber der wilde, wütende, tobende Mob, der ist immer noch da. Das sehen wir, als die Frau bei Tageslicht abgeführt wird und sich im Polizeiauto sogar ducken muss, weil die Scheiben des Polizei-Autos SOFORT eingeworfen werden.

Es wäre vermutlich unfreiwillig komisch gewesen, den tobenden Mob in den nächtlichen Stunden vor dem Haus zu zeigen. Ein Haufen richtig wütender Menschen, die einfach nur ihre Fäuste recken und Flüche rufen! Dass sie nicht ins Haus eindringen dürfen, um das Kind vielleicht noch zu retten, das steht halt so im Drehbuch. Und ans Drehbuch hält man sich, ob es Unsinn ist, oder nicht…

Mein zweitliebster Aufreger ist der Zirkelschluss, den der Film vollzieht. Wie oben zitiert, begründet die Off-Stimme die Verzweiflung in Cold Rock nicht nur mit der Schließung der Mine. Sondern damit, dass etwas Böses gekommen sei, um die Kinder zu klauen. Aber »das Böse« (das kid-robbin‘ hoodsche Ehepaar) ist ja gekommen, um die Kinder aus ihrer verzweifelten Lage zu holen. Die Lage aber ist ja verzweifelt, weil die Kinderräuber gekommen sind… also… mir wird schwindelig – und ich drohe, mich viel zu lange mit einem Film aufzuhalten, der mich schon jetzt zu viel Lebenszeit gekostet hat.

Fazit zu The Tall Man

Ja, hat mich wohl nicht so gerockt.


Bessere Filme:
  • Good Will Hunting (1997) über einen Professor, der einem armen jungen Mann in ein besseres Umfeld helfen möchte, indem er mit ihm Mathe paukt
  • Captain Fantastic (2016) über einen Papa, der seine Kinder vor der geistigen Armut da draußen retten möchte, indem er sie im Wald großzieht
  • Cargo (2018) über einen Mann, der zwei Kinder vor Zombies retten will, während er sich selbst in einen Zombie verwandelt, was aber okay ist, weil er sie ja huckepack nehmen kann und… ach nee, der war ja genauso bescheuert wie The Tall Man

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HAIRSPRAY mit Ricki Lake, Nikki Blonsky | Filme 1988, 2007 | Kritik, Vergleich http://www.blogvombleiben.de/film-hairspray-1988-2007/ http://www.blogvombleiben.de/film-hairspray-1988-2007/#respond Sat, 30 Jun 2018 09:03:03 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=4097 Selbst homophobe Menschen würden zum Finale mit den Füßen zum Beat tapsen, denn: »Es ist schwer,…

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Selbst homophobe Menschen würden zum Finale mit den Füßen zum Beat tapsen, denn: »Es ist schwer, der Überschwänglichkeit dieses Films zu widerstehen!« Das schreibt der Rolling Stone im Jahr 2007 über das Remake von Hairspray. Zum Original im Jahr 1988 verfasste David Edelstein für den Rolling Stone ein Review mit der Formel: »Ein Familienfilm, für den sowohl die Bradys als auch die Mansons geschwärmt hätten.« Diese Filmkritik nannte der Regisseur John Waters seine liebste. Das überrascht kaum und verstört sehr.

Außenseiter im Rampenlicht

Mit den »Bradys« sind Ian Brady und Myra gemeint, seine Lebensgefährtin oder vielmehr: Komplizin. Die beiden haben in den 60er Jahren mehrere Kinder und Jugendliche gefoltert und grausam ermordet. »Die Mansons« sind jenes kriminelle Kollektiv um den Rassisten Charles Manson, der seine Anhänger*innen ebenfalls zu Morden aufrief. Die Faszination des Filmemachers John Waters für die Manson-Familie, deren Mitglieder*innen er gar im Gefängnis besuchte, geht soweit, dass er seinen Film Female Trouble (1974) einem Manson-Mitglied widmete: Charles Watson. Dieser war unter anderem an der Ermordung der Schauspielerin Sharon Tate beteiligt. Mit der Aufsehen erregenden Bluttat sollte – so die Idee des fanatischen Charles Manson – ein Rassenkrieg zwischen Schwarzen und Weißen ausgelöst werden.

Wie passt die Faszination für derart menschenverachtende, rassistisch motivierte Taten mit einem Film wie Hairspray zusammen, der wie kaum ein anderer für Nächstenliebe und Toleranz wirbt, Menschen zusammenbringen will und Anstand statt Ausschluss fordert? Diese Frage stellt sich nur dann, wenn wir unser logisches Denkvermögen auf einen Gegenstand anwenden, der von Natur keiner inneren Logik folgt: Homo Sapiens.

[andere Frage: Wie kommt David Edelstein zu einer solch grauenvollen, unnötigen Floskel? Als Familienmitglied eines der Mordopfer liest sich ein solcher Humor sicher als blanker Hohn.]

Die Schauspielerinnen Ricki Lake und Amanda Bynes aus dem Film Hairspray (1988, 2007)

Der integrative Exhibitionist

Jener John Waters, Regisseur des Hairspray-Originals, hat im Hairspray-Remake einen kleinen Gastauftritt. Die Hauptfigur Tracy (Nikki Blonsky) begegnet ihm, während sie singend den Bürgersteig entlangmarschiert. Waters, mit seinem markanten Bleistift-Schnurrbart und einem langen Mantel, grüßt das Mädchen freundlich. Dann wendet er sich ab und reißt den nächsten Passantinnen gegenüber seinen Mantel auf, darunter offenbar nackt, der alte Perversling.

Diese Szene, in der zwischen nettem Gruß und obszöner Geste nur Sekunden liegen, ist beispielhaft für John Waters. Dessen zotiger Flausenkopf ist es, der das Original-Drehbuch zu Hairspray hervorgebracht hat, einem integrativen Feel-Good-Familienfilm vom Feinsten, sowohl in alter als auch in neuer Version.

Inhalt: Hairspray handelt von der Teenagerin Tracy Turnblad (1988: Ricki Lake, 2007: Nikki Blonsky). Sie und ihre Freundin Penny sind große Fans der Corny Collins Show. In dieser TV-Show, die von ihrer Heimatstadt Baltimore ausgestrahlt wird, tanzen weiße Teens zu hipper Musik (für die schwarzen Teens gibt es einen »Negro Day«, einmal im Monat). Die jungen Tänzer*innen der Show werden vom Publikum als Stars gefeiert – und Tracy träumt davon, selbst einmal in dieser Show aufzutreten… der Traum wird wahr, dank ihrer Tanzbegabung und trotz ihres Übergewichts. Die Berufung des fröhlichen, fülligen Mädchens in die Show löst einen ungeahnten Wandel in Baltimore aus.

Hinweis: Liebe Leser*innen, dieser Text nimmt (im Absatz »Bleibender Eindruck«) nur ein paar Pointen vorweg, verrät aber nichts über den durchaus spannenden Handlungsverlauf. Aktuelle legale Streamingangebote finden sich bei JustWatch.

Totale: Hairspray im Zusammenhang

Cineastischer Kontext

Dass ausgerechnet John Waters einen Film über die Integration von Außenseitern in die öffentliche Wahrnehmung und Wertschätzung macht, hat einen autobiografischen Touch. So integrierte sich der Untergrund-Filmemacher mit einem Faible für Fetische und gesellschaftliche Außenseiter mit seinem ersten Mainstream-Film Hairspray doch selbst in die öffentliche Wahrnehmung.

Während sein wohl berüchtigtes Werk, Pink Flamingos (1972) nur von einem vergleichsweise kleinen Personenkreis als Kultfilm und »Meilenstein des schlechten Geschmacks« gefeiert wird, hat Hairspray seit seiner Veröffentlichung im Jahr 1988 eine breite Rezeption erfahren. Von einer Adaption als Broadway-Musical im Jahr 2002 bis zum Kino-Remake im Jahr 2007, das Film und Musical auf virtuose Weise miteinander verbindet.

Persönlicher Kontext

Durch die Lektüre von Judith Butlers Das Unbehagen der Geschlechter bin ich auf Hairspray aufmerksam geworden. Butler führt diesen Film aufgrund des Schauspielers Harris Glenn Milstead alias Divine an, der – als vermutlich berühmteste Drag-Queen seiner Zeit – in Hairspray eine Doppelrolle spielt. Er tritt als rassistischer Fernsehstudio-Boss sowie als Mutter der Hauptfigur auf. Letztere Rolle fällt deutlich größer aus.

Divine hat bis Hairspray in jedem Film, den er mit seinem Jugendfreund John Waters zusammen gemacht hat, die weibliche Hauptrolle gespielt und (darum geht es Butler bei besagter Referenz) den Eindruck geprägt, dass »weiblich sein« vielmehr ein Akt der Nachahmung als eine »natürliche Tatsache« ist.

Eine Hommage an Divine

Wenige Wochen nach dem Kinostart von Hairspray (1988) starb Divine im Alter von 42 Jahren an einem Herzstillstand. Er hatte Zeit seines Lebens mit seinem Übergewicht zu kämpfen und wog zum Zeitpunkt seines Todes etwa 170 Kilo.

Im Remake von Hairspray (2007) wurde die Rolle der Mutter Edna Turnblad, gewiss als Hommage an Divines Darstellung, an einen Mann vergeben: John Travolta. Diese Besetzung der Mutterrolle mit einem Mann hatte auch schon eine gewisse Tradition, wurde so doch bereits bei der Musical-Adaption vorgegangen. Aufgrund meiner closure issues habe ich Original und Remake von Hairspray kurz hintereinander gesehen.

Close-up: Hairspray im Fokus

Erster Eindruck | zum Inhalt der Filme

Hairspray (1988) beginnt mit dem gleichnamigen Song von Rachel Sweet (mit Deborah Harry). Dazu sehen wir, in der ersten Einstellung, den Haupteingang zu einer TV-Station, an deren Fassade die Buchstaben WZZT prangen. Drinnen sind Vorbereitungen in Gange. Junge Damen und Herren machen sich fit für den Beginn einer neuen Folge von The Corny Collins Show. Tanzende Teens im TV, die hunderttausende Teens vor Amerikas Fernsehgeräten in Euphorie versetzen.

Diese Show hat es wirklich gegeben. Und tatsächlich basiert der Handlungsstrang über die Integration schwarzer Jugendlicher in das weiße Show-Format in gröbsten Zügen auf wahren Tatsachen. Die echte Show (The Buddy Deane Show) wurde 1964 abgesetzt, weil die echte TV-Station (WJZ-TV) unfähig war, die Diskriminierung von Afroamerikanern zu unterlassen. Dieses Kapitel aus einer Zeit des gesellschaftlichen Wandels hat sich John Waters in Hairspray zum Thema gemacht. Neben Schön- und Schlankheitswahn, Bodyshaming, Generationenkonflikten und der Verlogenheit des Showgeschäfts. Eine Menge Stoff für einen knapp 90-minütigen Film.

In die Länge gesungen

Ob das Remake, Hairspray (2007), deshalb eine satte halbe Stunde länger ist, als das Original? Nein, thematisch geht die Neuauflage nicht mehr in die Tiefe. Wohl aber in Sachen Genre. Durch die Integration der Musical-Nummern bekommt das Remake eine neue Facette. Diese macht es zu etwas Eigenständigem, das sich inszenatorisch vom Original emanzipiert. Schon die erste Szene wird zwar auch mit einem Song eröffnet, doch diesen singt – aus vollem Leibe und Herzenslust – die »neue Tracy Turnbled« auf ihrem Weg zur Schule.

Immer wieder wird die Handlung, die sich am Original orientiert, allerdings dramaturgische Änderungen vornimmt, von Gesangseinlagen der Schauspieler*innen übernommen. Denn siehe da: Sie können alle fantastisch singen! Außer John Travolta, aber ok.

Bleibender Eindruck | zur Wirkung der Filme

Man hat es hier zweifelsfrei mit zwei Herzensprojekten zu tun. Jedes für sich begeistert durch eine leidenschaftliche Umsetzung aller Beteiligten. Und auch die Brücke zwischen den Filmen steckt voller schöner Details. Schubst die Tracy im Original noch eine Ratte weg, um in Ruhe einen romantischen Moment auskosten zu können, füttert die Tracy im Remake ein paar Ratten am Straßenrand, wie zur Wiedergutmachung. Jerry Stiller, der im Original Tracys Vater spielt (und in dieser Rolle ein 90er-Kind wie mich sehr an Arthur aus King of Queens erinnert), tritt im Remake als Inhaber eines Schönheitssalons auf.

Neben derlei kleinen Verbindung stechen Kenner*innen beider Filme natürlich umso mehr die Unterschiede ins Auge. Wie sehr diese nun als Mehrwert oder Missetat empfunden werden, ist Geschmackssache. Mir persönlich gefällt das Erzähltempo des Originals besser (auch wenn dadurch die Musical-Nummern wegfallen). Das Drehbuch des Remakes lässt sich bedachtsam Zeit, jede Wendung und Gefühlsregung so im Dialog zu klären, dass auch wirklich jede*r checkt, was abgeht. Muss nicht sein. Im Original passieren Dinge einfach. Manchmal auch überrumpelnd schnell, das atmet den Charme eines impulsiveren Projekts. (Hängt gewiss mit dem markanten Budget-Unterschieden zusammen.)

Das gewisse Etwas namens Waters

So gelungen ich Waters Cameo im Remake finde, ist seine Rolle als sadistischer Psychiater im Original umso grandioser. Und die Rolle der Penny Pingleton, die im Original noch mit einem »P« für »Punished« herumlaufen muss, bleibt im Remake (trotz der tollen Schauspielerin Amanda Bynes) meinem Empfinden nach vergleichsweise blass. Insgesamt fehlt es dem Remake an dem absurden John-Waters-typischen Humor. Wenn etwa (im Original) der Mädchenschwarm in einem »police riot« von Handtaschen niederknüppelt wird und mega die Show draus macht.

Auch die »Special Education Class«, im Remake ganz offensichtlich die Klassse mit den cooleren Kids, ist im Original noch ne urkomische Rasselbande, die selbst von Sportlehrerin (die Dogdeball-Trainerin, grandiooos lustig!) hart gedisst wird.

Fazit zu Hairspray (1988, 2007)

Beide Filme sind sehr lustig und versprühen ansteckend gute Laune. Während im Original der Humor mehr Raum einnimmt, sind es im Remake die Musik- und Tanzeinlagen, dann auch mit Gesang. Das Original ist kurzweiliger, das Remake opulenter, das Original flotter, das Remake bunter. Man kann getrost beide Filme schauen und sich auf zwei tolle Umsetzungen der gleichen Geschichte freuen. Die Hauptdarstellerinnen Ricki Lake und Nikki Blonsky sind übrigens gleichermaßen großartig charismatisch und liebenswert, die Highlights dieser Filme!

Weitere Filmkritiken:

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STRICTLY BALLROOM mit Tara Morice | Film 1992 | Kritik, Review http://www.blogvombleiben.de/film-strictly-ballroom-1992/ http://www.blogvombleiben.de/film-strictly-ballroom-1992/#respond Fri, 29 Jun 2018 07:00:58 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=3837 Culture-Clash und Tanzschul-Trash, großes Theater und knallbunte Kleider, dazu zwei bezaubernde Hauptdarsteller: das ist Strictly Ballroom.…

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Culture-Clash und Tanzschul-Trash, großes Theater und knallbunte Kleider, dazu zwei bezaubernde Hauptdarsteller: das ist Strictly Ballroom. Ein Film, dem es tatsächlich gelingt, so etwas vermeintlich Lahmes wie Gesellschaftstanz ziemlich cool in Szene zu setzen.

Wenn Entlein das Tanzbein schwingt

Inhalt: Strictly Ballroom erzählt die Geschichte von Scott Hastings (Paul Mercurio), einem australischen Turniertänzer auf Erfolgskurs. Als er eines Tages seine eigenen Schritte aufs Parkett bringen will, läuft ihm die Partnerin davon. Die Führungsriege der Tanzvereinigung und seine eigene, ehrgeizige Mutter sind empört. Während Letztere händeringend nach einer neuen Partnerin für ihren Sohn sucht, bändelt dieser mit einer jungen Frau namens Fran (Tara Morice) an, dem anfangs unauffälligen Mauerblümchen…

Hinweis: Liebe Leser*innen, liest man Filmkritiken zu Strictly Ballroom, muss man sich doch wundern. Immer wieder wird betont, wie konventionell und vorhersehbar der Plot des Films sei. Und im gleichen Atemzug wird er gefeiert, nicht zuletzt eben dafür. In der Überhöhung von Klischees und dem Charme der Umsetzung liegt die besondere Güte von Strictly Ballroom, insofern enthält der folgende Text keine Spoiler. Da gibt’s nichts zu verraten, was die Zuschauer*innen nicht ohnehin erahnen würden.

Der Film ist in voller Länge online verfügbar, siehe unten.

Paul Mercurio und Tara Morice als Tanzpaar in dem Film Strictly Ballroom

Totale: Strictly Ballroom im Zusammenhang

Cineastischer Kontext

1984 pitchte die Drehbuchautorin Eleanor Bergstein einem Filmstudio erstmals die Idee, aus der später Dirty Dancing hervorgehen sollte. Ein romantischer Low-Budget-Paartanzfilm aus Amerika, der zum internationalen Hit avancieren würde. Im selben Jahr, 1984, präsentierten Studenten des National Institute of Dramatic Art in Sydney ein Bühnenstück über die Welt des Ballroom Dancing, aus dem später der Film Strictly Ballroom hervorgehen sollte. Ein romantischer Low-Budget-Paartanzfilm aus Australien, der zum internationalen Hit avancieren würde. Allerdings erst 5 Jahre nach Dirty Dancing, dem Überraschungserfolg von 1987.

Strictly Ballroom vs. Dirty Dancing

Der Gedanke, Strictly Ballroom reite auf der Erfolgswelle von Dirty Dancing oder sei gar ein Abklatsch dessen, ist also daneben. Baz Luhrmann, der schon damals in das Studenten-Stück involviert war und später die Regie für die Verfilmung von Strictly Ballroom übernahm, ging es darum, dem Skript den Naturalismus auszutreiben. Die Produzenten wollten, dass der damals erst 28-jährige Schauspielstudent mit einem professionellen Drehbuchautor zusammenarbeitete. Luhrmann aber setzte sich letztlich durch, einen theatralischen Ton beizubehalten und die ganze Turniertanz-Welt bewusst zu überzeichnen.

Vergleiche zu Dirty Dancing begrüße ich nicht. Unser Film ist eine Allegorie, eine Art Fantasie, Dirty Dancing ist es nicht. | Baz Luhrmann im Hollywood Reporter, 14.10.1992

…verglichen werden die Filme natürlich trotzdem. Dabei hat es Andrew Price (Commentarama) wohl am besten zusammengefasst, auch wenn sein Diss gegen Dirty Dancing etwas hart ausfällt:

Während Dirty Dancing durchweg ernst ist, ist Strictly Ballroom sehr augenzwinkernd. Auch die Choreographien sind überlegen. Dirty Dancing ist da typisch Hollywood. Der Film zielt darauf ab, flashy zu sein – und wenn er stellenweise auf sexy macht, ist es offensichtlich und überzogen. Das Tanzen in Strictly Ballroom hingegen zeugt von enormen technischen Skills. Es fühlt sich an, als lünkere man in die Übungsstunden echter Tänzer*innen, die im Privaten ihre Limits testen wollen. Dirty Dancing wirkt dagegen gestellt. | Hier geht es zur ausführlichen Filmkritik (auf Englisch)

Tatsächlich handelt es sich bei Hauptdarsteller Paul Mercurio nicht um einen Schauspieler, sondern einen professionellen Tänzer, der in Strictly Ballroom zum ersten Mal für einen Film vor der Kamera stand.

Persönlicher Kontext

In der 9. Klasse damals, ich muss etwa 13 Jahre alt gewesen sein, da wurden wir Schüler*innen liebevoll dazu gedrängt, die Freitagnachmittage doch mal in der Tanzschule zu verbringen. Klassischer Paartanz, Standard und Latein, erst für Anfänger, dann Kurs Nummer 2… 3 Jahre blieb ich dabei. Ein paar Turniertänze, ein paar Dramen hinter den Kulissen, ohne Bühne großes Theater, typisches Tanzschul-Gezeter. Zwischen Abendtrainings und Abschlussbällen hab ich meine Pubertät ausgelebt, mit peinlichen Spitzen.

Dirty Dancing 2 und Darf ich bitten? (beide 2004) haben wir damals mit versammelter Tanztruppe im Kino gesehen. Dirty Dancing, das Original, das stand als bester Tanzfilm aller Zeiten quasi nicht zur Diskussion. Zu der Zeit entdeckte ich auch Moulin Rouge (2001), nahm ihn begeistert in meine junge DVD-Sammlung auf und hielt mich für einen großen Filmkenner. Ach, wie klein doch diese Bubble war, in der ich damals vor mich hin blubberte. Nicht einmal das Spielfilm-Debüt des Moulin-Rouge-Regisseurs nahm ich zur Kenntnis. Obwohl es doch ein Tanzfilm über eben die Tänze war, die wir Woche um Woche lernten, Walzer, Cha Cha, Paso Doble…

Umfangreiche PDF-Broschüre zu Strictly Ballroom vom Film Institute of Ireland.

Close-up: Strictly Ballroom im Fokus

Erster Eindruck | zum Inhalt des Films

Strictly Ballroom beginnt mit einem roten Vorhang. Diese Einstellung mag Namensgeber für die spätere Vermarktung dieses Films als Teil der Roter-Vorhang-Trilogie (Red Curtain Trilogy) sein, zusammen mit Baz Luhrmanns Romeo + Juliet (1996) und besagtem Moulin Rouge (2001). Als erster und am geringsten budgetierter Film dieser thematisch und stilistisch verbundenen Reihe kommt Strictly Ballroom insgesamt jedoch deutlich weniger pompös daher. Die erste Szene zeigt die Silhouetten von Tänzern im Gegenlicht, Bewegungen in Zeitlupe zum Donauwalzer von Johann Strauss.

Der Walzer geht weiter, während wir den Silhouetten aufs Parkett folgen. Als völlig überkandidelt gestylte und gekleidete Tanzpaare paradieren sie vor Jury und Publikum und tanzen los, angefeuert von begeisterten Fans – und aufgedrehten Müttern. Das Bild gefriert auf einer Einstellung eines der Tänzer. Texteinblendung: Scott Hastings, Ballroom Champion. Aus dem Off kommt seine Mutter (Pat Thomson) zu Wort. Sie reflektiert die Erfolgsgeschichte ihres Sohnes, wird prompt eingeblendet. Als nicht minder aufgetakelte Frau sitzt sie neben ihrem selig grinsenden Ehemann auf einem rosa Sofa und spricht in die Kamera. Texteinblendung: Doug and Shirley Hastings, Scott’s Eltern.

Ja, der Tanzfilm Strictly Ballroom beginnt als Mockumentary! Und der Übergang von diesem Genre in das des klassischen Tanzfilms mit konventionellem Handlungsbogen gelingt so galant, wie Scott von seinen einstudierten Schritten in frei improvisierte übergeht.

Bisschen Hintergrundwissen zum Angeben, gefällig? Hier geht’s zu 20 Dingen, die du nicht über Strictly Ballroom wusstest | von der Herald Sun (auf Englisch)

Bleibender Eindruck | zur Wirkung des Films

Baz Luhrmann, der keinen naturalistisch anmutenden Film à la Dirty Dancing machen wollte, etabliert in Strictly Ballroom einen Inszenierungsstil, der »too much« als genau richtige Dosis ans Publikum bringt. Ein Konzept, dass Luhrmann bis The Great Gatsby immer exzessiver verwirklicht hat. Seit dem ersten Film arbeitet Lurhmann eng mit seiner Ehefrau, der Szenen- und Kostümbildnerin Catherine Martin, zusammen. Die wilden Kameraflüge und opulenten Kulissen, die wir von den beiden Filmschaffenden gewohnt sind, fallen in Strictly Ballroom ob des geringen Budgets weg. Die finale Szene wurde gar während eines echten Tanzturniers gedreht, vor echten Zuschauer*innen, die in der Pause kurzerhand zum Mitmachen gegeben wurden.

Wir konnten nur zwei Takes drehen, wegen dem kleinen Zeitfenster. In einem der Takes stürzte einer der Tänzer, weshalb wir nur ein Take verwenden konnten. | John O’Connell, Choreograph von Strictly Ballroom

Barry Fife in Zeiten des Pöbelclowns

Strictly Ballroom ist insofern übrigens ziemlich up to date, als der Antagonist des Films, der konservative, schmierige Chef der Tanzvereinigung namens Barry Fife (Bill Hunter), eine geradezu erschreckende Ähnlichkeit zu Donald Trump hat. Dem pöbelnden Clown, der aktuell das Weiße Haus okkupiert.

Oh, und apropos Trump: Um spanisch sprechende Immigranten geht es auch in Strictly Ballroom. Und zwar stammt die weibliche Hauptfigur Fran (mitreißend gespielt von Tara Morice) von spanischen Einwanderern ab. Dieser familiäre Background führt den Film zu seinen vielleicht schönen Szenen, die sich nicht im Rampenlicht, sondern im Hinterhof abspielen. Dort, wo sich Generationen und Kulturen begegnen – und Paso Doble tanzen.

Fazit zu Strictly Ballroom

Witzige Sache zu Strictly Ballroom: Man sieht jede Wendung kommen und muss doch lachen. | Peter Travers für Rolling Stone, 12.02.1993

Es hätte eine weitere, abgelutschte 08/15-Neuauflage vom hässlichen Entlein werden können. Doch mit starken Dialogen, charmanten Schauspieler*innen und einer ordentlichen Portion Humor, gut über den Film verteilt, gelingt Strictly Ballroom ein bemerkenswerter Film nach bekanntem Muster. Wer Dirty Dancing liebt, wird Strictly Ballroom mindestens sehr mögen – und vielleicht ernsthafte Schwierigkeiten im Ranking der persönlichen Lieblingsfilme kriegen. Für mich schubst Strictly Ballroom den Kultfilm mit Jennifer Grey tatsächlich vom Thron. Da kann Baby noch so viele Melonen heranschleppen…

Hier nun Strictly Ballroom (im englischen Original), viel Vergnügen!

Weitere Filmkritiken:

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FEMALE TROUBLE mit Divine | Film 1974 | Kritik, Review http://www.blogvombleiben.de/film-female-trouble-1974/ http://www.blogvombleiben.de/film-female-trouble-1974/#respond Thu, 28 Jun 2018 07:00:24 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=3972 »Für CHARLES WATSON«  lautet die Widmung im Vorspann des Films Female Trouble. Dazu das Bild von…

Der Beitrag FEMALE TROUBLE mit Divine | Film 1974 | Kritik, Review erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.

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»Für CHARLES WATSON«  lautet die Widmung im Vorspann des Films Female Trouble. Dazu das Bild von einem bunten Holz-Hubschrauber mit der Aufschrift »game is blame«. Dieses Kinderspielzeug wurde von besagtem Watson selbst gebaut, während seiner Zeit im Bau. Dort sitzt er heute immer noch ein, im völlig überbelegten Mule Creek State Prison in Kalifornien – für seine Beteiligung an den grausamen Taten der Manson Familie. Was muss das für ein Film sein, der einem mehrfachen Mörder im Gefängnis gewidmet ist?

Den Fuß in die Wunde halten

Ein irrer Film. Verbrochen hat ihn der berüchtigte John Waters, Ikone des Untergrund-Kinos. Diesen Ruf verdankt er seinem Durchbruch mit Pink Flamingos (1972), aber eben auch Female Trouble. Wer John Waters über die muntere Mainstream-Komödie Hairspray (1988) kennengelernt hat, mag es kaum glauben: Dieser Typ hat insbesondere in den 70er Jahren einige Meilensteine des schlechten Geschmacks gedreht, die bei vielen Menschen den Magen umdreht. Allein, dass diese Meilensteine die meisten Menschen ohnehin nicht erreichen – man muss schon gezielt nach diesen Filmen suchen. Im Internet ist das nicht schwer, dort tummeln sich John Waters‘ Werke dicht unter der Oberfläche. Denn wie bei allen extremen Auswüchsen des Kinos gibt es auch genug Menschen, die diese als Kultfilme feiern.

Harris Glenn Milstead alias Divine in dem Film Female Trouble

Inhalt: Female Trouble handelt von dem Teenager-Mädchen Dawn Davenport (Divine). In der Schule und daheim macht sie Probleme. Zu Weihnachten zerstreitet sie sich so sehr mit ihren Eltern, dass Dawn von zu Hause weg will. Ein Verbrechen, dass ihr daraufhin beim Trampen widerfährt, wird den Verlauf ihres Lebens bestimmen. Dawn gerät auf die schiefe Bahn und macht eine Karriere als Kriminelle.

Hinweis: Liebe Leser*innen, dieser Text enthält Spoiler. Es werden einige Einzelheiten zum Handlungsverlauf sowie das Ende besprochen. Wer zunächst den Film sehen möchte, findet diesen ganz unten verlinkt. Doch Achtung, Female Trouble ist eine trashige Tabu-Orgie und Perversionen-Parade, die Gewalt verherrlicht. Wird den wenigsten Menschen ehrlichen Herzens gefallen. Hoffe ich, irgendwie.

Totale: Female Trouble im Zusammenhang

Historischer Kontext

Female Trouble ist der zweite Teil einer losen Trilogie, die Regisseur John Waters selbst als »Trash Trilogy« bezeichnet. Dazu zählen des Weiteren Pink Flamingos (1972) und Desperate Living (1977). Ersterer ist Waters‘ berühmtester, explizitester und extremster Spielfilm, dessen finale Szene wohl nur von Hundeschiss-Fetischisten mit Genuss gesehen werden kann. Letzterer ist Waters‘ einziger Spielfilm ohne Ausnahme-Schauspieler und Drag-Queen Divine vor dessen Tod im Jahr 1988 und auch sein erster Film ohne David Lochary, der wenige Wochen nach der Veröffentlichung von Desperate Living unter bis heute ungeklärten Umständen starb. Im Drogenrausch versehentlich verblutet, ist eine gängige Vermutung.

In Female Trouble stehen Divine und David Lochary noch in tragenden Rollen vor der Kamera. Divine spielt die Hauptfigur Dawn Davenport sowie (als Doppelrolle) den Mann, der dieses Mädchen am Straßenrand vergewaltigt. David Lochary spielt den Inhaber eines Schönheitssalons, der Dawn gemeinsam mit seiner Frau später zu übelsten Verbrechen anstiftet, um diese in Bildern festzuhalten.

»Crime is beauty«, so die Idee.

Schuldbekenntnis eines Spaßmachers

John Waters selbst nennt Female Trouble »ein fiktives Biopic über eine Frau, die einer Gehirnwäsche unterzogen wird und daran glaubt, dass Verbrechen gleich Schönheit sei.« Hinsichtlich der Widmung im Vorspann, an den Mörder Charles Watson, schreibt Waters später in einem Text über Leslie Van Houten, ebenfalls Mitglied der Manson-Familie und verurteilte Mörderin, die John Watson als »wirklich gute Freundin« bezeichnet:

Ich bin auch schuldig. Schuldig, die Manson-Morde auf eine spaßige Klugscheißer-Weise in meine früheren Filme eingebaut zu haben. Ohne die geringste Empathie für die Familien der Opfer oder die Leben der gehirngewaschenen Manson-Killer-Kids, die ebenso Opfer waren, in diesem traurigen und schrecklichen Fall.

Inspiriert von Mordtaten, aber frei von Empathie für die Opfer. Das ist Female Trouble. Genug, um den Film als verachtenswertes Projekt unreflektierter Gewalt-Enthusiasten abzutun. Mir selbst indes ist dieser Streifen in einem ganz anderen Zusammenhang begegnet.

Persönlicher Kontext

Für mein Studium der Philosophie darf ich mich aktuell mit Judith Butlers Das Unbehagen der Geschlechter / Gender Trouble (1990) beschäftigen. Bis dato kann ich nicht viel mehr dazu sagen, als dass es kompliziert geschrieben ist. 1998 bekam Butler einmal den Ersten Preis in einer Bad Writing Competition. Mal abgesehen davon, dass solch Negativpreise schlicht gemein sind und mehr über das Wesen der Verleiher*innen solcher Trophäen aussagen, als irgendetwas anderes, hat Butler mit einem Kommentar in The New York Times schlagfertig darauf reagiert:

Wenn das Alltagsdenken [die Umgangssprache] manchmal einen bestimmten gesellschaftlichen Status Quo konserviert, und dieser Status Quo manchmal ungerechte soziale Verhältnisse als natürlich behandelt, dann macht es Sinn, in solchen Fällen das Alltagsdenken [und damit die Umgangssprache] herauszufordern. Eine Sprache, die diese Herausforderung annimmt, kann helfen, den Weg zu einer sozial gerechteren Welt zu weisen.

Ich spiele den Mann

Die ungerechten sozialen Verhältnisse, um die es Judith Butler geht, sind in Das Unbehagen der Geschlechter inbesondere die zwischen Frauen und Männern. Die Philosophin beschäftigt sich mit der Frage, ob es beim Frau-sein und Mann-sein nicht weniger um natürliche Unterschiede geht, als vielmehr um unterschiedliche Rollenbilder, die wir performen?

In diesem Zusammenhang kommt Butler im Vorwort zu Das Unbehagen der Geschlechter auf den Female Trouble zu sprechen, dessen Hauptdarsteller*in, jene berühmte Drag-Queen Divine auch als Heldin Hairspray (1988) auftritt. Divine wurde 1945 als Harris Glenn Milstead geboren, ein Junge, der schon früh Gefallen daran fand, in Frauenrollen zu schlüpfen – so auch in den Filmen seines Jugendfreundes John Waters.

Divine rüttelt an unseren Schubladen

Divines Darstellung von Frauen weist implizit darauf hin, daß die Geschlechtsidentität eine Art ständiger Nachahmung ist, die als das Reale gilt. Sein/Ihr Auftritt destabilisiert gerade die Unterscheidungen zwischen natürlich und künstlich, Tiefe und Oberfläche, Innen und Außen, durch die der Diskurs über die Geschlechtsidentitäten fast immer funktioniert.

Judith Butler wirft Fragen auf:

Ist die Travestie (also die Darstellung einer Bühne- oder Filmrolle durch Personen des anderen Geschlechts) eine Imitation der Geschlechtsidentität (also der inneren Gewissheit, einem bestimmten Geschlecht anzugehören)? Oder bringt sie die charakteristischen Gesten auf die Bühne, durch die die Geschlechtsidentität selbst gestiftet wird? Ist »weiblich sein« eine »natürliche Tatsache« oder eine kulturelle Performanz?

Antworten auf diese Fragen sucht man statt in Waters‘ Werk wohl lieber in Butlers Buch, dessen Originaltitel Gender Trouble, so legen es Judith Butler Ausführungen nahe, aber immerhin an den Film Female Trouble angelehnt ist.

Close-up: Female Trouble im Fokus

Erster Eindruck | zum Inhalt des Films

Hey, spar dir deine Moral.
Schau, jede*r stirbt einmal.
Das, was ich gerne mag,
sind Mord und Totschlag.

Das ist eine Strophe aus dem Song Female Trouble. Gesungen von Divine, geschrieben von John Waters, begleitet dieses Lied den Vorspann des gleichnamigen Films und nimmt ein wenig seiner Haltung und Handlung vorweg.

Der Film beginnt mit einem Text-Insert: »Dawn Davenport *Youth* 1960«. In verspielter blaue Schrift auf violettem Hintergrund schließt sich diese Einblendung nahtlos an den schrillen Vorspann an. Immer wieder wird es solche Text-Inserts geben, die den Film in Kapitel unterteilen, nach den Lebensabschnitten der rastlosen Heldin.

Die erste Szene auf einem Schulkorridor führt Dawn Davenport als Schülerin ein, die ob ihres Haar- und Körpervolumen ins Auge sticht. Sie spricht mit einer Mitschülerin über das Weihnachtsgeschenk, das sie sich von ihren Eltern erhofft: irgendwelche hochhackigen Schuhe namens Cha Cha Heels. Dass sie diese später nicht bekommt, ist das Auslösende Ereignis der Films, das die Handlung ins Rollen bringt.

Hier ist dieser selige Moment bei der Bescherung, als Dawn Davenport nicht kriegt, was sie sich wünscht:

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Wer diesen Auftakt für schräg hält: Es ist das normalste Weihnachten der Welt, im Vergleich zu den folgenden Abenteuern der streit- und geltungssüchtigen Heldin.

Bleibender Eindruck | zur Wirkung des Films

In einer Szene sagt Tante Ida (gespielt von Edith Massey, die später im Film minus einer abgehackten Hand im Vogelkäfig landet und dort als Haustier gehalten wird) zu ihrem Sohn Gater, von dem sie sich so sehr wünscht, dass er schwul wäre:

Ich mache mir Sorgen, dass du in einem Büro arbeiten und Kinder haben und Hochzeitsjahrestage feiern wirst. Die Welt der Heterosexuellen ist ein krankes und langweiliges Leben.

Krank ja, langweilig nein, so würde ich den weiteren Verlauf des Films in aller Kürze kommentieren. Völlig entkoppelt von etwaiger sexueller Orientierung, die vor der Kamera ausgelebt wird.

Fazit zu Female Trouble

Aus der Sicht eines (im Vergleich zu John Waters, seiner Entourage und seinen Protagonisten) ziemlichen Otto-Normalos sage ich mal: Man muss diesen Film nicht gesehen haben, fällt nicht in den Kanon von Filmen für lockere Tischgespräche zwischen gelegentlichen Kinogänger*innen. Und man sollte bei diesem Film auch nicht unbedingt etwas essen (mein Fehler). Aber tut man sich Female Trouble trotzdem an, gewährt das Werk einen Blick in eine Parallelwelt, in der all unsere gesellschaftlichen Ideale auf den Kopf gestellt werden. Was ist schön, was ist richtig, falsch, anständig, abartig? Da diese gesellschaftlichen Ideale aber ohnehin nur der hauchdünne Vorhang auf einer Bühne voller verlogener Irrer ist, mag der schonungslose Schandtaten-Schaukasten Female Trouble gar sowas wie ein Kino der Katharsis sein. So weh es auch tut, dieser Film ist vermutlich näher dran am wirklichen Wesen der Menschen, als so bezaubernde Werke wie La La Land (2014) oder Tatsächlich… Liebe (2003).

Genug der Worte, hier gibt es den Film zu sehen: Female Trouble, 97 Minuten, viel Spaß!

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JURASSIC WORLD: Das gefallene Königreich | Film 2018 | Kritik, Review http://www.blogvombleiben.de/film-jurassic-world-das-gefallene-koenigreich-2018/ http://www.blogvombleiben.de/film-jurassic-world-das-gefallene-koenigreich-2018/#respond Mon, 25 Jun 2018 05:00:58 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=3947 Film-Franchises gibt es ja ungefähr seit den Dinosauriern. Oder zumindest den Riesenaffen. Mit King Kong und…

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Film-Franchises gibt es ja ungefähr seit den Dinosauriern. Oder zumindest den Riesenaffen. Mit King Kong und die weiße Frau wurde bereits 1933 der erste Film einer Reihe geschaffen, die just im vergangenen Jahr ihre x-te Fortsetzung fand. Darin tauchten auch immer mal wieder Dinosaurier auf, seit Jurassic Park III (2001) ein schwacher Trost für alle Liebhaber der ledrigen Riesenviecher. Oder waren sie gefiedert? Na, so wissenschaftlich genau muss ein Dino-Kino-Franchise nicht sein – Hauptsache, es lässt’s krachen! Und so freuen wir uns gigantisch über Jurassic World: Das gefallene Königreich, den zweiten Teil der neuen Trilogie, mit der die Urviecher 2015 endlich wieder aus der Versenkung geholt wurden.

Mit Raptoren auf Spatzen schießen

 

Die Schauspieler Ted Levine und Daniella Pineda, Standbilder aus Jurassic World: Das gefallene Königreich | Bild: Universal Pictures

 

Totale: Jurassic World: Das gefallene Königreich im Zusammenhang

Cineastischer Zusammenhang

Nach den ersten 3 Filmen – Jurassic Park (1993), Vergessene Welt: Jurassic Park (1997) und Jurassic Park III (2001) – wurde es lange still um die Dino-Filmreihe. Ganze 7 Godzilla-Filme erblickten seit 2001 weltweit das Licht der Kinosäle (oder landeten direkt im DVD-Regal). Auch ansonsten wurden die ehrwürdigen Urtiere eher für schändliche filmische Zwecke wiedererweckt. Als da wären: Dinocroc vs. Supergator (2010) oder Age of Dinosaurs – Terror in L.A. (2013, von Joseph J. Lawson, auch bekannt für Nazi Sky – Rückkehr des Bösen!).

Nun hätte, ehrlich gesagt, ein Jurassic Park 4 (wie er lange im Gespräch war) nicht weniger trashig geklungen. Die Zahl 4 ist schlichtweg nicht sexy. Welche Filmreihe liebt man denn bitte für ihren Teil 4? Die 3 trifft bei uns Menschen einen Nerv, vom flotten Dreier bis zu allen (anderen) sprichwörtlich guten Dingen. Aber die 4 suggeriert den Abstieg in die Belanglosigkeit. Das erklärt auch die Unbeliebtheit vieler Politiker. Legislaturperioden von 4 Jahren sind einfach eines zu lang…

Schockierender Hinweis (um den Teil-4-Trash-Faktor nochmal zu unterstreichen): Für Jurassic Park 4 wurden zeitweise Mensch-Dino-Hybride in Erwägung gezogen. Wesen also, die halb Homo Sapiens, halb Tyranno Saurus Sonstwas sind. Davon haben wir doch nun wahrlich genug…

Trilogien hingegen sind sexy – und wie! Nachdem die Planung für Jurassic Park 4 nach dem Tod des Drehbuch- und Romanautors Michael Crichton im Jahr 2008 auf Eis gelegt wurden, besinnten sich auch die Jurassic-Park-Produzenten auf diese altbekannte Gewissheit. Im Januar 2010 hieß es dann, die Vorbereitungen für eine Fortsetzung sollen wieder aufgenommen werden, doch völlig anders als geplant: Teil 4 werde der Beginn einer neuen Trilogie.

Die Puppen-Dinos sind zurück

Nach Jurassic World (2015) wurde das Budget für den neuen Teil 2 nochmal um über 100 Millionen Dollar aufgestockt. Damit konnte neben den CGI-Effektfeuerwerken wieder verstärkt auf state of the arts Puppenspieler und Animatroniker gesetzt werden. Es wurden extra Szenen ins Drehbuch geschrieben, die es ermöglichten, Dinos nur teilweise (siehe: das T-Rex-Weibchen im Fahrzeug-Laderaum) und/oder in langsamen Bewegungen (siehe: die gefesselte, betäubte Velociraptorin) zu zeigen. Diese wurden nicht am Computer animiert, sondern »in echt« gebaut und gesteuert. Für diese Rückbesinnung zu den Wurzeln (Animatronik sorgte schon im allerersten Jurassic Park für die denkwürdigsten Szenen) wird Jurassic World: Das gefallene Königreich gebührend gefeiert.

Auch sonst gibt es nennenswerte Reminiszenzen an die 90er-Jahre Jurassic-Park-Filme. Von verfütterten Ziegen über zerdrückte Geländewagen, fliehende Urviecherherden und Türöffno-Saurus bis hin zu Dino-OPs gibt es einige Motive, die Jurassic-Fans Krokodilstränen der Freude in die Augen treiben.

Persönlicher Zusammenhang

Ich hatte das Vergnügen, Jurassic World: Das gefallene Königreich im OH·KINO in Wrocław (Breslau) zu sehen. Englisches Original mit polnischen Untertiteln und Karamell-Popcorn, yay! Auf dem Roadtrip nach Polen hatten wir zuvor eine Nacht in Dresden verbracht, inklusive Besuch im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr. In der dortigen Dauerausstellung kreuzte – zu unserer Überraschung – ein imposanter Elefant unseren Weg. Lebensgroß, ausgestopft. Er führte eine Parade von Tieren an, die von Menschen über die Jahrhunderte für ihre kriegerischen Zwecke missbraucht wurden. Von Sprengstoffspürhunden und Brieftauben über Schafe, deren traurige Bestimmung es war, Minenfelder zu erschließen. Sogar ein Löwe ist in dem Museum zu sehen, mit der Info, dass sich NS-Mann Hermann Göring einen solchen gehalten hat, auf seinem feudalen Anwesen in Carinhall. Einfach nur, um seine Gäste zu beeindrucken. Da hatte wohl jemand etwas zu kompenisieren…

Dass Jurassic World: Das gefallene Königreich also von Bonzen handelt, die Dinosaurier für Millionenbeträge ersteigern möchten, erscheint absolut logisch und sinnvoll. Manche der grimmig dreinschauenden Herren im Film wollen sicher nur ein fettes Urzeit-Haustier, um ihr zartes Ego zu streicheln. Andere denken (natürlich) an Dinosaurier für militärische Einsätze. Es gibt gar einen Dialog, in dem explizit davon gesprochen wird, dass Menschen im Krieg immer Tiere eingesetzt hätten. Da werden sogar Elefanten genannt! Und das nur 2 Tage, nachdem ich erstmals über Elefanten im Krieg gelernt habe! Das ist die fiese Art des Universums, mir zu sagen: »Na, du kleiner Wurm? Genießt du die Matrix?«

Close-up: Jurassic World: Das gefallene Königreich im Fokus

Erster Eindruck | zum Inhalt des Films

Jurassic World: Das gefallene Königreich beginnt Unterwasser, mit Lichtern eines U-Boots, die sich aus der Dunkelheit abheben. Ebenso, wie die Rahmenhandlung von Titanic (1997) anfängt. Bloß, dass der Tauchgang keinem Schiffswrack gilt, sondern dem Skelett eines Dinosauriers. Doch nicht irgendein Skelett! So wie es in Titanic um das größte Schiff im Jahre 1912 geht, dreht sich die Fortsetzung von Jurassic World zunächst um den furchterregendsten Saurier, der im Jahr 2015 noch gewütet hat. Wir erinnern uns an den epischen Kampf zwischen Tyrannosaurus Rex, ein paar Raptorinnen und besagtem Superlativ-Saurier, dem aus verschiedenen Spezies gezüchteten Hybriden Indominus Rex. Der Kampf endete damit, dass das Mosasaurus-Weibchen (die gut bezahnte Unterwasser-Echse, Rex Machina) aus ihrem Becken sprang und Indominus Rex mit zu sich in die Tiefe riss.

Dort unten also sägt nun – 3 Jahre nach dem Untergang von Jurassic World – ein U-Boot mit zwielichtigen Männern an dem Indominus-Skelett herum, um einen Knochen zu bergen. Dieser Knochen ist für die Männer ungefähr so wertvoll, wie das »Herz des Ozeans« für die ihrerseits zwielichtigen Wrack-Plünderer in Titanic. Nur dass Letztere halt in Ruhe den Tresor an die Oberfläche hieven können, während Erstere im Mosasaurus-Becken die Bekanntschaft von Mosasaurus machen. Blöder Zufall, bei so einem großen Becken…

Was hat Mosasaurus die 3 Jahre seit dem letzten Film gefressen, um in ihrem Becken nicht zu verrecken? Achtung, Achtung! Wer so früh mit Logikfragen anfängt, wird in Jurassic World: Das gefallene Königreich Kopfschmerzen kriegen. Stattdessen lieber zurücklehnen, entspannen und die Dino-Action genießen. Über 2 Stunden lang gibt’s die volle Dröhnung, ab dem Vulkanausbruch sogar ziemlich pausenlos: Auf der Insel, Unterwasser, im Schiffsbauch, Keller, Kinderzimmer, auf Dächern und in Käfigen. Neben den üblichen Verdächtigen unter den Dinos natürlich auch wieder mit einem neu gezüchteten Hybrid-Horror-Viech, das die Saurier-Sause erst so richtig in Schwung bringt!

Bleibender Eindruck | zur Wirkung des Films

Ich hab’s genossen, keine Frage. Jurassic World: Das gefallene Königreich ist ein Action-geladenes Dino-Spektakel mit ordentlich Schauwerten. Tatsächlich hätte ich mir gar etwas weniger Action gewünscht. Nur einmal stapft ein Brachiosaurus gemächlich durchs Bild. Diesem schönen Tier und seinen herbivoren Homies ein Weilchen beim Grasen zuschauen, das wär auch schön gewesen. Stattdessen konzentriert sich Jurassic World: Das gefallene Königreich auf die Idee vom »Dino als Kriegswaffe«. Das nimmt teilweise wirklich bescheuerte Züge an.

Es gibt eine Szene, in der ein Auktionär (verkörpert von Schauspieler Toby Jones) seinem vor Geld stinkenden Publikum vorführen will, wie übelst krass der genmodifizierte Hybrid-Dino namens Indoraptor im Käfig neben ihm drauf ist. Dazu richtet der Auktionär ein Gewehr auf einen Mann im Publikum. Als der rote Laserpunkt der Zielvorrichtung auf der Brust des (jetzt nervösen) Mannes flackert, drückt der Auktionär einen bestimmten Knopf am Gewehr. Sofort rastet der Indoraptor in Richtung des nervösen Mannes aus – nur der Käfig hält den Dino davon ab, den Mann zu zerfetzen.

Wann wird’s wissenschaftlicher?

Das soll also effiziente Kriegsführung sein? Mit einer Waffe auf einen Mann zielen, um dann per Knopfdruck einen wütenden Dino auf diesen Mann loszulassen? Um den Mann zu töten, oder was? Und dazu hätte man nicht einfach den guten alten Abzug neben dem fancy Dino-Knopf betätigen können!? »Raptoren auf Menschen loslassen« ist Hollywoods Pendant zu »mit Kanonen auf Spatzen schießen«. Immerhin: Wesentlich bildgewaltiger, als die Spatzen-Variante.

Übrigens hat Colin Trevorrow, Drehbuchautor der beiden Jurassic-World-Filme angekündigt, im dritten Teil werde man sich wieder auf reale Dinosaurier konzentrieren, ohne die genmodifizierten Neuschöpfungen. Jurassic World 3 soll tatsächlich ein »science thriller« werden. Zur Erinnerung daran, wie weit die Dinos in Jurassic World nach heutigem Kenntnisstand von ihren urtümlichen Vorfahren entfernt sind: In Münster gibt es seit 2014 das erste befiederte Velociraptor-Modell in Deutschland zu sehen. Schaut dezent anders aus, als die coole Raptorin Blue:

Die Post-Credit-Szene nach dem Abspann

Apropos Teil 3: Nach dem Abspann lieferte Jurassic World: Das gefallene Königreich noch ein Schmankerl für alle Kinobesucher*innen, die bis zum Ende sitzen geblieben sind und gewissenhaft die Namen aller Beteiligten durchgelesen haben. Fun Fact: Ich heiße David, weil meine Eltern solche Leute sind, die sich Filmcredits durchlesen. Um 1989 herum dachten sie dabei eines schönen Filmabends: »Hey, David, der Name ist gut.« Ich persönlich hoffe ja, es war David Fincher.

NACH DEM ABSPANN jedenfalls gibt es noch ein letztes Bild von ein paar Pteranodons, die um das Eiffelturm-Dublikat in Las Vegas kreisen.

Eine globale Plage?

Denn: Die Dinos sind am Filmende ja ausgebüxt, alle miteinander. Und jetzt streunen sie frei durch die Welt. Die Flugsaurier an Amerikas Eiffelturm zu zeigen ist eine schönes Sinnbild für diese Dino-Klone, die ja ihrerseits »nachgemacht« sind von den urzeitlichen »Originalen«. Gleichzeitig stellt der Eiffelturm ein Symbol für Europa dar und eröffnet damit neue Dimensionen. Die Dinos haben nicht nur ihre Insel verlassen, nein, sie könnten auch den Kontinent verlassen. Jurassic WORLD eben.

Sehr, sehr coole Vorstellung. Den Film möchte ich gerne sehen. Es gibt sogar schon einen Starttermin. Am 11. Juni 2021 kommt Jurassic World 3 in die Kinos. Einfach schonmal freihalten. ABER: Ich hoffe sehr, die Macher*innen finden für die weltweite Ausbreitung der Dinos eine glaubwürdige Erklärung. Denn ein paar Dutzend große Echsen einzufangen, die im weiteren Umkreis der Villa rumlaufen, aus der sie entflohen sind, das sollte mit heutigen Mitteln doch zu händeln sein? Für den glaubwürdigen Zusammenbruch der menschlichen Zivilisation braucht es bitteschön ein bisschen mehr, als die Szene von einer Velicoraptorin, die sich ihren Weg durch eine City beißt.

Fazit zu Jurassic World: Das gefallene Königreich

Ach, das war ein großer Spaß! Die Spannung ist natürlich mäßig, weil man nie wirklich damit rechnen muss, dass die Dinos das kleine Mädchen zerreißen. Wann immer die junge Schauspielerin Isabella Sermon um ihr Leben bangt, können sich die Zuschauer*innen entspannt zurücklehnen: Ist immer noch Jurassic World, nicht Game Of Thrones. Hier ist die Welt noch in Ordnung, Dinos hin oder her. Abgesehen davon, dass sich Jurassic World: Das gefallene Königreich im Vergleich zum ersten Teil der neuen Trilogie zwar Mühe gibt, erneuten Sexismus-Vorwürfen auszuweichen, dies aber nur bedingt gelingt. Die weibliche Hauptrolle Claire Dearing (gespielt von Bryce Dallas Howard) bleibt im Schatten von Chris Pratt und dort trotz anderen Schuhwerks (die Stöckelschuhe aus dem ersten Jurassic World sind gewichen) eher im ständigen Opfer/Beute-Modus.

Die Journalistin Anne Cohen (Refinery29) kann tatsächlich nur der Rolle von besagter Isabella Sermon etwas Positives abgewinnen. Ansonsten findet sie erschreckend viele gute Argumente dafür, dass Jurassic World bis dato sexistischer ist, als der erste Jurassic-Park-Film in den 90er Jahren. In diesem Sinne überlasse ich der fiktiven Paläontologin Dr. Ellie Sattler mal das letzte Wort:

Über Sexismus in Überlebenssituationen können wir diskutieren, wenn ich zurück bin. | Ellie Sattler, in: Jurassic Park (1997)


Weitere Filmkritiken:

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