Der Beitrag Das schwache Geschlecht: Schicksal oder Mythos? | Bio mit Beauvoir erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.
]]>Ich ziehe für die etwas plakative Frage – Gibt es das schwache Geschlecht? – ein Buch zurate, das schon ein wenig in die Jahre gekommen ist. Das andere Geschlecht (1949) von Simone de Beauvoir. Eine französische Philosophin und ihr monumentales Standardwerk über die Rolle der Frau von Anbeginn der Menschheitsgeschichte bis heute. Ja, okay, heute vor rund 70 Jahren – doch vieles von dem, was Beauvoir schreibt, hat nicht an Gültigkeit verloren.
Doch vorweg: Wer war Simone de Beauvoir? Zu dieser Frage hat ARTE einen amüsanten Film produziert – eine Art »Beauvoir kompakt«, 3 Minuten knackig kurzes Kennenlernen jener Frau, aus deren Werk hier fleißig zitiert wird:
Wie es sich für ein Standardwerk gehört, fängt Beauvoir mit ihrer Untersuchung der Geschlechter-Verhältnisse ganz vorne an. Oh nein, nicht bei Adam und Eva – noch weiter vorne: Bei den namenlosen Einzellern, die sexlos durchs urgeschichtliche Meer wabern und lange vor Darwin denken: könnt‘ langsam mal weitergehen, die Evolution…
Einzellige Lebewesen sind zur selbständigen Teilung fähig, da geht die Vermehrung ganz ohne Sex vonstatten. Diese ungeschlechtliche Fortpflanzung nennt man auch Schizogonie.
Vielzellige Lebewesen können sich ebenfalls ungeschlechtlich vermehren. Dazu gehören etwa die Süßwasserpolypen, winzige Nesseltiere, an denen Knospen wachsen, aus denen dann neue Nesseltiere entstehen.
Beobachtungen haben gezeigt, daß die ungeschlechtliche Vermehrung sich unbegrenzt fortsetzen kann, ohne daß irgendeine Form von Degeneration auftritt. 1
Mit diesem Kommentar möchte Beauvoir der naheliegenden Reaktion entgegenwirken, evolutionären Fortschritt per se mit Überlegenheit gleichzusetzen. Die ungeschlechtliche Fortpflanzung »primitiver« Organismen nutzt sich nicht ab, schadet nicht den Individuen oder ist irgendwie »schlechter« als geschlechtliche Fortpflanzung. Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, die Denkkategorien »besser« und »schlechter« mal für eine Weile abzuschalten. Das Leben ist erstmal nur.
Unter dem Fachbegriff Parthenogenese (oder auch: Jungfernzeugung) fällt die eingeschlechtliche Fortpflanzung. Dabei gehen etwaige Nachkommen aus unbefruchteten Eizellen hervor. Die Parthenogenese ist bei manchen Pflanzen zu beobachten. Ebenso bei Blattläusen (die häufig über mehrere Generationen nur Weibchen hervorbringen), sowie gewissen Schnecken, Fischen, Schlangen und Eidechsen. Bestimmte Hormone sind es, die deren Eizellen vorgaukeln, sie seien befruchtet. Darauf folgt die Teilung und ein neuer Organismus entsteht – ohne, dass andersgeschlechtliche, befruchtende (von Menschen gemeinhin als »männlich« bezeichnete) Artgenossen dazu beigetragen hätten.
Es sind immer zahlreichere, immer kühnere Experimente mit Parthenogenese durchgeführt worden, und bei vielen Arten hat das Männchen sich als vollständig unnütz erwiesen. 2
Kommen wir zum nächsten Szenario: 2 Gameten verschmelzen miteinander. Gameten sind in einem Körper diejenigen Zellen, die der geschlechtlichen Fortpflanzung dienen – auch Geschlechtszellen genannt. Es gibt Algen, bei denen diese miteinander zu einem Ei verschmelzenden Gameten äußerlich nicht voneinander zu unterscheiden sind. Das nennt man Isogamie. Es zeigt, dass Gameten (die wir später »männlich«, »weiblich« differenzieren) grundsätzlich gleichwertig sind. Das schwache Geschlecht? Bis hierher: keine Spur.
Nun sind im Laufe der Evolution aus ursprünglich identischen Zellen voneinander zu unterscheidende hervorgegangen: Eizellen (Oozyten, auch »weibliche Geschlechtszellen« genannt) und Samenzellen (Spermatozyten, oder »männliche Geschlechtszellen«).
Doch Achtung! Hier leitet uns die Sprache bereits auf naheliegende Irrwege. Tatsache ist, dass es verschiedenartige Gameten gibt, aus deren Verschmelzung ein Ei entsteht. Diese verschiedenartigen Gameten jedoch unterschiedlichen Geschlechtern (»weiblich«, »männlich«) zuzuordnen, mutet etwas voreilig an. Beide Ausprägungen von Gameten, also sowohl Ei- als auch Samenzellen, können gemeinsam in ein- und demselben Lebewesen vorkommen. Das kennt man zum Beispiel von bestimmten Pflanzen oder auch Ringelwürmern. Wenn Individuen mehrere Arten von Geschlechtsausprägungen haben, die verschiedenartige Gameten hervorbringen (jene Eizellen und Samenzellen), dann sprechen wir von Zwittrigkeit.
Hermaphroditismus ist ein Fachbegriff für Zwittrigkeit, die sich aus der griechischen Mythologie ableitet – genauer: Aus Ovids Metamorphosen. Darin erzählt der Dichter die Geschichte vom gemeinsamen Sohn der Liebesgöttin Aphrodite und des Götterboten Hermes, nach seinen Eltern Hermaphroditos benannt. Dieser wurde eines Tages von einer Nymphe derart fest umarmt, dass ihre Körper miteinander verschmolzen. Fortan trug Hermaphroditos seine eigenen Geschlechtsmerkmale sowie die der Nymphe – auch, wenn er schlief, wie diese großartige Skulptur zeigt (sie geht auf eine Bronzeplastik aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. zurück):
Schlafender Hermaphrodit
Zwar kommt es beim Menschen vor, dass ein Körper unterschiedliche Geschlechtsmerkmale (etwa einen Penis und Brüste) offensichtlich ausprägt. Nicht jedoch, dass in einem Menschen verschiedenartige Gameten (also Ei- und Samenzellen) produziert werden. Deshalb spricht man bei Menschen mit unterschiedlichen Geschlechtsmerkmalen von »Pseudohermaphroditen« oder »unechten Zwittern«. »Pseudo« respektive »unecht« sind jedoch sehr wertende Begriffe, in denen eine Vorstellung von richtig und falsch mitschwingt, die nicht von der Natur, sondern von uns Menschen kommt. Wir sind es, die diese Ausprägung eines Körpers als »Störung« klassifizieren und behandeln.
Menschen, die solch unterschiedliche Geschlechtsmerkmale haben, empfinden solche Begriffe – verständlicherweise – als diskriminierend. Viele bevorzugen die Bezeichnung intersexuell. Und ja, intersexuelle Menschen können schwanger werden (siehe: Diskussion bei Quora), je nach dem, wie die jeweiligen Geschlechtsmerkmale ausprägt sind. Das ist Tatsache. Doch von der Möglichkeit zur Fortpflanzung auf einen »erfüllten Sinn« zu schließen, der eine etwaige Störung wettmacht, das ist wieder der Mensch. Die Natur ist irgendwie und wir Menschen deuten sie. Wie ein Kunstwerk. (Wobei wir bei einem Kunstwerk gerne mal hinnehmen, dass es einfach keinen Sinn macht.)
Was mit Sicherheit behauptet werden kann, ist, daß beide Fortpflanzungsmodi [Getrenntgeschlechtlichkeit und Zwittrigkeit] in der Natur nebeneinander vorkommen, daß einer wie der andere die Arterhaltung sichert und daß die Verschiedenartigkeit der gonadentragenden Organismen [Gonaden sind die Geschlechtsorgane, in denen die Ei- oder Samenzellen gebildet werden] ebenso wie die der Gameten akzidentell [also zufällig] scheint. Die Trennung der Individuen in Männchen und Weibchen stellt sich also als eine unreduzierbare und kontingente Tatsache dar. 3
Mit »kontingent« meint Simone de Beauvoir »beliebig« im Sinne einer möglichen aber nicht notwendigen Trennung. Zu Beginn ihres Buchs Das andere Geschlecht (1949) führt die Autorin beeindruckend vor Augen, wie namhafte Denker diese Trennung zwischen »männlich« und »weiblich« seit jeher entweder erklärungsfrei hingenommen oder logisch zu begründen versucht haben. Dabei schlägt sie den Bogen von der griechischen Antike (Platon, Aristoteles) vor rund 2500 Jahren über das Mittelalter (Thomas von Aquin) bis in die Neuzeit (Hegel) und ihre unmittelbare Gegenwart (Merleau-Ponty, Sartre).
Auch die Ansichten über die jeweiligen Rollen der Geschlechter beleuchtet Beauvoir im Wandel der Zeit. Angefangen mit frühgeschichtlichen Mythen bis hin zur ersten Beobachtung einer Samenzelle, die in die Eizelle eines Seesterns eindringt – im Jahr 1877. Damit war die Gleichwertigkeit dieser verschiedenartigen Geschlechtszellen, die zu einem Ei verschmolzen, eigentlich bewiesen. Und doch wurde das quirlige Verhalten der Spermien und die geruhsam wartende Eizelle vielfach von altklugen Köpfen interpretiert: Als Zeichen für männliche Aktivität und weibliche Passivität. Beauvoir erlaubt sich hier noch einmal einen Verweis auf die eingeschlechtliche Fortpflanzung (Parthogenese), bei der Eizellen durch bloße Einwirkung körpereigener Hormone beginnen, neues Leben hervorzubringen.
Es hat sich gezeigt, daß bei manchen Arten die Einwirkung einer Säure oder eine mechanische Reizung ausreichen kann, um die Eifurchung und die Entwicklung des Embryos auszulösen. Vielleicht wird die Mitwirkung des Mannes an der Fortpflanzung eines Tages überflüssig: das ist anscheinend der Wunsch zahlreicher Frauen. Nichts aber berechtigt zu einer so gewagten Vorwegnahme, denn nichts berechtigt zu einer Verallgemeinerung spezifischer Lebensprozesse. 4
Eine Verallgemeinerung wie die vom Verhalten unserer Geschlechtszellen auf die Verhaltensnormen unserer Geschlechtsrollen, wenn man sagt: »Eizellen sind passiv, also gehören Frauen an den Herd.« Beauvoir warnt überhaupt vor der Freude an Allegorien, während sie auf die genauen biologische Vorgänge bei der Befruchtung eingeht. (Und bevor sich jemand räuspert: ja, ich weiß, ich stelle in diesem Blog selbst eine unverhohlene Vorliebe für Allegorien zur Schau…). Im Moment der Zeugung, so die Quintessenz von Beauvoirs Ausführungen jedenfalls, stellt sich keines der Geschlechter als dem jeweils anderen überlegen dar. Aber ab wann gibt es das schwache Geschlecht denn dann?
Aus befruchteten Eiern gehen beim Menschen – wie bei den meisten Tieren – in etwa gleich viele Individuen zweier verschiedenartiger Geschlechter hervor, von uns »Männchen« und »Weibchen« genannt. Für beide vollzog sich die embryonale Entwicklung identisch, bis zu einem Reifestadium, da sich Hoden oder Eierstock zu bilden begannen. Bis zur neunten Woche hat ein Embryo einen sogenannten Genitalhöcker, aus dem sich Penis oder Vagina bilden. Was beim Penis größer wächst und zur Eichel wird, rutscht bei der Vagina weiter hoch und heißt Klitoris. Quasi das gleiche Ding, etwas anders positioniert. Etwaige Zwischenformen – wie eine zu große Klitoris oder ein zu kleiner Penis, wie sie die Natur manchmal hervorbringt – werden von uns als Störungen bezeichnet und zuweilen operativ angepasst.
Die Sexualtheorie zu Zeiten Beauvoirs ging bereits davon aus, dass das Einwirken bestimmter Hormone auf den Zellhaufen Mensch dazu führt, dass dieser Zellhaufen diese oder jene Geschlechtsmerkmale bekommt. Hormonelles Ungleichgewicht hat dabei Formen der oben beschriebenen Intersexualität zur Folge. Wie genau die Gewichtung zustande kommt? Der Titel von Beauvoirs erstem Kapitel sagt es schon: Schicksal.
Die Philosophin klettert im Folgenden die evolutionäre Stufenleiter des tierischen Lebens hinauf, mit Blick auf das schwache Geschlecht. Wir passieren Stechmücken, von denen das Männchen nach der Befruchtung stirbt, und Schmetterlinge, deren Weibchen nicht einmal Flügel haben, während Männchen mit Flügeln, Fühlern und Scheren ausgestattet sind, sowie allerlei anderes Getier.
Sehr häufig legt [das Männchen] bei der Befruchtung mehr Initiative an den Tag als das Weibchen: es sucht das Weibchen auf, greift es an, betastet es, packt es und zwingt ihm die Paarung auf; […]
Auch wenn das Weibchen provozierend oder willig ist, ist es in jedem Fall das Männchen, das es nimmt: es wird genommen. Das trifft oft buchstäblich zu: entweder weil das Männchen entsprechende Organe hat oder weil es stärker ist, packt es das Weibchen und hält es fest; ebenso vollführt es aktiv die Kopulationsbewegungen. Bei vielen Insekten, bei den Vögeln und den Säugetieren dringt es in das Weibchen ein. Dadurch erscheint das Weibchen als eine vergewaltigte Interiorität. 5
Zu dieser äußerlichen Fremdherrschaft kommt eine innere Entfremdung durch das befruchtete Ei, dass sich im Uterus festsetzt und zu einem anderen Organismus heranwächst. Simone de Beauvoir beleuchtet die vorwiegend belastenden Auswirkungen von Schwanger- und Mutterschaft, von Zyklus und Wechseljahren auf den weiblichen Körper und kommt zu dem Schluss:
[…] von allen weiblichen Säugern ist die Frau am tiefsten sich selbst entfremdet, und sie lehnt diese Entfremdung am heftigsten ab; bei keinem ist die Unterwerfung des Organismus unter die Fortpflanzungsfunktion unabwendbarer, und bei keinem wird sie mit größeren Schwierigkeiten angenommen. 6
Die in Beauvoirs Buch ausführlich beschriebenen Gegebenheiten des Körpers sind deshalb so wichtig, weil der Körper als »Instrument für unseren Zugriff auf die Welt« maßgeblich ist. Trotzdem lehnt Beauvoir die Vorstellung ab, dass all die Belastungen für den weiblichen Körper mit einem festgelegten Schicksal einhergingen. Das bringt uns zu unserer Ausgangsfrage:
Gibt es das schwache Geschlecht?
Diese Frage stelle sich für die Frau nicht in derselben Weise, wie für andere Weibchen irgendwelcher Tierarten, die beobachtet und einigermaßen statisch beschrieben werden könnten. Denn, so betont Beauvoir: Menschen sind stetig im Werden begriffen, niemals fertige Wesen. Beauvoir schreibt in den späten 1940er Jahren:
Die Frau ist keine feststehende Realität, sondern ein Werden, und in ihrem Werden müßte man sie dem Mann gegenüberstellen, das heißt, man müßte ihre Möglichkeiten bestimmen: was so viele Diskussionen verfälscht, ist, daß man die Frau, wenn man die Frage nach ihren Fähigkeiten stellt, auf das beschränken will, was sie gewesen ist, was sie heute ist. Tatsache ist doch, daß Fähigkeiten nur sichtbar werden, wenn sie verwirklicht worden sind. 7
Und eben, dass eine Untersuchung der Fähigkeiten niemals abgeschlossen wäre. Fähigkeiten, die beim Mensch nicht von körperlichen Gegebenheiten abhängig sind.
Beauvoir appelliert an den Kontext:
Schwäche zeigt sich als solche nur im Licht der Ziele, die der Mensch sich setzt, der Instrumente, über die er verfügt, und der Gesetze, die er sich auferlegt. […] Wo die Sitten Gewaltanwendung verbieten, kann die Muskelkraft keine Herrschaft begründen: existentielle, ökonomische und moralische Bezüge sind nötig, damit der Begriff Schwäche konkret definiert werden kann. 8
Diese Bezüge stellt Simone de Beauvoir her. In ihrem 900 Seiten umfassenden Werk Das andere Geschlecht nimmt sie die Kunst- und Kulturgeschichte unter die Lupe, die kindliche Entwicklung und Erziehung. Sie untersucht etablierte Argumente und Klischees und liefert damit eine Lektüre, die über Jahrzehnte Bestand hat und noch heute Antworten auf Fragen gibt, die manchmal eben nicht in einem 30-sekündigen Facebook-Video zu beantworten sind. Es sei denn, man heißt Frauke Petry. Das schwache Geschlecht? Abgenickt.
Ich habe nichts dagegen, dass Frauen weiterhin das schwache Geschlecht sind, weil wir objektiv anders sind als Männer.
Frauke Petry (Quelle)
»Das schwache Geschlecht« ist ein Mythos. Eine polemische Formel, die helfen soll, eine Autorität zu etablieren, wo es an Rechtfertigung für diese Autorität fehlt. »Objektiv anders« ist jeder Mensch von seinem Nächsten, »anders« mit »schwach« gleichzusetzen ist irgendwie absurd, für eine Partei, die sich selbst als »Alternative« (also: anders!) bezeichnet – und in dieser Absurdität schon wieder passend. Doch bevor ich mich dazu hinreißen lasse, hier auf den letzten Zeilen das Thema zu wechseln, überlasse ich die Kommentierung von Frauke »weiterhin das schwache Geschlecht« Petry dieser YouTuberin:
Das schwache Geschlecht spricht:
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Gastbeitrag von Markus Hurnik
Hinweis: Liebe Leser*innen, dieser Beitrag enthält keine Spoiler. Aktuelle legale Streamingangebote finden sich bei JustWatch.
Asterix im Land der Götter: Topaktuell und spannend. Er garniert die weltpolitische Lage mit einer Prise Humor, zeigt einem aber auch die aktuellen Probleme und Missstände auf. Sei es Flüchtlinge, Migration, Gentrifizierung, Integration und Widerstand.
Der Film Asterix im Land der Götter wurde bereits 2014 veröffentlicht. Er ist der erste 3D-Animationsfilm der Reihe. Viele haben vermutlich in den letzten Jahren irgendwann aufgehört zu verfolgen, wann neue Asterix-Filme veröffentlicht wurden, da die Filme mit echten Schauspieler*innen teilweise doch einigen Missmut hinterlassen haben. Sie konnten das asterix‘sche Flair nie richtig einfangen. Wer erinnert sich nicht an das Fiasko Asterix und Obelix gegen Caesar, in dem der Humor auf der Strecke blieb? Doch der neue Film der Reihe gibt einem wieder einen Grund ins Kino zu gehen bzw. die Blu-ray zu erwerben. Asterix im Land der Götter basiert auf dem 17. Comic der Reihe – der Trabantenstadt
Ansehnliche Animationen, ein schönes Farbbild und eine typische Asterix Geschichte sind zu erwarten.
Zum Inhalt: Der Film ist in Gallien angesiedelt. Caesar hegt wieder einmal Pläne, wie er das Dorf der Gallier*innen sich zu eigen machen kann. Ein kaltblütiger Plan soll her und man entscheidet sich zu dem Bau einer Trabantenstadt – dem Land der Götter (und Göttinnen). Das gallische Dorf wiederum soll dadurch in die Defensive gerückt werden und nach und nach zum unbedeutenden Vorort verkommen, welcher sich nach und nach integriert. Dabei wird die Bevölkerung des gallischen Dorfes auf eine harte Probe gestellt. Seine gesellschaftlichen Strukturen drohen zu zerfallen beziehungsweise die Dorfbewohner*innen die Feinde ihrer selbst zu werden.
Alles findet seinen Platz Asterix im Land der Götter und wird wunderbar humorvoll und amüsant in Szene gesetzt.
Dem neuen Animationsstil ist es auch zu verdanken, dass die Keilereien zwischen Römer*innen und Gallier*innen (*und eigentlich kloppen sich doch nur die Kerle) endlich wieder so sind, wie man Sie aus den alten Filmen kennt. Mal ragt eine Hand aus dem Gemenge, ein Römer fliegt über das Feld oder ein Wildschwein kommt zwischen die Fronten. Und alles wirkt schön unrealistisch und verspielt, wie es sein muss!
Man kann sagen, Asterix ist endlich im 21. Jahrhundert angekommen! Dafür ist vermutlich der zweite Regisseur Louis Clichy verantwortlich, der bereits einige Pixar-Filme prägte, wie WALL·E (2008) oder Oben (2009).
Leider gibt es aber auch unschöne Aspekte. So ist die deutsche Synchronisation zum Teil etwas gewöhnungsbedürftig. Milan Peschel gefällt mir einfach nicht als Asterix. Der Charakter kommt einem teilweise so fremd vor, als würde die eigene Stimme nicht an Ihn glauben.
Der Humor kommt dagegen überhaupt nicht zu kurz. Schöne Szenen im römischen Dampfbad und auch szenische Darstellung holen sowohl das ältere Publikum, als auch den jungen Filmfan ab. Viel Witz spielt sich auch zwischen den Zeilen ab, hier muss man vermuten, dass durch die Synchronisation eventuell noch mehr verloren gegangen ist, dies bleibt aber vorerst Spekulation. Genug Ironie und dialogischen Feinschliff hat die Übersetzung auf alle Fälle mitgebracht. Passierschein A38 lässt grüßen.
Die 3D-Umsetzung kann leider nicht weiter bewertet werden. Ich durfte den Film im heimischen Heimkino genießen und war daher auf 2D angewiesen. Jedoch ist anzunehmen, dass die 3D-Umsetzung nur für Hardcore-3D-Fans absolut notwendig ist, der durchschnittliche Zuschauer dürfte mit der 2D-Variante sehr gut versorgt sein.
Holt Euch daher Euren Lieblingszaubertrank auf die Couch und fallt zurück in Eure Kindheit. Ihr werdet es nicht bereuen und viel Spaß und Freude mit Asterix im Land der Götter haben.
Und wem das alles nicht genug ist, der kann sich auf 2019 freuen. Der Regisseur Alexandre Astier arbeitet bereits an seinem neuen Asterix – The Secret of the Magic Potion, welcher 2019 in Deutschland erscheinen wird.
Markus Hurnik (28), langjähriger Berliner und Vorortbewohner, den es beruflich inzwischen zunehmend in sächsische Gefilde verschlägt. Er hat in seinen frühen Jahren für die Verlagsgruppe Randomhouse Jugendbücher rezensiert. Anfang der 2000er kam er vermehrt ins Kino und wurde filmabhängig. Studiert hat Hurnik etwas vollkommen Kunstfernes, vis-à-vis der Filmstudios Babelsberg.
Stammkino: Cineplex Titania Palast, Berlin
Lieblingskinos: Programmkino Ost, Dresden Thalia, Potsdam
Lieblingsfilme (eine Auswahl): La Grande Bellezza, Metropolis, Three Billboards Outside Ebbing, Missouri, WALL·E, Train to Busan
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]]>Zum Auftakt, ein besonders starkes Stück:
Arcade Fire – We Exist (2014) mit Andrew Garfield (Boy A). | Unter der Regie von David Wilson (auch bekannt für das Video zu Passion Pit – Take a Walk) schlüpft der Schauspieler Andrew Garfield in die Rolle einer Transgender-Frau. Anfangs steht sie daheim vorm Spiegel, rasiert sich den Schädel und zieht sich an. Dann geht es in eine Bar, wo sie erst von Typen angepöbelt wird, bis die Awesomeness passiert. Teile dieses großartigen Musikvideos wurden beim Coachella-Konzert von Arcade Fire gedreht. Sehenswert! Hier geht es zum Video.
Kontroverse: Die Transgender-Musikerin Laura Jane Grace kritisierte das Musikvideo dafür, dass es Stereotypen reflektiere – und sagt, die Hauptrolle hätte eine Transgender-Schauspielerin spielen sollen, statt ein Cisgender-Mann. Der Songwriter Win Butler (nicht verwandt oder verschwägert mit der Gender-Studies-Fachfrau Judith Butler) verteidigte die Besetzung von Andrew Garfield mit den Worten »Für ein homosexuelles Kind in Jamaika ist es, meiner Meinung nach, verdammt kraftvoll, in eben dieser Rolle den Schauspieler zu sehen, der Spiderman gespielt hat.« Später lenkte Laura Jane Grace ein, dass sie ihre Meinung zum Video geändert habe.
With great power comes great great responsibility. | Spiderman
Carly Rae Jepsen – I Really Like You (2015) mit Tom Hanks (Forrest Gump) | Wer hatte bei der jungen fröhlichen Singstimme von Jepsen nicht immer eigentlich Tom Hanks vor Augen? Der Mann wird älter, aber bleibt ein Kind. Kann man nur feiern. Hier geht es zum Video.
Vampire Weekend – Giving Up The Gun (2010) mit Jake Gyllenhaal (Nightcrawler), Lil‘ Jon und RZA | Ein ziemlich witziges Tennis-Match mit einem extra-breiten Mr. Gyllenhaal. Hier geht es zum Video.
The Shoes – Time to Dance (2012) mit – schon wieder! – Jake Gyllenhaal (Donnie Darko) | Eine ziemlich düstere Mordserie mit einem extra-krassen Mr. Gyllenhaal. Vorsicht, nichts für schwache Nerven! Hier geht es zum Video.
Aerosmith – Jaded (2000) mit Mila Kunis (Die wilden Siebziger). | In der Lobby des Los Angeles Theater, diesem extravaganten Bau im französischen Rokoko-Stil, tobt ein spektakulärer Zirkus mit irren Artist*innen. In ihrer Mitte: Die abgestumpfte, ausgepowerte (engl. jaded) Frau, verkörpert von Mila Kunis. Hier geht es zum Video.
Will Smith – Miami (1998) mit Eva Mendes (Hitch). | Wenn der Prince von Bel Air ein Musikvideo gemacht hätte… dann wohl diesen tanzlustig-kultigen, preisgekrönten Clip. Mit Schauspielerin Eva Mendes in einem kleinen Auftritt vor ihrem Durchbruch. Hier geht es zum Video.
Melissa Etheridge – I Want To Come Over (1995) mit Gwyneth Paltrow (Sieben, Contagion). | Die Golden-Globe- und Oscar-Preisträgerin ist nicht nur fleißig in Kinofilmen unterwegs. Wer sie als arg deprimierte Liebeskummer-Leidende sehen mag: Hier geht es zum Video.
The Lemonheads – It’s a Shame About Ray (1992) mit Johnny Depp (Angst und Schrecken in Las Vegas). | Es geht immer noch ein bisschen älter: Anfang der 90er Jahre spielte Johnny Depp in diesem lahmen Clip einen Typen, der wütend auf ein Foto ist. Hier geht es zum Video.
Radiohead – Creep (1993) mit Johnny Depp und Charlotte Gainsbourg (Antichrist). | So viel schöner, als sein letzter Musikvideo-Auftritt. Und eigentlich, na ja, kein richtiger Musikvideo-Auftritt. Bei der Begegnung von Johnny Depp als geheimnisvoller Fremder und Charlotte Gainsbourg im Plattenladen handelt es sich um einen Ausschnitt aus dem Film Happy End mit Hindernissen von Yvan Attal. Hier geht es zum Video.
Brandon Flowers – Crossfire (2010) mit Charlize Theron (Mad Max: Fury Road). | Als hostage in bondage wird der amerikanische Sänger Brandon Flowers (Frontmann von The Killers) nicht einmal, nicht zweimal, sondern DREIMAL von Schauspielerin Charlize Theron aus den Händen von Ninjas befreit. Beim vierten Mal hat sie ihn den Ninjas überlassen. Schätz ich. Hier geht es zum Video.
Korn – Thoughtless (2002) mit Aaron Paul (Breaking Bad) | Jesse Pinkman before he was cool? Hier spielt Aaron Paul noch einen Schüler, der von seinen Mitschülern übel misshandelt wird, bis ihn alles ankotzt – oder andersherum? Hier geht es zum Video.
The Rolling Stones – Anybody Seen My Baby? (1997) mit Angelina Jolie (Wanted) | Noch lange vor Brangelina und ihrer ersten Regie-Arbeit trat Angelina Jolie in einem der Musikvideos der Rolling Stones auf. Als Stripperin lässt sie mitten in der Performance ihre Perücke fallen und haut ab. Mit langem Mantel und kurzgeschorenen Haaren wandelt sie durch das New York der späteren 90er Jahre. Hier geht es zum Video.
The Rolling Stones – Doom And Gloom (2012) mit Noomi Rapace (The Girl With The Dragon Tattoo) | Nochmal die alten Herren mit einem abgedrehten Video, in dem sich eine Hollywood-Schauspielerin halbnackt im Müll räkelt, ein Kopf und eine Atombombe explodiert, Zombies rumröcheln und, und, und, also viel zu sehen. Hier geht es zum Video.
Fatboy Slim – Weapon Of Choice (2006) mit Christopher Walken (Catch Me If You Can) | Hat jemand gerade »alte Herren« gesagt? Der gut gealterte Hollywood-Star Christopher Walken zeigt hier mal, was ne krasse Tanzperformance ist! Zum Video.
Islands – No You Don’t (2010) mit Michael Cera (Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt) | Genau der Richtige für den Job: Badass Michael Cera in einem Musikvideo, das den irren Humor dieses Ausnahme-Schauspielers gut treffen dürfte. Hier geht es zum Video.
Foo Fighters – Learn to Fly (1999) mit Jack Black und Kyle Gass (Tenacious D) | Gewinner der Grammy Awards im Jahr 2000 – und das zu Recht. Die Parodie zu dem an sich schon herrlich-absurden Airplane! (Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug) steckt voller Ideen und für meinen simplen Geschmack sehr witziger Szenen! Hier geht es zum Video.
One Night Only – Say You Don’t Want It (2010) mit Emma Watson (Vielleicht lieber Morgen) | 2 Jahre dran herum gefeilt, 2010 endlich herausgebracht: Das zweite Album der englischen Indie-Rockband One Night Only heißt genauso wie die Band selbst. Das Video zur Single Say You Don’t Want It wurde in New York City gedreht. Es handelt sich um eine Verneigung vor Susi und Strolch. Denn nur auf den ersten Blick sieht es so aus, als sei da eine Jungs-Clique unterwegs, die auf Emma Watson als »leichtes Mädchen« treffen. Es sieht nicht nur komisch aus, wie sich Watson und Frontsänger George Craig beschnuppern und lecken. Am Ende macht alles einen Sinn, versprochen. Hier geht es zum Video.
Ed Sheeren – Lego House (2011) mit Rupert Grint (Harry Potter) | Yes, auch Rupert Grint hat sich in einem Musikvideo die Ehre gegeben (und damit also alle von Harrys Freunden, alle beide) – Grint spielt Sheeran, bis Sheeran selbst auftaucht, sehr witziges Ding! Hier geht es zum Video.
Ed Sheeran – Galway Girl (2017) mit Saoirse Ronan (Am Strand, Lady Bird) | Eine Nacht mit Ed Sheeran im irischen Galway um die Häuser ziehen – Saoirse Ronan spielt (in aller gegebenen Coolness) den vielleicht größten Traum vieler, vieler Fanboys und -girls… und Rupert. Hier geht es zum Video.
James Blunt – Goodbye My Lover (2005) mit Mischa Barton (Hope Lost, Painkillers) | Mr. James Blunt, bekannt für seine hohe Stimme und seine spitzzüngigen Tweets, hat sich mit Schauspielerin Mischa Barton im Bett geräkelt. Sehenswert? Naaa jaaa… ach… nö. Wer trotzdem lünkern möchte: Hier geht es zum Video.
Justin Timberlake – What Goes Around… Comes Around (2007) mit Scarlett Johansson (Don Jon, Her) | Vor und hinter der Kamera starbesetzt, sehr cineastisch inszeniert und geschrieben von Nick Cassavetes (Regisseur von The Notebook). Unter der Regie von Musikvideo-Ikone Samuel Bayer üben sich Justin und Scarlett als leidenschaftliches Liebespaar. Guess what? Funktioniert. Bis zum krachenden Finale. Hier geht es zum Video.
Eminem – Love The Way You Lie ft. Rihanna (2010) mit Megan Fox (Transformers, Jennifer’s Body) | Apropos leidenschaftliches Liebespaar… nein, nicht Eminem und Rihanna. Hier geht’s um Model und Schauspielerin Megan Fox und deren leidenschaftliche Liebe zu einem Arschloch. Zum Video. (Wie beknackt ist bitte die Songzeile: Told you this is my fault / Look me in the eyeball !?– was ein Rapper nicht alles für seinen Reim tut, nee, nee, das ist gar nicht gut.)
Ricky Martin – She Bangs (2000) mit Channing Tatum (The Hateful Eight), angeblich… | Man muss schon ziemlich genau hinschauen, in der Sekunde (ca. 01:30), in der ein Barkeeper im Hintergrund einen Cocktail-Shaker hochwirft. Nach semi-offiziellen Angaben handelt es sich bei diesem Background-Tänzer um den inzwischen berühmten, immer noch tanzenden Schauspieler Channing Tatum. Eingefleischte Fans erkennen ihn vielleicht an seinem Sixpack. Ansonsten: Ein sehr feuchter Macho-Traum, dieses Filmchen. Hier geht es zum Video.
Broken Bells – The Ghost Inside (2010) mit Christina Hendricks (Mad Men, Drive) | Science Fiction gefällig? Hatten wir bis jetzt noch nicht – bildgewaltig und ein klitzekleines bisschen trashig. Hier geht es zum Video.
…und auch wenn kein Mensch dieser Welt all die Musik aus dieser Liste mag – warum nicht ne Spotify-Playlist anlegen
Savage Garden – I Knew I Loved You (1999) mit Kirsten Dunst | Im Alter von 17 Jahren sitzt die Schauspielerin Kirsten Dunst in der New Yorker U-Bahn dem Sänger Darren Hayes (damals 27) gegenüber und wird von ihm als love interest besungen. Hier geht es zum Video.
The Offspring – She’s Got Issues (1998) mit Zooey Deschanel (New Girl, (500) Days Of Summer) | Sehr witzig, sehr weird und unglaublich 90er Jahre: Zooey Deschanel (18 Jahre alt und knallrothaarig) spielt in diesem Song eine vom Alltag abgefuckte Frau in einer Welt, die von Künstler Wayne White immer wieder ins comichafte Komische überzeichnet wird. Hier geht es zum Video. Hier geht es zum Making-of (als MTV-Episode! Oooh, so 90er!)
Stone Temple Pilots – Sour Girl (1999) mit Sarah Michelle Gellar | Heute schon ein düsteres Video mit creepy Teletubby-Bunnies gesehen? Nö? Dann ab dafür! Mit der damals noch als Vampirjägerin aktiven Sarah Michelle Gellar vor der Kamera – und dem namhaften Regisseur David Slade (30 Days of Night, Hard Candy) hinter der Kamera. Hier geht es zum Video.
Paula Abdul – Forever Your Girl (1989) mit Elijah Wood (Der Herr der Ringe) | Kurz vor seinem ersten Kurzauftritt in einem Kinofilm (Zurück in die Zukunft II) spielte Elijah Wood im Alter von 8 Jahren einen melancholischen Anzugträger in diesem Musikvideo, das von Regisseur David Fincher inszeniert wurde. Hier geht es zum Video.
Als der kleine Elijah groß geworden war und seinen Ring weggebracht hatte, da trommelte er halb Hollywood noch für das wohl größte Star-Line-Up aller Musikvideos ever zusammen:
Beastie Boys – Make Some Noise (2011) mit Seth Rogen, Danny McBride und Elijah Wood (in den Rollen der Beastie Boys). | Bei diesem Song handelt es sich um den größten Hit der Beastie Boys seit Ch-Check It Out (2004). Bei dem Musikvideo wiederum handelt es sich um ein Sequel zu deren Musikvideo (You Gotta) Fight for Your Right (To Party!) (1986), das – mit #MeToo im Hinterkopf – nicht ganz so dolle gealtert ist. Aber, aber: Bandmitglied Adam Horovitz hat im Dezember 2017 Schlagzeilen gemacht, als er sich hinter die Vorwürfe von neun Frauen stellte, die seinen Vater – den Drehbuchautor Israel Horovitz – mit Vorwürfen von ungewollten Berührungen bis hin zu Vergewaltigung konfrontierten.
Im Musikvideo zu Make Some Noise indes gibt sich halb Hollywood in Cameos die Klinke in die Hand. Mit dabei sind unter anderem Amy Poehler, Steve Buscemi, Chloë Sevigny, Kirsten Dunst, David Cross und Orlando Bloom. Ebenso Will Ferrell, John C. Reilly und Jack Black (in den Rollen der älteren Beastie Boys aus der Zukunft). Klingt nach krassem Staraufgebot? Da geht noch was: Zum dem Musikvideo in Standardlänge gibt es eine Extended Edition, die unter dem Titel Fight for Your Right Revisited (Regie: Bandmitglied Adam Yauch aka MCA) veröffentlicht wurde. Darin tauchen unter anderem auch noch Susan Sarandon, Stanley Tucci und Robert Downey Jr. auf. Hier geht es zur langen Version des Videos.
YouTube-User mastersoftoday gibt noch ein bisschen Nerd-Knowledge mit einer Auswahl an Eastereggs im Video zur Hand. Details, die nur echten Fans der Beastie Boys und ihrer Musikvideos auffallen:
Der Typ in Minute 13:00 ist MCA’s Regie führendes Alter Ego Nathaniel Hornblower (der bei den MTV Video Music Awards 1994 die Bühne enterte – in genau diesem Outfit – und behauptete, er habe das Drehbuch zu StarWars verfasst), Jason Schwartzman cosplayt Van Gogh in Anlehnung an Hey Ladies (hier geht’s entsprechenden zu den Lyrics) und Orlando Bloom spielt Johnny Ryall aus dem Song Johnny Ryall (Lyrics).
Ein Jahr nach dem spektakulären Video-Release starb Adam Yauch im Alter von 47 Jahren an Krebs. Im Juni 2014 gab Bandmitglied Mike D bekannt, dass weder er noch Horovitz je wieder als Beastie Boys auftreten würden – aus Respekt vor Yauch.
Zuletzt, als kleines Schmankerl, Nr. 31 der Musikvideos mit berühmten Schauspieler*innen: Massive Attack, Young Fathers – Voodoo In My Blood mit Rosamund Pike (Gone Girl). Ein irres, übles Meisterwerk:
…und zu aller Letzt, Nr. 32 der Musikvideos (und Nr. 16 im Sigur Rós Mystery Film Experiment): Eine poetische Reise mit der fantastischen Schauspielerin Elle Fanning in Sigur Rós – Leaning Towards Solace feat. Dauðalogn and Varúð.
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Die Novelle lebt von prägnanten Sprachbildern und dem gelungenen Wahrnehmungswechsel, dem Sprung von seiner in ihre Gedankenwelt und zurück. Ein Großteil der Handlung dreht sich um eine bestimmte Szene, in der weniger gehandelt als gegrübelt und gezweifelt und gefürchtet wird. Wie setzt man so etwas als Film um? »Ich habe keine Problem damit, Änderungen einzubauen, die cineastisch interessant sind«, sagt Ian McEwan im Interview mit Andrew Collins (RadioTimes). Doch bevor wir einen Blick auf die Änderungen werfen, worum geht’s überhaupt?
Inhalt: Florence und Edward haben geheiratet. Alles lief gut soweit. Erst als die frisch Vermählten im Hotel am Chesil Beach ihre Hochzeitssuite betreten, schnürt sich ihnen je die Kehle zu… der erste Satz der Novelle beschreibt es so: Sie waren jung, gebildet und in ihrer Hochzeitsnacht beide noch unerfahren, auch lebten sie in einer Zeit, in der Gespräch über sexuelle Probleme unmöglich waren. Am Strand spielt in Südengland, 1962.
Hinweis: Liebe Leser*innen, im folgenden Text werden einige Szenen aus Buch und Film besprochen, ohne jedoch wichtige Wendungen und etwaige Geheimnisse der Figuren preiszugeben. Allein der Absatz »Gedanken zum Ende« enthält, na ja, Gedanken zum Ende, inklusive Spoiler.
Am 1. Januar 1900 trat der sogenannte Kranzgeld-Paragraph in Kraft. Er besagte, dass eine »unbescholtene Verlobte« (eine Jungfrau), wenn sie aufgrund eines Eheversprechens »die Beiwohnung gestattet« (erstmals Sex hat) im Nachhinein eine finanzielle Entschädigung für den ideellen Schaden an ihrer Person verlangen konnte, sollte der Mann das Verlöbnis nach dem Sex noch lösen. Denn mit der ersten Liebesnacht hatte die Frau als Braut an Wert verloren, für zukünftige Anwärter.
Anfang der 60er Jahre wurde »vorehelicher Sex« schon lockerer gesehen. Man hatte bereits Kondome im Gepäck und von sowas wie der »Pille« gab es selbst in der Provinz schon Gerüchte. Dass Geschlechtsverkehr kein Hexenwerk ist, vor der Ehe, das weiß auch Florence, die weibliche Hauptfigur des 1962 in England spielenden Am Strand (im Buch »kräftig gebaut«, im Film Saoirse Ronan). Doch die junge Frau will den Moment der Beiwohnung so lange wie möglich hinauszögern. Sie sitzt schon auf der Bettkante, da verrät der Roman:
Einige ihrer Freundinnen […] wären schon seit Stunden nackt im Bett und hätten die Ehe lang vor der Hochzeit lautstark und mit Freuden vollzogen. Wohlmeinend und großzügig, wie sie waren, glaubten sie, Florence habe genau dies ebenfalls längst getan. | Ian McEwan, Am Strand, S. 103 (hier geht’s zur Leseprobe)
Doch die 22-jährige Florence ist nicht nur unerfahren. Ihre Not mit dem Sex ist anderer Natur. Im Buch wird diese Not schon früh beim Namen genannt und ausführlich beschrieben. Im Film gibt Florences Verhalten den Zuschauer*innen Rätsel auf. Edward indes mag wenig Erfahrung mit Mädchen haben. Der körperliche Akt, so an sich, seinerseits, der ist ihm wohlvertraut.
Wie die meisten jungen Männer seiner Zeit – aber auch aller anderen Zeiten, denen es an Toleranz oder sexueller Freizügigkeit mangelte – gab er sich immer wieder dem hin, was von fortschrittlicher Seite als »Selbstverwöhnung« bezeichnet worden war. Edward hatte sich gefreut, als er auf diesen Ausdruck stieß. | S. 28
Ich hab mal kurz ein Online-Wörterbuch für Jugendsprache konsultiert. Inzwischen sagt man »pellewemsen«, »nudelwürgen«, oder ganz fesch: »fappieren« (das hätte sogar der Engländer verstanden). Im Film indes erfahren wir nichts über die Masturbationsgewohnheiten unserer Hauptfiguren. Was okay ist.
Wie das Leben so spielt: Sonia und ich gingen am Sonntag ins Apollo Kino in Aachen, mit einer Freundin. Letztere suchte den Film aus, Am Strand. Ich wusste nichts darüber, sah mir keinen Trailer an. Überrascht wurde ich dann von einem faszinierenden Filmpaar in einem Szenen-Arrangement, das aus jedem Winkel: Literaturverfilmuuung! schrie. Montag saß ich am Laptop und dachte: Puuuh, wie willste darüber schreiben? War tatsächlich ne Literaturverfilmung, basierend auf einer dünnen Novelle. Also klick, Novelle bestellt. Kam Dienstag an. Hab sie Mittwoch und Donnerstag gelesen. Jetzt sitze ich hier, am Freitagmorgen, und schreibe endlich über dieses Werk, das von einer völlig verkorksten Hochzeitsnacht handelt. Und morgen, am Samstag, da heiraten Sonia und ich. Die schönen kleinen Truman-Show-Momente des Lebens.
Während das Buch damit beginnt, dass das Paar bereits am Tisch Platz nimmt und zu Abend isst, entführt uns der Film in seinen ersten Einstellungen an den Strand. Das fiktive Hotel aus dem Buch liegt direkt am Chesil Beach in Südengland, On Chesil Beach lautet der Originaltitel des literarischen und cineastischen Werks. Obwohl der Schriftsteller Ian McEwan gerade am Beginn und Ende seiner Geschichte signifikante Änderungen vorgenommen hat, bleibt er der gekonnt heraufbeschworenen Atmosphäre treu. Denn die ist ziemlich angepasst, zuweilen unangenehm. In die Stille hinein dringen die leisesten Geräusche wie Baustellenkrach.
[…] Edward und Florence waren Gefangene ihrer Zeit. Selbst unter vier Augen galten tausend unausgesprochene Regeln. Und gerade weil sie nun erwachsen waren, taten sie nichts so Kindischen wie von einem Mahl aufzustehen, das man mit viel Mühe eigens für sie angerichtet hatte. Schließlich war Abendessenszeit. | S. 26
Schon im Filmauftakt im Kino nahm ich das markante Sounddesign wahr, angefangen mit den Kieseln am Strand. Im Hotel knarzen die Dielen, klappert das Besteck… und siehe da: Schon in der literarischen Vorlage drängen sich immer wieder Geräusche in die Zeilen. Von Eichendielen, die »komisch knarrten« ist da die Rede, und Löffel, die »über Platten schaben«. Manche Details hat der Autor sorgfältig bewahrt und ins neue Format übertragen. Doch ausgerechnet die besten Bilder sind es, die sich nicht übertragen lassen. Bilder, die sich ins Hirn brennen. Bilder, in denen Bedeutungen mitschwingen, die sich später erst entschlüsseln. Florence Furcht etwa, ein »hilfloser Widerwille so heftig wie die Seekrankheit.«
Ein Danny Boyle (127 Hours) oder Jaco van Dormael (Mr. Nobody) hätte sich vielleicht um visuelle Entsprechungen für die Sprachbilder bemüht. Vielleicht auch (wobei es schon weniger seinem Stil entspräche) Sam Mendes, der zunächst als Regisseur im Gespräch war. Nicht jedoch der Debütant Dominic Cooke, der mit Am Strand seinen ersten Spielfilm inszeniert hat. Seine langjährige Erfahrung im Erzählen von Geschichten bezieht sich auf das Theater. Und so ist auch sein first feature film in Sachen Kamera und Schnitt, beides sehr konventionell, beinahe ein Bühnenstück. Das ist in Ordnung, etwas Eigenes, etwas Anderes. Es lohnt sich, zunächst den Film zu sehen und dann das Buch zu lesen, um diese Hochzeitsnacht noch einmal mit der Gedankenebene zu durchleben. Sie gibt den Figuren (trotz der hervorragenden Schauspieler) einen Mehrwert.
Florence spürte seine Berührung so deutlich, wie Wärme und den Druck seiner verschwitzten Hand auf ihrer Haut, daß sie sich den langen, gekrümmten Daumen im bläulichen Dämmer unter ihrem Kleid vorstellen, daß sie ihn sehen konnte, wie er da lag, geduldig wie ein Rammbock vor den Stadtmauern […]
Das Buch ist, im Übrigen, stellenweise so explizit bezüglich des Sexuellen, dass Ian McEwan Sorge, eine Verfilmung könne quasi-pornografisch geraten, nicht aus der Luft gegriffen ist. Überhaupt besteht die größte Kunst des Films Am Strand darin, dass die filmische Umsetzung der intimsten Szenen zwischen den beiden Verliebten nicht unfreiwillig komisch geraten sind.
Mich persönlich hat tatsächlich die letzte Einstellung sehr gestört: Edward steht am Strand, abgewendet, Florence geht fort. Die Kamera fährt dabei den Hang hinab, immer auf die beiden Schauspieler gerichtet, zwischen denen die Distanz größer wird. Bis sie aus dem Bild ist und er allein am Strand steht. Die Kamera nun von so tief unterhalb des kiesigen Hangs zu ihm hinaufschauend, das wir vom Hintergrund nichts mehr sehen. Nur noch Himmel, Strand und der junge Mann am rechten Bildrand. Ein schönes Bild, eigentlich.
Doch auf dem Weg dorthin, auf der sanften Kamerafahrt während der bedeutsamen Trennung der beiden Protagonisten, schneidet die Kadrage, der Bildausschnitt den Schauspieler Billy Howle immer wieder am rechten Bildrand an. Vielleicht war es der Projektion im Kino geschuldet, dass das Bild dort unschön abgeschnitten schien. In einer letzten Einstellung ist so ein Detail, wem es ins Auge sticht, ein ziemlicher Abtörner. Zieht just dann raus aus der Handlung, wenn man am tiefsten drinstecken sollte.
Hinzu kommen die letzten Szenen des Films, der gen Ende von 1962 ins Jahr 1975 und dann ins Jahr 2007 springt. Im Gegensatz zu allen Rückblenden sind diese »Zukunftsblenden« mit Jahreszahlen versehen. Für mich, der ich nichts über Buch und Film wusste und ohne Zeitgefühl im Kino saß, ergab sich der Eindruck, jetzt folge der dritte Akt. Das konkrete Datieren der Szenen verleiht ihnen ein Gewicht, das sie schließlich nicht auf die Waage bringen. Zu kurz, zu ausschnitthaft bleiben sie. Angesichts des liebevoll gestalteten Drumherums – Make-up, Mode, Kulisse – hätte man getrost auf die Einblendung der Jahreszahlen verzichten können. Ich denke, dass hätte die Schlussszenen angemessener ins Gesamtwerk eingefügt.
Was es auch nicht gebraucht hätte, meinethalben, war das tränenreich pathetische Filmfinale. Es ist völlig anders als im Buch und wohl das, was Ian McEwan offenbar »cineastisch interessant« findet. Im Buch hingegen bleibt der Epilog extrem schlicht und viel kühler. Cooler. Florence und Edward sehen sich nach der Trennung am Strand einfach nie wieder. Eiskalt.
Randnotiz: Ein paar Wochen nach unserem Kinobesuch – im Juli 2018 – sind wir übrigens am Chesil Beach gewesen. Sonia und ich haben auf unserer Hochzeitsreise nach Cornwall einen kleinen Zwischenstopp eingelegt, um die Sonne einmal an dieser schönen Kieselbank untergehen zu sehen.
Während der Abspann lief, im Kinosaal, da war ich enttäuscht. Zu abrupt und zugleich ausschweifend erschien mir das Ende, ganz komisch. Ich hätte es mir anders oder einfach nur weggewünscht. Doch lässt man den Film sacken, enthält er viele starke Szenen, die sich im Gedächtnis wieder an die Oberfläche spielen. Nachdem ich mich nun eine Woche lang intensiv mit dem Werk beschäftigt habe, muss ich sagen:
Am Strand gewährt einen seltenen und relevanten Einblick in die Lebenswelten zweier Kinder einer anderen Zeit, von deren Sorgen und Ängsten trotzdem noch vieles in Köpfen unserer Zeit verborgen liegen mag. Ein Film der dafür sensibilisiert, dass Sex nie nur im Kontext einer mehr oder weniger sexuell freizügigen Gesellschaft lebt. Am Ende kommt es immer auf ein paar einfache Individueen und ihre ganz persönlichen Erfahrungen an.
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Inhalt: Strictly Ballroom erzählt die Geschichte von Scott Hastings (Paul Mercurio), einem australischen Turniertänzer auf Erfolgskurs. Als er eines Tages seine eigenen Schritte aufs Parkett bringen will, läuft ihm die Partnerin davon. Die Führungsriege der Tanzvereinigung und seine eigene, ehrgeizige Mutter sind empört. Während Letztere händeringend nach einer neuen Partnerin für ihren Sohn sucht, bändelt dieser mit einer jungen Frau namens Fran (Tara Morice) an, dem anfangs unauffälligen Mauerblümchen…
Hinweis: Liebe Leser*innen, liest man Filmkritiken zu Strictly Ballroom, muss man sich doch wundern. Immer wieder wird betont, wie konventionell und vorhersehbar der Plot des Films sei. Und im gleichen Atemzug wird er gefeiert, nicht zuletzt eben dafür. In der Überhöhung von Klischees und dem Charme der Umsetzung liegt die besondere Güte von Strictly Ballroom, insofern enthält der folgende Text keine Spoiler. Da gibt’s nichts zu verraten, was die Zuschauer*innen nicht ohnehin erahnen würden.
Der Film ist in voller Länge online verfügbar, siehe unten.
1984 pitchte die Drehbuchautorin Eleanor Bergstein einem Filmstudio erstmals die Idee, aus der später Dirty Dancing hervorgehen sollte. Ein romantischer Low-Budget-Paartanzfilm aus Amerika, der zum internationalen Hit avancieren würde. Im selben Jahr, 1984, präsentierten Studenten des National Institute of Dramatic Art in Sydney ein Bühnenstück über die Welt des Ballroom Dancing, aus dem später der Film Strictly Ballroom hervorgehen sollte. Ein romantischer Low-Budget-Paartanzfilm aus Australien, der zum internationalen Hit avancieren würde. Allerdings erst 5 Jahre nach Dirty Dancing, dem Überraschungserfolg von 1987.
Der Gedanke, Strictly Ballroom reite auf der Erfolgswelle von Dirty Dancing oder sei gar ein Abklatsch dessen, ist also daneben. Baz Luhrmann, der schon damals in das Studenten-Stück involviert war und später die Regie für die Verfilmung von Strictly Ballroom übernahm, ging es darum, dem Skript den Naturalismus auszutreiben. Die Produzenten wollten, dass der damals erst 28-jährige Schauspielstudent mit einem professionellen Drehbuchautor zusammenarbeitete. Luhrmann aber setzte sich letztlich durch, einen theatralischen Ton beizubehalten und die ganze Turniertanz-Welt bewusst zu überzeichnen.
Vergleiche zu Dirty Dancing begrüße ich nicht. Unser Film ist eine Allegorie, eine Art Fantasie, Dirty Dancing ist es nicht. | Baz Luhrmann im Hollywood Reporter, 14.10.1992
…verglichen werden die Filme natürlich trotzdem. Dabei hat es Andrew Price (Commentarama) wohl am besten zusammengefasst, auch wenn sein Diss gegen Dirty Dancing etwas hart ausfällt:
Während Dirty Dancing durchweg ernst ist, ist Strictly Ballroom sehr augenzwinkernd. Auch die Choreographien sind überlegen. Dirty Dancing ist da typisch Hollywood. Der Film zielt darauf ab, flashy zu sein – und wenn er stellenweise auf sexy macht, ist es offensichtlich und überzogen. Das Tanzen in Strictly Ballroom hingegen zeugt von enormen technischen Skills. Es fühlt sich an, als lünkere man in die Übungsstunden echter Tänzer*innen, die im Privaten ihre Limits testen wollen. Dirty Dancing wirkt dagegen gestellt. | Hier geht es zur ausführlichen Filmkritik (auf Englisch)
Tatsächlich handelt es sich bei Hauptdarsteller Paul Mercurio nicht um einen Schauspieler, sondern einen professionellen Tänzer, der in Strictly Ballroom zum ersten Mal für einen Film vor der Kamera stand.
In der 9. Klasse damals, ich muss etwa 13 Jahre alt gewesen sein, da wurden wir Schüler*innen liebevoll dazu gedrängt, die Freitagnachmittage doch mal in der Tanzschule zu verbringen. Klassischer Paartanz, Standard und Latein, erst für Anfänger, dann Kurs Nummer 2… 3 Jahre blieb ich dabei. Ein paar Turniertänze, ein paar Dramen hinter den Kulissen, ohne Bühne großes Theater, typisches Tanzschul-Gezeter. Zwischen Abendtrainings und Abschlussbällen hab ich meine Pubertät ausgelebt, mit peinlichen Spitzen.
Dirty Dancing 2 und Darf ich bitten? (beide 2004) haben wir damals mit versammelter Tanztruppe im Kino gesehen. Dirty Dancing, das Original, das stand als bester Tanzfilm aller Zeiten quasi nicht zur Diskussion. Zu der Zeit entdeckte ich auch Moulin Rouge (2001), nahm ihn begeistert in meine junge DVD-Sammlung auf und hielt mich für einen großen Filmkenner. Ach, wie klein doch diese Bubble war, in der ich damals vor mich hin blubberte. Nicht einmal das Spielfilm-Debüt des Moulin-Rouge-Regisseurs nahm ich zur Kenntnis. Obwohl es doch ein Tanzfilm über eben die Tänze war, die wir Woche um Woche lernten, Walzer, Cha Cha, Paso Doble…
Umfangreiche PDF-Broschüre zu Strictly Ballroom vom Film Institute of Ireland.
Strictly Ballroom beginnt mit einem roten Vorhang. Diese Einstellung mag Namensgeber für die spätere Vermarktung dieses Films als Teil der Roter-Vorhang-Trilogie (Red Curtain Trilogy) sein, zusammen mit Baz Luhrmanns Romeo + Juliet (1996) und besagtem Moulin Rouge (2001). Als erster und am geringsten budgetierter Film dieser thematisch und stilistisch verbundenen Reihe kommt Strictly Ballroom insgesamt jedoch deutlich weniger pompös daher. Die erste Szene zeigt die Silhouetten von Tänzern im Gegenlicht, Bewegungen in Zeitlupe zum Donauwalzer von Johann Strauss.
Der Walzer geht weiter, während wir den Silhouetten aufs Parkett folgen. Als völlig überkandidelt gestylte und gekleidete Tanzpaare paradieren sie vor Jury und Publikum und tanzen los, angefeuert von begeisterten Fans – und aufgedrehten Müttern. Das Bild gefriert auf einer Einstellung eines der Tänzer. Texteinblendung: Scott Hastings, Ballroom Champion. Aus dem Off kommt seine Mutter (Pat Thomson) zu Wort. Sie reflektiert die Erfolgsgeschichte ihres Sohnes, wird prompt eingeblendet. Als nicht minder aufgetakelte Frau sitzt sie neben ihrem selig grinsenden Ehemann auf einem rosa Sofa und spricht in die Kamera. Texteinblendung: Doug and Shirley Hastings, Scott’s Eltern.
Ja, der Tanzfilm Strictly Ballroom beginnt als Mockumentary! Und der Übergang von diesem Genre in das des klassischen Tanzfilms mit konventionellem Handlungsbogen gelingt so galant, wie Scott von seinen einstudierten Schritten in frei improvisierte übergeht.
Bisschen Hintergrundwissen zum Angeben, gefällig? Hier geht’s zu 20 Dingen, die du nicht über Strictly Ballroom wusstest | von der Herald Sun (auf Englisch)
Baz Luhrmann, der keinen naturalistisch anmutenden Film à la Dirty Dancing machen wollte, etabliert in Strictly Ballroom einen Inszenierungsstil, der »too much« als genau richtige Dosis ans Publikum bringt. Ein Konzept, dass Luhrmann bis The Great Gatsby immer exzessiver verwirklicht hat. Seit dem ersten Film arbeitet Lurhmann eng mit seiner Ehefrau, der Szenen- und Kostümbildnerin Catherine Martin, zusammen. Die wilden Kameraflüge und opulenten Kulissen, die wir von den beiden Filmschaffenden gewohnt sind, fallen in Strictly Ballroom ob des geringen Budgets weg. Die finale Szene wurde gar während eines echten Tanzturniers gedreht, vor echten Zuschauer*innen, die in der Pause kurzerhand zum Mitmachen gegeben wurden.
Wir konnten nur zwei Takes drehen, wegen dem kleinen Zeitfenster. In einem der Takes stürzte einer der Tänzer, weshalb wir nur ein Take verwenden konnten. | John O’Connell, Choreograph von Strictly Ballroom
Strictly Ballroom ist insofern übrigens ziemlich up to date, als der Antagonist des Films, der konservative, schmierige Chef der Tanzvereinigung namens Barry Fife (Bill Hunter), eine geradezu erschreckende Ähnlichkeit zu Donald Trump hat. Dem pöbelnden Clown, der aktuell das Weiße Haus okkupiert.
Oh, und apropos Trump: Um spanisch sprechende Immigranten geht es auch in Strictly Ballroom. Und zwar stammt die weibliche Hauptfigur Fran (mitreißend gespielt von Tara Morice) von spanischen Einwanderern ab. Dieser familiäre Background führt den Film zu seinen vielleicht schönen Szenen, die sich nicht im Rampenlicht, sondern im Hinterhof abspielen. Dort, wo sich Generationen und Kulturen begegnen – und Paso Doble tanzen.
Witzige Sache zu Strictly Ballroom: Man sieht jede Wendung kommen und muss doch lachen. | Peter Travers für Rolling Stone, 12.02.1993
Es hätte eine weitere, abgelutschte 08/15-Neuauflage vom hässlichen Entlein werden können. Doch mit starken Dialogen, charmanten Schauspieler*innen und einer ordentlichen Portion Humor, gut über den Film verteilt, gelingt Strictly Ballroom ein bemerkenswerter Film nach bekanntem Muster. Wer Dirty Dancing liebt, wird Strictly Ballroom mindestens sehr mögen – und vielleicht ernsthafte Schwierigkeiten im Ranking der persönlichen Lieblingsfilme kriegen. Für mich schubst Strictly Ballroom den Kultfilm mit Jennifer Grey tatsächlich vom Thron. Da kann Baby noch so viele Melonen heranschleppen…
Hier nun Strictly Ballroom (im englischen Original), viel Vergnügen!
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]]>Der Beitrag FEMALE TROUBLE mit Divine | Film 1974 | Kritik, Review erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.
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Ein irrer Film. Verbrochen hat ihn der berüchtigte John Waters, Ikone des Untergrund-Kinos. Diesen Ruf verdankt er seinem Durchbruch mit Pink Flamingos (1972), aber eben auch Female Trouble. Wer John Waters über die muntere Mainstream-Komödie Hairspray (1988) kennengelernt hat, mag es kaum glauben: Dieser Typ hat insbesondere in den 70er Jahren einige Meilensteine des schlechten Geschmacks gedreht, die bei vielen Menschen den Magen umdreht. Allein, dass diese Meilensteine die meisten Menschen ohnehin nicht erreichen – man muss schon gezielt nach diesen Filmen suchen. Im Internet ist das nicht schwer, dort tummeln sich John Waters‘ Werke dicht unter der Oberfläche. Denn wie bei allen extremen Auswüchsen des Kinos gibt es auch genug Menschen, die diese als Kultfilme feiern.
Inhalt: Female Trouble handelt von dem Teenager-Mädchen Dawn Davenport (Divine). In der Schule und daheim macht sie Probleme. Zu Weihnachten zerstreitet sie sich so sehr mit ihren Eltern, dass Dawn von zu Hause weg will. Ein Verbrechen, dass ihr daraufhin beim Trampen widerfährt, wird den Verlauf ihres Lebens bestimmen. Dawn gerät auf die schiefe Bahn und macht eine Karriere als Kriminelle.
Hinweis: Liebe Leser*innen, dieser Text enthält Spoiler. Es werden einige Einzelheiten zum Handlungsverlauf sowie das Ende besprochen. Wer zunächst den Film sehen möchte, findet diesen ganz unten verlinkt. Doch Achtung, Female Trouble ist eine trashige Tabu-Orgie und Perversionen-Parade, die Gewalt verherrlicht. Wird den wenigsten Menschen ehrlichen Herzens gefallen. Hoffe ich, irgendwie.
Female Trouble ist der zweite Teil einer losen Trilogie, die Regisseur John Waters selbst als »Trash Trilogy« bezeichnet. Dazu zählen des Weiteren Pink Flamingos (1972) und Desperate Living (1977). Ersterer ist Waters‘ berühmtester, explizitester und extremster Spielfilm, dessen finale Szene wohl nur von Hundeschiss-Fetischisten mit Genuss gesehen werden kann. Letzterer ist Waters‘ einziger Spielfilm ohne Ausnahme-Schauspieler und Drag-Queen Divine vor dessen Tod im Jahr 1988 und auch sein erster Film ohne David Lochary, der wenige Wochen nach der Veröffentlichung von Desperate Living unter bis heute ungeklärten Umständen starb. Im Drogenrausch versehentlich verblutet, ist eine gängige Vermutung.
In Female Trouble stehen Divine und David Lochary noch in tragenden Rollen vor der Kamera. Divine spielt die Hauptfigur Dawn Davenport sowie (als Doppelrolle) den Mann, der dieses Mädchen am Straßenrand vergewaltigt. David Lochary spielt den Inhaber eines Schönheitssalons, der Dawn gemeinsam mit seiner Frau später zu übelsten Verbrechen anstiftet, um diese in Bildern festzuhalten.
»Crime is beauty«, so die Idee.
John Waters selbst nennt Female Trouble »ein fiktives Biopic über eine Frau, die einer Gehirnwäsche unterzogen wird und daran glaubt, dass Verbrechen gleich Schönheit sei.« Hinsichtlich der Widmung im Vorspann, an den Mörder Charles Watson, schreibt Waters später in einem Text über Leslie Van Houten, ebenfalls Mitglied der Manson-Familie und verurteilte Mörderin, die John Watson als »wirklich gute Freundin« bezeichnet:
Ich bin auch schuldig. Schuldig, die Manson-Morde auf eine spaßige Klugscheißer-Weise in meine früheren Filme eingebaut zu haben. Ohne die geringste Empathie für die Familien der Opfer oder die Leben der gehirngewaschenen Manson-Killer-Kids, die ebenso Opfer waren, in diesem traurigen und schrecklichen Fall.
Inspiriert von Mordtaten, aber frei von Empathie für die Opfer. Das ist Female Trouble. Genug, um den Film als verachtenswertes Projekt unreflektierter Gewalt-Enthusiasten abzutun. Mir selbst indes ist dieser Streifen in einem ganz anderen Zusammenhang begegnet.
Für mein Studium der Philosophie darf ich mich aktuell mit Judith Butlers Das Unbehagen der Geschlechter / Gender Trouble (1990) beschäftigen. Bis dato kann ich nicht viel mehr dazu sagen, als dass es kompliziert geschrieben ist. 1998 bekam Butler einmal den Ersten Preis in einer Bad Writing Competition. Mal abgesehen davon, dass solch Negativpreise schlicht gemein sind und mehr über das Wesen der Verleiher*innen solcher Trophäen aussagen, als irgendetwas anderes, hat Butler mit einem Kommentar in The New York Times schlagfertig darauf reagiert:
Wenn das Alltagsdenken [die Umgangssprache] manchmal einen bestimmten gesellschaftlichen Status Quo konserviert, und dieser Status Quo manchmal ungerechte soziale Verhältnisse als natürlich behandelt, dann macht es Sinn, in solchen Fällen das Alltagsdenken [und damit die Umgangssprache] herauszufordern. Eine Sprache, die diese Herausforderung annimmt, kann helfen, den Weg zu einer sozial gerechteren Welt zu weisen.
Die ungerechten sozialen Verhältnisse, um die es Judith Butler geht, sind in Das Unbehagen der Geschlechter inbesondere die zwischen Frauen und Männern. Die Philosophin beschäftigt sich mit der Frage, ob es beim Frau-sein und Mann-sein nicht weniger um natürliche Unterschiede geht, als vielmehr um unterschiedliche Rollenbilder, die wir performen?
In diesem Zusammenhang kommt Butler im Vorwort zu Das Unbehagen der Geschlechter auf den Female Trouble zu sprechen, dessen Hauptdarsteller*in, jene berühmte Drag-Queen Divine auch als Heldin Hairspray (1988) auftritt. Divine wurde 1945 als Harris Glenn Milstead geboren, ein Junge, der schon früh Gefallen daran fand, in Frauenrollen zu schlüpfen – so auch in den Filmen seines Jugendfreundes John Waters.
Divines Darstellung von Frauen weist implizit darauf hin, daß die Geschlechtsidentität eine Art ständiger Nachahmung ist, die als das Reale gilt. Sein/Ihr Auftritt destabilisiert gerade die Unterscheidungen zwischen natürlich und künstlich, Tiefe und Oberfläche, Innen und Außen, durch die der Diskurs über die Geschlechtsidentitäten fast immer funktioniert.
Judith Butler wirft Fragen auf:
Ist die Travestie (also die Darstellung einer Bühne- oder Filmrolle durch Personen des anderen Geschlechts) eine Imitation der Geschlechtsidentität (also der inneren Gewissheit, einem bestimmten Geschlecht anzugehören)? Oder bringt sie die charakteristischen Gesten auf die Bühne, durch die die Geschlechtsidentität selbst gestiftet wird? Ist »weiblich sein« eine »natürliche Tatsache« oder eine kulturelle Performanz?
Antworten auf diese Fragen sucht man statt in Waters‘ Werk wohl lieber in Butlers Buch, dessen Originaltitel Gender Trouble, so legen es Judith Butler Ausführungen nahe, aber immerhin an den Film Female Trouble angelehnt ist.
Hey, spar dir deine Moral.
Schau, jede*r stirbt einmal.
Das, was ich gerne mag,
sind Mord und Totschlag.
Das ist eine Strophe aus dem Song Female Trouble. Gesungen von Divine, geschrieben von John Waters, begleitet dieses Lied den Vorspann des gleichnamigen Films und nimmt ein wenig seiner Haltung und Handlung vorweg.
Der Film beginnt mit einem Text-Insert: »Dawn Davenport *Youth* 1960«. In verspielter blaue Schrift auf violettem Hintergrund schließt sich diese Einblendung nahtlos an den schrillen Vorspann an. Immer wieder wird es solche Text-Inserts geben, die den Film in Kapitel unterteilen, nach den Lebensabschnitten der rastlosen Heldin.
Die erste Szene auf einem Schulkorridor führt Dawn Davenport als Schülerin ein, die ob ihres Haar- und Körpervolumen ins Auge sticht. Sie spricht mit einer Mitschülerin über das Weihnachtsgeschenk, das sie sich von ihren Eltern erhofft: irgendwelche hochhackigen Schuhe namens Cha Cha Heels. Dass sie diese später nicht bekommt, ist das Auslösende Ereignis der Films, das die Handlung ins Rollen bringt.
Hier ist dieser selige Moment bei der Bescherung, als Dawn Davenport nicht kriegt, was sie sich wünscht:
Wer diesen Auftakt für schräg hält: Es ist das normalste Weihnachten der Welt, im Vergleich zu den folgenden Abenteuern der streit- und geltungssüchtigen Heldin.
In einer Szene sagt Tante Ida (gespielt von Edith Massey, die später im Film minus einer abgehackten Hand im Vogelkäfig landet und dort als Haustier gehalten wird) zu ihrem Sohn Gater, von dem sie sich so sehr wünscht, dass er schwul wäre:
Ich mache mir Sorgen, dass du in einem Büro arbeiten und Kinder haben und Hochzeitsjahrestage feiern wirst. Die Welt der Heterosexuellen ist ein krankes und langweiliges Leben.
Krank ja, langweilig nein, so würde ich den weiteren Verlauf des Films in aller Kürze kommentieren. Völlig entkoppelt von etwaiger sexueller Orientierung, die vor der Kamera ausgelebt wird.
Aus der Sicht eines (im Vergleich zu John Waters, seiner Entourage und seinen Protagonisten) ziemlichen Otto-Normalos sage ich mal: Man muss diesen Film nicht gesehen haben, fällt nicht in den Kanon von Filmen für lockere Tischgespräche zwischen gelegentlichen Kinogänger*innen. Und man sollte bei diesem Film auch nicht unbedingt etwas essen (mein Fehler). Aber tut man sich Female Trouble trotzdem an, gewährt das Werk einen Blick in eine Parallelwelt, in der all unsere gesellschaftlichen Ideale auf den Kopf gestellt werden. Was ist schön, was ist richtig, falsch, anständig, abartig? Da diese gesellschaftlichen Ideale aber ohnehin nur der hauchdünne Vorhang auf einer Bühne voller verlogener Irrer ist, mag der schonungslose Schandtaten-Schaukasten Female Trouble gar sowas wie ein Kino der Katharsis sein. So weh es auch tut, dieser Film ist vermutlich näher dran am wirklichen Wesen der Menschen, als so bezaubernde Werke wie La La Land (2014) oder Tatsächlich… Liebe (2003).
Genug der Worte, hier gibt es den Film zu sehen: Female Trouble, 97 Minuten, viel Spaß!
Der Beitrag FEMALE TROUBLE mit Divine | Film 1974 | Kritik, Review erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.
]]>Der Beitrag MARTYRS mit Morjana Alaoui + New French Extremism | Film 2008 | Kritik erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.
]]>Inhalt: Eine junge Frau, die als Mädchen lange Zeit gefangen gehalten und gefoltert wurde (gespielt von Mylène Jampanoï), macht sich Jahre später auf, um ihre Peiniger zu töten. Begleitet wird sie dabei von grauenvollen Halluzinationen und einer Freundin (Morjana Alaoui), die ahnungslos in ihren schlimmsten Alptraum tappt.
Hinweis: Dieser Text enthält Spoiler, also Details zu den gezeigten Gewaltexzessen. Wer auf solch ultrabrutalen Filme steht, den oder die wird das kaum stören. Höchstens neugierig machen, nicht wahr? Unter »Bleibender Eindruck« wird die Auflösung des Films kritisch besprochen. Aktuelle Streaming-Angebote gibt es bei JustWatch.
Mit seinem Spiefilmdebüt Haus der Stimmen (2004) – mit Model und Schauspielerin Virginie Ledoyen in der Hauptrolle – servierte der Regisseur Pascal Laugier einen etwas abgeschmackten Horror-Eintopf aus altbekannten Zutaten. 4 Jahre später lässt er nun sein nächstes Werk folgen, und wieder: ein Horror. Warum denn, Herr Regisseur?
Ich habe das Genre immer gemocht. Insbesondere in den 70er Jahren hat es einige sehr einzigartige Werke hervorgebracht, von Filmemacher*innen, die das Genre nutzten, um sehr persönliche Dinge auszudrücken – ebenso, wie eine bestimmte Vorstellung von der Welt. Wir sehen John Carpenter heute als einen Auteur, im europäischsten Sinne des Wortes (Filmschaffende als geistige Urheber*innen und zentrale Gestaltende eines filmischen Kunstwerks). Ich wollte in aller Bescheidenheit mit diesem Geist in Verbindung treten und einen Film machen, der – obwohl er alle Codes und Archetypen des Genres verwendet – so unerwartet wie möglich ist.
Pascal Laugier im Interview mit Virginie Sélavy (Electric Sheep), aus dem Englischen
In der Literaturwelt heißt es, das zweite Buch sei für Autor*innen das schwierigste Projekt. Wie es in der Filmwelt heißt, weiß ich nicht. Bloß, dass Quentin Tarantino sich nach seinem Debütfilm Reservoir Dogs (1992) mit dem Kult-Kracher Pulp Fiction (1994) in den Kino-Olymp schoss. Und dass Baz Luhrmann nach seinem Debüt Strictly Ballroom (1992) im Nachfolger William Shakespeares Romeo + Julia (1996) seinen ausgeflippten Inszenierungsstil salonfähig machte. Und dass James Cameron nach seinem (ungewöhnlichen) Debüt Piranha 2 – Fliegende Killer (1981) mit Terminator (1984) Filmgeschichte schrieb. Und dass Sofia Coppola nach ihrem Debüt The Virgin Suicides (1999) den Instant-Klassiker Lost in Translation (2003) ablieferte.
In der Filmwelt setzt das zweite Projekt zuweilen ungeahnte Potentiale frei. Die jungen Filmschaffenden stecken noch voller unverbrauchter Ideen und Schöpfungskraft und haben durch ein gelungenes Debüt meist mehr Budget zur Hand, um größere Visionen zu verwirklichen – oder dunklere. Pascal Laugier nutzte sein zweites Werk, um sich mit Anlauf in die Welle des New French Extremism zu stürzen.
Dieses Label brachte der Filmkritiker James Quandt ins Gespräch, für einige französische Filme des 21. Jahrhunderts, die in Sachen Brutalität respektive Härte die Grenzen verschieben. Dazu werden etwa High Tension (2003) von Alexandre Aja oder Frontier(s) (2007) von Xavier Gens gezählt. Martyrs gilt als mustergültiges Beispiel für den New French Extremism, obwohl Regisseur Pascal Laugier ihn gar nicht so extrem sieht [und der Film etwa im Vergleich zu besagtem Frontier(s) auch weniger blutig ist].
Ich schwöre, dass es nie meine Motivation war, im Publikum Abscheu hervorzurufen. Wenn Kritiker*innen den Film als Gemetzel bezeichnen, als Zurschaustellung von Eingeweiden und als Gore, dann macht mich das traurig. Ich sehe meinen Film als eher zurückhaltendes Werk, ehrlich gesagt. Und ich würde mein Publikum damit gerne berühren, sie eintauchen lassen in einen Zustand tiefgreifender Melancholie, wie ich ihn erlebte, während der Dreharbeiten – denn ich denke, dass Martyrs in Wirklichkeit ein Melodram ist. Hart, gewalttätig, sehr verstörend, aber ebenso ein Melodram.
Pascal Laugier im Interview (s.o.)
Tatsächlich ist Martyrs also nicht so explizit, wie er angesichts der darin enthaltenen Gewalthandlungen hätte ausfallen können. Aber was heißt das schon, in einem Werk, in dem geschlitzt, geschossen und gehäutet und mit Rasierklinge, Schrotflinte und Vorschlaghammer getötet wird? Ist immer noch brutal, das Ding.
Ach, das waren noch Zeiten… Videoabend in Köln: Am 14. November 2011 sah ich mit einem Kumpel, betrunken und zu später Stunde, nach dem Kurzfilm Vanilleduft und Blutgeschmack (ausgezeichnet mit dem Deutschen Jugendfilmpreis – mit der Stimme von Larissa Rieß, inzwischen bekannt aus Neo Magazin Royale) und 30 Minuten oder weniger (enttäuschender Nachfolger von Zombieland-Regisseur Ruben Fleischer) zum ersten Mal den Film Martyrs. Jener Kumpel hatte ihn mitgebracht, ein »krasser Film« sei das.
Ich erinnere mich noch, dass wir uns über einige Logiklücken lustig machten und ich gen Ende dachte: Was für ein dumpfer Torture Porn ist das denn!? Besagter Kumpel war fasziniert vom Finale und der Pointe. Ich fand das ganze Ding nicht so dolle und war mir sicher, Martyrs »einmal und nie wieder« gesehen zu haben.
Stattdessen aber, um über den neuen Film Ghostland (2018) von Pascal Laugier besser schreiben zu können, zog ich mir 7 Jahre später dessen extremsten Film tatsächlich nochmal rein… aus Gründen der Vollständigkeit oder was weiß ich. Und sogar das amerikanische Remake davon. Aus Gründen, die ich rückblickend so gar nicht mehr nachvollziehen kann.
Jedenfalls musste ich überrascht feststellen, wie vieles mein Hirn von all dem fleißigen Filmkonsum vergangener Jahre doch wieder vergessen hat (was vielleicht am Captain-Morgan-Konsum während damaliger Videoabende lag, Rätsel über Rätsel, die wohl nie beantwortet werden…)
Den Prolog von Martyrs zum Beispiel, den hatte ich komplett vergessen…
Der Film beginnt mit einem Mädchen, das verstört, verdreckt, mit kurzgeschorenen Haaren und in blutbesudelter Unterwäsche von einem Industriegelände flieht. Sie rennt und schreit und Schnitt. Es folgt ein Vorspann im Super-8-Look, dokumentarische Filmaufnahmen aus dem Jahr 1971, in dem jenes Mädchen von der Polizei gefunden und in einem Waisenhaus untergebracht wird. Die Tatort-Begehung der Polizei erbringt keine Hinweise und das verstörte Mädchen mit dem Namen Lucie schweigt. Nur zu einem anderen Mädchen im Waisenhaus, Anna, baut sie Vertrauen auf. Sie schlafen gemeinsam in einem Raum, in dem Lucie nachts die traumatischen Erfahrungen in Form einer Grauengestalt heimsuchen…
Aber na ja, gääähn. Dieser komplette Prolog ist (obwohl technisch und visuell toll gemacht) dermaßen mit Horrorfilm-Klischees gespickt, das mein Hirn ihn wohl unter »ferner liefen« versenkt und vergessen hatte.
Der eigentliche Horror – mit einer Szene, die im Gedächtnis bleibt – beginnt nach 8 Minuten oder eher: »15 Jahre später«, so die Einblendung nach dem Titel. Wir sehen eine Familie am Frühstückstisch. Vater, Mutter, Tochter, Sohn (letzterer gespielt von Xavier Dolan, der später als gefeierter Jungregisseur reichlich berühmt werden sollte). In der Küche wird einander liebevoll geneckt.
Das Beste an einer Familie – man ist nie allein!
Alter Kalenderspruch
Das Schlechteste – man ist nie allein.
Das alltäglich-zänkisch-harmonische Beisammensein wird jäh unterbrochen, als es an der Tür klingelt. Der Vater öffnet und muss als Erster dran glauben. Wenige Minuten später ist die gesamte Familie tot. Dermaßen kalt und konsequent hingerichtet, dass etwaige Langweile ob des abgelutschten Prologs futsch ist und selbst gestandene Horror-Begeisterte gebannt vorm Bildschirm sitzen.
Der Film wird das Haus, das soeben Schauplatz eines Blutbads geworden ist, nur noch für ein paar gekonnt eingeflochtene, kurze Rückblenden verlassen. Ansonsten spielt sich die weitere Handlung eben dort ab, wo die scheinbar so harmlose Familie wohnte: Die erste Hälfte des Films ist im Erdgeschoss angesiedelt, die zweite Hälfte im Keller. Die letzte halbe Stunde ist dominiert von einem »Martyrium«, so muss man’s wohl verstehen. Das heißt: minutenlange, dumpfe Folter ohne Aussicht auf Entkommen (heißt auch: ohne Spannung). Die Hauptfigur soll im Handlungsverlauf eine Entwicklung durchmachen, so schreibt es die Erzähltheorie vor. In Martyrs besteht diese Entwicklung darin, dass die junge Frau (Morjana Alaoui) mental und körperlich gebrochen wird. Sie dient als bloßes, wort- und willenloses Objekt einer gewaltversessenen Sekte und mehr nicht.
In der ersten Hälfte steht diese Frau noch im Dienste ihrer Geliebten, die wiederum eine von ihren Dämonen Getriebene ist. Kurzum: Die Hauptfiguren von Pascal Laugiers Martyrs lassen sich schwerlich als Subjekte mit freiem Willen bezeichnen. Da liegt es nahe, mal einen feministischen Blick auf den Film zu werfen. Dazu die Filmbloggerin Ariel Schudson:
Was ich gesehen habe, war ein Regisseur, der sich daran aufgegeilt hat, Mädchen zu schlagen – weil er das in einem Film machen darf. Das ist… na ja, Kunst- und Meinungsfreiheit und so, aber meine freie Meinung lautet, dass es ein armer Gebrauch dessen ist. Zumal es ein guter Film hätte werden können.
Ariel Schudson, in: Martyrs & Misogyny: Simply Disturbing, or Disturbingly Simple? (aus dem Englischen)
Das Konzept war verblüffend. Der erste Akt war intensiv, gut gemacht, dramaturgisch ausgefeilt und das Timing war wundervoll. Ich hab den Fucker genossen. Aber sorry. Ich denke nicht, dass das Märtyrer-Konzept dadurch vermittelt wird, dass meine Augäpfel geprügelt werden mit Bildern von ihrem zerbrechenden Körper.
Das nächste Mal, wenn jemand zu mir sagt, Martyrs sei ein verstörender Film, dann werde ich kontern müssen mit: Bitte verwechsele verstörend nicht mit abstoßend. Es ist ein schmaler Grat, und wenn der Film nur die Kontrolle über sich behalten hätte, nicht versucht hätte, einen Kotau vor den Folter-Pornografen dieser Welt zu machen, dann hätte er ein echt Meisterwerk werden können. Darüber, was man mit Gewalt, der Gedankenwelt und den Ideen von Religiosität und Schmerz machen kann.
Noch kurz was zur inneren Logik: Diese Luke, die in den Keller führt, mit einer Leiter… vom Szenenbild her ne schöne Sache, für die Handlung ein bisschen – schwierig? Es gibt die Szene, in der Anna eine Frau aus dem Keller befreit. Letztere ist in einem fürchterlichen Zustand, abgehungert, schwach, und hat eine Metallvorrichtung an den Schädel genagelt (!) bekommen, die sie blind macht. Anna geleitet diese arme Frau, die kaum gehen und schlecht sehen kann, also durch den Keller und – Schnitt! – durchs Obergeschoss. Wie hat sie die Frau denn die Leiter hoch durch die Luke gekriegt?
Andere Szene: Anna wird im Obergeschoss von den Bösewichten an den Haaren gepackt, weggezerrt und – Schnitt! – durch den Keller weitergezerrt. Ob sie Anna an der Luke kurz losgelassen haben, damit sie selbst hinabsteigen kann? Oder haben sie Anna an den Haaren herabgelassen? Aber okay, das sind technische Details, die man ignorieren kann.
Am Ende aber versammelt sich eine Runde älterer Damen und Herren, die ihre Märtyrerin feiern wollen. Man hat Anna also so lange gefoltert und ihr schließlich die Haut abgezogen, dass sie – kurz vor ihrem Ableben – Visionen hat, die nicht von dieser Welt sind. Ich zitiere einen Vorsprecher der Sekte, der sich an die Versammelten richtet (übersetzt aus dem Englischen):
[…] Zwischen 12:15 und 2:30 Uhr sah Anna ins Jenseits und die dahinter liegende Welt. Sie haben mich richtig gehört. Ihr ekstatischer Zustand dauerte 2 Stunden und 15 Minuten. Das war keine Nahtoderfahrung. Es gibt keinen Zweifel daran, dass ihr Märtyrertum authentisch war. Um 2:30 Uhr verließ sie den Zustand…
Stop, stop, stop, mit so einem flauschigen Nebensatz kommt ihr nicht davon! Es gab »keinen Zweifel« an den Aussagen dieser euch feindlich gesinnten, wenn überhaupt noch bei Sinnen seienden, endlos gefolterten, im Schmerzdelirium wabernden Zeugin? Warum denn nicht? Was hat sie so glaubwürdig gemacht? Abgesehen davon, dass ihr Irren sicher nur gehört habt, was ihr hören wolltet… ach, ich fürchte, mit dieser lahmen Ausrede kann man jede noch so verkorkste Story rechtfertigen: Die Protagonisten sind halt irre.
Dasselbe Argument kann Pascal Laugier aus zu seinem nächsten, noch hanebücheneren Film auftischen: Es sind halt alle irre. Ein ähnlich dämliches Argument kann Laugier anwenden, wenn die »Warum ausgerechnet Gewalt gegen Frauen?«-Frage fällt: Eine ältere Dame, das Oberhaupt der Sekte, erklärt feierlich, dass ihre langjährigen Studien ergeben hätten, dass junge Frauen für ein Martyrium am besten geeignet seien. Warum? Darum. Isso. Erklärung Ende.
Ja, ok. Find ich doof. Aber…
…es geht immer noch ein bisschen doofer. Dazu verlasse man sich einfach auf die Amerikaner und ihren Hang zu unnötigen Remakes. Ein solches gibt es natürlich auch zur Martyrs, unter demselben Titel, aus dem Jahr 2015.
Das Remake beginnt mit einem Mädchen, das von einem Industriegelände flieht. Weniger verstört und verdreckt als im Original und ohne kurzgeschorene Haare, weil, naja, ach, keine Ahnung, war wohl einfacher so. Schon während dieser Szene werden die Vorspann-Titel eingeblendet: »Directed by Kevin Goetz & Michael Goetz«. Mh, da hättet ihr euch ein »Goetz« doch schenken können, Jungs, dachte ich noch… aber siehe da: die Gebrüder Goetz hätten sich den ganzen Film schenken können. Das Remake ist in jeder Hinsicht billiger produziert, als das Original, zum Fremdschämen schlecht. Es sei denn, der Film versteht sich als Trash-Kunst à la The Asylum – aber selbst diese Filmproduktionsgesellschaft (verantwortlich für Titanic 2, Nazi Sky, Sharknado und ähnliche Perlen) würde das Martyrs-Remake vermutlich aufgrund »mangelnder Ambitionen« schelten.
Auf Festivals wurde Pascal Laugier beschimpft und gefeiert. Ich hätte vermutlich dazwischen gesessen und einfach nicht geklatscht. Der letzte Akt war mir zu stumpf, die Auflösung schlicht dämlich.
Horror sollte meiner Ansicht nach kein vereinendes Genre sein. Es muss teilen, schocken, Brüche hinterlassen in den Gewissheiten der Zuschauer*innen und ihrem Hang zu einer Art Konformismus. Horror ist grundsätzlich subversiv. Sonst sehe ich darin keinen Sinn.
Pascal Laugier
Subversiv im Sinne von aufrüttelnd, nehme ich an. Zerstörerisch, Konventionen aufbrechend, zu Streit anregend, aus dem Neues erwächst – ja! So sollte Horror sein! Allein, dass Laugiers vorheriger Film (Haus der Stimmen) zu gehaltlos und sein nachfolgender Film (The Tall Man) zu absurd ist, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Laugiers vierter und neuster Film (Ghostland) vereint die Brutalität aus Martyrs mit den Twists aus The Tall Man und funktioniert als solider Horrorfilm, seine aufwändigste und technisch beste Arbeit bis dato. Der letzte gesprochene Satz aus Ghostland scheint mir – »subversiv« hin oder her – den Antrieb von Pascal Laugier (der bisher all seine Drehbücher selbst schrieb) mehr auf den Punkt zu bringen:
I like to write storys.
Der Beitrag MARTYRS mit Morjana Alaoui + New French Extremism | Film 2008 | Kritik erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.
]]>Der Beitrag THE LOBSTER mit Rachel Weisz | Film 2015 | Kritik, Review erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.
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Hinweis: Liebe Leser*innen, dieser Text enthält Spoiler hinsichtlich der Besprechung einzelner Szenen. Obwohl weder Ende noch wichtige Wendungen verraten werden: Es lohnt sich, diesen Film mit möglichst wenig Vorwissen zu sehen! Aktuelle legale Streamingangebote von The Lobster gibt’s bei JustWatch.
Hummer sind bemerkenswerte Wesen. Sie werden über 100 Jahre alt (wenn wir sie nicht bei lebendigem Leibe im Kochtopf zerbrühen) und sie haben blaues Blut (und zwar wirklich, nicht nur so dahergesagt, wie unsere ach so adligen Aristokraten). Außerdem sind Hummer ein Leben lang fruchtbar. Diese 3 Eigenschaften fallen dem Protagonisten David (gespielt von Colin Farrell) ein, als er im Hotel gefragt wird, in welches Tier er sich verwandeln lassen wolle. Denn das ist die Prämisse zu The Lobster: Singles werden in ein Hotel eingewiesen, in dem sie eine bestimmte Zahl an Tagen Zeit haben, eine*n Partner*in zu finden. Wenn dies nicht gelingt, werden die einsamen Seelen in ein Tier ihrer Wahl verwandelt. Was auch sonst?
Die Reaktion der Hotelmanagerin auf Davids Antwort lautet: Der Hummer sei eine exzellente Wahl! Ja, und The Lobster ist eine exzellente Wahl für einen ausgefallenen Liebesfilm mit Colin Farrell und Rachel Weisz als Paar, das sich nicht haben darf.
Der kanadische Psychologe Jordan Peterson hat im Januar ein Selbsthilfe-Buch veröffentlicht. Die deutsche Ausgabe erscheint im Oktober unter dem Titel: 12 Rules For Life: Ordnung und Struktur in einer chaotischen Welt. Im ersten Kapitel davon zieht Jordan Peterson ausgerechnet den Hummer heran, um zu demonstrieren, wie wir die fundamentalen Prinzipien der Natur ausnutzen können, um im Leben erfolgreich zu sein.
Lass dich vom siegreichen Hummer inspirieren, mit seinen 350 Millionen Jahren von angewandter Weisheit. Stehe aufrecht, nimm die Schulter zurück. | Jordan Peterson
Das ist der Hummer in Angriffshaltung: Bei Kämpfen plustert er sich auf, um seine Gegner zu beeindrucken. Peterson zielt auf den Dominanz-Trieb von Hummern ab, von dem sich Menschen etwas abschauen sollten, um im Leben zu bestehen. Das kann man auch jetzt schon in einem deutschsprachigen Blogartikel über Petersons berüchtigstes Hummer-Faible nachlesen (siehe: 112-Peterson: Der Hummer in dir).
Es scheint, dass seine Diskussion von Hummern mehr über seine eigene Weltsicht aussagt, als über menschliches Verhalten. Aber er ist der Psychologe, nicht ich.
Das schrieb Anfang dieses Monats, am 4. Juni 2018, die Marine-Forscherin Bailey Steinworth in der Washington Post. Peterson erzähle seinen Leser*innen, sie sollten sich von einem Tier inspirieren lassen, das nicht fähig ist, mit seinen eigenen Artgenoss*innen zu interagieren – außer beim Sex.
Ich sage, das Leben ist so bizarr und wundervoll, dass man Inspiration überall finden kann.
Tatsächlich geht Steinworth dann auch auf eine Reihe von Meeresbewohner*innen ein, die gleichermaßen als Vorbild für uns Menschen dienen können. Wer weiß, wenn der fiktive David diesen Artikel gelesen hätte, vielleicht hätte er sich nicht mehr in einen Hummer verwandeln lassen wollen, sondern eine Seeschnecke oder Seegurke oder Qualle? Hätte der Film The Lobster dann The Jellyfish geheißen?
Wohl kaum. Denn bei all den tiefenpsychologischen Mutmaßungen, die man über den Protagonisten David und seine Wahl für den Hummer anstellen mag, ist die Erklärung – warum ausgerechnet ein Hummer!? – sehr einfach:
Es begann mit einer Story, die wir als ursprüngliches Treatment geschrieben hatten. Darin wird der Hauptcharakter in einen Hummer verwandelt und dann sieht man seine Ex-Frau mit ihrem neuen Lover eben einen Hummer essen. Also, darin liegt die eigentliche Bedeutung des Hummers, noch bevor wir das richtige Drehbuch schrieben. | Regisseur Yorgos Lanthimos im Gespräch mit Emma Myers (Brooklyn)
Kurzum: The Lobster heißt The Lobster, weil Hummer lecker sind. Und das, obwohl diese Wendung letztlich gar nicht mehr Teil des fertigen Films ist. Der Titel ist ein Relikt des kreativen Schaffensprozesses, so einfach. Da geht es nicht doppelbödig über Dominanz-Trieb und soziale Hierarchie. Die Dinge sind manchmal, wie sie sind, aus den dämlichsten Gründen. Das lohnt sich, bei dem Film The Lobster im Hinterkopf zu behalten, bevor man jede Geste und Regung, jeden Schnitt und Schabernack in dieser kunstvoll erzählten Geschichte mit Bedeutung aufladen möchte.
Schon 2015 hat mir ein Kumpel den Film The Lobster ans Herz gelegt. Nun hat ein anderer Kumpel die DVD bei einem Filmabend aus dem Hut gezaubert. Beide kannten wir weder den Film noch den Regisseur, hatten nichts über The Lobster je gehört, außer eben, dass er »ziemlich außergewöhnlich sei«. Na denn, nichts wie rein mit der Scheibe!
Zu Beginn sehen wir eine Frau mit ihrem Auto durch den Regen fahren, auf einer Landstraße. Der Prolog zu The Lobster – vor dem eigentlichen Titel – ist ein One-Take, ein etwa 80-sekündige Szene ohne Schnitt, ohne Musik, ohne Worte. Was darin passiert und wie es zu deuten ist, das wird im Internet fröhlich diskutiert. Manche sehen in dem rätselhaften Prolog »the whole movie in a nutshell«. Yorgos Lanthimos selbst sagt, er mag es, einen Film so zu starten:
Du gibst den Ton an, ohne eine Erklärung zu liefern oder den Einstieg noch einmal aufzugreifen. Wenn der Film zu Ende ist, können die Zuschauer*innen selbst zum Anfang zurückkehren und ihn auf ihre Weise interpretieren.
Nach Einblendung des Titels folgt eine Over-Shoulder-Einstellung eines Mannes (Colin Farrell), auf der Couch sitzend. Zu seinen Füßen ein Hund. Der Mann spricht mit seiner Frau, die wir nicht zu sehen bekommen. Offenbar geht es um einen Anderen, den die Frau kennengelernt hat. Deshalb muss der Mann gehen. Er wird eskortiert, zu einem Wagen, dann deportiert, zu dem Hotel.
An der Rezeption wird der Mann gefragt, ob er homo- oder heterosexuell sei. Bisexualität gibt es in dieser Zukunftsvision ebenso wenig, wie halbe Schuhgrößen. Der Mann überlegt ein wenig hin und her, sein Blick schweift zur Seite, wir sehen nicht, wohin, hören von dort her nur Absatzschuhe über einen harten Boden stöckeln. Er müsse wohl »hetero« angeben, sagt der Mann, dessen letzter Blick laut Audiospur einer Frau galt. Dieses subtile, inszenatorische Detail ist besagtem Kumpel aufgefallen, mit dem ich den Film sah. An mir allein wäre es, fürchte ich, unbemerkt vorbeigegangen.
Schon ab der ersten Szene kommentiert eine Erzählerin aus dem Off gelegentlich das Geschehen. Ihre Stimme soll später ein Gesicht bekommen: das von Schauspielerin Rachel Weisz. Die Erzählerin, die zu handlungstreibenden Figur wird – dieser Kniff kam uns beim Filmabend so ungewöhnlich vor, dass wir eine Literaturverfilmung vermuteten. Es gibt ja Romanvorlagen, deren Umsetzung ein paar besondere Kniffe abverlangt. Doch so sehr sich The Lobster zuweilen so anfühlt – der Film ist keine Literaturverfilmung, sondern basiert auf einem Original-Drehbuch.
Neben Rachel Weisz enthält der Film zahlreiche weitere bemerkenswerte Frauenrollen. Allen voran Léa Seydoux als Anführerin der Einzelgänger*innen in den Wäldern. Sie hält sich einen »Partner« bloß zur Tarnung in der Stadt, in der Menschen nur als Paare auftreten dürfen. Das führt dazu, dass selbst die herzlosesten Zeitgenoss*innen sich verkuppeln lassen, etwa Angeliki Papoulia als (wir lernen sie tatsächlich nur unter diesem Namen kennen) »herzlose Frau«.
Was The Lobster im Vergleich zu anderen, von Männern angetriebenen Film gelingt, ist die Kreation eines Raumes für Frauen. Im Verlauf dieses Films gibt es etliche Szenen, Momente und Konversationen, die weibliche Stärke, Stabilität und Logik unterstreichen. […] In anderen Filmen nehmen Männer diesen Raum mit ihren eifrigen, enthusiastischen und sexuell aufgeladenen Persönlichkeiten ein. Doch The Lobster beschränkt die Männlichkeit und erlaubt Frauen, wütend, traurig, aggressiv, laut, forsch, sexuell, wild und generell »unfeminin« zu sein. | Samantha Ladwig (BUST) über den Film The Lobster (übersetzt aus dem Englischen)
Fun Fact zum Abschluss: Die französische Schauspielerin Ariane Labed, die als »Zimmermädchen« in einer ganzen Reihe starker Szenen von The Lobster auftritt, ist mit dem Regisseur des Films, Yorgos Lanthimos, verheiratet.
Gespickt mit absurd-komischen, tragischen und schockierenden Ideen und Szenen, weiß The Lobster über seine rund 2 Stunden Laufzeit sehr gut zu unterhalten, wenn man bereit ist, sich auf eine ungewöhnliche Welt einzulassen. Und egal ob Single oder in Partnerschaft, dieser Film stimmt nachdenklich über die sozialen Gefüge, in die wir uns wer weiß wie freiwillig oder forciert so begeben. Sehenswert, erlebenswert!
Der Beitrag THE LOBSTER mit Rachel Weisz | Film 2015 | Kritik, Review erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.
]]>Der Beitrag HAUS DES GELDES mit Alba Flores | Serie, 2017-18 | Kritik, Review erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.
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Gastbeitrag von Markus Hurnik
Hinweis: Liebe Leser*innen, dieser Beitrag enthält keine Spoiler.
Heute sollte ich mich auf Netflix beim Haus des Geldes wiederfinden, eine Serie aus spanischer Produktion, die in den letzten Monaten innerhalb Europas deutlich an Popularität gewonnen hat. Das »Haus des Geldes« ist die spanische Zentralbank in Madrid. Diese soll durch den »perfekt« geplanten Überfalls eines »Professors« mit seinem bunt zusammengewürfelten Team, um ihr Geld erleichtert werden.
Die Serie startete spannend und die ersten 3-4 Folgen wussten zu begeistern. Doch dann kam die Ernüchterung. 22 Folgen und jede ungefähr 40 Minuten lang! Viele würden nun sagen, das ist doch super und endlich habe ich für längere Zeit Unterhaltung aus einem Guss, doch leider zerstört die lange Zeitspanne jegliche Langzeitspannung. Denn eine klassische Heist-Geschichte sollte Tempo und Emotionen haben und sich nicht in sich verlieren. Jedoch tut Haus des Geldes genau dies. Was fulminant startet, verweilt ab einem gewissen Punkt immer mehr auf Einzelschicksalen, während die Story nur noch vor sich hin dümpelt. Das am Anfang entwickelte Gefühl, »hey, das ist ein perfekt geplanter Coup, das wird eine richtig coole Erfolgsstory für die Bankräuber und die Bösen werden als die wahren Helden etabliert«, löst sich schnell in Luft auf.
Gerade nach Filmen wie Bube, Dame, König, grAS, Snatch oder Oceans sind die Erwartungen an eine solche Handlungsentwicklung hoch. Der Bösewicht als Held und als der perfekte Verbrecher. Dieser Punkt ist für viele Serien und Filme entscheidend. Denn derjenige, welcher Banküberfall-Filme, wo Coups respektive Handlungsweisen nicht zu viele moralische Fragen aufwerfen bevorzugt, wünscht sich eine solche Handlung. Das Bedürfnis, dass ein Plan reibungslos läuft und der moralische Zeigefinger nicht zu sehr erhoben wird. Schwarzer Humor, moralisch fragwürdige Handlungen und Erfolgsmomente der Gangster, der Filmfans begeistert von der Couch aufspringen lässt, entscheidet durchaus über Erfolg und Misserfolg einer Serie, je nachdem, wie sehr man sich mit den Charakteren identifiziert.
Auch sind die Handlungen der einzelnen Charaktere der Serie teilweise absolut nicht plausibel und »dumm«. es ärgert einen extrem, wenn einer der Protagonisten immer wieder absolut unüberlegt, dumm und irrational handelt – völlig unmöglich bei einem solch perfekt geplanten Verbrechen.
Dabei macht Haus des Geldes auch vieles richtig. So gibt es tolle Charaktere, den »Professor« (Álvaro Morte) – den Kopf der Bande, seine linke Hand und Nairobi, die flippige Gangster-Braut (Schauspielerin Alba Flores, siehe Bild). All diese sorgen für tolle Momente und ein großartiges Mittendrin-Gefühl. Tokio (Úrsula Corberó) dagegen ist mehr schmuckes Beiwerk. Ihre Rolle beim Überfall bleibt nebulös. Die Geiseln wiederum treten in der Masse nicht weiter in Erscheinung und man fokussiert sich auf einzelne Charaktere, die leider aber keine schauspielerischen Meisterleistungen präsentieren.
Deutliche Schwächen an allen Ecken und Enden. Haus des Geldes eignet sich für Fans des klassischen Fernseh-Dauerkrimis, der nur wenig Besonderes bietet. Die Serie ist sicher etwas besser als der Durchschnitt, mehr aber auch nicht. Kurz um, wer gerade eine »Langzeitbeschäftigung« sucht und alle großen Knüller am Serienhimmel durchgeschaut hat, kann sich bedenkenlos Haus des Geldes anschauen.
Markus Hurnik (28), langjähriger Berliner und Vorortbewohner, den es beruflich inzwischen zunehmend in sächsische Gefilde verschlägt. Er hat in seinen frühen Jahren für die Verlagsgruppe Randomhouse Jugendbücher rezensiert. Anfang der 2000er kam er vermehrt ins Kino und wurde filmabhängig. Studiert hat Hurnik etwas vollkommen Kunstfernes, vis-à-vis der Filmstudios Babelsberg.
Stammkino: Cineplex Titania Palast, Berlin
Lieblingskinos: Programmkino Ost, Dresden Thalia, Potsdam
Lieblingsfilme (eine Auswahl): La Grande Bellezza, Metropolis, Three Billboards Outside Ebbing, Missouri, Wall- E, Train to Busan
Der Beitrag HAUS DES GELDES mit Alba Flores | Serie, 2017-18 | Kritik, Review erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.
]]>Der Beitrag Das Unbehagen der Geschlechter, Judith Butler | Buch 1991 | Zusammenfassung erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.
]]>Der Grund liegt vor allem in der These, dass neben dem sozialen Geschlecht (engl. gender) auch das körperliche Geschlecht (sex) diskursiv geformt wird, durch performative Sprechakte. Dass Natur demnach schon ein Ergebnis kultureller Erkenntnisse (und nicht diesen vorausgehend) sei, das ist diejenige Prämisse von Judith Butler, die den Zugang zu ihrem Werk Das Unbehagen der Geschlechter für viele Leser*innen erschwert.
Die Annahme, dass Körper durch Diskurse und performative Sprechakte konfiguriert werden, bedeutet jedoch nicht, dass Körper als materielle Realitäten vollständig auf Diskurse zurückführbar sind; lediglich, dass es keine von der symbolischen Ordnung unberührte körperliche Materialität gibt.
Hannelore Bublitz, in: Judith Butler zur Einführung (2002), S. 41
Im Folgenden soll eine grobe Übersicht zu dem Werk Das Unbehagen der Geschlechter / Gender Trouble und den davon ausgehenden Kontroversen gegeben werden. Hier geht es zu einer Zusammenfassung des Vorworts. Ein PDF der englischen Original-Fassung Gender Trouble von Judith Butler stellt die Mexikanerin Laura González Flores bereit.
In der Doku Judith Butler, Philosophin der Gender (2006) des Sender arte, sinniert die Autorin über den Ursprung von Das Unbehagen der Geschlechter / Gender Trouble. Dabei geht es um ihre jüdische Familie und deren Assimilation in Amerika. Judith Butler kam 1956 in Cleveland, Ohio zur Welt. Die Familie ihrer Mutter besaß eine Kinos in Cleveland. Wie viele Jüdinnen waren sie in diese neue Industrie eingestiegen, die im 20. Jahrhundert boomte.
Für die Generation amerikanischer Juden, die mich aufzog, bedeutete Assimilation offenbar, dass man sich den Geschlechtsrollen aus Hollywood-Filmen anzupasste. So wurde meine Großmutter zu Helen Hayes, […] mein Großvater war so etwas wie Clark Gable […].
In den späten 60ern und frühen 70ern, als ich versuchte, mit der Verteilung der Geschlechtsrollen klarzukommen, war ich mit diesen übertriebenen Rollenerwartungen konfrontiert. […] Vielleicht ist die Theorie von Das Unbehagen der Geschlechter aus meinem Versuch entstanden zu verstehen, wie meine Familie diese Hollywood-Normen verkörpert hat. Und dann auch wieder nicht. Sie versuchten sie zwar zu verkörpern, aber in gewisser Hinsicht war es ihnen gar nicht möglich.
Meine Schlussfolgerung war, dass jeder, der sich bemüht, diese Normen zu verkörpern, auf eine Weise daran scheitert, die viel interessanter ist, als ein Erfolg es sein könnte. | aus: Judith Butler, Philosophin der Gender (2006)
Das Unbehagen der Geschlechter / Gender Trouble sei eine Schrift, so Butler, in der es darum geht, wie wir als Gesellschaft gewisse Geschlechtsnormen konstruieren. In dieser Schrift wird die Geschlechtsidentität (gender) als eine Tätigkeit beschrieben. Wir stellen etwas dar, handeln in einer bestimmten Weise, sind ständig im Werden begriffen. Darüber definieren wir unsere Identität. Es geht um die Frage, auf welche Arten wir unsere Geschlechtsrollen erschaffen und was wir damit anstellen können?
Judith Butlers Buch Das Unbehagen der Geschlechter / Gender Trouble unterteilt sich in folgende 3 Kapitel.
Das erste Kapitel handelt von »Frauen« als Subjekte des Feminismus und der Unterscheidung zwischen körperlichem Geschlecht (sex) und Geschlechtsidentität (gender). Zwei zentrale Begriffe dieses Kapitels sind die »Zwangsheterosexualität« (die gesellschaftliche Fixierung auf heterosexuelle Lebensweisen) sowie der »Phallogozentrismus« (demnach viele Festlegungen dessen, was in der Gesellschaft als »weiblich« gilt, von Männern ausgehen). Ist zum Beispiel die »Frau« nur eine sprachlich konstruierte Geschlechter-Kategorie und die Sprache selbst phallogozentrisch? So sieht es die Psychoanalytikerin Luce Irigaray.
Luce Irigarays grundlegendes Argument ist, dass Philosophie seit Platon – und sogar schon vor diesem – auf der Idee eines singulären, operierenden Subjekts beruht, das seine Umwelt betrachtet und zu verstehen versucht – als einzelnes Subjekt; und dass darin die Auslöschung von Unterschieden begründet liegt, und des Weiblichen.
Isabelly Hamley, in: Luce Irigaray by Isabelle Hamley (YouTube, 02:40)
Neben Luce Irigaray geht es um die Schriftstellerin Monique Wittig. Diese stellte die These auf, dass »das Weibliche« das einzige Geschlecht sei, das in einer Sprache repräsentiert wird, die das Weibliche mit dem Sexuellen verknüpft. Wittig ist der Ansicht, dass nur die leiblichen Personen, die keine heterosexuellen Beziehungen im Rahmen der Familie (mit dem Zweck der Fortpflanzung als dem Telos der Sexualität) unterhalten, die Kategorien des Geschlechts anfechten oder zumindest in keiner Komplizenschaft stehen. Butler schreibt über Wittig:
In Erwiderung auf Beauvoirs These »Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es«, stellt Wittig die Behauptung auf, daß man, anstatt eine Frau zu werden, eine Lesbierin werden kann. Indem sie die Kategorie »Frau(en)« zurückweist, schneidet Wittigs lesbischer Feminismus scheinbar jede Art von Solidarität mit den heterosexuellen Frauen ab […].
Was für ein tragischer Fehler ist es […], eine schwule/lesbische Identität durch dieselben Mittel der Ausschließung zu konstruieren, als würde das Ausgeschlossene nicht gerade durch seine Ausschließung stets vorausgesetzt und damit sogar für Konstruktion dieser Identität erfordert. | S. 188-189
Jede Matrix, der eine Binarität zugrunde liegt, (ob nun weiblich/männlich oder lesbisch/schwul), verwirft diejenigen Subjekte, die sich in dieser Matrix nicht unterbringen lassen. Die verworfenen Subjekte werden zum »Anderen«, durch dessen Ausschließung sich die Subjekte innerhalb der Matrix konstituieren.
Das Verworfene [the abject] bezeichnet hier genau jene »nicht-lebbaren« und »unbewohnbaren« Zonen des sozialen Lebens, die dennoch dicht bevölkert sind von denjenigen, die nicht den Status des Subjekts genießen, deren Leben im Zeichen des »Nicht-Lebbaren« jedoch benötigt wird, um den Bereich des Subjekts einzugrenzen. Diese Zone der Unbewohnbarkeit wird die definitorische Grenze für den Bereich des Subjekts abgeben.
Judith Butler, in: Körper von Gewicht (1997), S. 23
Fragen, die in diesem Kapitel zu erörtern sind:
Wie bringt Sprache selbst die fiktive Konstruktion des »Geschlechts« hervor, die diese verschiedenen Macht-Regime (Zwangsheterosexualität, Phallogozentrismus) trägt? (als solche werden Zwangsheterosexualität und Phallogozentrismus verstanden – in ihnen bündelt sich gesellschaftliche Macht)
Welche Kontinuitäten zwischen Geschlecht (sex), Geschlechtsidentität (gender) und Begehren suggeriert eine Sprache unterstellter Heterosexualität? Sind diese Begriffe eventuell diskret, also in ihrer jeweiligen Bedeutung gar nicht stetig fest und eindeutig bestimmt?
Und wenn Geschlecht, Geschlechtsidentität und Begehren nicht fest bestimmt sind, welche kulturellen Verfahren bringen ihre angeblichen Beziehungen ins Wanken?
Das zweite Kapitel behandelt unter anderem das Inzesttabu. Dieses untersagt in fast allen Kulturen sexuelle Beziehungen zwischen Blutsverwandten. Das Verbot kann als ein Mechanismus dargestellt werden, der innerhalb eines heterosexuellen Rahmens versucht, bestimmte Geschlechtsidentitäten (gender identities) zu erzwingen. So lässt es sich in strukturalistischen, psychoanalytischen und feministischen Schriften darstellen, drei Perspektiven, die Judith Butler hier vorgestellt.
Sie unterzieht das Inzesttabu einer Kritik vermittels der Repressionshypothese von Michel Foucault. Die Repressionshypothese besagt, dass Macht repressiv individuelle Triebregungen und -äußerungen zurückdränge. Im Fall des Inzesttabus besteht die Repression in einem Verbot inzestuöser Handlungen, womit aber – indirekt – die Zwangsheterosexualität in der männlich bestimmten Sexualökonomie bestärkt wird. Gleichzeitig eröffnet das Inzesttabu eben diese Sexualökonomie jedoch auch für Kritik.
Des Weiteren werden im zweiten Kapitel die Begriffe »Identität«, »Identifizierung« und »Maskerade« analysiert. Sowohl im Werk der Psychoanalytikerin Joan Riviere als auch in anderen Theorien der Psychoanalytik. Fragen, die in diesem Kapitel zu erörtern sind:
Können psychoanalytische Theorien für eine Darstellung der komplexen geschlechtlich bestimmten »Identitäten« angewendet werden?
Handelt es sich bei der Psychoanalyse um eine anti-fundamentalistische Theorie, die sexuelle Vielschichtigkeit bejaht, womit die hierarchischen sexuellen Codes unserer Gesellschaft de-reguliert werden?
Oder arbeitet die Psychoanalyse eben zugunsten dieser Hierarchien, indem sie einen Komplex von Voraussetzungen über Identitätsgrundlagen aufrecht erhält?
Das dritte Kapitel von Das Unbehagen der Geschlechter / Gender Trouble unterzieht zunächst die Konstruktion des mütterlichen Körpers bei der Psychoanalytikerin und Schriftstellerin Julia Kristeva einer Kritik. Butler verweist auf die impliziten Normen, die Kristevas Ausführungen zu Geschlecht und Sexualität zuweilen zugrunde liegen. Ein Beispiel von Butlers Beobachtungen:
Scheinbar akzeptiert Kristeva […] den Begriff einer primären Aggression und unterscheidet die Geschlechter je nach dem primären Objekt der Aggression […]. Daher versteht Kristeva die männliche Position als nach außen gerichteten Sadismus, während die weibliche Position ein nach innen gerichteter Masochismus ist. | S. 230
Für diese Kritik zieht Butler wieder den Philosophen Michel Foucault heran. Jedoch nicht, ohne auch Kritik an diesem zu formulieren und auf Widersprüche in seinem Werk hinzuweisen. Butler unterstellt Foucault eine »radikale Fehllektüre« der Tagebücher des intersexuellen Herculine Barbin, die Foucault entdeckte und veröffentlichte. Sowohl Foucault als auch Barbin vertraten, laut Butler, der Ansicht, dass Sexualität »außerhalb jeglicher Konvention« steht. Butlers Meinung nach hingegen sei die Sexualität »gerade von diesen Konventionen geprägt«. Foucaults Lesart von Barbins Tagebüchern verkenne…
…wie diese Lüste immer schon in das zwar unausgesprochene, aber durchgängig wirksame Gesetz eingelassen sind und gerade durch das Gesetz erzeugt werden, dem sie sich angeblich widersetzen. […]
Foucault, der nur ein einziges Interview zur Homosexualität gab und sich dem Moment der Beichte in seinem eigenen Werk stets widersetzt hat, präsentiert uns Herculines Geständnis in einer unverhohlen didaktischen Art und Weise. Handelt es sich hier vielleicht um eine verschobene Beichte, die auf eine Kontinuität oder Parallele zwischen seinem und ihrem Leben verweist? | S. 148, 152
Aller Kritik zum Trotz erweist sich Foucaults Auseinandersetzung mit der Kategorie des Sexus (die differenzierte Ausprägung eines Lebewesens bezüglich seiner Rolle bei der Fortpflanzung) als hilfreich, um zu Butlers Zeiten aktuelle, medizinische Fiktionen als solche zu entlarven.
Außerdem thematisiert Butler Wittigs Vorschlag einer »Desintegration« kulturell konstituierter Körper, deren Morphologie selbst eine »Folgeerscheinung des hegemonialen Begriffsschemas« sei. Mit Rückgriff auf Mary Douglas und einmal mehr Julia Kristeva schreibt Butler hier auch über die Begrenzung und Oberfläche von Körpern als politische Konstruktion.
Zuletzt schlägt Judith Butler einige parodistische Praktiken vor, die auf einer performativen Theorie der Geschlechter-Akte (gender acts) beruhen. Akte, welche die Kategorien des Körpers und Geschlechts, der Geschlechtsidentität und Sexualität ins Wanken bringen. Ziel ist es, diese Kategorien zu resignifizieren (neu zu bezeichnen) und eine Vervielfältigung innerhalb des binären Rahmens herbeizuführen.
Die Aufgabe [von Das Unbehagen der Geschlechter / Gender Trouble] ist, sich auf solche definierenden Institutionen: den Phallogozentrismus und die Zwangsheterosexualität zu zentrieren – und sie zu dezentrieren. | Vorwort, S. 9
Wichtige Namen/Personen aus Das Unbehagen der Geschlechter / Gender Trouble:
Simone de Beauvoir · Jacques Derrida · Mary Douglas · Michel Foucault · Sigmund Freud · Luce Irigaray · Franz Kafka · Julia Kristeva · Jacques Lacan · Claude Lévi-Strauss · Friedrich Nietzsche · Joan Riviere · Jacqueline Rose · Jean-Paul Sartre · Joan Scott · Monique Wittig · uvm.
Der Beitrag Das Unbehagen der Geschlechter, Judith Butler | Buch 1991 | Zusammenfassung erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.
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