Kurzfilm – Blog vom Bleiben http://www.blogvombleiben.de Kinderbücher, Kinofilme und mehr! Thu, 04 Oct 2018 10:18:48 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 http://www.blogvombleiben.de/wp-content/uploads/2017/03/Website-Icon-dark.png?fit=32,32 Kurzfilm – Blog vom Bleiben http://www.blogvombleiben.de 32 32 138411988 LOLA RENNT mit Franka Potente | Film 1998 | Kritik, Review http://www.blogvombleiben.de/film-lola-rennt-1998/ http://www.blogvombleiben.de/film-lola-rennt-1998/#respond Tue, 21 Aug 2018 07:00:22 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=4395 9 Monate von der Idee zum ersten Drehtag – Lola rennt, dieser rasante Ritt durchs Berlin der…

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9 Monate von der Idee zum ersten Drehtag  Lola rennt, dieser rasante Ritt durchs Berlin der 90er Jahre, ist eine Kopfgeburt, die genau zur richtigen Zeit kam. Gepusht durch MTV, gepackt in pulsierende Beats, Techno-Takt und Tatendrang, so rannte Franka »Lola« Potente daher, geschnitten von einer Rammstein-Cutterin, geschrieben von einem Wuppertaler Wunderkind, dem sich die Pforten ins internationale Filmgeschäft öffnen sollten: Tom Tykwer, 33, Regisseur.

[…] diesem Projekt wäre es ganz sicher nicht gut bekommen, wenn man das Drehbuch immer wieder überarbeitet hätte. Denn schließlich ist Lola rennt ein auf Film gebannter Geistesblitz.

Tom Tykwer im Interview mit Lars-Olav Beier (SPIEGEL Online)

Auf Schritt und Beat durch Berlin

Schauspielerin Franka Potente in dem Film Lola rennt

Zum Inhalt: Manni hat eine Tasche mit 100.000 D-Mark in der Bahn liegen lassen. Aber das kann er seinem Boss, der auf die Kohle wartet und keinen Spaß versteht, schlecht erzählen. 20 Minuten Zeit bleiben bis zur Übergabe. Was tun? Woher so schnell so viel Geld auftreiben? Manni ruft Lola an, seine Freundin… denn Lola tröstet, Lola grübelt, Lola rennt…

Der Clou: Nach 20 Minuten fängt der Film nochmal von vorne an – gleicher Ausgangspunkt, ganz anderer Verlauf…

Hinweis: Dieser Text enthält keine Spoiler zu Lola rennt. Aktuelle Streaming-Angebote gibt’s bei JustWatch.

Als Lola rennt am 20. August 1998 ins Kino kam, da war der Titel schon Programm dank Wish. Nein, nicht Wish, die App aus der Serie Wishlist, die in diesem Jahr von einer anderen Wuppertaler Wundercrew aus der Betaphase geboxt wurde. Sondern Wish (Komm Zu Mir), das Musikvideo mit Thomas D. feat. Franka Potente und Ausschnitte aus dem Next-to-be-Kultfilm. Mehrmals täglich lief es ’98 auf dem inzwischen eingestampften Musiksender und machte heiß auf diesen Film… Komm zu mir… kon-su-mier… rein ins Kino also!

Als ich das Video das erste Mal gesehen habe, habe ich gedacht: »Geil, daraus könnte man einen guten Film machen!« Als dann wirklich ein entsprechender Film in die Kinos kam, war klar, daß der besucht wird, denn er könnte ja eigentlich nur gut sein.

Astrofrank auf YouTube

I wish I was a hunter in search of different food,
I wish I was the animal which fits into that mood,
I wish I was a person with unlimited breath,
I wish I was a heartbeat that never comes to rest

Ich wünscht‘ ich wär…

Die Jagd, das Tier, der Atem und ein rastloses Herz, ich wünsch mir was und wünsch mir mehr, so gehen die Lyrics aus dem Titelsong.

I wish I was a stanger who wanders down the sky,
I wish I was a starship in silence flying by,
I wish I was a princess with armies at her hand,
I wish I was a ruler who’d make them understand

Eine Prinzessin mit Armeen in ihrer Gewalt, eine Herrscherin, die um Verständnis wirbt. Heute denkt man an die silberhaarige Daenerys Targaryen, die sich willensstark und ähnlich ungebremst wie rothaarige Lola ihren Weg bahnt. Doch Khaleesi reitet auf Drachen  Lola ist zu Fuß. Lola hat keine Verbündeten. Lola will auch keine 7 Königreiche. Sie braucht nur ein bisschen Kohle. Kein episches Set-up, trotzdem ganz großes Kino, wenn Lola rennt. Woher, wohin und warum so oft? Ein Rückblick.

Totale: Lola rennt im Zusammenhang

Cineastischer Kontext

Man könnte sagen, »Die Wahrheit ist eine Frage der Perspektive«, was eher ein Element von Rashomon (1950) ist – aber darum geht’s hier nicht wirklich. Es geht vielmehr um die Frage: »Was hätte aus deinem Leben werden können, und warum ist es eben diesen Weg gegangen?«

Tom Tykwer im Interview mit Gary Dretzka (Chicago Tribune), 1999

Erst war da Der Zufall möglicherweise (1987) des polnischen Regisseurs Krzysztof Kieślowski, der als berühmtes Vorbild von Lola rennt diese Idee bereits auf Celluloid festhielt: Eine Geschichte, die nochmal und nochmal von vorne beginnt, mit kleinen Unterschieden im Auftakt, die zu gewaltigen Auswirkungen im weiteren Verlauf führen. Später hat auch Jaco van Dormael diese Idee mit Mr. Nobody (2009) zu einem spektakulären Multiversum aufgebläht. Doch während Kieślowskis Werk vorrangig ein politisches Drama über das kommunistische Polen ist und van Dormaels Film durch seinen wundersam assoziativen Schnitt im chronologischen Durcheinander besticht, ist Tom Tykwers Lola rennt in erster Linie ein Konzeptfilm im Dienste der Idee, was wäre wenn… eine Frage, der sich Tykwer übrigens schon in seinem Kurzfilm Because (1990) angenommen hat: Eine Ausgangssituation, erzählt in 3 Variationen.

Persönlicher Kontext

Fun Fact: Es gibt noch (mindestens) eine vierte Variante dessen, was Lola so erlebt. Allerdings rennt sie darin nicht durch die Hauptstadt Berlin, sondern meine Heimatstadt Bocholt – und nicht 20 sondern 4 Minuten lang. Wir hatten halt kein Budget… und keine Schauspieler*innen… keine Ahnung sowieso… aber einen Camcorder und die Deutsch-Hausaufgabe: »Dreht eine vierte Variante des Films Lola rennt.« Das war 2007. Wir waren alle etwa 18 Jahre alt. Und aus einem unerfindlichen Grund haben wir einen Eimer Blut aus der Metzgerei angekarrt und ein heiter-ekliges Szenario gedreht, in dem sowohl Lola als auch Manni das Zeitliche segnen. Fand der Lehrer eher so mittel.

Seitdem jedenfalls bin ich ein großer Fan von Lola rennt.

Randnotiz: Das Goethe-Institut hat Arbeitsmaterialien für den Unterricht zu dem Film Lola rennt online verfügbar gemacht. Und von Neue Wege des Lernens e.V. gibt es jetzt ein didaktisches Angebot mit interaktiven Aufgaben zum Film – ziemlich cool aufgemacht!

Close-up: Lola rennt im Fokus

Erster Eindruck | zum Inhalt des Films

Wir lassen nie vom Suchen ab,
und doch, am Ende allen unseren Suchens,
sind wir am Ausgangspunkt zurück
und werden diesen Ort zum ersten Mal erfassen.

T. S. Eliot

Mit diesem bedeutungsschwangeren Zitat als schlichte Texteinblendung beginnt Lola rennt  gefolgt von:

Nach dem Spiel
ist vor dem Spiel.

S. Herberger

Mystische Musik setzt ein, begleitet vom enervierenden Ticken einer Uhr, deren goldenes, ungeheuerlich verziertes Pendel in das schwarze Bild schwingt  hin und her und dazwischen die Vorspanntitel, bis das Pendel stehenbleibt. Die Kamera fährt daran hoch zu der monströsen Uhr, deren Zeiger im Gegensatz zum Pendel durchdrehen. Darüber schwebt die Kamera hinweg und taucht ab in das sich öffnende Maul eines Fabelwesens, dessen Kopf die Uhr ziert. (Diese Kamerafahrt hinein in den offenen Mund mutet wie eine kleine Verneigung an Kieślowski Przypadek / Der Zufall möglicherweise an, in dessen erster Einstellung die Kamera im Mund des schreienden Helden verschwindet.

Weiter geht es  mit Silhouetten von Menschen, die in einem großen Pulk wie Zombies herumlaufen, Zeitraffer. Franks Stimme haucht aus dem Off: »Ich wäre so gern…«, ihr Echo schreit es auf Englisch heraus: »I wish I was… !« – und stimmt damit auf besagten Titelsong ein. Eine männliche Off-Stimme sinniert:

Der Mensch. Die wohl geheimnisvollste Spezies unseres Planeten. Ein Mysterium offener Fragen. Wer sind wir? Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Woher wissen wir, was wir zu wissen glauben? Wieso glauben wir überhaupt etwas?

Victoria streunt

Aus dem unscharfen Menschengedränge rücken ein paar Einzelne in den Fokus. Ein Frau, die uns später als Bankangestellte mit Fetisch-Affäre wiederbegegnet. Ein Mann, im roten Trikot, auf dem der Name »Gott« geschrieben steht. Dieser Mann will der rennenden Lola später quasi im Vorbei-Radeln ein Fahrrad verticken. Und dieser Mann wird viel später, lange nach Lola rennt, selbst einen Film über eine junge Frau drehen, die Berlin zu Fuß erlebt, wenn auch nicht so flott unterwegs: Victoria (2015), den zweistündigen One-Shot. Denn es handelt sich bei diesem Mann, der in Lola rennt eine winzige Rolle spielt, um einen Regie-Kollegen Tom Tykwers: den Filmemacher Sebastian Schipper (Absolute Giganten).

Doch ist es am Ende nicht immer wieder die gleiche Frage – und immer wieder die gleiche Antwort?

Ein besonderes Seherlebnis

Die Kamera fliegt schließlich hoch über die Menschenmenge hinaus, deren Körper zusammen den Schriftzug bilden: LOLA RENNT. Davon geht’s über in eine Zeichentrick-Sequenz, dann eine Mugshot-Parade zur Vorstellung des Casts, allen voran: Franka Potente als Lola. An ihrer Seite: Moritz Bleibtreu als verpeilter Freund Manni, der die Kohle für seinen Gangsterboss Ronnie verliert, gespielt von Heino Ferch – das auslösende Ereignis dieses Films, von dem man schon weiß, dass er ein besonderes Seherlebnis wieder, noch bevor die Handlung überhaupt begonnen hat.

Der Vorspann zum Film Lola rennt:

Bleibender Eindruck | zur Wirkung des Films

Ein Instant Classic, ein viel gefeiertes Meisterwerk, schon damals, als Lola rennt ins Kino kam. Wenige Jahre später zollte sogar die Serie The Simpsons dem Film Tribut, in der Folge Trilogy of Error (Episode 266, 2001), die mit einer Renn-Sequenz zur Musik aus Tykwers Film eine deutliche Referenz an denselben eingebaut hat. In Amerika wurde Lola rennt übrigens unter dem Titel Run Lola Run vermarktet – eine Referenz an die schon damals berühmte Zeile »Run, Forrest, Run!« (»Lauf, Forrest, lauf!«) aus Forrest Gump (1994)? Oder handelt es sich gar um eine Fortsetzung? Bei Yahoo! Answers wurde tatsächlich die Frage gestellt, ob Lola rennt das Sequel zu Forrest Gump sei? Beste Antwort:

Ja… genau genommen ist es eine Trilogie, die mit Marathon Mann (1976) begann. Heutzutage nennt man diese Filme die »Trilogie über ziellos herumrennende Menschen«.

Yahoo! Answers, da wo dir nicht geholfen wird

Bullshit Deluxe. Damit ist bewiesen, dass Lola rennt seinen festen Platz im popkulturellen Diskurs hat. Um den Film ernstlich zu kritisieren, muss man sich schon ein bisschen Mühe geben…

Kritik um der Kritik willen

Die Zukunftsflashes angerempelter Passanten sind monströs einfallslos: Lottogewinn, Drogentod, Liebesgeschichten […]

Ekkehard Knörer (Jump Cut)

Was darf’s denn sein, Herr Knörer? Noch ein bisschen mehr Inception-Feeling in den sekundenlangen Foto-Serien, die kurz über die Leinwand flackern? Diese »Zukunftsflashes« sind in sich nicht einfallsreich genug? Mann, die sind ein Einfall für sich und in einem Blinzeln vorbei – wer denkt denn in diesem Zeitfenster denn schon »gääähn, wie einfallslos«? Generation Vine vielleicht, dieses Portal für 6-Sekunden-Videos, das 2013 mit Hype an den Start ging und 2017 – Hype vorbei – eingestellt wurde. In diesem Sinne: Ein Hoch auf 20 Jahre Lola rennt!

Fazit zu Lola rennt

Wie alt dieser Film (und man selbst) inzwischen ist, das merkt man dieser Tage daran, dass in Inhaltsangaben zu Lola rennt zuweilen von »100.000 D-Mark (also etwa 51.000 Euro)« die Rede ist (siehe: Gregor Tholl, BBV). Tatsächlich: Telefonzelle statt Smartphone, Bares statt Bitcoin und Berlin als leer gefegte Hauptstadt statt multikulturelle Metropole – Lola rennt wurde in mancher Hinsicht vom Zeitgeist überholt.

Doch die Mucke, die Schnitte, das Tempo, der Plot – genauso werden flotte, coole Filme gemacht, heute wie damals, da war Lola rennt seiner Zeit voraus. Und als Bindeglied zwischen dem Überholten und dem Vorauseilenden liegt die Nostalgie im Angesicht des Looks dieses Films; die Liebe für die späten 90er Jahre, die Lola rennt ganz ohne historische Bezüge trotzdem als ein Werk der Erinnerungskultur erscheinen lässt. Na ja, erinnerungswürdige Popkultur auf jeden Fall.

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FINDET NEMO, FINDET DORIE, findet den Fehler | Filme 2003, 2016 http://www.blogvombleiben.de/film-findet-nemo-findet-dorie-2003-2016/ http://www.blogvombleiben.de/film-findet-nemo-findet-dorie-2003-2016/#respond Fri, 10 Aug 2018 07:00:42 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=4854 »Du hattest mich bei Fisch«, so reagierte Pixar’s Chief Creative Officer gegenüber Andrew Stanton, nachdem dieser…

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»Du hattest mich bei Fisch«, so reagierte Pixar’s Chief Creative Officer gegenüber Andrew Stanton, nachdem dieser ihm lang und breit sein Herzensprojekt gepitcht hatte: Der Fisch-Film, aus dem später Findet Nemo (2003) werden würde. Als sich Stanton sein Werk mit 7 Jahren Abstand noch einmal ansah, da machte er sich Sorgen um Dorie: Sie weiß ja immer noch nicht, wo sie herkommt! »Sie könnte Marlin und Nemo schon am nächsten Tag vergessen, während sie herumstreunt, und wäre wieder am Ausgangspunkt – das gefiel mir nicht.« So kam es, dass der Schöpfer von Dorie ihr schließlich einen eigenen Film schuf: Findet Dori (2016).

Vorweg: Hier werden die Filme Findet Nemo und Findet Dori als Animationsfilme aus der Erwachsenen-Perspektive besprochen. In ihrem Dasein als Kinderfilme wird Sonia die beiden Pixar-Abenteuer in Zukunft nochmal näher unter die Lupe nehmen.

Marlin und Dorie in Findet Nemo

Im Meer der Möglichkeiten

Inhalt: Im ersten Film geht es darum, wie ein Familienvater erst zum Witwer wird und dann seinen Sohn verliert. Das Kind wird von einem unbekannten Mann gekidnappt und verschleppt, während sich der Vater auf der Suche nach ihm mit einer vergesslichen Freundin verirrt und in allerlei Gefahren begibt. Im zweiten Film erinnert sich diese vergessliche Freundin daran, dass sie ja auch eine Familie hat, von der sie als Kind getrennt wurde. Später findet sie heraus, dass ihre Eltern seither gefangen gehalten und zur Schau gestellt werden. Klingt gar nicht nach Kinderfilmen? ABER ES SIND DOCH NUR FISCHE! Na schau, dann ist alles nur noch halb so grausam…

Hinweis: Dieser Text enthält keine Spoiler. Bei JustWatch finden sich aktuelle Streaming-Möglichkeiten zu Findet Nemo und Findet Dorie.

Totale: Nemo & Dorie im Zusammenhang

Cineastischer Kontext

Es war nach Der Herr der Ringe III – Die Rückkehr des Königs der erfolgreichste Film des Jahres 2003. Und obwohl Pixar bereits eigene und sehr gute Erfahrungen mit Sequels hatte (Toy Story 2 wurde 1999 trotz turbulenter Produktionsphase von Publikum und Kritik gefeiert), dauerte es satte 13 Jahre (!) ehe Findet Nemo mit Findet Dorie eine Fortsetzung bekam. Regisseur Andrew Stanton gestand seine große Nervosität vor einem solchen Sequel mit all den Erwartungen, die Fans des Originals daran hätten – doch er und sein Team taten, was Dorie tun würde: Sich optimistisch ins Risiko stürzen! Und vergessen, dass es sich um ein Sequel handelt.

Was würde Dorie tun?

Um eine Chance zu haben, eine anständige Fortsetzung zu drehen, muss man vergessen, dass es eine Fortsetzung ist – und versuchen, den Film so eigenständig wie möglich zu machen. Als hätte es keinen Film davor gegeben. 

Andrew Stanton

Persönlicher Kontext

Als Findet Nemo ins Kino kam, war ich 14 Jahre alt – und ich habe diesen Film vielleicht etwas öfter gesehen, als es für 14-Jährige cool ist. Ich hatte sogar eine Findet-Nemo-DVD mit virtuellem Aquarium im Bonusmaterial. Und das hab ich benutzt. Stundenlang blubberten die animierten Fische über meinen alten Computer-Monitor, der auch die Ausmaße eines Aquariums hatte – die Illusion war perfekt (man muss dazu sagen, das ich ein Fisch-Nerd war, mit über einem Dutzend echter Aquarien in der Garage).

Als Findet Dorie dann ins Kino kam, da war ich natürlich schon viel zu alt für solche Filme. Also nahm ich die einmalige Chance wahr, 4 Kinder von befreundeten Familie sozusagen als »erwachsene Begleitung« mit ins Kino zu nehmen (wie gesagt: einmal, alle 4 Kids auf einmal – ich war nicht 4 Mal im Kino… das wäre ja total verrückt…) | Kurz die eigene statistische Erhebung: Die LKW-Szene in Findet Dorie kam bei den Kindern, gemessen an der Lach-Lautstärke, definitiv am besten an.

Schnuppe ob geschuppt oder gefiedert

Zu der Zeit hatte ich die Aquaristik als Hobby längst aufgegeben und der Fisch-Nerd war dem Film-Nerd gewichen. Aber so ein Herz für diese schuppigen, flossigen, quirligen Tiere, das hört wohl nie wirklich auf zu schlagen. 

Vögel sind im Übrigen auch echt in Ordnung. An dem Pixar-Kurzfilm Piper (2016), der als Vorfilm zu Findet Dorie im Kino gezeigt wurde, hatte ich jedenfalls meine Freude. Hier ein kleiner Einblick in dieser beeindruckend detailliert animierte Werk:

Close-up: Nemo & Dorie im Fokus

Erster Eindruck | zum Inhalt der Filme

Findet Nemo beginnt mit einem Prolog, der die »Nachbarschaft« und Lage des neuen Zuhauses am äußeren Rand des Korallenriffs behandelt. Die anfängliche Harmonie wird, ziemlich abrupt, von einem Barracuda unterbrochen. Dieser Zwischenfall hat zur Folge, dass der kleine Clownfisch Nemo ohne Mutter und 399 Geschwister aufwächst. Dafür mit einem umso besorgteren Vater namens Marlin.

Die Auftaktszene nach dem Prolog zeigt die beiden an Nemos erstem Schultag. Der kleine Fisch hat, vermutlich aufgrund der Barracuda-Attacke von damals, eine unterentwickelte Brustflosse – seine »Glücksflosse«, wie Vater Marlin sie nennt. Nemo schwirrt so aufgedreht umher, als würde er durch Kaffee statt Salzwasser schwimmen – und sein Vater ist sehr bedrückt darüber, sein einziges Kind gehen lassen zu müssen. Nemo könne mit dem Schuleinsteig doch noch warten, meint Marlin, »so 5 bis 6 Jahre…«

Glücksflosse und Siebgedächtnis

Findet Dorie hat eine ähnliche Ausgangssituation: Ohne düsteren Prolog geht’s direkt zur kleinen Dorie. Ein Palettendoktorfischchen, das quasi nur aus Augen besteht. Riesigen, putzigen Kulleraugen. Dahinter ist nicht mehr viel Platz für ein vollausgereiftes Gedächtnis, so scheint es. Denn Dorie leidet, zur großen Sorge ihrer Eltern, an Amnesie. Sie vergisst sehr vieles sehr schnell. Und so wie Nemo im ersten Film seinem Vater entrissen wird, kommt Dorie ihren Eltern abhanden. Die Fischkinder müssen, mit Glücksflosse und Siebgedächtnis, ohne ihre Familien klarkommen.

Filmfehler gefunden? Wäre Findet Nemo wissenschaftlich korrekt, hätte es ein ziemlich kurzer Film werden können. Erstmal leben Clownfische nicht in monogamen Beziehungen, wie sie im Film zwischen Marlin und Coral (Nemos Mutter) gezeigt wird, sondern in Polyandrie: ein Weibchen, mehrere Männchen. Wenn das Weibchen stirbt (weil es zum Beispiel von einem Barracuda gefressen wird), verwandelt sich das stärkste Männchen – innerhalb von einer Woche! – in ein Weibchen. Denn Clownfische sind Hermaphroditen (siehe Blogbeitrag: Bio mit Beauvoir). Marlin hätte sich also, noch bevor Nemo aus dem Ei schlüpft, in ein Weibchen verwandeln und eine Bande verantwortungsvoller Männchen um sich versammeln können. Bei so viel Obacht wäre Nemo bestimmt nicht verloren gegangen. Und der Film hätte geheißen: Nemo – ein Leben ohne Abenteuer.

Hier noch weitere Filmfehler oder Logiklücken in Findet Nemo, informativ zusammengefasst von CinemaSins (auf Englisch):

Bleibender Eindruck | zur Wirkung der Filme

Findet Nemo ist ein Film, der überfürsorglichen Eltern einen Spiegel vor die Nase hält und Kinder dazu ermutigt, ihren Weg zu gehen. Vor allem aber führt der Film vor Augen, dass Behinderungen nicht gleich Einschränkungen sind.

Findet Dorie führt diese Idee noch einen Schritt weiter, mit einer ganzen Geschichte rund um das Meistern einer Benachteiligung. 

Aus dem Leben mit Behinderungen

Die Hauptfigur in Findet Nemo hat eine zu kleine Flosse und kann damit nicht so gut schwimmen. Doch in der Not und mit ähnlich ungleich-flossigen Vorbildern [der Halfterfisch namens Khan] findet Nemo zu Selbstbewusstsein. Findet Dorie hat eine Hauptfigur mit einem hemmenden Handicap (das schwache Gedächtnis), für das sie bestimmte Mechanismen entwickelt, die ihr in der Not helfen.

Dorie kämpft sich voran, wenn keine Hilfe in Sicht ist, und hat auf ihre eigene Weise Erfolg. (…) Die meisten Zuschauer*innen werden diese besondere Message des Films nicht bemerken – wohl aber diejenigen, die sie am ehesten brauchen, und die sich am meisten mit den Charakteren identifizieren werden können.

Tasha Robinson (The Verge)

Hier je eine kleine Vorschau zu den Filmen, via YouTube:

Bechdel-Test bestanden

Den Bechdel-Test hat Findet Dorie übrigens in allen 3 Kategorien bestanden: Kommt mehr als eine Frau (hier: Charaktere mit weiblicher Geschlechterrolle) vor? Check. Haben sie Namen? Check. Sprechen die Frauen miteinander über etwas anderes als Männer? Check.

Neben Dorie kommen etwa deren Freundin Destiny oder ihre Mutter Jenny vor – und sie quatschen über Themen wie Freundschaft und Familie. Doch selbst in einem so klaren Fall lädt das Gender-Thema immer gern zu einer Diskussion ein. Hier eine kleine Perle aus der Kommentarspalte zum Bechdel-Test:

Gender einfach streichen

Steve: Dori ist ein Fisch, keine Frau. Ein Fisch.

Arc: Es geht um Kontext. »Frau« meint hier nicht »Frauen«, sondern schlicht weiblich. Wenn man diesen Kontext nicht berücksichtigt, würden sich die meisten Animationsfilme und die Filme, in denen Kinder die Hauptrollen spielen, nicht für diesen Test qualifizieren. […]

Jake: Es sind wortwörtlich verdammte Fische in einem verdammten Kinderfilm! Wie um alles in der Welt kann irgendwer denken, dass deren Geschlecht irgendeine Tragweite für den Film haben sollte? Man könnte sämtliche Geschlechterrollen aus diesen Charakteren streichen und es würde keinen Unterschied für die Handlung machen!

Powers: Ja, Jake, das könnte man – das ist der ganze Sinn dieser Website. Der Punkt ist, dass die Filmemacher*innen diese Rollen weiblich gemacht haben, obwohl sie hätten männlich sein können. Und damit haben sie qualitativ wertvolle, weibliche, interagierende Figuren in einen Mainstream-Film platziert.

Fazit zu Findet Nemo und Findet Dorie

Ein vegetarischer Hai, »Meins«-schreiende Möwen, der 7-armige Octopus und die Popcorn-liebende Becky – das Universum von Nemo und Dorie ist voll von liebenswerten Ideen und Details. Technisch für ihre jeweilige Zeit perfekt umgesetzt und dramaturgisch gekonnt zu in sich geschlossenen Abenteuern verpackt, sind Findet Nemo und Findet Dorie heute schon Klassiker, die aus dem immer größer werdenden Meer der animierten Filme herausstechen.

Und hier nochmal für alle: Ein Aquarium! Nicht mehr virtuell, von einer verpixelten DVD, sondern in 4K und direkt aus dem Netz – 3 Stunden Fische gucken! Allein dafür hat sich die Erfindung des Internets schon gelohnt.

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Novo Amor, BIRTHPLACE und der Wal aus Müll | Musikvideo 2018 | Review http://www.blogvombleiben.de/musikvideo-birthplace-novo-amor-2018/ http://www.blogvombleiben.de/musikvideo-birthplace-novo-amor-2018/#respond Wed, 25 Jul 2018 07:00:35 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=4288 Früher Nachmittag, ich bin gerade im Bad. Durch die Tür höre ich, dass Musik läuft. Sonia…

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Früher Nachmittag, ich bin gerade im Bad. Durch die Tür höre ich, dass Musik läuft. Sonia schaut ein Handyvideo. Sie sitzt auf dem Sofa. Draußen brütet die Hafenstadt Padstow unter der Sonne. Das Sprachwirrwarr der Tourist*innen und das Geschrei der Möwen dringen durchs offene Fenster herein, mit den Sonnenstrahlen. Ich setze mich zu Sonia, in den Schatten der Gardine. Das Video hat eine Freundin bei Facebook geteilt. Fünf Minuten, fast vorbei, Sonia scrollt nochmal auf Anfang. So derart im alltäglichen Zwischendurch begriffen, aus irgendwelchen Gedanken gerissen, entdecken wir das Musikvideo zu Birthplace von Novo Amor. Wie eine Flaschenpost im Meer der Massenmedien. Mit wichtiger Botschaft und doch hoffnungslos verloren im ganzen Müll, der das Netz anfüllt.

Im Rachen des Todes

»Hip Hop has always been political, yes, it’s the reason why this music connects« rappt Macklemore in seinem Song White Privilege II, in dem er reflektiert, wie man sich als weißer Mensch zu der Bewegung Black Lives Matter verhalten soll/kann. Rund 50 Jahre vor ihm hat der Künstler Norman Rockwell mit seinem Gemälde The Problem We All Live With (1964) ähnliche Gedanken angeregt, zum selben Problem, das nach wie vor besteht: Rassismus. Ein anderes Problem, das haben die Guerrilla Girls im Jahr 1989 adressiert. Auf einem ausdrucksstarken Poster fragen sie: Do women have to be naked to get into the Met. Museum? Unter dem Schriftzug ist der Sexismus einer Kunstwelt, in der Frauen lieber als Objekte denn Subjekte gesehen werden, in Zahlen belegt. Zahlen, die sich kaum verändert haben, in den Jahren, in denen dieses Poster in neuer Auflage verbreitet wurde, 2005 und 2012.

Kunst ist immer schon politisch gewesen, ja, aber hat sie jemals die Welt verbessert? 

Free Diver Michael Board und ein Manta Rochen im Meer, Standbild aus dem Musikvideo Birthplace von Novo Amor

Was kann Kunst schon ausrichten?

Und jetzt: Ein weiteres Problem. Beim Staunen über das Musikvideo zu dem Song Birthplace von Novo Amor spüre ich einen Stein im Magen. Kann es das Debakel, das darin so bildgewaltig in Szene gesetzt wird, zum Besseren wenden? Oder vielmehr zur Wende beitragen? Bevor wir über das Problem sprechen, und über das Musikvideo zu Birthplace, dieses politische Kunstwerk von atemberaubender Wirkung, hier ein kurzer Blick hinter die Kulissen. Denn die Entstehungsgeschichte ist, wie so oft, nicht minder beeindruckend als das Werk selbst. Da Song und Musikvideo den Titel Birthplace tragen, fangen wir passender Weise mal ganz vorne an. Denn den wenigsten wird einer der wichtigsten Protagonisten dieser Geschichte bis dato bekannt sein: Wer ist Novo Amor?

Novo Amor und die Natürlichkeit

Novo Amor ist der Künstlername eines Mannes, dessen birthplace man als Nicht-Waliser*in wohl kaum aussprechen kann. Llanidloes heißt sein Geburtsort – und der Mann mit bürgerlichem Namen: Ali John Meredith-Lacey. Als solcher ist er am 11. August 1991 zur Welt gekommen. Und als Novo Amor hat er 2012 – im Alter von 21 Jahren – erstmals eine Single mit 2 Tracks veröffentlicht: Drift. Seine erste EP mit 4 Tracks veröffentlichte er am 31. März 2014 mit dem norwegischen Label Brilliance Records. Woodgate, NY lautet der Titel der Platte, die von zahlreichen englischsprachigen Musikblogs besprochen und gefeiert wurde.

»Darin erklingt die sprießende Saat stilistischer Erfindungsgabe«, schreibt The 405 in fast ebenso erdiger, naturnaher Sprache, wie Novo Amor sie in seinen Songs verwendet. Er singt in Woodgate, NY von brennenden Betten und über die Ufer tretenden Seen, von exhumierter Liebe und gefrorenen Füßen. Mit den poetischen Lyrics und den erwartungsvollen Reviews, die großes Potential wittern, erreicht er bereits eine globale Hörerschaft.

Etymologie: Der Name Novo Amor leitet sich vom Lateinischen (novus amor) ab und bedeutet »Neue Liebe«. Nach eigenen Angaben durchlebte Ali Lacey im Jahr 2012 gerade eine Trennung, als er sich mit seinem Musikprojekt sozusagen einer neuen Liebe zuwendete.

Die Nähe zum Visuellen

Schon im Januar hatte Novo Amor eine künstlerische Zusammenarbeit mit dem englischen Produzenten und Songwriter Ed Tullett (1993 geboren) begonnen. Nach dem Erfolg von Woodgate, NY brachten die beiden Musiker am 23. Juni 2014 ihre erste gemeinsame Single heraus: Faux. Schon zu diesem Song drehte der Regisseur Josh Bennett (Storm & Shelter) ein Musikvideo, hier zu sehen. Ein weiteres, frühes Musikvideo gibt es zu From Gold, ebenfalls aus dem Jahr 2014, hier zu sehen. Mittlerweile finden sich auf YouTube zahlreiche, bemerkenswert unterschiedliche, oft stark naturverbundene Musikvideos zu Songs von Novo Amor. Dass dessen Musik eine filmische Interpretation geradezu anregt, ist kein Zufall.

Ich schrieb den Song From Gold für einen Film, der von einem Freund von mir produziert wurde – und das Feedback war wirklich gut, also entschied ich, ein paar Tracks zu sammeln und als EP zu veröffentlichen. Filmmusik ist also quasi, wo meine Musik herkommt. Ich möchte Musik produzieren, die ein wirklich visuelles Element hat. Das fühlt sich für mich wie eine natürliche Evolution an. | Novo Amor im Interview mit Thomas Curry (The Line of Best Fit)

Mehr Plastik als Fische

Nun wollte Novo Amor, der inzwischen ein Album veröffentlicht und ein weiteres in Arbeit hat, ein weiteres Musikvideo entstehen lassen – zu seinem Song Birthplace. Dazu wendete er sich an die Niederländer Sil van der Woerd (Regisseur) und Jorik Dozy (VFX-Artist), mit denen er 2017 bereits das Musikvideo zu Terraform (in Kollaboration mit Ed Tullett) umgesetzt hatte. Sil und Jorik setzten sich hin, um inspiriert von Novo Amors Birthplace eine Idee für ein Musikvideo niederzuschreiben. Hier kommt jenes Problem ins Spiel, dass die beiden niederländischen Filmemacher zu dieser Zeit beschäftigte: Das Problem mit unserem Plastikmüll in den Meeren.

Lasst uns mit ein paar Fakten starten. Mehr als 8 Millionen Tonnen Plastik werden in den Ozean gekippt – jedes Jahr. 1,3 Millionen Plastiktaschen werden auf der ganzen Welt benutzt – jede einzelne Minute. Die United States allein benutzen mehr als 500 Millionen Strohhalme – jeden einzelnen Tag. Und im Jahr 2050 wird mehr Plastik im Meer schwimmen, als Fische. Für all das sind wir verantwortlich. Du. Ich. Alle von uns. Als wir dabei waren, uns Wege zu überlegen, ein öffentliches Bewusstsein für diese globale Krise zu schaffen, sprach uns Novo Amor an, für ein neues Musikvideo. | aus: The Story Of Birthplace

Unsere selbstgemachte Nemesis

Und so entstand eine symbolische Geschichte, über einen Mann, der auf einer perfekten Erde eintrifft und auf seine Nemesis stößt: unsere Vernachlässigung der Natur in Form von Meeresmüll.

Im Herzen unserer Idee stand unsere Vorstellung eines lebensgroßen Wales aus Müll – in Anlehnung an die biblische Geschichte von Jona und dem Wal, in der Jona vom Wal verschluckt wird und in dessen Bauch Reue empfindet und zu Gott betet. Es gibt zahlreiche Berichte über Tiere, die große Mengen Plastik schlucken und daran verenden – einschließlich Wale. Obwohl wir von einem Visual-Effects-Background kommen (also viel mit Computer-Effekten arbeiten), wollten wir, dass unser Wal echt ist, authentisch. | s.o.

Die Geburt des Wals

Die Herausforderung bestand also darin, einen lebensgroßen Wal aus Müll zu bauen, der im Ozean schwimmen sollte. Die Erscheinung dieses Wales wurde dem Buckelwal nachempfunden, der bis zu 60 Meter lang und 36 Tonnen schwer werden kann.

Wir brachten unser Design des Wals in ein kleines Dorf im wundervollen Dschungel von Bali an den Hängen des Agung (ein Vulkan auf Bali). Hier arbeiteten wir mit den Dorfbewohnern an etwas zusammen, dass sich zu einem Gemeinschaftsprojekt entwickeln würde. Rund 25 Männer haben ihre Handwerkskunst im Umgang mit Bambus beigetragen, um den Wal zum Leben zu erwecken. Doch ebenso, wie die überwältigende Schönheit des Dschungels, haben wir hier die ersten Spuren des Antagonisten unserer Geschichte. | s.o.

Bali: Müll auch zu Lande

Dem Müll, der überall in Bali zu finden ist – einem Urlaubsort, der vom Massentourismus und den Mülllawinen, die damit einhergehen, zu ersticken droht. 7 Gründe, nicht nach Bali zu reisen hat die Reisebloggerin Ute von Bravebird im April 2018 zusammengefasst.

Der Wal wurde zunächst in Form eines gewaltigen Skeletts aus Bambus gebaut. Dabei musste der Wal sogar die Location wechseln, weil er aus seinen ersten Werkstätten »herauswuchs«. Zusammengesetzt wurde das Skelett schließlich in der lokalen Stadthalle – wobei die Aktivitäten dort wie gewohnt weitergeführt wurden, Musikunterricht zum Beispiel. Wie die Fertigstellung des Wals vonstatten ging und er seinen Weg ins Meer fand, das dokumentiert dieses liebevoll erstellte Making-of zum Musikvideo in großartigen Bildern:

In aller Ruhe atemlos: Michael Board

Der Mann, der dem Wal aus Müll schließlich im Meer begegnet, ist der britische Rekord-Free-Diver Michael Board. Er beherrscht dieselbe Kunst, wie die Free Diverin Julie Gautier, deren Kurzfilm AMA (2018) wir hier vor kurzem vorgestellt haben: Das lange und tiefe Tauchen ohne Atemmaske. Michael Board bezeichnet 2018 als sein bis dato erfolgreichstes Jahr, was das Tauchen im Wettbewerb angeht. Sein tiefster Tauchgang ging 108 Meter hinab ins Meer, 216 Meter, wenn man den Rückweg mit einrechnet – und das mit nur einem Atemzug.

Das Musikvideo war eine Herausforderung, weil es nicht die Art von Free Diving ist, die ich normalerweise mache. Im Free Diving geht’s eigentlich immer um Entspannung. (…) Normalerweise trägt man einen Flossen und einen Anzug, der vor der Kälte schützt. | Michael Bord in The Story Of Birthplace

Blind im Angesicht des Wals

Stattdessen trägt er in dem Video nur eine Jeans und ein Shirt. Mangels Tauchbrille war Michael Board bei den Dreharbeiten zudem praktisch blind und konnte den Wal nur sehr schwammig wahrnehmen – und nicht, wir wie als Publikum, in seiner ganzen bizarren Pracht. Hier ist das Musikvideo zu dem Song Birthplace von Novo Amor:

Es mutet seltsam an: Der Wal aus Müll hat etwas sehr Schönes an sich. Ich frage mich, ob diese Ästhetisierung des Problems von dem Schaden ablenkt, den der Müll anrichtet. Doch von der subversiven Kraft mal abgesehen: Künstlerisch ist das Musikvideo Birthplace zu dem Song von Novo Amor in jedem Fall ein starkes Statement und ein beeindruckendes Projekt.

Die Lyrics zu Birthplace + deutsche Übersetzung

Die Lyrics zu dem Song hat Novo Amor selbst unter dem Musikvideo gepostet. Hier der Versuch einer angemessenen, deutschen Übersetzung der poetisch vagen Sprache im Songtext:

Be it at your best, it’s still our nest,
unknown a better place.
// Gib dein Bestes, es ist noch immer unser Nest,
da wir keinen besseren Ort kennen.

Narrow your breath, from every guess
I’ve drawn my birthplace.
// Schmäler deinen Atem, mit jeder Vermutung
habe ich meinen Geburtsort gezeichnet.

[Refrain] Oh, I don’t need a friend.
I won’t let it in again.
// Oh, ich brauche keinen Freund.
Ich werde es nicht wieder hineinlassen.

Vom Menschen in Bestform

Be at my best, 
I fall, obsessed in all its memory.
/ Ich gebe mein Bestes,
falle, besessen von all den Erinnerungen.

Dove out to our death, to be undressed,
a love, in birth and reverie.
// Ich tauchte hinaus zu unserem Tode, um entblößt zu werden,
eine Liebe, in Geburt und Tagträumerei.

[Refrain]

Here, at my best, it’s all at rest, 
‘cause I found a better place.
// Hier, in meiner Bestform, ist alles in Ruhe,
denn ich habe einen besseren Ort gefunden.


Weitere Links:

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FRONTIER(S), Backwoods-Horror mit Karina Testa | Film 2007 | Kritik http://www.blogvombleiben.de/film-frontiers-2007/ http://www.blogvombleiben.de/film-frontiers-2007/#respond Tue, 10 Jul 2018 07:00:39 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=4822 »Es ist unmöglich und zu pervers!«, mit diesen Worten hielt die Produktionsfirma Xavier Gens davon ab,…

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»Es ist unmöglich und zu pervers!«, mit diesen Worten hielt die Produktionsfirma Xavier Gens davon ab, eine der beiden Szenen zu drehen, die es vom Original-Drehbuch nicht in den Film geschafft haben. Was für eine Szene das gewesen wäre und wie Frontier(s) – Kennst du deine Schmerzgrenze? trotzdem so pervers werden konnte – darum geht’s in dieser Filmbesprechung.

Schlachtende Nazi-Kannibalen

Zum Inhalt: Ein rechtsextremer Kandidat gewinnt die Präsidentschaftswahl in Frankreich. Gewaltsame Ausschreitungen sind die Folge: Feuer und Straßenschlachten in Paris. Eine Bande französisch-arabischer Jugendlicher nutzt das Chaos, um auf einen Raubzug zu gehen – und danach vor den Aufruhen zu fliehen. Doch während schon zu Beginn ihrer Flucht aus der Hauptstadt einiges schief läuft, landen sie nahe der niederländischen Grenze in einer Absteige, deren Inhaber*innen weit schlimmer sind als alles, was der Clique in Paris gedroht hätte. Weit schlimmer.

Hinweis: Der folgende Text enthält keine Spoiler. Aktuelle Streaming-Möglichkeiten des Films Frontier(s) finden sich bei JustWatch.

Die Schauspielerinnen Karina Testa und Maud Forget in Frontier(s)

Totale: Frontier(s) im Zusammenhang

Historischer und cineastischer Kontext

Als sich Xavier Gens im Jahr 2002 daran machte, ein Drehbuch zu schreiben, wollte er etwas zur politischen Lage der Nation machen. Es war Wahljahr in Frankreich – und im ersten Wahlgang hatte Jean-Marie Le Pen, Kandidat des Front National, mehr Stimmen bekommen als der amtierende Premierminister, womit Le Pen in der Stichwahl war. Ein Mann, dessen rechte Gesinnung schon damals wohlbekannt war – und der Jahre später die Gaskammern des Dritten Reichs als »Detail« des 2. Weltkriegs verharmlosen sowie europäische Juden offen anfeinden würde (wofür er sich 2017 vor Gericht verantworten musste):

Da machen wir das nächste Mal eine Ofenladung!

Jean-Marie Le Pen über europäische Juden

Le Pen wurde damals nicht Präsident – er verlor im zweiten Wahlgang haushoch gegen Jacques Chirac. (Als seine Tochter, Marine Le Pen, 2017 gegen Emanuelle Macron unterlag, war der Abstand zwischen den beiden schon weniger groß.)

Doch nicht nur einen politischen Film hatte der zu jener Zeit etwa 27-jährige Xavier Gens im Sinn. Es sollte auch ein cineastischer »Liebesbrief an die Filme der 70er und 80er Jahre« werden – die Horrorfilme, wohlgemerkt. Und ganz besonders sollte diese Verneigung offenbar dem Genre-Klassiker Blutgericht in Texas (1974) gelten, Tobe Hoopers kannibalisches Schlachtfest mit Scream-Queen Marilyn Burns.

Und so kam es, liebe Kinder, dass der Xavier ein Drehbuch über eine Kannibalen-Familie und der Führung eines Nazi-Opas schrieb. Was auch sonst? Dieser Nazi-Opa übrigens, der auch im französischen Original ein paar Sätze (eher gebrochenes) Deutsch spricht (»Arbeit macht frei!«), der wird von dem Schauspieler Jean-Pierre Jorris verkörpert und hat – Zufall oder nicht – eine gewisse Ähnlichkeit mit Jean-Marie Le Pen.

Persönlicher Kontext

Vor Jahren mal gesehen und in weiten Teilen wieder vergessen, habe ich Frontier(s) im Rahmen einer Aufarbeitung von Xavier Gens‘ bisherigem Œuvre noch eine Chance gegeben. Anlass war dessen jüngstes Werk Cold Skin – Insel der Kreaturen (2018). Tiefpunkt der Aufarbeitung war im Übrigen Hitman – Jeder stirbt alleine (2007). Von Frontier(s) hatte ich bloß noch in Erinnerung, dass er extrem brutal war – und doch sollte keine Szene so richtig hängen bleiben. Schlechtes Zeichen, eigentlich. Wie besteht der Film bei einer zweiten Sichtung, 10 Jahre nach seiner Veröffentlichung in Deutschland?

Kurzfilm zur Einstimmung

Zuvor habe ich mir noch den Kurzfilm Au petit matin (2005) (zu deutsch: Im Morgengrauen) angesehen – der Film ist auf YouTube verfügbar und nach Angaben des Uploaders »1st Xavier GENS short film adapt from a true story«. Dieser Uploader ist niemand Geringerer als ein gewisser xavier gens. Sein 15-minütiger Kurzfilm basiert also »auf wahren Begebenheiten« und zeigt in der männlichen Hauptrolle bereits den Schauspieler Aurélien Wiik, der in Frontier(s) die Figur des Alex gespielt hat, den Exfreund der Hauptfigur Yasmine (gespielt von Karina Testa). Bereits der Kurzfilm Au petit matin ist übermäßig brutal, in Anbetracht der Geschichte, die da vermittelt werden soll. Insofern: Eine gute Einstimmung auf Frontier(s), den Gens noch im selben Jahr realisiert hat.

Close-up: Frontier(s) im Fokus

Erster Eindruck | zum Inhalt des Films

Frontier(s) beginnt mit einer Ultraschallaufnahme – die Andeutung eines neuen Lebens. Dazu aus dem Off eine Frauenstimme, die uns sagt, dass sie im dritten Monat schwanger ist. Es handelt sich um Yasmine, die Hauptfigur dieser Geschichte. Schnitt vom Ultraschall zu verwackelten Nachrichtenbildern. Ausschreitungen in Paris nach einem Wahlsieg für die Rechtsextremen. Autos in Flammen, Wasserwerfer, die Demonstranten wegschleudern. Schnitt zu ein paar Jugendlichen auf der Flucht vor der Polizei. Extrem verwackelt und sehr brutal, als es zur Konfrontation kommt. Die Jugendlichen verstecken sich und schmieden einen Plan, der die Filmhandlung in Gang setzt: Raus aus Paris, über die Grenze, Hauptsache weg. Es gibt noch eine Schusswunde zu heilen und Geld zu verteilen, die Beute eines Raubzugs.

Schon auf der Flucht aus der Hauptstadt zeigt sich das schmale Budget des Films. Etliche Außenszenen, die bei Nacht spielen sollen, wurden offensichtlich bei Tage gedreht und – Day-for-Night – in einen nächtlichen Blaustich gehüllt. Auch einem später zum Einsatz kommenden Aufzug, der hinab in einen Minenschacht rattert, sieht man deutlich an, dass er zum Teil am Computer entstanden ist.  Tatsächlich hatte Xavier Gens einige Schwierigkeiten, seine Filmidee zu finanzieren. Es sei unmöglich, einen solchen Film in Frankreich zu machen. Einen »solch brutalen« Film, muss damit gemeint gewesen sein, denn das ist das einzige herausstechende (mehr oder weniger) Alleinstellungsmerkmal des Films: Krasse Tötungs- und Folter-Szenarien, voll im Fokus der Kamera.

Dass eine Filmfinanzierung in Frankreich am Gewalt-Gehalt scheitern soll, das verwundert angesichts der Welle von brutalen Schockern, die Frankreich etwa seit der Jahrtausendwende am Rollen ist. Diese Welle hat längst einen eigenen Namen: Unter New French Extremism werden die jüngeren französischen Hardcore-Filme gefasst (mehr dazu in der Filmkritik zu Pascal Laugiers Martyrs). Vielleicht war es ja auch eben dieser Gruppenzwang, der Xavier Gens nach dem Gore trachten ließ. Der Regisseur war auf jeden Fall bereit, für den Blutzoll seines Films die »extra mile« zu gehen.

Bleibender Eindruck | zur Wirkung des Films

Als die Dreharbeiten anfingen, filmten wir noch keine der Gewaltszenen – weil die Produktionsfirma uns bat, diese Gewaltszenen nicht zu drehen. Erst über Nacht haben wir dann eine zweite Unit aufs Set geholt und all die Gore- und Gewaltszenen gedreht, hinter dem Rücken der Produktionsfirma. Später in der Postproduktion habe ich die zusätzlichen Aufnahmen dann reingeschmuggelt und in den Film geschnitten. Es war eine rebellische Aktion.

Was Xavier Gens im Interview mit Screen Anarchy so erzählt, bringt gut auf den Punkt, wo ganz offensichtlich die Prioritäten dieses Regisseurs liegen. Auch bei späteren Filmen in seiner Vita – etwa dem Endzeit-Horror The Divide (2011) oder dem Kurzfilm X is for XXL für den Episoden-Horror The ABCs of Death (2012), in dem übrigens wieder einige Frontier(s)-Schauspieler mitmachen – stehen die jeweiligen Geschichten ganz im Dienste der Gewaltideen. Was war noch gleich eine der Szenen, die Xavier aus seinem Frontier(s)-Drehbuch nicht umsetzen durfte?

In der Szene hätten wir jemanden gezeigt, der einen langen Spieß hervorholt. Sie spießen ihn in den Arsch des toten Körpers, schieben ihn soweit rein, dass er zum Mund wieder herauskommt, wie ein gestopftes Schwein. | Xavier Gens

Das Gewalt-Ventil

Nun ist es nichts per se Verbotenes, in Kunst etwaige Gewaltfantasien auszuleben. Bestenfalls funktionieren solche Werke als Ventile für uns zuweilen gewalttätig veranlagten Menschen. Auf dass die Fantasien eben solche bleiben. Doch gerade bei der Umsetzung solch extremer Filme ist zwischen der zu erzählenden Geschichte und dem tatsächlichen Geschehen nicht selten ein schmaler Grat.

Das wussten schon die Beteiligten an besagtem Horror-Klassiker Blutgericht in Texas, in dem Tobe Hooper einen maskierten Mörder seinen Opfern hinterherrennen lässt – mit wild geschwungener, röhrender Kettensäge. Dass bei den Dreharbeiten ein Stolpern gereicht hätte, um einen schlimmen Unfall zu verursachen, das wird in späteren Making-ofs zu dem Film fast reumütig reflektiert. Hardcore-Horror-Fanboys wie Xavier Gens oder Pascal Laugier (Haus der StimmenMartyrs, The Tall Man) kennt solch Trivia ganz bestimmt.

Doch in einer Hinsicht unterscheiden sich die beiden Musterknaben des New French Extremism offenbar.

Bei den Dreharbeiten zu Martyrs trat Pascal Laugier als Regisseur bereits sehr fordernd gegenüber seinen beiden Hauptdarstellerinnen auf. Beide Schauspielerinnen, Morjana Alaoui und Mylène Jampanoï, sagten später in Interview, dass sie mit Laugier nie wieder zusammenarbeiten wollten. Während des Drehs zu seinem jüngsten Film Ghostland (2018) ist nun etwas passiert, das nicht hätte passieren dürfen, wenn Industriestandards bezüglich der Sicherheit – gerade an einem Horrorfilm-Set – eingehalten worden wären: Ein Unfall mit bösen Folgen.

Vom Umgang mit den Schauspieler*innen

Grund ist eine Szene, in der die Schauspielerin Taylor Hickson (geboren 1997) gegen eine Glastür hämmern sollte. Der Regisseur forderte, dass sie heftiger hämmerte – bis das Glas schließlich brach. Dabei handelte es sich um kein spezielles Filmglas, das gefahrlos zerbricht, sondern echte Scherben. Hickson fiel durch die Tür und zog sich einen Schnitt durchs Gesicht zu, der mit 70 Stichen genäht werden musste. Die Narbe trägt die junge Schauspielerin ein Leben lang. Welche Schuld die Produktionsfirma daran trägt, wird – während der Film im Kino läuft – im Gericht ausgehandelt. Der Name von Pascal Laugier ist in der Anklageschrift nicht zu lesen.

Was die Arbeitsweise mit seinen Schauspieler*innen angeht, so scheint es, kann Pascal Laugier von Xavier Gens noch was dazulernen.

Meiner Erfahrung nach gibt es, wenn man Kinofilme dreht, einige wirklich befremdliche Regisseure, die ihr eigenen Sternsysteme kreieren. Xavier hingegen ist, finde ich, sehr selbstlos und einfach – und sehr angenehm im Umgang mit Schauspieler*innen. | Karina Testa

Wenn solche Worte von einer Schauspielerin kommen, die für den Film dieses Regisseurs durch eine tiefe Pfütze voller Schweinemist getaucht ist – dann soll das schon was heißen. Warum hat Karina Testa sich zu diesem Projekt, für das sie auch einen ziemlich rabiaten Kurzhaarschnitt wegstecken musste, überhaupt hinreißen lassen? Im Screen-Anarchy-Interview sagte Testa dazu:

Für mich war’s mal was Anderes. Ich bin bloß eine junge Schauspielerin, die erst seit vier Jahren im Geschäft ist. Meine bisherigen Rollen waren die eines frischen, süßen jungen Mädchens in Komödien. Als ich Xavier traf und sein Drehbuch mit Blick auf die weibliche Hauptrolle las, gefiel mir der sportliche Einsatz – und es war eben eine echte Herausforderung, mal etwas Neues auszuprobieren. […] Mit dem Haarschnitt war ich im Übrigen wirklich happy! | Karina Testa

Fazit zu Frontier(s)

Ein Nischen-Film für Freund*innen des ganz harten Tobaks. Die Jungs auf der Opfer-Seite werden zu keinem Zeitpunkt auch nur ansatzweise so sympathisch dargestellt, dass man sehr mit ihnen mitfiebern würde – andererseits, dermaßen brutale Qualen wünscht man doch niemandem. Auch Karina Testas Charakter der toughen Yasmine erhält gerade so viel Tiefe, dass man sich mit ihr identifizieren mag – andererseits, dermaßen tough wie sie im Finale auftritt, das kann mulmig stimmen… unterm Strich: Der Film ist genau das, was er sein möchte, und was seine Zielgruppe sehen möchte. Mir persönlich zu krass.

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Wie ein Staffelfinale, nur echter | Gedanken zur Hochzeit http://www.blogvombleiben.de/wie-ein-staffelfinale-gedanken-zur-hochzeit/ http://www.blogvombleiben.de/wie-ein-staffelfinale-gedanken-zur-hochzeit/#respond Sat, 07 Jul 2018 17:00:09 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=4246 Seit September vergangenen Jahres wussten wir, dass dieser Tag kommen würde. In den vergangenen Monaten hatten…

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Seit September vergangenen Jahres wussten wir, dass dieser Tag kommen würde. In den vergangenen Monaten hatten wir mal lockere, mal wuselige Planungsphasen. Eher zufällig haben wir in eben dieser Zeit wieder einmal unsere Lieblings-Sitcom Friends (1994-2004) durchgeschaut. Darin geht es bekanntlich nicht selten um eben jenes Thema, das uns selbst bewegte. Und wäre unser Leben eine Serie, dann war am vergangenen Wochenende wohl Staffelfinale – mit Hochzeit! Wir möchten allen Beteiligten ganz herzlich danken!

Hochzeit? Check.

Sonia und David Lensing bei der Hochzeit

David: Bei der Serie Friends ist es ja so, dass Hochzeit als Thema zuweilen auf eine Weise behandelt wird, die man als durchaus abschreckend empfinden kann. Je nach dem, wann man sich mit wem gerade am ehesten identifiziert. Ich persönlich kriege Monicas Wedding-Ordner nie aus dem Kopf. Dieses monumentale Sammelwerk für die Planung sämtlicher Aspekte rund um »den schönsten Tag«. Ein armdicker Packen Unterlagen, mit dem man eine ganze Hochzeitsgesellschaft hätte totschlagen können. Wenn in meinen Alpträume Requisiten aus Friends auftauchten, dann nicht etwa Phoebes Gladys-Gemälde – sondern dieses Ding.

Ein winziges bisschen hatte ich ja die Befürchtung, dass auch Sonia vor der Hochzeit so einen Ordner hervorziehen würde. Tadaaa! Brautzilla! Aber allzu ernst hab ich diese Sorge nie genommen. Sonst hätt‘ ich sie ja nicht gefragt.

Sonia: Ahnte ich etwas, als wir aufs Tretboot stiegen und die Schlucht von Gorges de Verdon entlang paddelten? Ein klein wenig schon. Lag da etwas Seltenes in seinem Blick? Erst auf das türkisfarbene Wasser gerichtet (sucht er wieder Fische?), dann in meine Augen. »Alles in Ordnung bei dir?«, fragte ich. So lang hat er mich noch nie angeguckt (wie ein Fisch halt 😜). »Ja, ich bin nur ein wenig nervös, weil ich denke, dass ich dich jetzt etwas fragen möchte.« Ab da ahnte und irrte und ahnte ich wieder. Erst ein Griff in die Kameratasche – ok, Sonia, er will nur den Akku wechseln – doch dann: »Sonia Małgorzata Kansy…« –  tja, ein Dreivierteljahr später, da trag ich diesen Namen nun nicht mehr. Denn ich hab »Ja« gesagt.

Das größte Geschenk

Und heute möchte ich »Danke« sagen. Danke an unsere Familien, die uns mit kreativer Energie und Organisationstalent tatkräftig unterstützt haben. An meine Brautjungfern und Freundinnen, die mir beim Brautkleid, den Schuhen und den letzten Minuten vor dem Einzug mit Rat und Tat, Fingerspitzengefühl und Piccolöchen zur Seite standen. An meinen Trauzeugen und großen kleinen Bruder, dessen Stimme für Gänsehaut sorgte (danke für die Rede!) und jedes Bein bewegte (danke für den Auftritt mit deiner Band!!!). Danke an alle Freunde und Verwandte, die diesen Tag so wunderschön harmonisch gemacht haben. Und danke natürlich an Jesse, unseren tollen Zeremonienmeister!

Last but not least: Danke ans Universum. An was auch immer da draußen uns so viel Glück beschert hat. Wir konnten diesen Tag gemeinsam mit all unseren Lieben in guter Gesundheit feiern – das war das größte Geschenk. Denn Bräute lasst es euch sagen: Egal, welche Deko, Blumen, Schnick und Schnack und Pinterest-Zeugs euch auf Trab halten, am Ende ist all das nicht wichtig. Dass man zusammen aufs gemeinsame Wohl anstoßen kann, das stellt alles andere einfach in den Schatten.

Die Blogger Sonia und David Lensing mit dem Schauspieler Jesse Albert.

David: Mir war wichtig, dass wir eine freie Trauung feiern – und Sonias Traum war’s, draußen zu heiraten. Drum haben wir unsere Wünsche zusammengelegt und unsere Hochzeit als freie Trauung unter freiem Himmel gefeiert. Dass uns bei diesem Fest ein Trauredner begleitet hat, der uns auch noch persönlich kennt, dass war für mich die Kirsche auf der Sahnetorte. Sagt man das so? Na, Jesse Albert jedenfalls, mein Lieblingsschauspieler und zauberhafter Drehpausenclown, war eben diese Kirsche. Ich selbst kenne Jesse seit Frohzusein (2012), einem Kurzfilm übers Fremdgehen. Sonia hat ihn dann bei Wo wir weinen (2013) kennengelernt, einem Kurzfilm über Kriegstraumata. Fünf Jahre später haben wir uns nun endlich mal zu einem fröhlicheren Anlass zusammengefunden.

Jenes Höhere Wesen

Auch wenn ich im Gegensatz zu Sonia immer eher denke: letztendlich sind wir dem Universum doch egal… – dieses eine Mal muss ich meiner lieben Schicksalsschwärmerin doch beipflichten. Dass dieser Tag so hell und leicht und schön werden würde, dass hat zwischendurch nicht immer so ausgehen. In diesem Sinne ein dickes Danke an Jenes Höhere Wesen!

PS: Danke auch an alle Leser*innen, die unseren Blog vom Bleiben verfolgen! Wir wissen noch nicht genau, wohin diese Reise wohl geht, aber wir freuen uns sooo sehr, dass ihr sie begleitet 🙂

Euer schreiblustiges Paar,
Frau & Herr vom Bleiben


Zuletzt ein paar romantische Filmtipps:

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ROMEO UND JULIA im Wandel der Zeit | Filme 1968, 1996, 2013 | Vergleich http://www.blogvombleiben.de/filme-romeo-und-julia-1968-1996-2013/ http://www.blogvombleiben.de/filme-romeo-und-julia-1968-1996-2013/#respond Wed, 04 Jul 2018 07:00:50 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=4118 Ist das Drehbuch nur gut genug, dann kann der Film nicht so schlecht werden. Das hat…

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Ist das Drehbuch nur gut genug, dann kann der Film nicht so schlecht werden. Das hat schon Alfred Hitchcock gepredigt: Drehbuch, Drehbuch, Drehbuch, die drei wichtigsten Dinge für einen Kracher-Film! Nehmen wir mal Romeo und Julia, ein Bühnenstück, das William Shakespeare vor über 400 Jahren ja schon beinahe in Drehbuch-Form niedergeschrieben hat. Im Folgenden geht’s um drei Filmadaptionen, die den Zeilen des Originals mehr oder weniger treu geblieben sind. Trotzdem wurden sie völlig unterschiedlich aufgenommen – von großer Bewunderung bis zum ultimativen Zerriss.

Was hätte Shakespeare getan?

Normalerweise schreibe ich zunächst eine kleine Inhaltsangabe zu der Geschichte, um die es geht, und/oder einen Hinweis, ob im nachfolgenden Text Spoiler enthalten sind. Das kann man sich bei Romeo und Julia getrost schenken, da der große Meister einem beides abnimmt: Im Prolog (der in jeder hier aufgeführten Filmadaptionen mehr oder weniger getreu zitiert wird) fasst William Shakespeare sein Stück zusammen und haut dabei selbst die dicksten Spoiler raus! Die Zeichnerin Mya L. Gosling (von Good Tickle Brain) hat diesem fragwürdigen Auftakt mal einem Comic gewidmet:

Der Prolog zu Romeo und Julia als Comic von Mya L. Gosling (Good Tickle Brain)

In diesem Sinne werde ich im Folgenden nicht en detail auf die Story eingehen. Die könnte ohnehin nicht besser zusammengefasst werden, als in dem Video Romeo und Julia to go (Shakespeare in 11,5 Minuten) von Michael Sommer.

Totale: Romeo und Julia im Zusammenhang

Historischer Kontext

William Shakespeare schrieb Romeo und Julia Ende des 16. Jahrhunderts, unter anderem unmittelbar inspiriert und beeinflusst von Arthurs Brookes Epos The Tragical History of Romeus and Juliet (1562). Ein fiktives Liebespaar mit diesen Namen geisterte längst durch die Werke europäischer Literaten – und das Motiv zweier tragisch Verliebter an sich ist natürlich noch viel, viel älter. Schon Hero und Leander, zwei Gestalten der griechischen Mythologie, mussten ihre glühende Liebe mit dem Leben bezahlen… kurzum: Bereits Shakespeare erfand das Rad nicht neu. Doch er schrieb eine sehr runde Version von Romeo und Julia, vom Arrangement der Szenen bis zur Sprache der Protagonisten, dazu starke Dialoge und nicht wenig Humor – ein Meisterwerk war geboren!

So wilde Freude nimmt ein wildes Ende,
Und stirbt im höchsten Sieg, wie Feu’r und Pulver
Im Kusse sich verzehrt. Die Süßigkeit
Des Honigs widert durch ihr Übermaß… | Lorenzo in Romeo und Julia (hier online zu lesen)

3 von über 30 Filmen

Apropos Übermaß: Kaum wurde rund 300 Jahre nach Shakespeares Tragödie das Kino erfunden, gaben sich Romeo und Julia als Filmpaar die Ehre. Von einem Kurzfilm im Jahr 1908 (der heute als verschollen gilt) bis in die Gegenwart zählt die Liste von Filmen basierend auf Romeo und Julia weit über 30 Werke. Hier wollen wir uns nur drei der populärsten oder jüngsten Verfilmungen annehmen:

  • Romeo und Julia (1968) mit Leonard Whiting und Olivia Hussey
  • William Shakespeares Romeo + Julia (1997) mit Leonardo DiCaprio und Claire Danes
  • Romeo und Julia (2013) mit Douglas Booth und Hailee Steinfeld

Persönlicher Kontext

In der Schule habe ich das Stück tatsächlich nicht gelesen. Stattdessen sah ich vor kurzem erst aus einer Laune heraus bei Netflix die Adaption von Baz Luhrmann und dachte, huch, so ein flippiges Spektakel im MTV-Look, DAS ist also Romeo und Julia, diese uralte Romanze, um die ich mich bis dato herumgedrückt habe? Mein Weltbild stand Kopf. Also las ich dann doch mal die Tragödie und sah mir zwei weitere Filme an, um wieder auf mein Leben klarzukommen. Nun haben wir schon Sommer 2018 und ich kann endlich mitreden, wenn es um das große Schmachten am Balkon geht. Jetzt, da die wohl wichtigste Verfilmung des Stoffs genau 50 Jahre her ist.

Olivia Hussey, Harold Perrineau, Jr. und Douglas Booth, je Schauspieler in Adaptionen von Romeo und Julia | Bild: Twenieth Century Fox
Die Schauspielerin Olivia Hussey und ihre Kollegen Harold Perrineau, Jr. und Douglas Booth. | Bild: Twenieth Century Fox

Close-up: Romeo und Julia im Fokus

Nackte Brüste und brüske Kritiker

1968 wurde Romeo und Julia erstmals mit jugendlichen Schauspielern in den Hauptrollen umgesetzt. In Shakespeares Stück sind die beiden Verliebten zwischen 13 und 14 Jahren alt. Arg jung aus heutiger Sicht, wenn man an die Leben-und-Tod-Duelle und das Hals-über-Kopf-Heiraten denkt. Als der Regisseur Franco Zeffirelli im Rahmen einer weltweiten Suche nach unbekannten Jungdarsteller*innen fündig wurde, waren Leonard Whiting 17 und Olivia Hussey 15 Jahre alt. Trotz Husseys Minderjährigkeit enthält der Film eine Szene, in der das Paar nackt im Bett liegt (nicht: rummacht, wohlgemerkt!) und für einen Moment Julias Brüste zu sehen sind. »Soft Porn«, pönte darüber ein Pastor der amerikanischen Grace Christian Fellowship und forderte eine Kürzung des Films, der im Englischunterricht seiner Gemeinde behandelt wurde. Zeffirellis Reaktion darauf:

Wenn er in ein Museum kommt, dreht sich dieser Mann auch von Aktgemälden weg? […] Ich weiß nicht, wie jemand Anstoß an dieser Szene nehmen könnte! | Franco Zefferelli, in: Pitch Weekly (März 1999)

Die Kirche störte sich wohlgemerkt offenbar mehr an der Nacktheit an sich, als am Alter der Jugendlichen. Apropos: Hier ein Filmtipp zu Spotlight (2015) über den Missbrauchs-Skandal in der römisch-katholischen Kirche in Boston.

Romeo und Julia im Interview

Aufgrund der amerikanischen Gesetzeslage war es Olivia Hussey wegen der Nacktszene nicht erlaubt, ihren Film in amerikanischen Kinos zu sehen. Der Jugendschutz hat sie vor dem Anblick ihrer eigenen Brüste bewahrt, well done, Amerika. Auf diesen absurden Umstand wurde die (dann 16-jährige) Hussey bei einem Interview im Veröffentlichungsjahr des Films – 1968 – angesprochen. Hier der entsprechende Ausschnitt aus dem Interview, während dem sie ganz entspannt ihre Zigarette raucht. Hach ja, andere Zeiten…

Knarren, Karren, Karneval – Shakespeare, bunt und queer

1997 nahm sich Baz Luhrmann des Stoffes an und inszenierte ihn in einer Art und Weise, die für ihn bald zum Markenzeichen werden sollte: bunt und schrill, Theater für die Leinwand. Sein Romeo + Julia gilt inzwischen als zweiter Teil seiner Roter-Vorhang-Trilogy / Red-Curtain-Trilogy, zusammen mit Strictly Ballroom (1992) und Moulin Rouge (2001).

Luhrmann behält die Sprache Shakespeare bei, verpackt dessen Stück jedoch in neuem Gewand, mit Knarren statt Schwertern in einer Mafia-Stadt der Gegenwart. Kluger Schachzug – verbietet sich damit doch jeder Vergleich mit der meisterlichen Adaption von 1968.

Was ich mit Romeo + Julia machen wollte, war einen Blick darauf zu werfen, auf welche Weise Shakespeare selbst einen Film aus einem seiner Stücke gemacht hätte, wenn er Regisseur gewesen wäre. Wie hätte er es angestellt? […] Wir wissen vom elisabethanischen Theater und dass er für 3.000 betrunkenen Zuschauer*innen gespielt hat, vom Straßenkehrer bis zur Königin von England – und seine Konkurrenz waren Bärenjagd und Prostitution. […] Er war also ein unermüdlicher Entertainer und Anwender unglaublicher Techniken und theatralischer Tricks. […] | Baz Luhrmann im Interview (19. Dezember 1996)

Der wohl interessanteste Charakter in Baz Luhrmanns Adaption ist aber weder Romeo (gespielt von Leonardo DiCaprio) noch Julia (Claire Danes), sondern Romeos Freund Mercutio (Harold Perrineau, Jr.). Der Wissenschaftler Anthony Johae schreibt:

Das Gegenteil von Liebe

Mercutio, die Drag-Queen, wird [während des Karnevals] »gekrönt« mit einer Frauenperücke und in ein weißes Kleid gehüllt. Außerhalb [des Karnevals] in der wirklichen Welt bacchalanischer Exzesse, da ist er ein schwarzer Mann, der weder zum hispanischen Haus der Capulets noch zum kaukasischen Haus der Montagues passt. Er wäre ein Außenseiter, wenn er nicht (platonisch oder anders) mit Romeo befreundet wäre.

Ist diese Freundschaft homoerotischer Natur? Einen Hinweis darauf bespricht Blogger*in lilymargaretjones in einem Beitrag über Mercutios Darstellung als queer in Luhrmanns Adaption. Es geht um die Szene, in der Tybalt gegenüber Romeo und Mercutio eine sexuelle Beziehung zwischen eben diesen beiden andeutet und Mercutio daraufhin erbost sein »Schwert« zieht. (Eigentlich eine Schusswaffe, doch die phallische Wortwahl bleibt bestehen).

Da das Gegenteil von Liebe nicht Hass sondern Gleichgültigkeit ist, könnte Mercutio’s empfindliche und defensive Reaktion auf den Vorwurf der Homosexualität andeuten, dass er selbst schwul ist.

Abgesehen davon: Interessant ist nicht nur Mercutios Freundschaft mit Romeo, der unberührt bleibt von Mercutios offener Darstellung von Weiblichkeit, sondern auch Mercutios Verhältnis zu Benvolio und den anderen Montague-Jungs. Niemand zeigt sich homophobisch gegenüber Mercutio. Das zeigt, dass Mercutio entweder gar nicht (in welcher Art auch immer) queer ist, oder dass es in Luhrmanns Verona-Beach-Universum schlicht »okay« ist, queer zu sein – oder beides.

Apropos queer und das Spiel mit Geschlechtsidentitäten, hier gibt’s einen Filmtipp zu Female Trouble (1974) sowie weiterführende Literatur zum Gender-Thema: Eine Einführung in Judith Butlers Das Unbehagen der Geschlechter (1990).

Alles glänzt… so schön neu

2013 dann das: Eine Neuverfilmung der Tragödie wieder im historischen Gewand, so wie der Klassiker von 1968 nur unendlich prunkvoller. Co-Produziert wurde Romeo und Julia (2013) von Swarovski – dem Kristallglas-Hersteller.

Von zahlreichen Kritiker*innen wurde diese Adaption regelrecht zerrissen. Zum Einen werde Shakespeares Sprache nicht angemessen vorgetragen (dazu kann ich mangels Fachkenntnis nix sagen). Zum Anderen, weil das Original-Stück in großem Maße umgeschrieben worden sei. Tatsächlich fließen in Shakespeare Tragödie plötzlich Floskeln ein, wie »mit guten Vorsätzen ist die Hölle gepflastert«. Witzig, dass nun dieser Film selbst als so ein Pflasterstein gesehen werden kann, der die Hölle dekoriert. Denn die Geschäftsfrau Nadja Swarovski meinte es nur gut:

R+J für Generation Z

Wir dachten, es sei sehr wichtig, Romeo und Julia auch der jüngeren Generation auf eine sehr angenehme Weise zu übermitteln.

Der Film sieht grandios aus in Sachen Kulissen, Kostümen, Lichtsetzung – und fährt prominente Schauspieler*innen auf. Etwa Natascha McElhone, Paul Giamatti oder Ed Westwick, der Zielgruppe dieses Films sicher bekannt aus der Jugendserie Gossip Girl. Nun, wenn der Film jugendlichen Zuschauer*innen gefällt und (auf neumodische Weise) an Shakespeare heranführt, dann kann’s doch herzlich egal sein, was ach so gestandene Filmkritiker*innen von der Umsetzung halten. Sie sind einfach nicht gemeint.

Kritiker wie Ty Burr (The Boston Globe) zum Beispiel, der doch ernsthaft ins Felde führt, der Film verstoße gegen die Kardinal-Regel von Romeo-und-Julia-Verfilmungen, dass der Romeo (gespielt von Douglas Booth) »niemals hübscher sein dürfe als die Julia« (Hailee Steinfeld). Das meint auch Justin Chang (Variety). Shame on you, guys. Mit solch oberflächlichen, irrelevanten Bemerkungen wollt ihr eure tiefgründige Kritik untermauern, die neumodische Verfilmung aus 2013 werde dem großen Shakespeare nicht gerecht? Pah. Über solchen Sexismus hätte Shakespeare seine verkokste Nase gerümpft.

Fazit zu Romeo und Julia

Nun, welcher der drei Filme ist denn nun der Beste?

Wie gesagt, Baz Luhrmanns Romeo + Julia (1996) läuft außer Konkurrenz. Das Ding funktioniert als eigenwilliges Kind seiner Zeit, den videoästhetisch trashigen 90er Jahren. Romeo und Julia aus dem Jahr 2013 ist bei aller Kritik ein Augenschmaus, ein wirklich schöner Film, dessen Soundtrack mir persönlich sehr gefällt (Filmkritikerin Susan Wloszczyna hingegen gar nicht, »Fahrstuhl-Musik«). Was ich an der Tonspur auszusetzen hätte: dass Romeo in der deutschen Synchronisation wie Bart Simpson klingt. Macht das Reinfühlen in die Romanze ein kleines bisschen unmöglich. Dann doch lieber auf Englisch schauen, nix verstehen und einfach die schönen Bilder genießen.

Absoluter Favorit in Sachen großartiger Adaption ist und bleibt Romeo und Julia (1968). Der Film ist grandios gespielt von allen Beteiligten, mit jeder Menge Temperament und Humor. Das gegenseitige Anhimmeln der jungen Liebenden ist so übertrieben wie glaubwürdig. Wenn Romeo (Leonard Whiting) den Baum zu Julias Balkon hochklettert oder im nebligen Morgengrauen freudig springend durch Wald und Wiese rennt, dann strahlt die Figur ein jugendliches Verliebtsein aus, an dass Leonardo DiCaprio und Douglas Booth nicht herankommen. Auch Olivia Hussey spielt die Rolle der Julia so vielseitig, dass sie weit mehr ist, als ein begehrenswertes love interest. Hussey schmachtet und schwärmt und scherzt und schimpft und schluchzt und reißt die Zuschauer*innen in jeder ihrer Emotionen mit. Chapeau!

Sterben im Staub · Liebe statt Krieg

Besonders stark ist auch die Schwertkampf-Szene rund um Mercutio, Tybalt und Romeo auf den leergefegten, glühenden Plätzen Veronas. Voller Spannung und Witz inszeniert, wandelt sich ein anfangs harmloses Duell zu einem packenden Kampf um Leben und Tod. Mit wilden Schlägen und Wälzen im Staub, unschön, aber umso echter. Dagegen können DiCaprios tränenreicher Schuss und das bisschen Schwert-Kling-Kling der 2013er-Verfilmung einpacken. Als Erzähler in der italienischen Fassung ist übrigens Vittorio Gassman zu hören, bekannt aus: Il sorpasso / Verliebt in scharfe Kurven.

Romeo und Julia als junge Verliebte, die sich trotz ihrer verfeindeten Familien in die Arme fallen – das kann man übrigens auch in der Adaption von 1968 als Kinder ihrer Zeit beschreiben. Sie funktionierten prima als Identifikationsfiguren für die 68er-Generation, die nichts mit den Kriegen ihrer Eltern am Hut haben wollte. Make love, not war.


Weitere Filme über Liebe (und andere Katastrophen):

Der Beitrag ROMEO UND JULIA im Wandel der Zeit | Filme 1968, 1996, 2013 | Vergleich erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.

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Kreative Kinder an der Kamera | Sonias Rückblick zum Bundes.Festival.Film. http://www.blogvombleiben.de/kreative-kinder-an-der-kamera/ http://www.blogvombleiben.de/kreative-kinder-an-der-kamera/#respond Mon, 02 Jul 2018 06:35:58 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=4155 Das 31. Bundes.Film.Festival ist vorbei. Doch nicht traurig sein, das nächste kommt bestimmt! Hier gibt’s einen…

Der Beitrag Kreative Kinder an der Kamera | Sonias Rückblick zum Bundes.Festival.Film. erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.

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Das 31. Bundes.Film.Festival ist vorbei. Doch nicht traurig sein, das nächste kommt bestimmt! Hier gibt’s einen kleinen Rückblick zu den Highlights der kleinen Stars auf großer Leinwand und hinter den Kameras: Was haben uns kreative Kinder für besondere Filme beschert?

Vorweg: Hier ein Gesamt-Rückblick zu Tag 1 und Tag 2 des diesjährigen Bundes.Festival.Film. in Hildesheim.

Festivalperlen aus Kinderhand

Oma und Hund (gebastelt aus Knete) laufen die Straße entlang, dazu der Text: Kreative Kinder an der Kamera | Bildrechte: Ferdinand und Fanny Maurer

Geschwisterliebe bis zum Mond

Ein Attribut, das man Kindern gerne zuschreibt, ist die unerschrockene Direktheit, mit der sie Dinge beim Namen nennen. Oder andersrum: wortwörtlich verstehen. Mit diesem Spirit ist auch der 8-jährige Gaetano Romagnoli (Sohn des Kölner Filmemachers Marco Romagnoli) an seinen bereits zweiten Film herangegangen. In seinem Film, der in dokumentarischer Weise seine beiden Geschwister begleitet, geht es um des Bruders Versuch, seine Schwester auf den Mond zu schießen.

Doch wie kann das am besten gelingen? Aus dem Off kommentiert Gaetano die Ideen seines jüngeren Bruders. Und dieser lässt sich so einiges einfallen, um seine Schwester loszuwerden. Denn beim Essen genervt zu werden, das mag er nicht. So verfolgt die Kamera, welche in der Hand von Gaetona sicher liegt, wie sein Bruder aus einem Gugelhupf-Pappeimer einen Astronautenhelm mit zwei Gucklöchern bastelt. Der passt zwar seiner kleinen Schwester, aber bringt sie noch nicht zum Mond. Doch sein Bruder bleibt hartnäckig. Im Kaufhaus ergibt sich die nächste Gelegenheit. So steigen die beiden Kinder in den Aufzug. Ob der wohl zum Mond fährt?

Hier gibt’s weitere Infos zum Projekt sowie einen Filmausschnitt.

Obwohl die Story visuell und kameratechnisch aus der Perspektive von Regisseur und Kameramann Geatano erzählt wird, versetzt dieser sich in seinen Bruder und schlüpft im Off in seine Haut. Dies ist bemerkenswert, da Kinder mit 8 Jahren kognitiv erst am Anfang stehen, andere Perspektiven einzunehmen. Womöglich dürfte die Einbindung seiner Schwester den Zugang zu der Gedankenwelt seines Bruders erleichtert haben. Ab zum Mond ist ein Kinderfilm, der sowohl kameratechnisch als auch storymäßig die Perspektive eines jungen Bruders einnimmt und die Beziehung zwischen Geschwistern authentisch und spielerisch einfängt. An dieser Stelle: Herzlichen Glückwunsch, Gaetano zum Hauptpreis in der Altersgruppe A (bis 10 Jahre) und den tollen Film!

Pizza gut, Advent gut

Ein Weihnachtsmann rattert mit einem Schlitten den Asphalt entlang. Seine Mission: Den Schulkindern eine Advents-Überraschung in den Schulranzen zu legen. Doch plötzlich wird er selbst Opfer einer Überraschung. Jemand hat doch tatsächlich seine Geschenke gestohlen. Zack wird die Polizei und auch fündig. Nach so viel Advents-Überraschung muss eine Versöhnungspizza her.

Der Kurzfilm Advent-Überraschung ist das Werk der 7- 8-jährigen Eric Hendrich, Anton Kleinhanß und Julius Kleinhanß. Die zackigen Dialoge zwischen Weihnachtsmann, Polizist und Schurke, die Animationen des flotten Schlittens und die klassische Story eines Raubüberfalls mit Pizza-End sind für die Jury des Bundes.Film.Festival Grund genug, den Film in der Altersgruppe A (bis 10 Jahre) auszuzeichnen. Ich kann dem nur beipflichten, zumal die Nägel-mit-Köpfen-Mentalität der Protagonisten und die schlichte Auflösung des Konflikts die Wahrnehmung von Kindern authentisch widerspiegelt und die Regie in Kinderhand behalten wurde.

Für weitere Infos zum Projekt und einen Filmausschnitt einfach hier entlang.

Bemerkenswert war auch der Auftritt der jungen Filmemacher auf dem Bundes.Festival.Film., bei dem nach jeder Filmvorführungen die Kreativen hinter den Projekten zum Gespräch auf die Bühne treten. Dort standen die Jungs nicht nur gekonnt Rede und Antwort, sie drehten den Spieß sogar um und richteten Fragen ans Publikum: »Was glaubt ihr wohl, aus wie vielen Einzelbildern dieser Stop-Motion-Film entstanden ist?« Etwas waren über 1.300!

Welche Story wird erzählt?

Etwas düsterer geht es in dem Kurzfilm Hypothetic Crimestory von Rasmus Dankert und Simon Kleefuss (15 Jahre) zu (weniger kreative Kinder als bereits gestandene Jungfilmemacher!). Die Zuschauer*innen befindet sich an einem Tatort. Zwei Jungen gehen diesem auf den Grund. Und das Opfer schreibt darüber.

Die Filmemacher liefern in knapp 9 Minuten eine spannende und angespannte Story, ganz im Stile des Krimigenres. Getunkt in bläulicher Farbgebung und mit geschmeidigen Kameraschwenks wird die Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven und Zeitsträngen erzählt. Oder doch nur aus einer? Das Gedankenspiel ist den Filmemachern visuell und dramaturgisch so gut gelungen, dass sie sich eine Auszeichnung in der Altersgruppe B (11-15 Jahre) verdient haben. Weiter so!

Hier gibt’s weitere Infos zum Projekt sowie einen Filmauschnitt.

Meerjungfrau frisch vom Baum

Mit so einem Titel kriegt man mich. Hauptsache verrückt, Nonsense, Hauptsache irgendwie unlogisch. Das sind die Vorzüge meines Kopfes, weshalb Mathe mich mal plusweise kann. Der Kurzfilm der Feriengruppe Kind & Werk e.V.  mit Sonja Wessel von der Medienwerkstatt sprudelt nur so von kindlichem Spieltrieb und Fantasie. Im zauberhaften Scherenschnitt-Stil, inspiriert von Silhouetten-Animationsfilmerin Lotte Reiniger (1899-1981), kreierten kreative Kinder im Alter zwischen 8 und 13 Jahren einen visuell wie erzähltechnisch wunderlichen Film.

Einige Hintergrundinfos samt Filmausschnitt gibt es auf der Website des Deutschen Jugendfilmpreises.

Das Besondere: Vom Papier, das geschöpft, die Figuren, die gemalt und ausgeschnitten, die Bewegtbilder, die in über 1.500 Einzelbildern festgehalten, eigenständig animiert, mit Kinderstimmen eingesprochen wurden  bis hin zur Geschichte, die sie zu einem bunten Kosmos verschmolzen haben, schafften die Kinder alles gemeinsam. Mit leichter Unterstützung von Sonia Wessel. Das verdient den Team-Award. Für mich der Film, der beim Bundes.Film.Festival. am stärksten die Fantasie anregte. Danke für diese Reise und die vielen Lacher. Ich bin schon sehr gespannt auf weitere Werke und grüße den Krakensprecher.

Der Törtchendieb: Kreative Kinder mit Knete!

Was haben wir gelacht, als die Knetoma mit ihrem Hund einen Berg Törtchen verschlingt, sich neue besorgt und kurzerhand um eben diese beraubt wird. So geht es in der Stop-Motion-Animation chaotisch zu: Raub im Törtchenladen, witzige Knetfiguren in einer Pappstadtkulisse und eine hysterische Verfolgungsjagd. Damit treffen Ferdinand (14) und seine Schwester Fanny (13) – zwei ganz besonders kreative Kinder! – beim kindlichen und dem Jury-Humor voll ins Schwarze. Und am Ende haben die beiden Filmemacher für Groß und Klein eine süße Überraschung. Bitte mehr davon! Der Film wurde sogar in zwei Kategorien ausgezeichnet und gewann in seiner Altersklasse den Hauptpreis, herzlichen Glückwunsch!

Hier gibt’s auch zu diesem wunderbaren Film weitere Infos und einen Filmausschnitt.


Mehr zum Thema:

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31. Bundes.Festival.Film. in Hildesheim | Rückblick, Tag 1 http://www.blogvombleiben.de/bundesfestivalfilm-2018-tag-1/ http://www.blogvombleiben.de/bundesfestivalfilm-2018-tag-1/#comments Tue, 26 Jun 2018 07:27:46 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=3974 Wenn sich Jesus und kranke Sadisten das Rampenlicht teilen, dann lohnt sich der Blick auf die…

Der Beitrag 31. Bundes.Festival.Film. in Hildesheim | Rückblick, Tag 1 erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.

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Wenn sich Jesus und kranke Sadisten das Rampenlicht teilen, dann lohnt sich der Blick auf die Bühne. Und auf die Leinwand, natürlich, auf der sich Rapperinnen anranzen und kleine Möchtegern-Astronauten zum Mond schießen wollen. Bunt ging’s zu beim 31. Bundes.Festival.Film. in Hildesheim. 38 Filme an einem Wochenende voller Eindrücke und Begegnungen – hier ein Rückblick zur Sause rund um den Thega Filmpalast.

Auftakt zum 31. Bundes.Festival.Film.

Der Veranstaltungsort hätte nicht besser gewählt sein können. Damit ist erstmal Hildesheim selbst gemeint. Die Gastgeberstadt des 31. Bundes.Festival.Film punktet zwar nicht mit einer 1A-Lage (aus Richtung Aachen von der A2 runter, darf man noch ne knappe Stunde durch die Pampa gurken, geil), aber ist man einmal da, ist alles nah. Der Thega Filmpalast als Hauptschauplatz des Festivals liegt in Sichtweite zu dem Hotel, das alle Filmemacher*innen beherbergte – und fußläufig zu den Locations, in denen sich eine spannende Panel-Diskussion und eine gebührende Aftershow-Party abspielten, nach der Preisverleihung am Samstagabend. Doch der Reihe nach.

Die Schauspieler Langston Uibel und Maja-Celiné Probst in dem lange nachwirkenden Kurzfilm Liebesstreifen, gezeigt auf dem Bundes.Festival.Film. | Bild: Liebesstreifen/Wendefilmkollektiv
Die Schauspieler Langston Uibel und Maja-Celiné Probst in dem Kurzfilm Liebesstreifen. | Bild: Wendefilmkollektiv

Hier geht’s zur Geschichte des Deutschen Jugendfilmpreises, der seit 1988 (unter wechselndem Namen) alljährlich auf dem Bundes.Festival.Film verliehen wird.

Hier geht’s zu einem Beitrag über die Jury zum Deutschen Jugendfilmpreis und über die Gastgeberstadt.

Los ging’s am Freitagnachmittag mit einem ersten Filmblock, der inhaltlich schon bestens auf die Bandbreite des Bundes.Festival.Film einstimmte. In anderthalb Stunden gab es fünf kurze Filme zu sehen, je gefolgt von Gesprächen mit den kreativen Köpfen hinter den Projekten. Mit dabei: jung und alt, Jungen, Mädchen, Laien und Semi-Profis, Freunde, Familien und Filmnerds natürlich. Nach der Jurysitzung im März, bei der wir fünf Juror*innen noch ob mancher Hintergrund-Geschichten zu den eingereichten Filmen rätselten, war es großartig, die Gesichter zu gesichteten Werken kennenzulernen.

Filmblock 1: Unsichtbare Schüler und große Kunst

Ein Streich mit Folgen | Wenn Schüler*innen Unfug machen, kann das Ärger geben. Oder es kommt ein richtig cooler Film dabei rum. Highlight dieses heiteren Streifens ist der Auftritt eines verschollenen Schülers, der einst mit Chemikalien einen Streichen spielen wollte… | 8.47 Minuten, von Schüler*innen (14-15 Jahre) der Albert-Schweitzer-Schule in Denkendorf, Baden-Württemberg.

Vielleicht | Ein Videoslam aus der Generation Y, die für ihr Faible fürs »maybe« bekannt ist. Aber macht der Hang, die Entscheidung vor sich her zu schieben, das Leben wirklich leichter? | 2.49 Minuten, von Designerin und »GIF-Girl« Hanna Viellehner (hier ihr Online-Portfolio), zusammen mit Sophia Stöhr und Lena Schell (20-24 Jahre) aus Oberbergkirchen, Bayern.

Ricardo Porro – Der Salto Mortale | Das Porträt eines Mannes namens Ricardo Porro, der als junger Architekt in Kuba erst ein, zwei, drei Häuser entworfen hat. Dann gab Fidel Castro ihm den Auftrag, Kunstschulen für Havanna zu entwerfen. Das Mammutprojekt, das Porro als seinen »Salto Mortale« bezeichnet, schildert dieser Dokumentarfilm. | 19.38 Minuten, von Roberto Santana (61) aus Erfurt, Thüringen. Hier gibt’s weitere Infos + einen Filmausschnitt.

Dieter Rupp als melancholischer Träumer

Ein Mann, der vom Fliegen träumt | In Bildern, die an Federico Fellinis traumwandlerischen Szenen aus Achteinhalb (1963) erinnern, erzählt dieser wortkarge Kurzfilm von einem Mann, der einen Traum verfolgt. In der Hauptrolle: der Schauspieler Dieter Rupp (Frohzusein, Jenes innere Wesen). | 11.48 Minuten, von Pascal Rosengardt (19) aus Düsseldorf, Nordrhein-Westfalen. Weitere Infos + Filmausschnitt.

Angst vor | Bei einem Spaziergang bleibt der Hund plötzlich stehen – oder sitzen, vielmehr. Und er bewegt sich nicht mehr vom Fleck, obwohl es um ihn und sein ratloses Herrchen herum langsam Nacht wird. | 4.13 Minuten, von Welf Reinhart (22) aus Kassel, Hessen. Weitere Infos + Filmausschnitt.

Mit seinen 61 Jahren war der Filmemacher Roberto Santana nicht für den Deutschen Jugendfilmpreis nominiert, sondern den Deutschen Generationenfilmpreis. Dieser wurde 1998 gegründet und richtet sich an Filmemacher*innen bis 25 Jahre, die sich inhaltlich mit dem Thema Alter(n) auseinandersetzen – sowie an Filmemacher*innen über 50 Jahre. Auch gemeinsame Projekte beider Altersklassen sind zugelassen und werden in der Preiskategorie »Generationenübergreifend« gewürdigt. Dazu gehörte etwa Angst vor des 22-jährigen Welf Reinhart.

Der Deutsche Generationenfilmpreis

Die Jury für den Deutschen Generationenfilmpreis setzte sich in diesem Jahr zusammen aus: Sarah Kuschel (Kulturwissenschaftlerin an der Uni Hildesheim), Phan Thieu Hoa Nguyen (Studentin der Kulturwissenschaft und ästhetischen Praxis, ebenfalls in Hildesheim), Ben Scharf (Drehbuchautor aus Berlin), Paul Scholten (ehemaliger Wettbewerbsteilnehmer aus Pforzheim) und Claudia Telschow (Bund Deutscher Film-Autoren, Filmfestival FILMthuer, aus Jena). Dieser Jury wohnte ich nicht bei, womit ich im Rahmen des diesjährigen Programms des Bundes.Festival.Film. einige starke Filme selbst erstmals zu sehen bekam.

Filmblock 2: Dem Vater so nah, der Heimat so fern

Hypothetic Crimestory | Im Look & Feel der BBC-Serie Sherlock Holmes wickelt dieser Kurzfilm ein Verbrechen von hinten auf. Dabei spielt er gekonnt mit Zeit- und Erzählebenen, so dass am Ende die Frage offen bleibt: Wessen Geschichte wurde hier eigentlich erzählt? | 5.40 Minuten, von Rasmus Dankert (15) aus Rheinbach, Nordrhein-Westfalen. Weitere Infos + Filmausschnitt.

Meerjungfrau frisch vom Baum | In farbenfrohen Scherenschnitt-Bildern geht es in diesem Märchen um das Schicksal einer Meerjungfrau, die von zwielichtigen Forschern entführt wird. Dabei werden alle menschlichen, tierischen und fantastischen Rollen von den Kindern (8-13 Jahre) gesprochen, die dieses Projekt umgesetzt haben | 5.24 Minuten, von der Feriengruppe Kind & Werk e.V. / angeleitet durch Sonja Wessel aus Weilheim, Bayern. Hier geht’s zur Website der Medienwirkstatt von Sonja Wessel.

Babam | Ein Filmemacher-Sohn porträtiert seinen Fischhändler-Vater und geht dabei so nah ran, wie möglich. Dieser bemerkenswert persönliche Dokumentarfilm hat es auch ins Programm 2018 der Werkstatt der Jungen Filmszene in Wiesbaden geschafft. | 29.31 Minuten, von Cemil Sorgun (25) aus Berlin. Weitere Infos + Filmausschnitt.

Schönheit und Schrecken auf dem Bundes.Festival.Film.

Wie die Weltrettung zur Welt kam | In verrückten Episoden, die sich Culture Clash und damit einhergehende Phänomene wie Fremdenfeindlichkeit zum Thema machen, lässt dieser Film eine albanisch-arabische Hochzeit entgleisen – und findet doch zu einem schönen Ende. | 15 Minuten, von dieWeltrettung.org (19-25 Jahre) aus Drochtersen-Hüll, Niedersachsen.

Detailverliebt | Ein Film in Blau und Gelb und voller schöner Einfälle. Es geht um zwei junge Menschen der digital-vernetzten Gegenwart, die sich im Real Life begegnen – mit amüsanten Folgen. | 12.50 Minuten, von Joschua Keßler (22) aus Darmstadt, Hessen. Weitere Infos + Filmausschnitt.

Zwischen den Fronten | Wie die Flucht aus Syrien vor die Küste Lybiens führt. Erzählt in beeindruckend durchdachten und animierten Bildern, die trotz ihrer Schönheit den Schrecken vermitteln. | 7.33 Minuten, von Nora Johanna Brockamp (22) aus Ludwigsburg, Baden-Württemberg. Dieser Film ist bei Amazon verfügbar.

Moderiert wurde das Bundes.Festival.Film. übrigens, wie schon im vergangenen Jahr, von Filmemacherin Lena Liberta. Selbst gelernte Regisseurin, konnte sie den Filmemacher*innen auf der Bühne auf Augenhöhe begegnen und hat immer wieder ihren Blick für Details der Kameraarbeit oder Erzählweise miteinfließen lassen – ein echter Mehrwert für die Gespräche zwischen den Filmbeiträgen beim Bundes.Festival.Film.

Filmblock 3: Aufs Maul

Blaue Flecken | Hamburg in Schwarzweiß, zwei Rapperinnen unterwegs. Wir folgen Ella und Dahlia durch einen Tag mit Höhen und Tiefen, eingerahmt von den intimen Momenten der Ideenfindung. Ella ist es, die sich am blanken Blatt Papier abarbeitet und versucht, Zeilen von Bedeutung niederzuschreiben. Dahlia hingegen denkt eher ans Feiern – das kann auf Dauer nicht gut gehen, zwischen den beiden. | 16.38 Minuten, von Martin-Oliver Czaja (24) aus Bremen, aktiv auf Facebook und Vimeo | Hier gibt’s weitere Infos zum Film, sowie einen Teaser zu Blaue Flecken

Fair teilen. Fair kochen. Lokale Rebellen gegen Lebensmittelverschwendung | Ein liebevoll gemachtes Porträt der »Offenbacher Küche«. Dieses Projekt setzt sich für Alternativen gegen das massenhafte Wegwerfen von Lebensmitteln ein. | 9.20 Minuten, von der Video-Gruppe 55+ im Mehrgenerationenhaus des KJK Sandgasse, Offenbach am Main. Weitere Infos + Filmausschnitt.

Ein Thema, viele Herangehensweisen

Borderline | Eine technisch gesehen beeindruckende Plansequenz. Über 6 Minuten lang folgt die Kamera dem scheinbaren Waldspaziergang von ein paar Deutschen. Bloß, dass es kein Spaziergang ist… ein weiterer, anderer, streitbarer Film über Flüchtlinge in Europa. | 6.09 Minuten, von Pascal Fenkart (23) aus Offenburg, Baden-Württemberg. Hier ein Filmauschnitt inklusive dem kontroversen Ende.

Tage des Meeres | Und wieder ein politischer Film zum Thema Flüchtling, und wieder ganz anders. Eine Collage aus kunstvoll arrangierten Bildern, Home-Video-Aufnahmen aus der Nachbarschaften und realen Mitschnitten aus Nachrichten, alles in grober Auflösung gehalten. Unscharf, so wie die Situation eben ist, bleibt dieser Experimentalfilm. Am Ende baden wir in demselben Wasser, in dem unsere Mitmenschen ertrinken. | 4.44 Minuten, von Jan & Eva Walentek (72, 69) aus Winnenden, Baden-Württemberg. Hier geht’s zu einem Interview mit Jan Walentek, der beim Bundes.Festival.Film. mit seinen Beiträgen ein Stammgast ist.

Liebesstreifen | Die einfühlsame Geschichte zweier Liebender, die sich nicht lieben können. Sie versuchen es, an einem idyllischen Sommertag im Grünen – doch irgendetwas Unaussprechliches steht zwischen ihnen. Für mich eines der Highlights des Bundes.Festival.Film., dieser so leise, so intime, so wunderschöne Film. | 12.31 Minuten, von Adrian Schwartz (23) aus Offenburg, Baden-Württemberg. Hier geht’s zur Facebook-Seite des Wendefilmkollektivs, dem Adrian Schwartz angehört.

Der Messias und die Motorrad-Gang

Das Abendmahl | Jesus als Anführer einer Motorrad-Gang mit einem Rudel wirklich eindrucksvoller Aposteln. Diese Neuverfilmung des Neuen Testaments hätt‘ ich mir auch drei Stunden lang angesehen. Grandios in Szene gesetzt, diese krassen Charaktertypen vor der Kamera! | 13.41 Minuten, von Harald & Steven Takke (22) aus Frankfurt am Main, Hessen. Hier geht’s zum YouTube-Kanal der TAKKE TWINS, zwei Typen, die man sich merken kann.

Sommerhaus | Zu guter Letzt noch ’n bissel Kunstblut und Sadismus. Schön als Abschluss des ersten Tages vom Bundes.Festival.Film., wenn alle Kiddis schon zurück im Hotel sind: Ein junger Mann im abgelegenen Sommerhaus, allein, bis ein Zweiter angekrochen kommt. Wortwörtlich. Der eine Mann gibt dem Ankömmling etwas zu trinken und einen Schlafplatz. Der andere Mann übernimmt als Gegenleistung ein paar Aufgaben rund ums Haus – ein Hin und Her, das ruckzuck ausartet. | 10.52 Minuten, von Niklas Kielmann (18) aus Kiel, Schleswig Holstein. Hier ist das Ding:

Zum zweiten Tag und der Preisverleihung des Bundes.Festival.Film. gibt es in Kürze mehr.

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MARTYRS mit Morjana Alaoui + New French Extremism | Film 2008 | Kritik http://www.blogvombleiben.de/film-martyrs-2008/ http://www.blogvombleiben.de/film-martyrs-2008/#respond Sat, 23 Jun 2018 07:00:22 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=4295 Wie so viele brutale Dinge kennen wir Märtyrer*innen vor allem aus der Bibel. Mit »wir« meine…

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Wie so viele brutale Dinge kennen wir Märtyrer*innen vor allem aus der Bibel. Mit »wir« meine ich natürlich die römisch-katholisch erzogene Leserschaft, die wie ich im Kommunion-Unterricht immer dann wach wurde, wenn es gerade um Mord und Totschlag ging – was ja, bei aller Nächstenliebe, durchaus geregelt der Fall war, Gott sei Dank. Dieselbe seltsame Gewalt-Faszination, die mich damals in Glaubensfragen bei der Stange gehalten hat, mischt sich inzwischen in Film-Geschmacksfragen. Und damit kommen wir zu Pascal Laugiers Paradebeispiel für den neuen Extremismus im französischen Kino: Martyrs mit den Schauspielerinnen Mylène Jampanoï und Morjana Alaoui.

Mit dem Hammer gen Abgrund

Inhalt: Eine junge Frau, die als Mädchen lange Zeit gefangen gehalten und gefoltert wurde (gespielt von Mylène Jampanoï), macht sich Jahre später auf, um ihre Peiniger zu töten. Begleitet wird sie dabei von grauenvollen Halluzinationen und einer Freundin (Morjana Alaoui), die ahnungslos in ihren schlimmsten Alptraum tappt.

Hinweis: Dieser Text enthält Spoiler, also Details zu den gezeigten Gewaltexzessen. Wer auf solch ultrabrutalen Filme steht, den oder die wird das kaum stören. Höchstens neugierig machen, nicht wahr? Unter »Bleibender Eindruck« wird die Auflösung des Films kritisch besprochen. Aktuelle Streaming-Angebote gibt es bei JustWatch.

Eine ältere Dame mit Brille und Turban schaut ernst drein. Standbild aus dem Film Martyrs. | Bild: Wild Bunch Distribution

Mit seinem Spiefilmdebüt Haus der Stimmen (2004) – mit Model und Schauspielerin Virginie Ledoyen in der Hauptrolle – servierte der Regisseur Pascal Laugier einen etwas abgeschmackten Horror-Eintopf aus altbekannten Zutaten. 4 Jahre später lässt er nun sein nächstes Werk folgen, und wieder: ein Horror. Warum denn, Herr Regisseur?

Ich habe das Genre immer gemocht. Insbesondere in den 70er Jahren hat es einige sehr einzigartige Werke hervorgebracht, von Filmemacher*innen, die das Genre nutzten, um sehr persönliche Dinge auszudrücken – ebenso, wie eine bestimmte Vorstellung von der Welt. Wir sehen John Carpenter heute als einen Auteur, im europäischsten Sinne des Wortes (Filmschaffende als geistige Urheber*innen und zentrale Gestaltende eines filmischen Kunstwerks). Ich wollte in aller Bescheidenheit mit diesem Geist in Verbindung treten und einen Film machen, der – obwohl er alle Codes und Archetypen des Genres verwendet – so unerwartet wie möglich ist.

Pascal Laugier im Interview mit Virginie Sélavy (Electric Sheep), aus dem Englischen

Totale: Martyrs im Zusammenhang

Cineastischer Zusammenhang

In der Literaturwelt heißt es, das zweite Buch sei für Autor*innen das schwierigste Projekt. Wie es in der Filmwelt heißt, weiß ich nicht. Bloß, dass Quentin Tarantino sich nach seinem Debütfilm Reservoir Dogs (1992) mit dem Kult-Kracher Pulp Fiction (1994) in den Kino-Olymp schoss. Und dass Baz Luhrmann nach seinem Debüt Strictly Ballroom (1992) im Nachfolger William Shakespeares Romeo + Julia (1996) seinen ausgeflippten Inszenierungsstil salonfähig machte. Und dass James Cameron nach seinem (ungewöhnlichen) Debüt Piranha 2 – Fliegende Killer (1981) mit Terminator (1984) Filmgeschichte schrieb. Und dass Sofia Coppola nach ihrem Debüt The Virgin Suicides (1999) den Instant-Klassiker Lost in Translation (2003) ablieferte.

In der Filmwelt setzt das zweite Projekt zuweilen ungeahnte Potentiale frei. Die jungen Filmschaffenden stecken noch voller unverbrauchter Ideen und Schöpfungskraft und haben durch ein gelungenes Debüt meist mehr Budget zur Hand, um größere Visionen zu verwirklichen – oder dunklere. Pascal Laugier nutzte sein zweites Werk, um sich mit Anlauf in die Welle des New French Extremism zu stürzen.

Was ist der New French Extremism?

Dieses Label brachte der Filmkritiker James Quandt ins Gespräch, für einige französische Filme des 21. Jahrhunderts, die in Sachen Brutalität respektive Härte die Grenzen verschieben. Dazu werden etwa High Tension (2003) von Alexandre Aja oder Frontier(s) (2007) von Xavier Gens gezählt. Martyrs gilt als mustergültiges Beispiel für den New French Extremism, obwohl Regisseur Pascal Laugier ihn gar nicht so extrem sieht [und der Film etwa im Vergleich zu besagtem Frontier(s) auch weniger blutig ist].

Ich schwöre, dass es nie meine Motivation war, im Publikum Abscheu hervorzurufen. Wenn Kritiker*innen den Film als Gemetzel bezeichnen, als Zurschaustellung von Eingeweiden und als Gore, dann macht mich das traurig. Ich sehe meinen Film als eher zurückhaltendes Werk, ehrlich gesagt. Und ich würde mein Publikum damit gerne berühren, sie eintauchen lassen in einen Zustand tiefgreifender Melancholie, wie ich ihn erlebte, während der Dreharbeiten – denn ich denke, dass Martyrs in Wirklichkeit ein Melodram ist. Hart, gewalttätig, sehr verstörend, aber ebenso ein Melodram.

Pascal Laugier im Interview (s.o.)

Tatsächlich ist Martyrs also nicht so explizit, wie er angesichts der darin enthaltenen Gewalthandlungen hätte ausfallen können. Aber was heißt das schon, in einem Werk, in dem geschlitzt, geschossen und gehäutet und mit Rasierklinge, Schrotflinte und Vorschlaghammer getötet wird? Ist immer noch brutal, das Ding.

Persönlicher Zusammenhang

Ach, das waren noch Zeiten… Videoabend in Köln: Am 14. November 2011 sah ich mit einem Kumpel, betrunken und zu später Stunde, nach dem Kurzfilm Vanilleduft und Blutgeschmack (ausgezeichnet mit dem Deutschen Jugendfilmpreis – mit der Stimme von Larissa Rieß, inzwischen bekannt aus Neo Magazin Royale) und 30 Minuten oder weniger (enttäuschender Nachfolger von Zombieland-Regisseur Ruben Fleischer) zum ersten Mal den Film Martyrs. Jener Kumpel hatte ihn mitgebracht, ein »krasser Film« sei das.

Ich erinnere mich noch, dass wir uns über einige Logiklücken lustig machten und ich gen Ende dachte: Was für ein dumpfer Torture Porn ist das denn!? Besagter Kumpel war fasziniert vom Finale und der Pointe. Ich fand das ganze Ding nicht so dolle und war mir sicher, Martyrs »einmal und nie wieder« gesehen zu haben.

Einmal und nie wieder und noch einmal

Stattdessen aber, um über den neuen Film Ghostland (2018) von Pascal Laugier besser schreiben zu können, zog ich mir 7 Jahre später dessen extremsten Film tatsächlich nochmal rein… aus Gründen der Vollständigkeit oder was weiß ich. Und sogar das amerikanische Remake davon. Aus Gründen, die ich rückblickend so gar nicht mehr nachvollziehen kann.

Jedenfalls musste ich überrascht feststellen, wie vieles mein Hirn von all dem fleißigen Filmkonsum vergangener Jahre doch wieder vergessen hat (was vielleicht am Captain-Morgan-Konsum während damaliger Videoabende lag, Rätsel über Rätsel, die wohl nie beantwortet werden…)

Den Prolog von Martyrs zum Beispiel, den hatte ich komplett vergessen…

Close-up: Martyrs im Fokus

Erster Eindruck | zum Inhalt des Films

Der Film beginnt mit einem Mädchen, das verstört, verdreckt, mit kurzgeschorenen Haaren und in blutbesudelter Unterwäsche von einem Industriegelände flieht. Sie rennt und schreit und Schnitt. Es folgt ein Vorspann im Super-8-Look, dokumentarische Filmaufnahmen aus dem Jahr 1971, in dem jenes Mädchen von der Polizei gefunden und in einem Waisenhaus untergebracht wird. Die Tatort-Begehung der Polizei erbringt keine Hinweise und das verstörte Mädchen mit dem Namen Lucie schweigt. Nur zu einem anderen Mädchen im Waisenhaus, Anna, baut sie Vertrauen auf. Sie schlafen gemeinsam in einem Raum, in dem Lucie nachts die traumatischen Erfahrungen in Form einer Grauengestalt heimsuchen…

Aber na ja, gääähn. Dieser komplette Prolog ist (obwohl technisch und visuell toll gemacht) dermaßen mit Horrorfilm-Klischees gespickt, das mein Hirn ihn wohl unter »ferner liefen« versenkt und vergessen hatte.

Bleibender Eindruck | zur Wirkung des Films

Der eigentliche Horror – mit einer Szene, die im Gedächtnis bleibt – beginnt nach 8 Minuten oder eher: »15 Jahre später«, so die Einblendung nach dem Titel. Wir sehen eine Familie am Frühstückstisch. Vater, Mutter, Tochter, Sohn (letzterer gespielt von Xavier Dolan, der später als gefeierter Jungregisseur reichlich berühmt werden sollte). In der Küche wird einander liebevoll geneckt.

Das Beste an einer Familie – man ist nie allein!
Das Schlechteste – man ist nie allein.

Alter Kalenderspruch

Das alltäglich-zänkisch-harmonische Beisammensein wird jäh unterbrochen, als es an der Tür klingelt. Der Vater öffnet und muss als Erster dran glauben. Wenige Minuten später ist die gesamte Familie tot. Dermaßen kalt und konsequent hingerichtet, dass etwaige Langweile ob des abgelutschten Prologs futsch ist und selbst gestandene Horror-Begeisterte gebannt vorm Bildschirm sitzen.

Der Film wird das Haus, das soeben Schauplatz eines Blutbads geworden ist, nur noch für ein paar gekonnt eingeflochtene, kurze Rückblenden verlassen. Ansonsten spielt sich die weitere Handlung eben dort ab, wo die scheinbar so harmlose Familie wohnte: Die erste Hälfte des Films ist im Erdgeschoss angesiedelt, die zweite Hälfte im Keller. Die letzte halbe Stunde ist dominiert von einem »Martyrium«, so muss man’s wohl verstehen. Das heißt: minutenlange, dumpfe Folter ohne Aussicht auf Entkommen (heißt auch: ohne Spannung). Die Hauptfigur soll im Handlungsverlauf eine Entwicklung durchmachen, so schreibt es die Erzähltheorie vor. In Martyrs besteht diese Entwicklung darin, dass die junge Frau (Morjana Alaoui) mental und körperlich gebrochen wird. Sie dient als bloßes, wort- und willenloses Objekt einer gewaltversessenen Sekte und mehr nicht.

Mädchen schlagen

In der ersten Hälfte steht diese Frau noch im Dienste ihrer Geliebten, die wiederum eine von ihren Dämonen Getriebene ist. Kurzum: Die Hauptfiguren von Pascal Laugiers Martyrs lassen sich schwerlich als Subjekte mit freiem Willen bezeichnen. Da liegt es nahe, mal einen feministischen Blick auf den Film zu werfen. Dazu die Filmbloggerin Ariel Schudson:

Was ich gesehen habe, war ein Regisseur, der sich daran aufgegeilt hat, Mädchen zu schlagen – weil er das in einem Film machen darf. Das ist… na ja, Kunst-  und Meinungsfreiheit und so, aber meine freie Meinung lautet, dass es ein armer Gebrauch dessen ist. Zumal es ein guter Film hätte werden können.

Das Konzept war verblüffend. Der erste Akt war intensiv, gut gemacht, dramaturgisch ausgefeilt und das Timing war wundervoll. Ich hab den Fucker genossen. Aber sorry. Ich denke nicht, dass das Märtyrer-Konzept dadurch vermittelt wird, dass meine Augäpfel geprügelt werden mit Bildern von ihrem zerbrechenden Körper.

Das nächste Mal, wenn jemand zu mir sagt, Martyrs sei ein verstörender Film, dann werde ich kontern müssen mit: Bitte verwechsele verstörend nicht mit abstoßend. Es ist ein schmaler Grat, und wenn der Film nur die Kontrolle über sich behalten hätte, nicht versucht hätte, einen Kotau vor den Folter-Pornografen dieser Welt zu machen, dann hätte er ein echt Meisterwerk werden können. Darüber, was man mit Gewalt, der Gedankenwelt und den Ideen von Religiosität und Schmerz machen kann.

Ariel Schudson, in: Martyrs & Misogyny: Simply Disturbing, or Disturbingly Simple? (aus dem Englischen)

Der magische Schnitt und anderer Bullshit

Noch kurz was zur inneren Logik: Diese Luke, die in den Keller führt, mit einer Leiter… vom Szenenbild her ne schöne Sache, für die Handlung ein bisschen – schwierig? Es gibt die Szene, in der Anna eine Frau aus dem Keller befreit. Letztere ist in einem fürchterlichen Zustand, abgehungert, schwach, und hat eine Metallvorrichtung an den Schädel genagelt (!) bekommen, die sie blind macht. Anna geleitet diese arme Frau, die kaum gehen und schlecht sehen kann, also durch den Keller und – Schnitt! – durchs Obergeschoss. Wie hat sie die Frau denn die Leiter hoch durch die Luke gekriegt?

Andere Szene: Anna wird im Obergeschoss von den Bösewichten an den Haaren gepackt, weggezerrt und – Schnitt! – durch den Keller weitergezerrt. Ob sie Anna an der Luke kurz losgelassen haben, damit sie selbst hinabsteigen kann? Oder haben sie Anna an den Haaren herabgelassen? Aber okay, das sind technische Details, die man ignorieren kann.

Am Ende aber versammelt sich eine Runde älterer Damen und Herren, die ihre Märtyrerin feiern wollen. Man hat Anna also so lange gefoltert und ihr schließlich die Haut abgezogen, dass sie – kurz vor ihrem Ableben – Visionen hat, die nicht von dieser Welt sind. Ich zitiere einen Vorsprecher der Sekte, der sich an die Versammelten richtet (übersetzt aus dem Englischen):

Erklärung? Zweifelsohne fragwürdig

[…] Zwischen 12:15 und 2:30 Uhr sah Anna ins Jenseits und die dahinter liegende Welt. Sie haben mich richtig gehört. Ihr ekstatischer Zustand dauerte 2 Stunden und 15 Minuten. Das war keine Nahtoderfahrung. Es gibt keinen Zweifel daran, dass ihr Märtyrertum authentisch war. Um 2:30 Uhr verließ sie den Zustand…

Stop, stop, stop, mit so einem flauschigen Nebensatz kommt ihr nicht davon! Es gab »keinen Zweifel« an den Aussagen dieser euch feindlich gesinnten, wenn überhaupt noch bei Sinnen seienden, endlos gefolterten, im Schmerzdelirium wabernden Zeugin? Warum denn nicht? Was hat sie so glaubwürdig gemacht? Abgesehen davon, dass ihr Irren sicher nur gehört habt, was ihr hören wolltet… ach, ich fürchte, mit dieser lahmen Ausrede kann man jede noch so verkorkste Story rechtfertigen: Die Protagonisten sind halt irre.

Dasselbe Argument kann Pascal Laugier aus zu seinem nächsten, noch hanebücheneren Film auftischen: Es sind halt alle irre. Ein ähnlich dämliches Argument kann Laugier anwenden, wenn die »Warum ausgerechnet Gewalt gegen Frauen?«-Frage fällt: Eine ältere Dame, das Oberhaupt der Sekte, erklärt feierlich, dass ihre langjährigen Studien ergeben hätten, dass junge Frauen für ein Martyrium am besten geeignet seien. Warum? Darum. Isso. Erklärung Ende.

Ja, ok. Find ich doof. Aber…

Das Remake: Martyrs (2015)

…es geht immer noch ein bisschen doofer. Dazu verlasse man sich einfach auf die Amerikaner und ihren Hang zu unnötigen Remakes. Ein solches gibt es natürlich auch zur Martyrs, unter demselben Titel, aus dem Jahr 2015.

Das Remake beginnt mit einem Mädchen, das von einem Industriegelände flieht. Weniger verstört und verdreckt als im Original und ohne kurzgeschorene Haare, weil, naja, ach, keine Ahnung, war wohl einfacher so. Schon während dieser Szene werden die Vorspann-Titel eingeblendet: »Directed by Kevin Goetz & Michael Goetz«. Mh, da hättet ihr euch ein »Goetz« doch schenken können, Jungs, dachte ich noch… aber siehe da: die Gebrüder Goetz hätten sich den ganzen Film schenken können. Das Remake ist in jeder Hinsicht billiger produziert, als das Original, zum Fremdschämen schlecht. Es sei denn, der Film versteht sich als Trash-Kunst à la The Asylum – aber selbst diese Filmproduktionsgesellschaft (verantwortlich für Titanic 2, Nazi Sky, Sharknado und ähnliche Perlen) würde das Martyrs-Remake vermutlich aufgrund »mangelnder Ambitionen« schelten.

Fazit zu Martyrs

Auf Festivals wurde Pascal Laugier beschimpft und gefeiert. Ich hätte vermutlich dazwischen gesessen und einfach nicht geklatscht. Der letzte Akt war mir zu stumpf, die Auflösung schlicht dämlich.

Horror sollte meiner Ansicht nach kein vereinendes Genre sein. Es muss teilen, schocken, Brüche hinterlassen in den Gewissheiten der Zuschauer*innen und ihrem Hang zu einer Art Konformismus. Horror ist grundsätzlich subversiv. Sonst sehe ich darin keinen Sinn.

Pascal Laugier

Subversiv im Sinne von aufrüttelnd, nehme ich an. Zerstörerisch, Konventionen aufbrechend, zu Streit anregend, aus dem Neues erwächst – ja! So sollte Horror sein! Allein, dass Laugiers vorheriger Film (Haus der Stimmen) zu gehaltlos und sein nachfolgender Film (The Tall Man) zu absurd ist, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Laugiers vierter und neuster Film (Ghostland) vereint die Brutalität aus Martyrs mit den Twists aus The Tall Man und funktioniert als solider Horrorfilm, seine aufwändigste und technisch beste Arbeit bis dato. Der letzte gesprochene Satz aus Ghostland scheint mir – »subversiv« hin oder her – den Antrieb von Pascal Laugier (der bisher all seine Drehbücher selbst schrieb) mehr auf den Punkt zu bringen:

I like to write storys.

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Nicht nur der SpokenWordClub verabschiedet sich in die Sommerpause, auch auf dem Blog vom Bleiben wird’s was ruhiger, in dieser Woche. Da kann die Sonne noch so lässig am Himmel chillen, der Juni ist ein ereignisreicher Monat. Er reißt aus der Routine und lässt keine Zeit zum Schreiben über die schönen Dinge des Lebens. Warum und wieso und wann es womit weitergeht, dazu alles Weitere in diesem Sommerpausen-Abschieds-Beitrag mit Blick in die Zukunft!

Stellungnahme eines Gehirnchens

Ging schonmal gut los: Heute Morgen habe ich verschlafen. Als ich schließlich aufwachte, baumelte mein Arm taub wie ein Fremdkörper an meiner Schulter. Hatte wohl drauf gelegen, schäbiges Gefühl, aber na ja, das vergeht. Kaum glaubte ich, wieder Herr über den Arm zu sein, klatschte ich damit Sonias Kaffeetasse vom Tisch. Braune Brühe über Jeans und Couch und Teppich, Volltreffer. Mangels Küchentüchern tupften wir die Flecken mit Taschentüchern aus den Fasern. Natürlich von beiden Seiten des Teppichs, den die Suppe sickert ja direkt durch zum Zimmerboden. Jetzt hängt der Teppich falsch herum über der Couch, sieht aus wie ein schlecht verhülltes Museumsstück. Daneben steht der Couchtisch quer im Raum und ringsum zerstreut liegen braune Knäuel dampfender Taschentücher, als hätte hier jemand ne mega ekelhafte Erkältung. Montagmorgen, du machst deinem bescheidenen Ruf mal wieder alle Ehre.

Eine blonde Frau, deren Haare ihr Gesicht verdecken. Dazu der Text: Sommerpause und Blick in die Zukunft

 

Viele Filme, wenig Zeit

Soviel vom Start in den Tag, der den Start in die Sommerpause markiert. Eigentlich wollte ich heute noch über den Tanzfilm Strictly Ballroom (1992) von Baz Luhrmann schreiben, den ich gestern zum ersten Mal und mit Begeisterung gesehen habe. Und warum dann nicht gleich auch über Baz Luhrmanns Romeo + Julia (1997) und Moulin Rouge (2001), die mit dem Erstgenannten zusammen die »Roter-Vorhang-Trilogie« bilden. Das habe ich gestern im Zug der Recherchen noch gelernt, ehe der Alltag mich ausbremste. Und der Alltag ist es jetzt auch, der mich daran hindert, über all diese schönen Filme und weitere zu schreiben, zumindest für eine Weile.

Erst nächste Woche gibt es wieder Filmfutter auf dem Blog vom Bleiben. Dann mit einem Fokus auf Kurzfilme, denn: Das Bundes.Festival.Film. 2018 startet bald in Hildesheim! Und da simma dabei! Dutzende Kinder- und Jugendfilme, die ich in der Jurysitzung im März bereits sehen durfte und damit verraten kann – es wird kunterbunt, fantastisch, abgedreht, wunderschön! Bin sehr gespannt, wie Kindermedien-Crack Sonia die Beiträge finden wird. Wir werden vom Programm berichten! Ganz im Sinne unserer Agenda für den Spätsommer und was da komme.

Die Zukunft des Blog vom Bleiben

So langsam zeichnet sich am Horizont ein Schwerpunkt ab, auf den wir dieses Blogprojekt nach der Sommerpause weiter ausrichten möchten. Kurz und knackig formuliert: Kindermedien und Kinomomente. Also Kulturgut für groß und klein, von Bilderbüchern bis hin zu Blockbustern, aber eben auch lesens- und sehenswerten Perlen zwischen diesen kulturellen Eckpfeilern. Jeden Tag lernen wir aktuell dazu, was »Bloggen mit System« angeht, und wollen dem Schwerpunkt auf Dauer mehr Profil verleihen.

In diesem Sinne sagen wir schonmal vielen, vielen Dank für das bisherigen Feedback zu dem Content, den wir in den vergangenen Wochen und Monaten über den Blog vom Bleiben ins Internet hinausgepustet haben. Wenn auch du, liebe*r Leser*in, uns mitteilen möchtest, was du bis dato gelungen und besonders, was du noch verbesserungsbedürftig findest – sowie natürlich auch, was dich als mögliche Blogbeitrag-Themen mal interessieren würde – nur her mit deiner Meinung! Wir lechzen danach und lernen daraus. Unser Ziel ist es, zu bemerkenswerten Büchern (wie Ritter und Drachen), Filmen (wie Whale Rider) und Internetfunden (wie AMA oder This Is America) solche Beiträge zu schreiben, die zu neuen Gedanken anregen und im Gedächtnis bleiben. Euer Feedback zu unserer Umsetzung dieses Ziels, immer gern via Kontaktformular über die sozialen Kanälen!

Vielen Dank für den Support und bis bald!

2018, komm her Du geiles Stück! #vorgluehen

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Die Zukunft und ihre Berechenbarkeit

Apropos Zukunft und Sommerpause: Dass wir in den kommenden Tagen nicht die Zeit zum Schreiben finden, liegt nicht an äußeren Zwängen, sondern daran, dass wir im Zuge einer qualifiziert freiheitlichen Entscheidung andere Prioritäten setzen müssen. Denn ein Tag hat ja nur 24 Stunden und selbst wenn man die Freiheit hat, alles zu tun, hat man noch lange nicht die Zeit, wirklich ALLES zu tun. Darüber quatsche ich ausführlicher in einem YouTube-Video über äußere und innere Freiheit. Unter diesem Video hat ein Zuschauer zum Stichwort Handlungs- und Willensfreiheit eine kleine Diskussion dazu angestoßen, ob nicht alles vorbestimmt sein könnte. Vorausgesetzt, alles sei durch physikalische Gegebenheiten zu erklären, dann müsse doch auch alles auf physikalischer Ebene berechenbar sein.

Das Paradoxon, das besagter Zuschauer in eben diesem Gedankengang mit auf den Weg gab, war der Einfluss des Menschen, der seine Zukunft berechnet, dadurch kennt, dadurch beeinflusst und damit die eigene Rechnung rückwirkend zerlegt. Ein Szenario, das wir aus etlichen Science-Fiction-Filmen zum Thema »Zeitreise« kennen.

Blumen in Nullen und Einsen

Die Theorie, das alles im Leben vorbestimmt bzw. festgelegt sei, ordnet man dem Determinismus zu (vom Lateinischen determinare – festlegen). Für mein Empfinden klingt Vorbestimmung zu bedeutungsschwanger, nach einer Art Planwirtschaft für das gesamte Sein auf Erden. So als hätte irgendein Höheres Wesen eine Art von Ziel, auf das diese Vorbestimmung hinausläuft. Im Gegensatz dazu gefällt mir die Vorstellung vom Dataismus. Diese Theorie besagt, wenn ich sie richtig verstanden habe, dass sich letztendlich jeder Organismus (sagen wir: eine Blume) in Nullen und Einsen darstellen ließe. So wie das digitale Bild von einer Blume als Datei nur aus Nullen und Einsen besteht.

Das Leben als Algorithmus

Die Zahlenfolge zur »binären Beschreibungen« der echten Blume wäre weeesentlich länger, als die zur Beschreibung des digitalen Abbilds. Das Gleiche würde demnach auch für Menschen gelten – und das Leben wäre dieser Theorie nach ein ewiger Datenverarbeitungsprozess. Ein Algorithmus, der im Vergleich zu den Algorithmen, die wir so gerade noch überblicken können, viel zu komplex für unsere von animalischen Trieben und menschlichen Marotten okkupierten Gehirnchen. Den Dataismus habe ich über Yuval Noah Hararis Buch Homo Deus (2015) kennengelernt. Harari selbst sagt, dass diese Idee totaler Mumpitz sein könnte. Aber es gibt sie eben, in der Vorstellungswelt der Menschen, ähnlich wie den Determinismus. Harari schreibt:

Sobald Big Data Systeme mich besser kennen, als ich selbst mich kenne, dann wird die Autorität von Menschen zu Algorithmen wechseln.

Von Fahrassistenten zu Partnervermittlern

Seine logische Schlussfolgerung daraus ist, dass dieser Prozess daraus hinausläuft, dass Menschen den Algorithmen ihre wichtigsten Entscheidungen überlassen werden. Nicht etwa nur im potentiell lebensbedrohlichen Straßenverkehr (wie es durch Assistenzsysteme heute schon möglich ist), sondern auch hinsichtlich der Wahl der besten Vertreter für bestimmte Ämter (um in Zukunft vielleicht einen Präsidenten wie Donald Trump zu verhindern – was auch immer diesen Clown ins Weiße Haus gebracht hat, menschliche Schwarmintelligenz möchte ich es nicht nennen). Das ginge sogar soweit, dass uns Algorithmen sagen würden, wen wir heiraten sollten (Tinder ist nur ein kleiner Wisch für dich, aber ein großer für die Robo-Kuppler der Zukunft).

Tatsächlich schwingt im Dataismus ja ein gewisser Determinismus mit. Wenn das Leben ein Algorithmus ist, dann ließe es sich berechnen und damit vorausrechnen und damit in die Zukunft sehen. Was ist dann mit dem Paradoxon, dass im oben erwähnten YouTube-Kommentar zur Sprache gebracht wurde? Konkret heißt es darin: Wenn jemand mithilfe einer Maschine (also künstlicher Intelligenz) errechnen könnte, dass er oder sie morgen bei einem Flugzeugabsturz stirbt, dann würde diese Person doch eher nicht ins Flugzeug steigen und damit wissentlich in den Algorithmus eingreifen. So, wie die visionäre (und doch herrlich bescheuerte) Horrorfilmreihe Final Destination es uns eindrucksvoll zeigte.

Blonde Frau, deren Haare ihr Gesicht verdecken.
Freie Sicht nach vorn – oder den Überblick verloren? Welches hübsche Gesicht sich hinter dem Haarschopf verbirgt, gibt’s hier zu sehen.

Die rasenden Zahlenkolonnen

Dieser Gedanke geht mir einen Schritt zu weit. Ich kann mir vorstellen, dass alle Organismen sich in Zahlenfolgen darstellen ließen. Nur theoretisch, natürlich, denn praktisch nimmt das Leben als Prozess ja ständigen Einfluss auf die Zahlenfolgen. Nur weil ein Organismus stirbt, ist er damit nicht »fertig« beschrieben und man könnte eine gewaltige Zahl hochhalten: DAS ist dieser Organismus. Stattdessen zersetzt sich der Organismus ja über den Tod hinaus und seine Überbleibsel setzt das Leben neu zusammen, der Algorithmus läuft ständig weiter. Ich könnte mir so gerade noch vorstellen, dass es eines fernen Tages Rechenmaschinen gibt, die solche sich ständig in Hochgeschwindigkeit hinfort schreibenden, multiplen Zahlenkolonnen in Echtzeit darstellen könnten. Doch das hieße noch lange nicht, in die Zukunft rechnen zu können. Das ist schlichtweg ein ganz anderes Thema.

Der Dataismus entzaubert für mich nicht das »Wunder Leben«, nur weil man es halt in Zahlen darstellen könnte. Was die vielen, interagierenden, sich neu aufzweigenden Datenströme ausgelöst hat und wo sie hingehen, das bleibt dabei ein Rätsel. Nur weil eine Instanz künstlicher Intelligenz aufgrund seiner Big-Data-Kenntnis mir sagen würde: Hey, du und Sonia, ihr passt perfekt zueinander, ihr Zwei solltet heiraten, nur deshalb weiß diese Künstliche Intelligenz noch lange nicht, dass dies so geschieht. Es heißt einfach nur: Im Hier und Jetzt, auf Basis der vorliegenden Daten, seid ihr wie füreinander geschaffen.

Unsere unerträglichen kleinen Gefängnisse

Selbst die einfachste »Zukunftangelegenheit« – zum Beispiel: Ich möchte heute Mittag eine Tiefkühlpizza essen – steht in Wirklichkeit im Zusammenspiel mit Milliarden von anderen Abläufen, von denen ich gerade nur eine Handvoll zum Besten geben könnte: Die Frostertür klemmt mal wieder und  ich komm nicht an die scheiß Pizza ran, ich stolpere auf dem Weg in die Küche, muss ins Krankenhaus, ein Freund ruft an, lädt zum Essen ein, blah, blah, blah, und in Wahrheit eben Milliarden Blahs mehr.

In die ferne Zukunft gedacht wirkt die Vorstellung, dass sich tatsächlich SÄMTLICHE Abläufe in einer Sache mit berücksichtigen lassen und somit die Zukunft berechenbar ist, vielleicht möglich. Aber das ist eine ferne Zukunft, in der homo sapiens mit seinem jetzigen Geistes-Apparat keine Rolle mehr spielt, ja, vielleicht gar nicht mehr existiert. Wir sind zu dumm dafür. Solche Szenarien in ihrer Konkretion zu überdenken und besprechen, das liegt wortwörtlich außerhalb unserer Vorstellungskraft. Ich kann damit gut leben, ich komm schon auf Dreisatz nicht immer klar. Aber solch genialen Köpfe wie Stephen Hawking einer war, da könnte es durchaus sein, dass die Grenze der menschlichen Vorstellungskraft ein unerträglich kleines Gefängnis ist.

Also dann, nächste Woche melde ich mich mit neuen Blogupdates zurück! Behaupte ich jetzt mal. Ganz wagemutig.

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