Filmemacher – Blog vom Bleiben http://www.blogvombleiben.de Kinderbücher, Kinofilme und mehr! Thu, 04 Oct 2018 10:18:48 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 http://www.blogvombleiben.de/wp-content/uploads/2017/03/Website-Icon-dark.png?fit=32,32 Filmemacher – Blog vom Bleiben http://www.blogvombleiben.de 32 32 138411988 DER ZUFALL MÖGLICHERWEISE von Krzysztof Kieślowski | Film 1987 | Kritik http://www.blogvombleiben.de/film-der-zufall-moeglicherweise-1987/ http://www.blogvombleiben.de/film-der-zufall-moeglicherweise-1987/#respond Tue, 07 Aug 2018 07:00:55 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=4593 Ist unser Leben vorbestimmt oder vom Zufall beherrscht? Welche kleinen Dinge treten welche großen los? In…

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Ist unser Leben vorbestimmt oder vom Zufall beherrscht? Welche kleinen Dinge treten welche großen los? In Der Zufall möglicherweise erzählt der polnische Regisseur Krzysztof Kieślowski von einem konkreten Leben in einer konkreten Zeit und doch drei ganz unterschiedliche Biografien. Wohin der Weg geht und in welche Richtung das Schicksal ausschlägt, das entscheidet sich – natürlich – am Bahnhof. 

Witek rennt

Mit Der Zufall möglicherweise hat Krzysztof Kieślowski nicht nur möglicherweise, sondern ganz gewiss einige spätere Filme inspiriert. Bekanntestes Beispiel dürfte für das deutsche Publikum Lola rennt (1998) sein. Mit der Kamerafahrt in den Mund, zu Beginn von Lola rennt, spielt der Regisseur Tom Tykwer – der mit Heaven (2002) inzwischen ein Kieślowski-Drehbuch verfilmt hat – inszenatorisch elegant auf das Vorbild an. Ebenso mit dem Anrempeln einer prompt pöbelnden Passantin durch die rennende Lola (Franka Potente). Nehmen wir im Folgenden das Original unter die Lupe – Witek statt Lola.

Die Schauspieler Bogusław Linda und Monika Goździk in einem Standbild aus Der Zufall möglicherweise

Info: Zu der Zeit, da ich diesen Film suchte [Juli 2018], war Der Zufall möglicherweise (Original: Przypadek, Englisch: Blind Chance) im polnischen Original mit englischen Untertiteln in der Mediathek von Eastern European Movies verfügbar – eine empfehlenswerte Website für alle, die Interesse am osteuropäischen Kino haben. Allerdings wurde Der Zufall möglicherweise im Jahr 2017 vom Studio Filmowe TOR auch auf YouTube hochgeladen und ist dort in voller Länge zu sehen. (siehe unten)

Totale: Der Zufall möglicherweise im Zusammenhang

Historischer Kontext

Was den Film für ein internationales Publikum schwer zugänglich macht, ist seine Verankerung in der polnischen Geschichte vom Ende des 2. Weltkriegs bis Anfang der 80er Jahre. Der Zufall möglicherweise spielt vor dem Hintergrund des kommunistischen Polens, das scheinbar in zwei Lager zerfallen ist: Man ist entweder für oder gegen die Partei. Der Werdegang des fiktiven Studenten Witek Długosz dient als Beispiel, an dem gezeigt wird, wie ein Leben in diesem Polen laufen kann. Mal ist er als kommunistischer Funktionär in die Geschichte gestrickt, mal als Oppositioneller – und mal versucht er sich ganz aus dem Politischen rauszuhalten.

Obwohl der Film bereits 1981 gedreht wurde, lief er auf den Internationalen Filmfestspielen von Cannes und in den polnischen Kinos erst 1987. Anfang der 80er Jahre war Der Zufall möglicherweise – in einer Zeit, da in Polen aufgrund der Solidarność-Unruhen Kriegszustand herrschte – von der Zensur zunächst verboten worden. Zu unbequem war dem Regime der Inhalt dieses Films.

Persönlicher Kontext

Möglicherweise war’s der Zufall, der dafür sorgte, dass ich durchaus filmbegeisterter Mensch bis vor kurzem den Namen Krzysztof Kieślowski nicht kannte. Möglicherweise war’s aber auch blöde Ignoranz, weil mein Hirn den Namen nichtmal in Gedanken auszusprechen wusste. Inzwischen lerne ich – durch Zufall, möglicherweise – seit ein paar Jahren polnisch und möchte die Annäherung all denjenigen erleichtern: Man spricht ihn Kschischtof Kschlowski aus (hier sagt’s ein Muttersprachler: ).

Ein stimmungsvoller, wenn auch nur visueller Teaser zum Lebenswerk dieses großen Filmemachers vermittelt ein Bilderreigen, den das Museum of the Moving Image im Jahr 2016 veröffentlicht hat:

Wer Lola rennt kennt und mag, möchte vielleicht sehen, welchem Film Tom Tykwer die Kernidee entnommen hat. Mir jedenfalls ging es so.

Close-up: Der Zufall möglicherweise im Fokus

Erster Eindruck | zum Auftakt des Films

»This is the 1981 version of the film, with censored fragments restored.« 

Mit dieser Texttafel begann die Version, die ich gesehen habe. Dabei stimmt der Hinweis nicht ganz. Es gab noch immer eine Stelle im Film, in der das Bild schwarz wurde und nur die Tonspur weiterlief. In dieser zensierten Szene ging es um Polizeigewalt. Fast entschuldigend wies hier eine erneute Texteinblendung darauf hin, dass dieses Fragment das einzige gewesen sei, dass sich nicht habe restaurieren lassen.

Der Film beginnt mit einer Großaufnahme des Helden, Witek Długosz, der nervös dasitzt, den Mund aufreißt und »Nieee!« ruft. Die Kamera ist zu nah dran, als dass wir zuordnen könnten, wo er da sitzt. Und sie fährt noch näher heran, diese Kamera, fährt in den aufgerissenen Mund, ins Schwarz. In gelben Großbuchstaben erscheint der Name des Hauptdarstellers, der diesen Film über seine gesamte Laufzeit trägt: Bogusław Linda.

Kindheitserinnerungen aus der Subjektive

Nach den Vorspanntiteln folgt eine Kollage an Bildern, deren Sinn sich auf die Schnelle nicht erschließt: Ein blutiges Bein in einem Korridor, durch den eine Leiche geschleift wird. Ein dumm dreinschauendes Kind, das sich erst im Spiegel betrachtet, dann den Blick zu den Mathe-Hausaufgaben senkt. Neben dem Jungen sitzt der Vater, sieht ihm in die Augen?. Schnitt. Ein grüner Hang, auf dem ein Auto steht. Ein anderer Junge, der sich verabschiedet. Schnitt. Der voyeuristische Blick ins Lehrerzimmer, durchs Fenster. All diese Ausschnitte aus Kindheitstagen sind aus der Subjektiven gefilmt, Point of View ist jenes Kind, das sich im Spiegel betrachtet hat.

Aus der Kindheit geht’s in die späte Jugend oder das frühe Erwachsenenalter, auf jeden Fall raus aus der Subjektiven: Witek turtelt mit einer kurzhaarigen Frau an einem Gleis. Ein paar Typen rufen Obszönes, Witek rennt ihnen nach. Schnitt zu einem nackten, grauen Leichnam, der aufgeschnitten wird. Von der gelben Fettschicht schwenkt die Kamera hoch zu den herabschauenden Medizinstudent*innen. Eine von ihnen sticht hervor, durch ihren angewiderten Blick. Witek erzählt sie, die Tote sei ihre Lehrerin gewesen. Es folgt ein Schnitt zum gealterten Vater, der Witek erzählt, wie froh er war, als der Junge damals seinen Lehrer geschlagen habe. Denn Streber möge er nicht.

Bleibender Eindruck | zur Wirkung des Films

So geht es eine Weile. Kurze Szenen, chronologisch zwar und auf einen Helden fokussiert, doch durch die unüberschaubar großen Zeitsprünge unterbrochen. In diesem Prolog geht es Kieślowski nur um eine Art Quintessenz dessen, was aus dem Vorleben Witek erinnert werden soll. Bis zur schicksalhaften Szene am Bahnhof. Diese sehen wir zum ersten Mal nach 7 Minuten. So gerade eben erwischt Witek den Zug und der Film beginnt, endlich in gemäßigtem Tempo, mit verfolgbarer Handlung.

Wir werden zu jenem Bahnhof zurückkehren, ähnlich wie Mr. Nobody (2009) des Regisseurs Jaco van Dormael immer wieder zum Bahnhof zurückkehrt. Der Ort, an dem die Zeitstränge wie sich trennende Waggons auf unterschiedlichen Gleisen weiterfahren… Auf die Frage, ob er Der Zufall möglicherweise von Kieślowski gesehen habe, antwortet Jaco van Dormael in einem polnischen Interview:

Dieselben Dilemmata

Selbstverständlich. Unsere Filme entstanden zur selben Zeit [hier bezieht sich van Dormael auf seinen Kurzfilm È pericoloso sporgersi (1984), der wie ein früher Rohentwurf zu Mr. Nobody wirkt]. Offenbar waren wir von denselben Dilemmata beunruhigt. Und die Vorstellung verleiht mir heute noch eine gewisse Unruhe: Wir sitzen hier zusammen und reden, doch wie wenig muss man nur tun, damit Ihr oder mein Leben in völlig neuen, anderen Bahnen verläuft. Jede unserer Entscheidungen determiniert die nächste […]

Jaco van Dormael im Gespräch mit Barbara Hollender (aus dem Polnischen)

Bei Jaco van Dormael artet diese Idee wohlgemerkt in ein fantastisches Multiversum aus. Bei ihm eröffnet jede kleine Geste einen völlig neuen Zeitstrang. Bei Kieślowski ist der deterministische Gedanke von einer unausweichlichen Vorbestimmung hingegen wesentlich präsenter – und der Weg zum vorgezeichneten Schicksal bleibt in jedem Fall realistischer und näher an der Lebenswelt seines Protagonisten und der politischen Situation seiner Zeit. 

Fazit zu Der Zufall möglicherweise

Eine gewisse Faszination für die Zeit und den rätselhaft verstrickten Gang der Dinge ist wichtig. Zumindest, um als deutsche*r Zuschauer*in unter (grob über den Daumen gepeilt) 50 Jahren einen Zugang zu dem Film zu finden. Der Zufall möglicherweise bedient nicht unsere mit aufpolierten Bildern konditionierten Sehgewohnheiten. Er nimmt uns im Storytelling nicht bei der Hand (wie wir es vom Hollwood-Mainstream-Kino kennen, damit auch ja jede*r alles versteht) und setzt historisches Wissen voraus, das man ohne Bezug zu Polen kaum mitbringen wird.

Ich persönlich habe beschämend wenig Ahnung von der polnischen Geschichte. Dafür ist meine Faszination für die Zeit-Thematik im Film umso größer. Unabhängig von beidem ist das Schauspiel des Ensembles in Der Zufall möglicherweise wirklich stark. Und das Drehbuch ist so gut, dass es einen Sog entwickelt. Auch wenn man nicht alles verstehen mag, was in diesem Film vor sich geht, erlaubt er bestimmte Einblicke doch sehr klar und deutlich: Einblicke in die Zerrissenheit des Helden im Strudel des Zeitgeschehens. Egal, für welches politische Lager oder um welche Liebe Witek kämpft, man fiebert mit, wenn Witek rennt.

Hier gibt es den Film Der Zufall möglicherweise in voller Länge zu sehen (im polnischen Original mit englischen Untertiteln):

Übrigens: Der Zufall möglicherweise ist Teil der Criterion Collection. Hier gibt es weitere Informationen.

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Novo Amor, BIRTHPLACE und der Wal aus Müll | Musikvideo 2018 | Review http://www.blogvombleiben.de/musikvideo-birthplace-novo-amor-2018/ http://www.blogvombleiben.de/musikvideo-birthplace-novo-amor-2018/#respond Wed, 25 Jul 2018 07:00:35 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=4288 Früher Nachmittag, ich bin gerade im Bad. Durch die Tür höre ich, dass Musik läuft. Sonia…

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Früher Nachmittag, ich bin gerade im Bad. Durch die Tür höre ich, dass Musik läuft. Sonia schaut ein Handyvideo. Sie sitzt auf dem Sofa. Draußen brütet die Hafenstadt Padstow unter der Sonne. Das Sprachwirrwarr der Tourist*innen und das Geschrei der Möwen dringen durchs offene Fenster herein, mit den Sonnenstrahlen. Ich setze mich zu Sonia, in den Schatten der Gardine. Das Video hat eine Freundin bei Facebook geteilt. Fünf Minuten, fast vorbei, Sonia scrollt nochmal auf Anfang. So derart im alltäglichen Zwischendurch begriffen, aus irgendwelchen Gedanken gerissen, entdecken wir das Musikvideo zu Birthplace von Novo Amor. Wie eine Flaschenpost im Meer der Massenmedien. Mit wichtiger Botschaft und doch hoffnungslos verloren im ganzen Müll, der das Netz anfüllt.

Im Rachen des Todes

»Hip Hop has always been political, yes, it’s the reason why this music connects« rappt Macklemore in seinem Song White Privilege II, in dem er reflektiert, wie man sich als weißer Mensch zu der Bewegung Black Lives Matter verhalten soll/kann. Rund 50 Jahre vor ihm hat der Künstler Norman Rockwell mit seinem Gemälde The Problem We All Live With (1964) ähnliche Gedanken angeregt, zum selben Problem, das nach wie vor besteht: Rassismus. Ein anderes Problem, das haben die Guerrilla Girls im Jahr 1989 adressiert. Auf einem ausdrucksstarken Poster fragen sie: Do women have to be naked to get into the Met. Museum? Unter dem Schriftzug ist der Sexismus einer Kunstwelt, in der Frauen lieber als Objekte denn Subjekte gesehen werden, in Zahlen belegt. Zahlen, die sich kaum verändert haben, in den Jahren, in denen dieses Poster in neuer Auflage verbreitet wurde, 2005 und 2012.

Kunst ist immer schon politisch gewesen, ja, aber hat sie jemals die Welt verbessert? 

Free Diver Michael Board und ein Manta Rochen im Meer, Standbild aus dem Musikvideo Birthplace von Novo Amor

Was kann Kunst schon ausrichten?

Und jetzt: Ein weiteres Problem. Beim Staunen über das Musikvideo zu dem Song Birthplace von Novo Amor spüre ich einen Stein im Magen. Kann es das Debakel, das darin so bildgewaltig in Szene gesetzt wird, zum Besseren wenden? Oder vielmehr zur Wende beitragen? Bevor wir über das Problem sprechen, und über das Musikvideo zu Birthplace, dieses politische Kunstwerk von atemberaubender Wirkung, hier ein kurzer Blick hinter die Kulissen. Denn die Entstehungsgeschichte ist, wie so oft, nicht minder beeindruckend als das Werk selbst. Da Song und Musikvideo den Titel Birthplace tragen, fangen wir passender Weise mal ganz vorne an. Denn den wenigsten wird einer der wichtigsten Protagonisten dieser Geschichte bis dato bekannt sein: Wer ist Novo Amor?

Novo Amor und die Natürlichkeit

Novo Amor ist der Künstlername eines Mannes, dessen birthplace man als Nicht-Waliser*in wohl kaum aussprechen kann. Llanidloes heißt sein Geburtsort – und der Mann mit bürgerlichem Namen: Ali John Meredith-Lacey. Als solcher ist er am 11. August 1991 zur Welt gekommen. Und als Novo Amor hat er 2012 – im Alter von 21 Jahren – erstmals eine Single mit 2 Tracks veröffentlicht: Drift. Seine erste EP mit 4 Tracks veröffentlichte er am 31. März 2014 mit dem norwegischen Label Brilliance Records. Woodgate, NY lautet der Titel der Platte, die von zahlreichen englischsprachigen Musikblogs besprochen und gefeiert wurde.

»Darin erklingt die sprießende Saat stilistischer Erfindungsgabe«, schreibt The 405 in fast ebenso erdiger, naturnaher Sprache, wie Novo Amor sie in seinen Songs verwendet. Er singt in Woodgate, NY von brennenden Betten und über die Ufer tretenden Seen, von exhumierter Liebe und gefrorenen Füßen. Mit den poetischen Lyrics und den erwartungsvollen Reviews, die großes Potential wittern, erreicht er bereits eine globale Hörerschaft.

Etymologie: Der Name Novo Amor leitet sich vom Lateinischen (novus amor) ab und bedeutet »Neue Liebe«. Nach eigenen Angaben durchlebte Ali Lacey im Jahr 2012 gerade eine Trennung, als er sich mit seinem Musikprojekt sozusagen einer neuen Liebe zuwendete.

Die Nähe zum Visuellen

Schon im Januar hatte Novo Amor eine künstlerische Zusammenarbeit mit dem englischen Produzenten und Songwriter Ed Tullett (1993 geboren) begonnen. Nach dem Erfolg von Woodgate, NY brachten die beiden Musiker am 23. Juni 2014 ihre erste gemeinsame Single heraus: Faux. Schon zu diesem Song drehte der Regisseur Josh Bennett (Storm & Shelter) ein Musikvideo, hier zu sehen. Ein weiteres, frühes Musikvideo gibt es zu From Gold, ebenfalls aus dem Jahr 2014, hier zu sehen. Mittlerweile finden sich auf YouTube zahlreiche, bemerkenswert unterschiedliche, oft stark naturverbundene Musikvideos zu Songs von Novo Amor. Dass dessen Musik eine filmische Interpretation geradezu anregt, ist kein Zufall.

Ich schrieb den Song From Gold für einen Film, der von einem Freund von mir produziert wurde – und das Feedback war wirklich gut, also entschied ich, ein paar Tracks zu sammeln und als EP zu veröffentlichen. Filmmusik ist also quasi, wo meine Musik herkommt. Ich möchte Musik produzieren, die ein wirklich visuelles Element hat. Das fühlt sich für mich wie eine natürliche Evolution an. | Novo Amor im Interview mit Thomas Curry (The Line of Best Fit)

Mehr Plastik als Fische

Nun wollte Novo Amor, der inzwischen ein Album veröffentlicht und ein weiteres in Arbeit hat, ein weiteres Musikvideo entstehen lassen – zu seinem Song Birthplace. Dazu wendete er sich an die Niederländer Sil van der Woerd (Regisseur) und Jorik Dozy (VFX-Artist), mit denen er 2017 bereits das Musikvideo zu Terraform (in Kollaboration mit Ed Tullett) umgesetzt hatte. Sil und Jorik setzten sich hin, um inspiriert von Novo Amors Birthplace eine Idee für ein Musikvideo niederzuschreiben. Hier kommt jenes Problem ins Spiel, dass die beiden niederländischen Filmemacher zu dieser Zeit beschäftigte: Das Problem mit unserem Plastikmüll in den Meeren.

Lasst uns mit ein paar Fakten starten. Mehr als 8 Millionen Tonnen Plastik werden in den Ozean gekippt – jedes Jahr. 1,3 Millionen Plastiktaschen werden auf der ganzen Welt benutzt – jede einzelne Minute. Die United States allein benutzen mehr als 500 Millionen Strohhalme – jeden einzelnen Tag. Und im Jahr 2050 wird mehr Plastik im Meer schwimmen, als Fische. Für all das sind wir verantwortlich. Du. Ich. Alle von uns. Als wir dabei waren, uns Wege zu überlegen, ein öffentliches Bewusstsein für diese globale Krise zu schaffen, sprach uns Novo Amor an, für ein neues Musikvideo. | aus: The Story Of Birthplace

Unsere selbstgemachte Nemesis

Und so entstand eine symbolische Geschichte, über einen Mann, der auf einer perfekten Erde eintrifft und auf seine Nemesis stößt: unsere Vernachlässigung der Natur in Form von Meeresmüll.

Im Herzen unserer Idee stand unsere Vorstellung eines lebensgroßen Wales aus Müll – in Anlehnung an die biblische Geschichte von Jona und dem Wal, in der Jona vom Wal verschluckt wird und in dessen Bauch Reue empfindet und zu Gott betet. Es gibt zahlreiche Berichte über Tiere, die große Mengen Plastik schlucken und daran verenden – einschließlich Wale. Obwohl wir von einem Visual-Effects-Background kommen (also viel mit Computer-Effekten arbeiten), wollten wir, dass unser Wal echt ist, authentisch. | s.o.

Die Geburt des Wals

Die Herausforderung bestand also darin, einen lebensgroßen Wal aus Müll zu bauen, der im Ozean schwimmen sollte. Die Erscheinung dieses Wales wurde dem Buckelwal nachempfunden, der bis zu 60 Meter lang und 36 Tonnen schwer werden kann.

Wir brachten unser Design des Wals in ein kleines Dorf im wundervollen Dschungel von Bali an den Hängen des Agung (ein Vulkan auf Bali). Hier arbeiteten wir mit den Dorfbewohnern an etwas zusammen, dass sich zu einem Gemeinschaftsprojekt entwickeln würde. Rund 25 Männer haben ihre Handwerkskunst im Umgang mit Bambus beigetragen, um den Wal zum Leben zu erwecken. Doch ebenso, wie die überwältigende Schönheit des Dschungels, haben wir hier die ersten Spuren des Antagonisten unserer Geschichte. | s.o.

Bali: Müll auch zu Lande

Dem Müll, der überall in Bali zu finden ist – einem Urlaubsort, der vom Massentourismus und den Mülllawinen, die damit einhergehen, zu ersticken droht. 7 Gründe, nicht nach Bali zu reisen hat die Reisebloggerin Ute von Bravebird im April 2018 zusammengefasst.

Der Wal wurde zunächst in Form eines gewaltigen Skeletts aus Bambus gebaut. Dabei musste der Wal sogar die Location wechseln, weil er aus seinen ersten Werkstätten »herauswuchs«. Zusammengesetzt wurde das Skelett schließlich in der lokalen Stadthalle – wobei die Aktivitäten dort wie gewohnt weitergeführt wurden, Musikunterricht zum Beispiel. Wie die Fertigstellung des Wals vonstatten ging und er seinen Weg ins Meer fand, das dokumentiert dieses liebevoll erstellte Making-of zum Musikvideo in großartigen Bildern:

In aller Ruhe atemlos: Michael Board

Der Mann, der dem Wal aus Müll schließlich im Meer begegnet, ist der britische Rekord-Free-Diver Michael Board. Er beherrscht dieselbe Kunst, wie die Free Diverin Julie Gautier, deren Kurzfilm AMA (2018) wir hier vor kurzem vorgestellt haben: Das lange und tiefe Tauchen ohne Atemmaske. Michael Board bezeichnet 2018 als sein bis dato erfolgreichstes Jahr, was das Tauchen im Wettbewerb angeht. Sein tiefster Tauchgang ging 108 Meter hinab ins Meer, 216 Meter, wenn man den Rückweg mit einrechnet – und das mit nur einem Atemzug.

Das Musikvideo war eine Herausforderung, weil es nicht die Art von Free Diving ist, die ich normalerweise mache. Im Free Diving geht’s eigentlich immer um Entspannung. (…) Normalerweise trägt man einen Flossen und einen Anzug, der vor der Kälte schützt. | Michael Bord in The Story Of Birthplace

Blind im Angesicht des Wals

Stattdessen trägt er in dem Video nur eine Jeans und ein Shirt. Mangels Tauchbrille war Michael Board bei den Dreharbeiten zudem praktisch blind und konnte den Wal nur sehr schwammig wahrnehmen – und nicht, wir wie als Publikum, in seiner ganzen bizarren Pracht. Hier ist das Musikvideo zu dem Song Birthplace von Novo Amor:

Es mutet seltsam an: Der Wal aus Müll hat etwas sehr Schönes an sich. Ich frage mich, ob diese Ästhetisierung des Problems von dem Schaden ablenkt, den der Müll anrichtet. Doch von der subversiven Kraft mal abgesehen: Künstlerisch ist das Musikvideo Birthplace zu dem Song von Novo Amor in jedem Fall ein starkes Statement und ein beeindruckendes Projekt.

Die Lyrics zu Birthplace + deutsche Übersetzung

Die Lyrics zu dem Song hat Novo Amor selbst unter dem Musikvideo gepostet. Hier der Versuch einer angemessenen, deutschen Übersetzung der poetisch vagen Sprache im Songtext:

Be it at your best, it’s still our nest,
unknown a better place.
// Gib dein Bestes, es ist noch immer unser Nest,
da wir keinen besseren Ort kennen.

Narrow your breath, from every guess
I’ve drawn my birthplace.
// Schmäler deinen Atem, mit jeder Vermutung
habe ich meinen Geburtsort gezeichnet.

[Refrain] Oh, I don’t need a friend.
I won’t let it in again.
// Oh, ich brauche keinen Freund.
Ich werde es nicht wieder hineinlassen.

Vom Menschen in Bestform

Be at my best, 
I fall, obsessed in all its memory.
/ Ich gebe mein Bestes,
falle, besessen von all den Erinnerungen.

Dove out to our death, to be undressed,
a love, in birth and reverie.
// Ich tauchte hinaus zu unserem Tode, um entblößt zu werden,
eine Liebe, in Geburt und Tagträumerei.

[Refrain]

Here, at my best, it’s all at rest, 
‘cause I found a better place.
// Hier, in meiner Bestform, ist alles in Ruhe,
denn ich habe einen besseren Ort gefunden.


Weitere Links:

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HAIRSPRAY mit Ricki Lake, Nikki Blonsky | Filme 1988, 2007 | Kritik, Vergleich http://www.blogvombleiben.de/film-hairspray-1988-2007/ http://www.blogvombleiben.de/film-hairspray-1988-2007/#respond Sat, 30 Jun 2018 09:03:03 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=4097 Selbst homophobe Menschen würden zum Finale mit den Füßen zum Beat tapsen, denn: »Es ist schwer,…

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Selbst homophobe Menschen würden zum Finale mit den Füßen zum Beat tapsen, denn: »Es ist schwer, der Überschwänglichkeit dieses Films zu widerstehen!« Das schreibt der Rolling Stone im Jahr 2007 über das Remake von Hairspray. Zum Original im Jahr 1988 verfasste David Edelstein für den Rolling Stone ein Review mit der Formel: »Ein Familienfilm, für den sowohl die Bradys als auch die Mansons geschwärmt hätten.« Diese Filmkritik nannte der Regisseur John Waters seine liebste. Das überrascht kaum und verstört sehr.

Außenseiter im Rampenlicht

Mit den »Bradys« sind Ian Brady und Myra gemeint, seine Lebensgefährtin oder vielmehr: Komplizin. Die beiden haben in den 60er Jahren mehrere Kinder und Jugendliche gefoltert und grausam ermordet. »Die Mansons« sind jenes kriminelle Kollektiv um den Rassisten Charles Manson, der seine Anhänger*innen ebenfalls zu Morden aufrief. Die Faszination des Filmemachers John Waters für die Manson-Familie, deren Mitglieder*innen er gar im Gefängnis besuchte, geht soweit, dass er seinen Film Female Trouble (1974) einem Manson-Mitglied widmete: Charles Watson. Dieser war unter anderem an der Ermordung der Schauspielerin Sharon Tate beteiligt. Mit der Aufsehen erregenden Bluttat sollte – so die Idee des fanatischen Charles Manson – ein Rassenkrieg zwischen Schwarzen und Weißen ausgelöst werden.

Wie passt die Faszination für derart menschenverachtende, rassistisch motivierte Taten mit einem Film wie Hairspray zusammen, der wie kaum ein anderer für Nächstenliebe und Toleranz wirbt, Menschen zusammenbringen will und Anstand statt Ausschluss fordert? Diese Frage stellt sich nur dann, wenn wir unser logisches Denkvermögen auf einen Gegenstand anwenden, der von Natur keiner inneren Logik folgt: Homo Sapiens.

[andere Frage: Wie kommt David Edelstein zu einer solch grauenvollen, unnötigen Floskel? Als Familienmitglied eines der Mordopfer liest sich ein solcher Humor sicher als blanker Hohn.]

Die Schauspielerinnen Ricki Lake und Amanda Bynes aus dem Film Hairspray (1988, 2007)

Der integrative Exhibitionist

Jener John Waters, Regisseur des Hairspray-Originals, hat im Hairspray-Remake einen kleinen Gastauftritt. Die Hauptfigur Tracy (Nikki Blonsky) begegnet ihm, während sie singend den Bürgersteig entlangmarschiert. Waters, mit seinem markanten Bleistift-Schnurrbart und einem langen Mantel, grüßt das Mädchen freundlich. Dann wendet er sich ab und reißt den nächsten Passantinnen gegenüber seinen Mantel auf, darunter offenbar nackt, der alte Perversling.

Diese Szene, in der zwischen nettem Gruß und obszöner Geste nur Sekunden liegen, ist beispielhaft für John Waters. Dessen zotiger Flausenkopf ist es, der das Original-Drehbuch zu Hairspray hervorgebracht hat, einem integrativen Feel-Good-Familienfilm vom Feinsten, sowohl in alter als auch in neuer Version.

Inhalt: Hairspray handelt von der Teenagerin Tracy Turnblad (1988: Ricki Lake, 2007: Nikki Blonsky). Sie und ihre Freundin Penny sind große Fans der Corny Collins Show. In dieser TV-Show, die von ihrer Heimatstadt Baltimore ausgestrahlt wird, tanzen weiße Teens zu hipper Musik (für die schwarzen Teens gibt es einen »Negro Day«, einmal im Monat). Die jungen Tänzer*innen der Show werden vom Publikum als Stars gefeiert – und Tracy träumt davon, selbst einmal in dieser Show aufzutreten… der Traum wird wahr, dank ihrer Tanzbegabung und trotz ihres Übergewichts. Die Berufung des fröhlichen, fülligen Mädchens in die Show löst einen ungeahnten Wandel in Baltimore aus.

Hinweis: Liebe Leser*innen, dieser Text nimmt (im Absatz »Bleibender Eindruck«) nur ein paar Pointen vorweg, verrät aber nichts über den durchaus spannenden Handlungsverlauf. Aktuelle legale Streamingangebote finden sich bei JustWatch.

Totale: Hairspray im Zusammenhang

Cineastischer Kontext

Dass ausgerechnet John Waters einen Film über die Integration von Außenseitern in die öffentliche Wahrnehmung und Wertschätzung macht, hat einen autobiografischen Touch. So integrierte sich der Untergrund-Filmemacher mit einem Faible für Fetische und gesellschaftliche Außenseiter mit seinem ersten Mainstream-Film Hairspray doch selbst in die öffentliche Wahrnehmung.

Während sein wohl berüchtigtes Werk, Pink Flamingos (1972) nur von einem vergleichsweise kleinen Personenkreis als Kultfilm und »Meilenstein des schlechten Geschmacks« gefeiert wird, hat Hairspray seit seiner Veröffentlichung im Jahr 1988 eine breite Rezeption erfahren. Von einer Adaption als Broadway-Musical im Jahr 2002 bis zum Kino-Remake im Jahr 2007, das Film und Musical auf virtuose Weise miteinander verbindet.

Persönlicher Kontext

Durch die Lektüre von Judith Butlers Das Unbehagen der Geschlechter bin ich auf Hairspray aufmerksam geworden. Butler führt diesen Film aufgrund des Schauspielers Harris Glenn Milstead alias Divine an, der – als vermutlich berühmteste Drag-Queen seiner Zeit – in Hairspray eine Doppelrolle spielt. Er tritt als rassistischer Fernsehstudio-Boss sowie als Mutter der Hauptfigur auf. Letztere Rolle fällt deutlich größer aus.

Divine hat bis Hairspray in jedem Film, den er mit seinem Jugendfreund John Waters zusammen gemacht hat, die weibliche Hauptrolle gespielt und (darum geht es Butler bei besagter Referenz) den Eindruck geprägt, dass »weiblich sein« vielmehr ein Akt der Nachahmung als eine »natürliche Tatsache« ist.

Eine Hommage an Divine

Wenige Wochen nach dem Kinostart von Hairspray (1988) starb Divine im Alter von 42 Jahren an einem Herzstillstand. Er hatte Zeit seines Lebens mit seinem Übergewicht zu kämpfen und wog zum Zeitpunkt seines Todes etwa 170 Kilo.

Im Remake von Hairspray (2007) wurde die Rolle der Mutter Edna Turnblad, gewiss als Hommage an Divines Darstellung, an einen Mann vergeben: John Travolta. Diese Besetzung der Mutterrolle mit einem Mann hatte auch schon eine gewisse Tradition, wurde so doch bereits bei der Musical-Adaption vorgegangen. Aufgrund meiner closure issues habe ich Original und Remake von Hairspray kurz hintereinander gesehen.

Close-up: Hairspray im Fokus

Erster Eindruck | zum Inhalt der Filme

Hairspray (1988) beginnt mit dem gleichnamigen Song von Rachel Sweet (mit Deborah Harry). Dazu sehen wir, in der ersten Einstellung, den Haupteingang zu einer TV-Station, an deren Fassade die Buchstaben WZZT prangen. Drinnen sind Vorbereitungen in Gange. Junge Damen und Herren machen sich fit für den Beginn einer neuen Folge von The Corny Collins Show. Tanzende Teens im TV, die hunderttausende Teens vor Amerikas Fernsehgeräten in Euphorie versetzen.

Diese Show hat es wirklich gegeben. Und tatsächlich basiert der Handlungsstrang über die Integration schwarzer Jugendlicher in das weiße Show-Format in gröbsten Zügen auf wahren Tatsachen. Die echte Show (The Buddy Deane Show) wurde 1964 abgesetzt, weil die echte TV-Station (WJZ-TV) unfähig war, die Diskriminierung von Afroamerikanern zu unterlassen. Dieses Kapitel aus einer Zeit des gesellschaftlichen Wandels hat sich John Waters in Hairspray zum Thema gemacht. Neben Schön- und Schlankheitswahn, Bodyshaming, Generationenkonflikten und der Verlogenheit des Showgeschäfts. Eine Menge Stoff für einen knapp 90-minütigen Film.

In die Länge gesungen

Ob das Remake, Hairspray (2007), deshalb eine satte halbe Stunde länger ist, als das Original? Nein, thematisch geht die Neuauflage nicht mehr in die Tiefe. Wohl aber in Sachen Genre. Durch die Integration der Musical-Nummern bekommt das Remake eine neue Facette. Diese macht es zu etwas Eigenständigem, das sich inszenatorisch vom Original emanzipiert. Schon die erste Szene wird zwar auch mit einem Song eröffnet, doch diesen singt – aus vollem Leibe und Herzenslust – die »neue Tracy Turnbled« auf ihrem Weg zur Schule.

Immer wieder wird die Handlung, die sich am Original orientiert, allerdings dramaturgische Änderungen vornimmt, von Gesangseinlagen der Schauspieler*innen übernommen. Denn siehe da: Sie können alle fantastisch singen! Außer John Travolta, aber ok.

Bleibender Eindruck | zur Wirkung der Filme

Man hat es hier zweifelsfrei mit zwei Herzensprojekten zu tun. Jedes für sich begeistert durch eine leidenschaftliche Umsetzung aller Beteiligten. Und auch die Brücke zwischen den Filmen steckt voller schöner Details. Schubst die Tracy im Original noch eine Ratte weg, um in Ruhe einen romantischen Moment auskosten zu können, füttert die Tracy im Remake ein paar Ratten am Straßenrand, wie zur Wiedergutmachung. Jerry Stiller, der im Original Tracys Vater spielt (und in dieser Rolle ein 90er-Kind wie mich sehr an Arthur aus King of Queens erinnert), tritt im Remake als Inhaber eines Schönheitssalons auf.

Neben derlei kleinen Verbindung stechen Kenner*innen beider Filme natürlich umso mehr die Unterschiede ins Auge. Wie sehr diese nun als Mehrwert oder Missetat empfunden werden, ist Geschmackssache. Mir persönlich gefällt das Erzähltempo des Originals besser (auch wenn dadurch die Musical-Nummern wegfallen). Das Drehbuch des Remakes lässt sich bedachtsam Zeit, jede Wendung und Gefühlsregung so im Dialog zu klären, dass auch wirklich jede*r checkt, was abgeht. Muss nicht sein. Im Original passieren Dinge einfach. Manchmal auch überrumpelnd schnell, das atmet den Charme eines impulsiveren Projekts. (Hängt gewiss mit dem markanten Budget-Unterschieden zusammen.)

Das gewisse Etwas namens Waters

So gelungen ich Waters Cameo im Remake finde, ist seine Rolle als sadistischer Psychiater im Original umso grandioser. Und die Rolle der Penny Pingleton, die im Original noch mit einem »P« für »Punished« herumlaufen muss, bleibt im Remake (trotz der tollen Schauspielerin Amanda Bynes) meinem Empfinden nach vergleichsweise blass. Insgesamt fehlt es dem Remake an dem absurden John-Waters-typischen Humor. Wenn etwa (im Original) der Mädchenschwarm in einem »police riot« von Handtaschen niederknüppelt wird und mega die Show draus macht.

Auch die »Special Education Class«, im Remake ganz offensichtlich die Klassse mit den cooleren Kids, ist im Original noch ne urkomische Rasselbande, die selbst von Sportlehrerin (die Dogdeball-Trainerin, grandiooos lustig!) hart gedisst wird.

Fazit zu Hairspray (1988, 2007)

Beide Filme sind sehr lustig und versprühen ansteckend gute Laune. Während im Original der Humor mehr Raum einnimmt, sind es im Remake die Musik- und Tanzeinlagen, dann auch mit Gesang. Das Original ist kurzweiliger, das Remake opulenter, das Original flotter, das Remake bunter. Man kann getrost beide Filme schauen und sich auf zwei tolle Umsetzungen der gleichen Geschichte freuen. Die Hauptdarstellerinnen Ricki Lake und Nikki Blonsky sind übrigens gleichermaßen großartig charismatisch und liebenswert, die Highlights dieser Filme!

Weitere Filmkritiken:

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31. Bundes.Festival.Film. in Hildesheim | Rückblick, Tag 1 http://www.blogvombleiben.de/bundesfestivalfilm-2018-tag-1/ http://www.blogvombleiben.de/bundesfestivalfilm-2018-tag-1/#comments Tue, 26 Jun 2018 07:27:46 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=3974 Wenn sich Jesus und kranke Sadisten das Rampenlicht teilen, dann lohnt sich der Blick auf die…

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Wenn sich Jesus und kranke Sadisten das Rampenlicht teilen, dann lohnt sich der Blick auf die Bühne. Und auf die Leinwand, natürlich, auf der sich Rapperinnen anranzen und kleine Möchtegern-Astronauten zum Mond schießen wollen. Bunt ging’s zu beim 31. Bundes.Festival.Film. in Hildesheim. 38 Filme an einem Wochenende voller Eindrücke und Begegnungen – hier ein Rückblick zur Sause rund um den Thega Filmpalast.

Auftakt zum 31. Bundes.Festival.Film.

Der Veranstaltungsort hätte nicht besser gewählt sein können. Damit ist erstmal Hildesheim selbst gemeint. Die Gastgeberstadt des 31. Bundes.Festival.Film punktet zwar nicht mit einer 1A-Lage (aus Richtung Aachen von der A2 runter, darf man noch ne knappe Stunde durch die Pampa gurken, geil), aber ist man einmal da, ist alles nah. Der Thega Filmpalast als Hauptschauplatz des Festivals liegt in Sichtweite zu dem Hotel, das alle Filmemacher*innen beherbergte – und fußläufig zu den Locations, in denen sich eine spannende Panel-Diskussion und eine gebührende Aftershow-Party abspielten, nach der Preisverleihung am Samstagabend. Doch der Reihe nach.

Die Schauspieler Langston Uibel und Maja-Celiné Probst in dem lange nachwirkenden Kurzfilm Liebesstreifen, gezeigt auf dem Bundes.Festival.Film. | Bild: Liebesstreifen/Wendefilmkollektiv
Die Schauspieler Langston Uibel und Maja-Celiné Probst in dem Kurzfilm Liebesstreifen. | Bild: Wendefilmkollektiv

Hier geht’s zur Geschichte des Deutschen Jugendfilmpreises, der seit 1988 (unter wechselndem Namen) alljährlich auf dem Bundes.Festival.Film verliehen wird.

Hier geht’s zu einem Beitrag über die Jury zum Deutschen Jugendfilmpreis und über die Gastgeberstadt.

Los ging’s am Freitagnachmittag mit einem ersten Filmblock, der inhaltlich schon bestens auf die Bandbreite des Bundes.Festival.Film einstimmte. In anderthalb Stunden gab es fünf kurze Filme zu sehen, je gefolgt von Gesprächen mit den kreativen Köpfen hinter den Projekten. Mit dabei: jung und alt, Jungen, Mädchen, Laien und Semi-Profis, Freunde, Familien und Filmnerds natürlich. Nach der Jurysitzung im März, bei der wir fünf Juror*innen noch ob mancher Hintergrund-Geschichten zu den eingereichten Filmen rätselten, war es großartig, die Gesichter zu gesichteten Werken kennenzulernen.

Filmblock 1: Unsichtbare Schüler und große Kunst

Ein Streich mit Folgen | Wenn Schüler*innen Unfug machen, kann das Ärger geben. Oder es kommt ein richtig cooler Film dabei rum. Highlight dieses heiteren Streifens ist der Auftritt eines verschollenen Schülers, der einst mit Chemikalien einen Streichen spielen wollte… | 8.47 Minuten, von Schüler*innen (14-15 Jahre) der Albert-Schweitzer-Schule in Denkendorf, Baden-Württemberg.

Vielleicht | Ein Videoslam aus der Generation Y, die für ihr Faible fürs »maybe« bekannt ist. Aber macht der Hang, die Entscheidung vor sich her zu schieben, das Leben wirklich leichter? | 2.49 Minuten, von Designerin und »GIF-Girl« Hanna Viellehner (hier ihr Online-Portfolio), zusammen mit Sophia Stöhr und Lena Schell (20-24 Jahre) aus Oberbergkirchen, Bayern.

Ricardo Porro – Der Salto Mortale | Das Porträt eines Mannes namens Ricardo Porro, der als junger Architekt in Kuba erst ein, zwei, drei Häuser entworfen hat. Dann gab Fidel Castro ihm den Auftrag, Kunstschulen für Havanna zu entwerfen. Das Mammutprojekt, das Porro als seinen »Salto Mortale« bezeichnet, schildert dieser Dokumentarfilm. | 19.38 Minuten, von Roberto Santana (61) aus Erfurt, Thüringen. Hier gibt’s weitere Infos + einen Filmausschnitt.

Dieter Rupp als melancholischer Träumer

Ein Mann, der vom Fliegen träumt | In Bildern, die an Federico Fellinis traumwandlerischen Szenen aus Achteinhalb (1963) erinnern, erzählt dieser wortkarge Kurzfilm von einem Mann, der einen Traum verfolgt. In der Hauptrolle: der Schauspieler Dieter Rupp (Frohzusein, Jenes innere Wesen). | 11.48 Minuten, von Pascal Rosengardt (19) aus Düsseldorf, Nordrhein-Westfalen. Weitere Infos + Filmausschnitt.

Angst vor | Bei einem Spaziergang bleibt der Hund plötzlich stehen – oder sitzen, vielmehr. Und er bewegt sich nicht mehr vom Fleck, obwohl es um ihn und sein ratloses Herrchen herum langsam Nacht wird. | 4.13 Minuten, von Welf Reinhart (22) aus Kassel, Hessen. Weitere Infos + Filmausschnitt.

Mit seinen 61 Jahren war der Filmemacher Roberto Santana nicht für den Deutschen Jugendfilmpreis nominiert, sondern den Deutschen Generationenfilmpreis. Dieser wurde 1998 gegründet und richtet sich an Filmemacher*innen bis 25 Jahre, die sich inhaltlich mit dem Thema Alter(n) auseinandersetzen – sowie an Filmemacher*innen über 50 Jahre. Auch gemeinsame Projekte beider Altersklassen sind zugelassen und werden in der Preiskategorie »Generationenübergreifend« gewürdigt. Dazu gehörte etwa Angst vor des 22-jährigen Welf Reinhart.

Der Deutsche Generationenfilmpreis

Die Jury für den Deutschen Generationenfilmpreis setzte sich in diesem Jahr zusammen aus: Sarah Kuschel (Kulturwissenschaftlerin an der Uni Hildesheim), Phan Thieu Hoa Nguyen (Studentin der Kulturwissenschaft und ästhetischen Praxis, ebenfalls in Hildesheim), Ben Scharf (Drehbuchautor aus Berlin), Paul Scholten (ehemaliger Wettbewerbsteilnehmer aus Pforzheim) und Claudia Telschow (Bund Deutscher Film-Autoren, Filmfestival FILMthuer, aus Jena). Dieser Jury wohnte ich nicht bei, womit ich im Rahmen des diesjährigen Programms des Bundes.Festival.Film. einige starke Filme selbst erstmals zu sehen bekam.

Filmblock 2: Dem Vater so nah, der Heimat so fern

Hypothetic Crimestory | Im Look & Feel der BBC-Serie Sherlock Holmes wickelt dieser Kurzfilm ein Verbrechen von hinten auf. Dabei spielt er gekonnt mit Zeit- und Erzählebenen, so dass am Ende die Frage offen bleibt: Wessen Geschichte wurde hier eigentlich erzählt? | 5.40 Minuten, von Rasmus Dankert (15) aus Rheinbach, Nordrhein-Westfalen. Weitere Infos + Filmausschnitt.

Meerjungfrau frisch vom Baum | In farbenfrohen Scherenschnitt-Bildern geht es in diesem Märchen um das Schicksal einer Meerjungfrau, die von zwielichtigen Forschern entführt wird. Dabei werden alle menschlichen, tierischen und fantastischen Rollen von den Kindern (8-13 Jahre) gesprochen, die dieses Projekt umgesetzt haben | 5.24 Minuten, von der Feriengruppe Kind & Werk e.V. / angeleitet durch Sonja Wessel aus Weilheim, Bayern. Hier geht’s zur Website der Medienwirkstatt von Sonja Wessel.

Babam | Ein Filmemacher-Sohn porträtiert seinen Fischhändler-Vater und geht dabei so nah ran, wie möglich. Dieser bemerkenswert persönliche Dokumentarfilm hat es auch ins Programm 2018 der Werkstatt der Jungen Filmszene in Wiesbaden geschafft. | 29.31 Minuten, von Cemil Sorgun (25) aus Berlin. Weitere Infos + Filmausschnitt.

Schönheit und Schrecken auf dem Bundes.Festival.Film.

Wie die Weltrettung zur Welt kam | In verrückten Episoden, die sich Culture Clash und damit einhergehende Phänomene wie Fremdenfeindlichkeit zum Thema machen, lässt dieser Film eine albanisch-arabische Hochzeit entgleisen – und findet doch zu einem schönen Ende. | 15 Minuten, von dieWeltrettung.org (19-25 Jahre) aus Drochtersen-Hüll, Niedersachsen.

Detailverliebt | Ein Film in Blau und Gelb und voller schöner Einfälle. Es geht um zwei junge Menschen der digital-vernetzten Gegenwart, die sich im Real Life begegnen – mit amüsanten Folgen. | 12.50 Minuten, von Joschua Keßler (22) aus Darmstadt, Hessen. Weitere Infos + Filmausschnitt.

Zwischen den Fronten | Wie die Flucht aus Syrien vor die Küste Lybiens führt. Erzählt in beeindruckend durchdachten und animierten Bildern, die trotz ihrer Schönheit den Schrecken vermitteln. | 7.33 Minuten, von Nora Johanna Brockamp (22) aus Ludwigsburg, Baden-Württemberg. Dieser Film ist bei Amazon verfügbar.

Moderiert wurde das Bundes.Festival.Film. übrigens, wie schon im vergangenen Jahr, von Filmemacherin Lena Liberta. Selbst gelernte Regisseurin, konnte sie den Filmemacher*innen auf der Bühne auf Augenhöhe begegnen und hat immer wieder ihren Blick für Details der Kameraarbeit oder Erzählweise miteinfließen lassen – ein echter Mehrwert für die Gespräche zwischen den Filmbeiträgen beim Bundes.Festival.Film.

Filmblock 3: Aufs Maul

Blaue Flecken | Hamburg in Schwarzweiß, zwei Rapperinnen unterwegs. Wir folgen Ella und Dahlia durch einen Tag mit Höhen und Tiefen, eingerahmt von den intimen Momenten der Ideenfindung. Ella ist es, die sich am blanken Blatt Papier abarbeitet und versucht, Zeilen von Bedeutung niederzuschreiben. Dahlia hingegen denkt eher ans Feiern – das kann auf Dauer nicht gut gehen, zwischen den beiden. | 16.38 Minuten, von Martin-Oliver Czaja (24) aus Bremen, aktiv auf Facebook und Vimeo | Hier gibt’s weitere Infos zum Film, sowie einen Teaser zu Blaue Flecken

Fair teilen. Fair kochen. Lokale Rebellen gegen Lebensmittelverschwendung | Ein liebevoll gemachtes Porträt der »Offenbacher Küche«. Dieses Projekt setzt sich für Alternativen gegen das massenhafte Wegwerfen von Lebensmitteln ein. | 9.20 Minuten, von der Video-Gruppe 55+ im Mehrgenerationenhaus des KJK Sandgasse, Offenbach am Main. Weitere Infos + Filmausschnitt.

Ein Thema, viele Herangehensweisen

Borderline | Eine technisch gesehen beeindruckende Plansequenz. Über 6 Minuten lang folgt die Kamera dem scheinbaren Waldspaziergang von ein paar Deutschen. Bloß, dass es kein Spaziergang ist… ein weiterer, anderer, streitbarer Film über Flüchtlinge in Europa. | 6.09 Minuten, von Pascal Fenkart (23) aus Offenburg, Baden-Württemberg. Hier ein Filmauschnitt inklusive dem kontroversen Ende.

Tage des Meeres | Und wieder ein politischer Film zum Thema Flüchtling, und wieder ganz anders. Eine Collage aus kunstvoll arrangierten Bildern, Home-Video-Aufnahmen aus der Nachbarschaften und realen Mitschnitten aus Nachrichten, alles in grober Auflösung gehalten. Unscharf, so wie die Situation eben ist, bleibt dieser Experimentalfilm. Am Ende baden wir in demselben Wasser, in dem unsere Mitmenschen ertrinken. | 4.44 Minuten, von Jan & Eva Walentek (72, 69) aus Winnenden, Baden-Württemberg. Hier geht’s zu einem Interview mit Jan Walentek, der beim Bundes.Festival.Film. mit seinen Beiträgen ein Stammgast ist.

Liebesstreifen | Die einfühlsame Geschichte zweier Liebender, die sich nicht lieben können. Sie versuchen es, an einem idyllischen Sommertag im Grünen – doch irgendetwas Unaussprechliches steht zwischen ihnen. Für mich eines der Highlights des Bundes.Festival.Film., dieser so leise, so intime, so wunderschöne Film. | 12.31 Minuten, von Adrian Schwartz (23) aus Offenburg, Baden-Württemberg. Hier geht’s zur Facebook-Seite des Wendefilmkollektivs, dem Adrian Schwartz angehört.

Der Messias und die Motorrad-Gang

Das Abendmahl | Jesus als Anführer einer Motorrad-Gang mit einem Rudel wirklich eindrucksvoller Aposteln. Diese Neuverfilmung des Neuen Testaments hätt‘ ich mir auch drei Stunden lang angesehen. Grandios in Szene gesetzt, diese krassen Charaktertypen vor der Kamera! | 13.41 Minuten, von Harald & Steven Takke (22) aus Frankfurt am Main, Hessen. Hier geht’s zum YouTube-Kanal der TAKKE TWINS, zwei Typen, die man sich merken kann.

Sommerhaus | Zu guter Letzt noch ’n bissel Kunstblut und Sadismus. Schön als Abschluss des ersten Tages vom Bundes.Festival.Film., wenn alle Kiddis schon zurück im Hotel sind: Ein junger Mann im abgelegenen Sommerhaus, allein, bis ein Zweiter angekrochen kommt. Wortwörtlich. Der eine Mann gibt dem Ankömmling etwas zu trinken und einen Schlafplatz. Der andere Mann übernimmt als Gegenleistung ein paar Aufgaben rund ums Haus – ein Hin und Her, das ruckzuck ausartet. | 10.52 Minuten, von Niklas Kielmann (18) aus Kiel, Schleswig Holstein. Hier ist das Ding:

Zum zweiten Tag und der Preisverleihung des Bundes.Festival.Film. gibt es in Kürze mehr.

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MARTYRS mit Morjana Alaoui + New French Extremism | Film 2008 | Kritik http://www.blogvombleiben.de/film-martyrs-2008/ http://www.blogvombleiben.de/film-martyrs-2008/#respond Sat, 23 Jun 2018 07:00:22 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=4295 Wie so viele brutale Dinge kennen wir Märtyrer*innen vor allem aus der Bibel. Mit »wir« meine…

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Wie so viele brutale Dinge kennen wir Märtyrer*innen vor allem aus der Bibel. Mit »wir« meine ich natürlich die römisch-katholisch erzogene Leserschaft, die wie ich im Kommunion-Unterricht immer dann wach wurde, wenn es gerade um Mord und Totschlag ging – was ja, bei aller Nächstenliebe, durchaus geregelt der Fall war, Gott sei Dank. Dieselbe seltsame Gewalt-Faszination, die mich damals in Glaubensfragen bei der Stange gehalten hat, mischt sich inzwischen in Film-Geschmacksfragen. Und damit kommen wir zu Pascal Laugiers Paradebeispiel für den neuen Extremismus im französischen Kino: Martyrs mit den Schauspielerinnen Mylène Jampanoï und Morjana Alaoui.

Mit dem Hammer gen Abgrund

Inhalt: Eine junge Frau, die als Mädchen lange Zeit gefangen gehalten und gefoltert wurde (gespielt von Mylène Jampanoï), macht sich Jahre später auf, um ihre Peiniger zu töten. Begleitet wird sie dabei von grauenvollen Halluzinationen und einer Freundin (Morjana Alaoui), die ahnungslos in ihren schlimmsten Alptraum tappt.

Hinweis: Dieser Text enthält Spoiler, also Details zu den gezeigten Gewaltexzessen. Wer auf solch ultrabrutalen Filme steht, den oder die wird das kaum stören. Höchstens neugierig machen, nicht wahr? Unter »Bleibender Eindruck« wird die Auflösung des Films kritisch besprochen. Aktuelle Streaming-Angebote gibt es bei JustWatch.

Eine ältere Dame mit Brille und Turban schaut ernst drein. Standbild aus dem Film Martyrs. | Bild: Wild Bunch Distribution

Mit seinem Spiefilmdebüt Haus der Stimmen (2004) – mit Model und Schauspielerin Virginie Ledoyen in der Hauptrolle – servierte der Regisseur Pascal Laugier einen etwas abgeschmackten Horror-Eintopf aus altbekannten Zutaten. 4 Jahre später lässt er nun sein nächstes Werk folgen, und wieder: ein Horror. Warum denn, Herr Regisseur?

Ich habe das Genre immer gemocht. Insbesondere in den 70er Jahren hat es einige sehr einzigartige Werke hervorgebracht, von Filmemacher*innen, die das Genre nutzten, um sehr persönliche Dinge auszudrücken – ebenso, wie eine bestimmte Vorstellung von der Welt. Wir sehen John Carpenter heute als einen Auteur, im europäischsten Sinne des Wortes (Filmschaffende als geistige Urheber*innen und zentrale Gestaltende eines filmischen Kunstwerks). Ich wollte in aller Bescheidenheit mit diesem Geist in Verbindung treten und einen Film machen, der – obwohl er alle Codes und Archetypen des Genres verwendet – so unerwartet wie möglich ist.

Pascal Laugier im Interview mit Virginie Sélavy (Electric Sheep), aus dem Englischen

Totale: Martyrs im Zusammenhang

Cineastischer Zusammenhang

In der Literaturwelt heißt es, das zweite Buch sei für Autor*innen das schwierigste Projekt. Wie es in der Filmwelt heißt, weiß ich nicht. Bloß, dass Quentin Tarantino sich nach seinem Debütfilm Reservoir Dogs (1992) mit dem Kult-Kracher Pulp Fiction (1994) in den Kino-Olymp schoss. Und dass Baz Luhrmann nach seinem Debüt Strictly Ballroom (1992) im Nachfolger William Shakespeares Romeo + Julia (1996) seinen ausgeflippten Inszenierungsstil salonfähig machte. Und dass James Cameron nach seinem (ungewöhnlichen) Debüt Piranha 2 – Fliegende Killer (1981) mit Terminator (1984) Filmgeschichte schrieb. Und dass Sofia Coppola nach ihrem Debüt The Virgin Suicides (1999) den Instant-Klassiker Lost in Translation (2003) ablieferte.

In der Filmwelt setzt das zweite Projekt zuweilen ungeahnte Potentiale frei. Die jungen Filmschaffenden stecken noch voller unverbrauchter Ideen und Schöpfungskraft und haben durch ein gelungenes Debüt meist mehr Budget zur Hand, um größere Visionen zu verwirklichen – oder dunklere. Pascal Laugier nutzte sein zweites Werk, um sich mit Anlauf in die Welle des New French Extremism zu stürzen.

Was ist der New French Extremism?

Dieses Label brachte der Filmkritiker James Quandt ins Gespräch, für einige französische Filme des 21. Jahrhunderts, die in Sachen Brutalität respektive Härte die Grenzen verschieben. Dazu werden etwa High Tension (2003) von Alexandre Aja oder Frontier(s) (2007) von Xavier Gens gezählt. Martyrs gilt als mustergültiges Beispiel für den New French Extremism, obwohl Regisseur Pascal Laugier ihn gar nicht so extrem sieht [und der Film etwa im Vergleich zu besagtem Frontier(s) auch weniger blutig ist].

Ich schwöre, dass es nie meine Motivation war, im Publikum Abscheu hervorzurufen. Wenn Kritiker*innen den Film als Gemetzel bezeichnen, als Zurschaustellung von Eingeweiden und als Gore, dann macht mich das traurig. Ich sehe meinen Film als eher zurückhaltendes Werk, ehrlich gesagt. Und ich würde mein Publikum damit gerne berühren, sie eintauchen lassen in einen Zustand tiefgreifender Melancholie, wie ich ihn erlebte, während der Dreharbeiten – denn ich denke, dass Martyrs in Wirklichkeit ein Melodram ist. Hart, gewalttätig, sehr verstörend, aber ebenso ein Melodram.

Pascal Laugier im Interview (s.o.)

Tatsächlich ist Martyrs also nicht so explizit, wie er angesichts der darin enthaltenen Gewalthandlungen hätte ausfallen können. Aber was heißt das schon, in einem Werk, in dem geschlitzt, geschossen und gehäutet und mit Rasierklinge, Schrotflinte und Vorschlaghammer getötet wird? Ist immer noch brutal, das Ding.

Persönlicher Zusammenhang

Ach, das waren noch Zeiten… Videoabend in Köln: Am 14. November 2011 sah ich mit einem Kumpel, betrunken und zu später Stunde, nach dem Kurzfilm Vanilleduft und Blutgeschmack (ausgezeichnet mit dem Deutschen Jugendfilmpreis – mit der Stimme von Larissa Rieß, inzwischen bekannt aus Neo Magazin Royale) und 30 Minuten oder weniger (enttäuschender Nachfolger von Zombieland-Regisseur Ruben Fleischer) zum ersten Mal den Film Martyrs. Jener Kumpel hatte ihn mitgebracht, ein »krasser Film« sei das.

Ich erinnere mich noch, dass wir uns über einige Logiklücken lustig machten und ich gen Ende dachte: Was für ein dumpfer Torture Porn ist das denn!? Besagter Kumpel war fasziniert vom Finale und der Pointe. Ich fand das ganze Ding nicht so dolle und war mir sicher, Martyrs »einmal und nie wieder« gesehen zu haben.

Einmal und nie wieder und noch einmal

Stattdessen aber, um über den neuen Film Ghostland (2018) von Pascal Laugier besser schreiben zu können, zog ich mir 7 Jahre später dessen extremsten Film tatsächlich nochmal rein… aus Gründen der Vollständigkeit oder was weiß ich. Und sogar das amerikanische Remake davon. Aus Gründen, die ich rückblickend so gar nicht mehr nachvollziehen kann.

Jedenfalls musste ich überrascht feststellen, wie vieles mein Hirn von all dem fleißigen Filmkonsum vergangener Jahre doch wieder vergessen hat (was vielleicht am Captain-Morgan-Konsum während damaliger Videoabende lag, Rätsel über Rätsel, die wohl nie beantwortet werden…)

Den Prolog von Martyrs zum Beispiel, den hatte ich komplett vergessen…

Close-up: Martyrs im Fokus

Erster Eindruck | zum Inhalt des Films

Der Film beginnt mit einem Mädchen, das verstört, verdreckt, mit kurzgeschorenen Haaren und in blutbesudelter Unterwäsche von einem Industriegelände flieht. Sie rennt und schreit und Schnitt. Es folgt ein Vorspann im Super-8-Look, dokumentarische Filmaufnahmen aus dem Jahr 1971, in dem jenes Mädchen von der Polizei gefunden und in einem Waisenhaus untergebracht wird. Die Tatort-Begehung der Polizei erbringt keine Hinweise und das verstörte Mädchen mit dem Namen Lucie schweigt. Nur zu einem anderen Mädchen im Waisenhaus, Anna, baut sie Vertrauen auf. Sie schlafen gemeinsam in einem Raum, in dem Lucie nachts die traumatischen Erfahrungen in Form einer Grauengestalt heimsuchen…

Aber na ja, gääähn. Dieser komplette Prolog ist (obwohl technisch und visuell toll gemacht) dermaßen mit Horrorfilm-Klischees gespickt, das mein Hirn ihn wohl unter »ferner liefen« versenkt und vergessen hatte.

Bleibender Eindruck | zur Wirkung des Films

Der eigentliche Horror – mit einer Szene, die im Gedächtnis bleibt – beginnt nach 8 Minuten oder eher: »15 Jahre später«, so die Einblendung nach dem Titel. Wir sehen eine Familie am Frühstückstisch. Vater, Mutter, Tochter, Sohn (letzterer gespielt von Xavier Dolan, der später als gefeierter Jungregisseur reichlich berühmt werden sollte). In der Küche wird einander liebevoll geneckt.

Das Beste an einer Familie – man ist nie allein!
Das Schlechteste – man ist nie allein.

Alter Kalenderspruch

Das alltäglich-zänkisch-harmonische Beisammensein wird jäh unterbrochen, als es an der Tür klingelt. Der Vater öffnet und muss als Erster dran glauben. Wenige Minuten später ist die gesamte Familie tot. Dermaßen kalt und konsequent hingerichtet, dass etwaige Langweile ob des abgelutschten Prologs futsch ist und selbst gestandene Horror-Begeisterte gebannt vorm Bildschirm sitzen.

Der Film wird das Haus, das soeben Schauplatz eines Blutbads geworden ist, nur noch für ein paar gekonnt eingeflochtene, kurze Rückblenden verlassen. Ansonsten spielt sich die weitere Handlung eben dort ab, wo die scheinbar so harmlose Familie wohnte: Die erste Hälfte des Films ist im Erdgeschoss angesiedelt, die zweite Hälfte im Keller. Die letzte halbe Stunde ist dominiert von einem »Martyrium«, so muss man’s wohl verstehen. Das heißt: minutenlange, dumpfe Folter ohne Aussicht auf Entkommen (heißt auch: ohne Spannung). Die Hauptfigur soll im Handlungsverlauf eine Entwicklung durchmachen, so schreibt es die Erzähltheorie vor. In Martyrs besteht diese Entwicklung darin, dass die junge Frau (Morjana Alaoui) mental und körperlich gebrochen wird. Sie dient als bloßes, wort- und willenloses Objekt einer gewaltversessenen Sekte und mehr nicht.

Mädchen schlagen

In der ersten Hälfte steht diese Frau noch im Dienste ihrer Geliebten, die wiederum eine von ihren Dämonen Getriebene ist. Kurzum: Die Hauptfiguren von Pascal Laugiers Martyrs lassen sich schwerlich als Subjekte mit freiem Willen bezeichnen. Da liegt es nahe, mal einen feministischen Blick auf den Film zu werfen. Dazu die Filmbloggerin Ariel Schudson:

Was ich gesehen habe, war ein Regisseur, der sich daran aufgegeilt hat, Mädchen zu schlagen – weil er das in einem Film machen darf. Das ist… na ja, Kunst-  und Meinungsfreiheit und so, aber meine freie Meinung lautet, dass es ein armer Gebrauch dessen ist. Zumal es ein guter Film hätte werden können.

Das Konzept war verblüffend. Der erste Akt war intensiv, gut gemacht, dramaturgisch ausgefeilt und das Timing war wundervoll. Ich hab den Fucker genossen. Aber sorry. Ich denke nicht, dass das Märtyrer-Konzept dadurch vermittelt wird, dass meine Augäpfel geprügelt werden mit Bildern von ihrem zerbrechenden Körper.

Das nächste Mal, wenn jemand zu mir sagt, Martyrs sei ein verstörender Film, dann werde ich kontern müssen mit: Bitte verwechsele verstörend nicht mit abstoßend. Es ist ein schmaler Grat, und wenn der Film nur die Kontrolle über sich behalten hätte, nicht versucht hätte, einen Kotau vor den Folter-Pornografen dieser Welt zu machen, dann hätte er ein echt Meisterwerk werden können. Darüber, was man mit Gewalt, der Gedankenwelt und den Ideen von Religiosität und Schmerz machen kann.

Ariel Schudson, in: Martyrs & Misogyny: Simply Disturbing, or Disturbingly Simple? (aus dem Englischen)

Der magische Schnitt und anderer Bullshit

Noch kurz was zur inneren Logik: Diese Luke, die in den Keller führt, mit einer Leiter… vom Szenenbild her ne schöne Sache, für die Handlung ein bisschen – schwierig? Es gibt die Szene, in der Anna eine Frau aus dem Keller befreit. Letztere ist in einem fürchterlichen Zustand, abgehungert, schwach, und hat eine Metallvorrichtung an den Schädel genagelt (!) bekommen, die sie blind macht. Anna geleitet diese arme Frau, die kaum gehen und schlecht sehen kann, also durch den Keller und – Schnitt! – durchs Obergeschoss. Wie hat sie die Frau denn die Leiter hoch durch die Luke gekriegt?

Andere Szene: Anna wird im Obergeschoss von den Bösewichten an den Haaren gepackt, weggezerrt und – Schnitt! – durch den Keller weitergezerrt. Ob sie Anna an der Luke kurz losgelassen haben, damit sie selbst hinabsteigen kann? Oder haben sie Anna an den Haaren herabgelassen? Aber okay, das sind technische Details, die man ignorieren kann.

Am Ende aber versammelt sich eine Runde älterer Damen und Herren, die ihre Märtyrerin feiern wollen. Man hat Anna also so lange gefoltert und ihr schließlich die Haut abgezogen, dass sie – kurz vor ihrem Ableben – Visionen hat, die nicht von dieser Welt sind. Ich zitiere einen Vorsprecher der Sekte, der sich an die Versammelten richtet (übersetzt aus dem Englischen):

Erklärung? Zweifelsohne fragwürdig

[…] Zwischen 12:15 und 2:30 Uhr sah Anna ins Jenseits und die dahinter liegende Welt. Sie haben mich richtig gehört. Ihr ekstatischer Zustand dauerte 2 Stunden und 15 Minuten. Das war keine Nahtoderfahrung. Es gibt keinen Zweifel daran, dass ihr Märtyrertum authentisch war. Um 2:30 Uhr verließ sie den Zustand…

Stop, stop, stop, mit so einem flauschigen Nebensatz kommt ihr nicht davon! Es gab »keinen Zweifel« an den Aussagen dieser euch feindlich gesinnten, wenn überhaupt noch bei Sinnen seienden, endlos gefolterten, im Schmerzdelirium wabernden Zeugin? Warum denn nicht? Was hat sie so glaubwürdig gemacht? Abgesehen davon, dass ihr Irren sicher nur gehört habt, was ihr hören wolltet… ach, ich fürchte, mit dieser lahmen Ausrede kann man jede noch so verkorkste Story rechtfertigen: Die Protagonisten sind halt irre.

Dasselbe Argument kann Pascal Laugier aus zu seinem nächsten, noch hanebücheneren Film auftischen: Es sind halt alle irre. Ein ähnlich dämliches Argument kann Laugier anwenden, wenn die »Warum ausgerechnet Gewalt gegen Frauen?«-Frage fällt: Eine ältere Dame, das Oberhaupt der Sekte, erklärt feierlich, dass ihre langjährigen Studien ergeben hätten, dass junge Frauen für ein Martyrium am besten geeignet seien. Warum? Darum. Isso. Erklärung Ende.

Ja, ok. Find ich doof. Aber…

Das Remake: Martyrs (2015)

…es geht immer noch ein bisschen doofer. Dazu verlasse man sich einfach auf die Amerikaner und ihren Hang zu unnötigen Remakes. Ein solches gibt es natürlich auch zur Martyrs, unter demselben Titel, aus dem Jahr 2015.

Das Remake beginnt mit einem Mädchen, das von einem Industriegelände flieht. Weniger verstört und verdreckt als im Original und ohne kurzgeschorene Haare, weil, naja, ach, keine Ahnung, war wohl einfacher so. Schon während dieser Szene werden die Vorspann-Titel eingeblendet: »Directed by Kevin Goetz & Michael Goetz«. Mh, da hättet ihr euch ein »Goetz« doch schenken können, Jungs, dachte ich noch… aber siehe da: die Gebrüder Goetz hätten sich den ganzen Film schenken können. Das Remake ist in jeder Hinsicht billiger produziert, als das Original, zum Fremdschämen schlecht. Es sei denn, der Film versteht sich als Trash-Kunst à la The Asylum – aber selbst diese Filmproduktionsgesellschaft (verantwortlich für Titanic 2, Nazi Sky, Sharknado und ähnliche Perlen) würde das Martyrs-Remake vermutlich aufgrund »mangelnder Ambitionen« schelten.

Fazit zu Martyrs

Auf Festivals wurde Pascal Laugier beschimpft und gefeiert. Ich hätte vermutlich dazwischen gesessen und einfach nicht geklatscht. Der letzte Akt war mir zu stumpf, die Auflösung schlicht dämlich.

Horror sollte meiner Ansicht nach kein vereinendes Genre sein. Es muss teilen, schocken, Brüche hinterlassen in den Gewissheiten der Zuschauer*innen und ihrem Hang zu einer Art Konformismus. Horror ist grundsätzlich subversiv. Sonst sehe ich darin keinen Sinn.

Pascal Laugier

Subversiv im Sinne von aufrüttelnd, nehme ich an. Zerstörerisch, Konventionen aufbrechend, zu Streit anregend, aus dem Neues erwächst – ja! So sollte Horror sein! Allein, dass Laugiers vorheriger Film (Haus der Stimmen) zu gehaltlos und sein nachfolgender Film (The Tall Man) zu absurd ist, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Laugiers vierter und neuster Film (Ghostland) vereint die Brutalität aus Martyrs mit den Twists aus The Tall Man und funktioniert als solider Horrorfilm, seine aufwändigste und technisch beste Arbeit bis dato. Der letzte gesprochene Satz aus Ghostland scheint mir – »subversiv« hin oder her – den Antrieb von Pascal Laugier (der bisher all seine Drehbücher selbst schrieb) mehr auf den Punkt zu bringen:

I like to write storys.

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Deutscher Jugendfilmpreis 2018 – die Jury und die Gastgeberstadt http://www.blogvombleiben.de/deutscher-jugendfilmpreis-2018-die-jury/ http://www.blogvombleiben.de/deutscher-jugendfilmpreis-2018-die-jury/#respond Wed, 20 Jun 2018 07:06:38 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=3923 Anfang dieser Woche bin ich von einer Reise nach Polen heimgekehrt. Verwandte in Jawor besuchen und Jurassic…

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Anfang dieser Woche bin ich von einer Reise nach Polen heimgekehrt. Verwandte in Jawor besuchen und Jurassic World in Breslau anschauen. Schöne Städte, tolle Dinos, prima Reise. Ende der Woche geht’s gleich weiter, Richtung Hildesheim. Auch dort stehen ebenfalls Filme auf dem Programm. Allerdings kürzere Streifen von jüngeren Kreativen, beim Bundes.Festival.Film.! Nach der Sitzung der Jury im März (hier geht’s zum Rückblick) bin ich gespannt, die Köpfe hinter den Projekten kennenzulernen!

Hildesheims Tochter und Filmdeutschlands Nachwuchs

Von Freitag bis Sonntag, 22. bis 24. Juni ist das Bundes-Festival.Film. in Hildesheim zu Gast, und damit zum ersten Mal in Niedersachsen. Zur Umsetzung arbeiten Ministerien, Behörden und Facheinrichtungen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene zusammen – das hat schon Tradition: Bereits 1988 wurde das Deutsche Kinder- und Jugendfilmzentrum (KJF) mit der Durchführung dieses Festivals beauftragt, vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ, so die offizielle, etwas zungenbrecherische Abkürzung). Das Bundes.Festival.Film. ist ein Wanderfestival.

Hinter der Idee mit dem Bundes.Festival.Film. an immer neuen Austragungsorten zu gastieren, steckt der Anspruch, dass sich das Festival und die jeweiligen lokalen Veranstaltungspartner gegenseitig mit frischen Impulsen bereichern. | Thomas Hartmann, Festivalleiter / Deutsches Kinder- und Jugendfilmzentrum

Diane Krüger und die Stadt Hildesheim, dazu der Text: Deutscher Jugendfilmpreis, die Jury und die Gastgeberstadt

Impulse für die Weiterentwicklung

Im Auftakt 1988 jedenfalls wurden beeindruckende 350 Videos zu dem Wettbewerb Jugend und Video eingereicht. Ausgetragen wurde das erste Bundesfestival übrigens in Bonn, damals noch Bundeshauptstadt. Hier habe ich mal die Historie zusammengefasst: Deutscher Jugendfilmpreis – wie alles begann

Seither setzt das Festival jährlich Impulse für die Weiterentwicklung der Film- und Medienarbeit in den gastgebenden Regionen und beteiligt die jeweiligen Partner an der inhaltlichen Ausgestaltung und Organisation der Veranstaltung. In der Kulturstadt Hildesheim trifft das Bundes.Festival.Film. auf besonders engagierte Mitveranstalter und Kooperationspartner.

So heißt es in einer aktuellen Pressemitteilung zum Bundes.Festival.Film., in der auch Dr. Ingo Meyer zitiert wird, stolzer Oberbürgermeister der Gastgeberstadt Hildesheim:

Der Film ist ein zentraler und populärer Bestandteil der Kultur in Hildesheim. Dank der renommierten kulturwissenschaftlichen Studiengänge der Hochschulen gilt Hildesheim als Ideenschmiede und Ausbildungsstätte für Kunst und Kultur.

Im Jahr 2019 soll das Bundes.Festival.Film noch einmal in der Stadt Hildesheim gastieren.

Da, wo die Diane herkommt

Eine berühmte Tochter der Stadt Hildesheim ist übrigens die Schauspielerin Diane Krüger, bekannt aus Meisterwerken wie Inglorious Basterds und Mr. Nobody (beide aus dem Jahr 2009). In Mr. Nobody werden bekanntlich auf grandiose Weise die Zeitebenen aus dem Leben eines Helden (gespielt von Jared Leto) miteinander verstrickt. Wir begleiten ihn als Kind und Mann und Greis, generationsübergreifendes Storytelling, ja ja… hey, apropos Generationen!

Ein weiteres Merkmal des Wanderfestivals ist sein generationsübergreifender Ansatz. Sowohl dem Bundesministerium als auch dem Land Niedersachsen ist dieser Aspekt wichtig. Das Teamwork von jüngeren und älteren Filmemachern werten sie als demokratiebildend und bestens dafür geeignet, eine positive Gesprächskultur unter den Teilnehmenden und Gästen des Festivals zu stiften.

Who is Who – die Jury hinterm Deutschen Jugendfilmpreis

Das ist Pressemitteilungs-Deutsch für: »Hier kommen Jung und Alt ins Gespräch.« Aus Hunderten von Einreichungen schafften es nach Sichtung durch das Vorauswahl-Gremium rund 100 Filme in die Auswahl, die von der 5-köpfigen Jury im März gesichtet und besprochen wurden. Hier mal eine kleine Vorstellungsrunde der Damen und Herren, mit denen ich da vor einigen Monaten im dunklen Kämmerchen über Filme von Kindern und Jugendlichen diskutieren durfte:

Philipp Eichholtz, Stargast und alter Hase: Zum wiederholten Male in der Jury zum Deutschen Jugendfilmpreis am Start, ist Philipp Eichholtz, seinerseits gestandener Regisseur. Sein Film Rückenwind von vorn mit Victoria Schulz eröffnete in diesem Jahr die Perspektive Deutsches Kino auf der Berlinale, andere Werke von ihm (wie der wundervolle Luca tanzt leise mit Martina Schöne-Radunski) laufen bei Netflix und dem Indie Film Netzwerk realeyz. Philipps neuester Film Kim hat einen Penis wird in der Reihe »Neues Deutsches Kino« beim Filmfest München seine Weltpremiere feiern.

Ilona Herbert arbeitet als Redaktionsleiterin in der Jugendfernsehredaktion matz im Medienzentrum München, wenn sie nicht gerade in klösterlicher Abgeschiedenheit in einer Bande Filmenthusiasten Filme suchtet und ihren Senf hinzugibt. Dabei war Ilonas Perspektive bei der Jurysitzung im März stets besonders kenntnisreich: Gerade aus dem süddeutschen Raum hatte sie die jungen Filmemacher*innen, deren Werke wir sichteten, bereits auf dem Schirm und kannte sie von anderen Festivals, bei denen sie ebenfalls mit in der Jury sitzt. Sie ist auch Mitveranstalterin des Münchner Jugendfilmfests flimmern&rauschen.

Verschiedene Blickwinkel

Louis Huwald, das Jury-Küken mit dem Blick fürs Künstlerische. Louis und ich wurden als ehemalige Teilnehmer zur Jurysitzung eingeladen. Mit Grün Blau Gelbe Legosteine räumte Louis noch im Vorjahr (2017) einen der Wettbewerbs-Preise ab. In diesem Jahr entschied der frisch eingeschriebene Student an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf mit, welche Filme 2018 ausgezeichnet werden sollen. Er selbst zeichnete sich dabei durch die Fähigkeit aus, seinen eigenen Geschmack voll in den Hintergrund zu stellen und die ganz eigenen Stärken eines Werks zu bemerken. Als freischaffender Filmeditor und Montage-Student galt sein Blick dabei nicht selten dem Schnitt.

Vera Schöpfer leitet seit 2014 die Junge Akademie für Dokumentarfilm YOUNG DOGS im Dortmunder U. Damit einher geht ein Faible für Dokumentarfilm, das bei der diesjährigen, fiktionslastigen Filmauswahl ein wenig kurz kam. Vergangenes Jahr hat Vera, ihrerseits ehemalige KHM-Studentin und selbst Filmemacherin, die Geschäftsführung im Scope Institute übernommen. Dabei handelt es sich um eine gemeinnützige Bildungseinrichtung für Film und digitale Medien in Köln. Kommendes Wochenende wird Vera aber anderorts unterwegs sein: Sie ist in Hildesheim mit dabei, wenn wir Jury-Mitglieder*innen die Ehre haben, die Filmemacher*innen hinter den Werken persönlich kennenzulernen und auszuzeichnen!

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CARGO von Yolanda Ramke, Ben Howling | Film 2018 | Zerriss http://www.blogvombleiben.de/film-cargo-2018/ http://www.blogvombleiben.de/film-cargo-2018/#respond Mon, 04 Jun 2018 07:00:02 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=3709 Man muss einen Film schon aufmerksam schauen, um sich einen ordentlichen Zerriss erlauben zu dürfen. Den…

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Man muss einen Film schon aufmerksam schauen, um sich einen ordentlichen Zerriss erlauben zu dürfen. Den Anfang des Films Cargo – einem Netflix-Original, das im Mai 2018 erschienen ist – den habe ich wohl nicht aufmerksam genug gesehen. Das musste ich bei meiner späteren Recherche feststellen. Okay, dadurch fällt ein Teil meiner Kritik flach. Aber es kommt ein neuer Teil hinzu. Und es bleibt ein Zerriss. Und was für einer! Nichts als Fetzen werden von Cargo übrig bleiben, wenn ich mit dem Filmfraß fertig bin!

Watson auf Irrwegen

Um mein Missfallen über Cargo in geeignete und nachvollziehbare Bahnen zu lenken, wähle ich die Form des rekonstruierten Gedankenprotokolls unter Ergänzung und Richtigstellung später recherchierter Details. Das wird dem Film gerechter als nötig, aber es soll ja ein anständiger Zerriss werden. Unter Wahrung der Fairness.

Hinweis: Liebe Leser*innen, dieser Text wird ein Spoiler-Feuerwerk! Ich meine es dabei nur gut mich euch. Cargo sind 100 Netflix-Minuten, die ihr euch schenken könnt. Nach den folgenden rund 10 fluffigen Leseminuten (länger soll dieser Disstrack nicht dauern) gibt’s zur Belohnung einen kleinen Lifehack. Denn das zweifelhafte Sehvergnügen des Films Cargo lässt sich auch in einem Bruchteil der Spielfilmdauer genießen.

Schauspieler Martin Freeman in dem Film Cargo
Genau, Martin. So hab ich beim Sichten deines neuen Films auch geschaut. | Bild: Netflix.

Prämisse: Vom Porno-Typen reingelockt

Ausgangssituation. Ich auf Netflix, sehe: Oh, kürzlich hinzufügt! Ein Film mit Martin Freeman! Mr. Bilbo »Hobbit« Beutlin, Dr. Watson, der Pechvogel aus Fargo, der Porno-Typ aus Tatsächlich… Liebe, Mann, ich mag dich! Nix über den Film gelesen, keinen Trailer gesehen, einfach mal auf »Play« gedrückt. Wird schon gut sein, wenn der Martin da mitmacht, ja ja. Das Thumbnail zeigte Martin Freeman mit einem dunkelhäutigen Kind (jedenfalls dunkelhäutiger als Martin, diese britische Kalkleiste). Zu zweit unterwegs in irgendeiner Art von Pampa, irgendwie dachte ich: Vielleicht so ein Grenzgänger-Film wie Babel, hatte noch das Bild von der armen Frau darin im Kopf, die mit den Kindern durch die Wüste zwischen Mexiko und den USA stolpert… ja, das könnte doch sein. Das würde gut zu Martin passen.

Protokoll: Von Minute 1 an skeptisch

Minute 1. Cargo beginnt mit der Luftaufnahme von einer Steppe, in der ein paar Feuer brennen. Wie schon bei Captain Fantastic frage ich mich – immer noch geprägt von der Jurysitzung zum Deutschen Jugendfilmpreis – ist dieser Drohnen-Shot gerechtfertigt, oder reiner Show-Off, reine Angeberei? Bei Captain Fantastic dachte ich noch: Na ja, fette Hollywood-Produktion mit Viggo »Aragorn« Mortensen, die haben Angeben mit Kameratechnik nun wirklich nicht nötig. Aber bei diesem Netflix-Film mit Martin »Bilbo« Freeman bin ich mir nicht mehr so sicher… die Qualmsäulen der Steppenfeuer sehen verdächtig nach billigem CGI aus. | Der Eindruck wird sich später bestätigen. Es gibt auch eine völlig unnötige super-miese CGI-Brücke. Und auch abgesehen von den Computer-Effekten übersteigt der Produktionsaufwand nicht RTL-2-Trash-TV-Produktion. Ein »Netflix Original« ist definitiv kein Gütesiegel.

Minute 3. Martin Freeman schippert mit Frau (Susie Porter) und Baby (extrem süß) in einem Hausboot über einen Fluss. Durch die bisherigen Naturbilder nehme ich Australien als Handlungsort an, war wohl nix mit Grenze zu Mexiko. Aber als Martin eine andere Familie am Flussufer Geburtstag feiern sieht, zeigt ihm der Vater dieser Familie wie zur Abschreckung die Knarre in seinem Gürtel. Na, wenigstens ein bisschen amerikanischer Flair da draußen. Warum denn so feindlich gestimmt?, frage ich mich. Erste Vermutungen, dass in der Gegend irgendwas nicht stimmt.

Vielleicht ein Horrorfilm?

Minute 4. Vermutung bestätigt sich. Martin und Susie reden abends am Tisch über ihre Vorräte. Martin nimmt dabei sowas wie ein Erste-Hilfe-Set auseinander, dass er aus dem Wasser gefischt hat. Susie macht sich Sorgen, das Baby könnte verhungern. Ich sehe das ganze im englischen Original und höre (shame on me) nicht so gaaanz aufmerksam zu. Eigentlich total anmaßend gegenüber den Filmemachern und ein Ausschlusskriterium für jede*n, die oder der meint, sich nach halbaufmerksamer Sichtung das Maul über einen Film zerreißen zu dürfen. Aber keine Bange, Cargo wurde so schnell so schlecht, dass er meine voll fokussierte Skepsis auf sich gezogen hat.

Minute 8. Martin ist gerade, während Susie schlief, vom Hausboot rüber zu einem Segelboot-Wrack gerudert und hat es geplündert. Die Tür zur finsteren Kajüte unter Deck stand einen Spalt auf, dahinter gruselige Geräusche… Martin ist ohne Nachzuschauen wieder abgehauen. Kluger Mann, wäre ja auch mega dämlich und ein Horrorfilm-Klischee, da jetzt reinzulünkern. Wer weiß, was da lauert. Allein im normalen Reallife-Australien gibt’s doch ungefähr zweitausend Wassertierarten, die schon mit ihren Blicken töten können. Aber mir dämmert aufgrund der Atmosphäre, dass ich es mit einem (nicht unbedingt Reallife-)Horrorfilm zu tun haben könnte. Cool. Im parallelen Handlungsstrang verfolgt die Kamera ein Aborigines-Kind, 11-jähriger Junge, schätze ich.

It’s the apocalypse, stupid!

Bei meiner nachträglichen Szenenanalyse wird mir klar, dass bis zu diesem Zeitpunkt schon ein Endzeit-Szenario etabliert ist. Huch, wie konnte ich das nicht merken? Martin und Susie haben sich nicht einfach in der Pampa verirrt (wie ich dachte), sondern sind auf dem Hausboot sicher vor dem, was »seit Wochen da draußen abgeht«. Ich habe offenbar beschämend wenig von dem englischen Dialog ordentlich verstanden, wird mir klar. Reue und Unbehagen, aber na ja.

Minute 12. Jetzt schläft Martin, nachdem er Susie die geplünderten Vorräte zeigt. Das rettet sie über die nächste paar Monate, juchee! Aber Susie, anstatt happy damit, rudert heimlich nochmal rüber zu dem Grusel-Wrack. Möge das mega dämliche Horrorfilm-Klischee-Verhalten beginnen… auch sie bemerkt die spooky Kajütentür. Auch sie will umdrehen und abhauen – doch Susie wird von irgendwas gewaltsam zurückgezogen, unter Deck.

Das seltsame Armband

Schnitt zu Martin, der aufwacht und merkt, dass Susie weg ist. Mit dem Baby schlurft er durchs Hausboot und bemerkt Blutspuren auf dem Boden. Super Setup denke ich: Was auch immer Susie auf dem Wrack attackiert hat, ist jetzt auf dem Hausboot! Wie spannend! Aber Martin öffnet die Badezimmertür und da sitzt Susie mit blutigem Bein. Okay, Spannung erstmal vorbei. Was ist denn passiert? Sie verarzten ihre Wunde und Susie schnallt sich erstmals ein strahlend weißes Armband ums Handgelenk, schaltet einen Countdown ein: 48 Stunden.

Das Armband strahlt so weiß, dass es mich ablenkt und denken lässt: ist doch bestimmt Product Placement, war da ein Hinweis, am Filmanfang? Von wegen: »Diese Sendung enthält Produktplatzierungen«, wie bei Kodachrome? Mh… was für Produkte waren nochmal in Kodachrome? Na ja, außer Kodachrome halt, die Fotofilmrollen vom Hersteller Kodak, ja, stimmt, ziemlich offensichtlich eigentlich…

Baby, was kannst du eigentlich!?

Das Armband erscheint mir wie ein futuristisches biometric device, ein Lifestyle-Gimmick mit sexy Design, vielleicht der neuste Shit von Apple? Ich fange an, darauf zu achten, und bemerke, dass dieses Armband rund alle 10 Minuten prominent im Bild ist, benutzt wird, später Besitzer wechselt, bis sogar das Baby damit rumspielt (und meine Aufmerksamkeit – inzwischen hat sie der Film, herzlichen Glückwunsch – auf einen fetten Schnittfehler in der Baby-spielt-mit-Armband-Szene hinweist, Filmminute 79, aber das hat wohl eher das Baby als die Continuity verkackt… Babys halt, diese unprofessionellen Schauspiel-Graupen.)

Nachträglich erst vergewissere ich mich und siehe da: Diese Sendung enthält keine Produktplatzierungen. Ich hatte mich schon gewundert: Was für ein deplatziertes Marketing ist das denn, wo ich auf Teufel komm raus nicht erkennen kann, was für ne Marke diese Uhr da tragen soll? Stattdessen soll dieses Ding nur die eine Funktion haben: Countdown herunterzählen, 48 Stunden. Dass es so häufig im Bild ist, muss daran liegen, dass da jemand mächtig stolz auf seine oder ihre Idee war…

Hurra, die Welt geht unter – lass mal was Unnützes entwickeln

Bei dem Armband handelt es sich um eine postapokalyptische Innovation. Es wurde für die Menschen entwickelt, die sich mit dem gefährlichen Virus infiziert haben, wegen dem in Cargo alle Figuren so schlechte Laune schieben. Die Welt ist Schauplatz einer gewaltigen Epidemie, von der man im australischen Outback einfach sehr wenig sieht. Für ein niedriges Budget nicht zufällig praktisch. Um die »Endzeit« zu etablieren, zeigen wir ein paar Steppenfeuer im Auftakt und lassen die Leute dann über ihre miese Lage reden.

Ich komm derweil noch nicht auf die Vorstellung klar, dass ein Virus die Weltbewohner vor sich hertreibt, aber irgendwer die Zeit und Muße findet, hochwertige Erste-Hilfe-Kits herzustellen und bis ins australische Outback über den Globus zu streuen. Inklusive dem Armband mit dieser einen Funktion (die auch jedes Handy hat und jede*r selbst auf die Kette kriegt, der oder die kurz checkt, wo die Sonne steht und bis Zwei zählen kann, ZWEI TAGE eben.)

Was passiert denn überhaupt nach 48 Stunden? Die Infizierten werden – was auch sonst? – zu Zombies. Nach rund 20 Filmminuten, als Martin (schlecht drauf) und Susie (infiziert), das Boot verlassen haben und im Outback rumlungern, taucht der erste Zombie auf. Oha, denke ich! Hat mich kalt erwischt, diese Genre-Offenbarung. Das war dann auch die letzte Überraschung in Cargo. Oh, abgesehen davon, dass der Aborigines-Junge ein Mädchen ist!

Kino der Ereignislosigkeit

Der Film feiert jedes Klischee ab, das Zombie-Filme so populär gemacht hat. Das Besondere: Es werden keine Zombie-Massen oder Kämpfe gezeigt, der Fokus liegt eher auf dem, was zwischen den Konfrontationen Zombies/Menschen so passiert. Ein bisschen wie Richard Linklaters It’s Impossible To Learn To Plow By Reading Books also, ein Film, in dem nichts passiert, weil alle Szenen zwischen den bemerkenswerten Ereignissen des alltäglichen Lebens liegen. Der Protagonist wartet, hängt rum, ist unterwegs, wartet wieder… So ähnlich fühlt sich auch Cargo an. Nur mit Zombies. Aber ja nicht zu viele Zombies, weil Outback und wenig Budget und ach…

Natürlich passiert da schon was. Hin und wieder kommt Spannung auf, die in Rekordzeit aufgelöst wird. Ernsthaft: Einmal wacht Martin (Susie inzwischen tot) in der Steppe auf und das Baby ist weg. Oh shit! Er guckt nach links. Ach nee, da sitzt es. MANN! MACHT ES DOCH WENIGSTENS MAL FÜR 30 SEKUNDEN SPANNEND! Später gibt es sowas wie einen »spannenden Stand-Off«, der so bescheuert zustande kommt, dass ich nicht Mitfiebern konnte. Die Leute, die sich am helllichten Tag für den dunklen Tunnel als beste Route durch Zombieland entscheiden, die haben’s nicht anders verdient. Sorry, Martin und Baby.

Der Titel Cargo bezieht sich übrigens, fürchte ich, auf dieses Baby. Das ist quasi das Frachtgut (aus dem Englischen/Spanischen: cargo – Schiffsladung), das in Sicherheit gebracht werden muss. Dass durch diesen Titel ein kleiner Mensch objektifiziert wird, hätte ich woanders vielleicht kritisiert. Hier macht’s eh keinen Sinn mehr.

Cargo goes Swiss Army Man

Am Ende von Cargo wird Martin Freeman in Sachen Babyrettung kreativ – als menschlicher Packesel, der so sehr an Swiss Army Man erinnert, dass es einfach nur urkomisch ist. Leider bloß nicht so gemeint. Stattdessen strotzt das Ende vor Pathos, ist bierernst, schiebt noch ne politische, gesellschaftskritische und ökologische und haste nicht gesehen Message mit…

Dass Martin Freeman überhaupt mitgemacht hat, lag bestimmt auch an dem Titel Cargo. Das fand der Schauspieler mit dem britischen Humor nach seinem Auftritt in Fargo einfach mal witzig, für die Filmografie. Demnächst spielt er noch in Margo, Bargo oder Targo mit und wir haben alles was zu schmunzeln.

Der Cargo-Lifehack

Wie versprochen: Wer Cargo in einem Bruchteil der Spielfilmdauer sehen möchte, kann sich einfach den Kurzfilm geben, auf dem der neue Langfilm basiert. Dieser gleichnamige Kurzfilm ist schon 2013 von denselben Machern entstanden – Yolanda Ramke und Ben Howling – und hat bei YouTube sagenhaft 14 Millionen Views gesammelt. Grund genug für Netflix, einen billigen Spielfilm nachzuschieben. Viele potentielle Interessent*innen. Dabei ist vieles von dem, was ich dämlich fand (samt dem unfreiwillig komischen Ende) schon im Original drin. Immerhin: Es dauert nur 7 Minuten. Also bitte schön, stellt euch einfach vor, der Typ sei Martin Freeman:

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Mumblecore selbstbemacht – ein Kurzfilm-Schnittbericht http://www.blogvombleiben.de/mumblecore-selbstbemacht-schnittbericht/ http://www.blogvombleiben.de/mumblecore-selbstbemacht-schnittbericht/#respond Fri, 01 Jun 2018 07:18:01 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=3657 Unser neuer Kurzfilm ist fertig, juchee! Das Ding trägt den Titel AMUREUS KISS und fügt der…

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Unser neuer Kurzfilm ist fertig, juchee! Das Ding trägt den Titel AMUREUS KISS und fügt der Geschichte von Alex und Zoey ein neues Kapitel hinzu. Die finale Schnittfassung des Films wurde am selben Tag fertig, an dem das Ergebnis dann auch prompt vor Publikum gezeigt wurde, bei der Kurzfilm_Nacht #1 im Bremer Presse-Club. Ein wunderbarer Abend unter Filmenthusiasten! Ab sofort ist AMUREUS KISS jetzt auf YouTube verfügbar (siehe Video weiter unten!) und wird für eine kleine Festivalauswertung aufbereitet. Alles weitere im Schnittbericht:

Amourös im Wirbelsturm

Vor dem Schnittbericht erst noch einmal aus dem Drehbericht vom 9. Mai kurz zusammengefasst. Also: Umgesetzt haben wir unseren Kurzfilm AMUREUS KISS in einem frisch bezogenen Aachener Apartment. In dem sollte noch ne Wand schwarz gestrichen werden. Das bauten wir kurzerhand in die Filmhandlung ein. Damit übernahm der Cast das Streichen (obwohl nach Drehschluss noch ein klitzekleines bisschen nachgestrichen werden musste, wie der fertige Kurzfilm erahnen lässt). Vor der Kamera standen neben Jesse Albert (als Alex) und Stephanie Jost (als Zoey) die Kölner Schauspieler Florian Gierlichs (Noah), Swantje Riechers (Fiona) und Juliana Wagner (Mia). Idee war, das junge, Frust schiebende Ehepaar Alex und Zoey mit ein paar Freunden zu konfrontieren. Diese fegen wie ein Wirbelsturm um sie herum und bringen neuen Schwung in festgefahrene Fronten!

Florian Gierlichs, Jesse Albert und Stephanie Jost im Kurzfilm AMUREUS KISS, Titelbild zum Schnittbericht

Noah (Florian Gierlichs) ist dabei mehr als nur ein alter Kumpel von Alex. Der hat sich ja schon im Kurzfilm TCHINA WURM (2015) als »schwul oder bi – auf jeden Fall verwirrt« geoutet. Tatsächlich kommt es aber nicht nur zwischen den beiden Jungs im Laufe des Abends (an dem mehr getrunken als gestrichen wird) zu amourösen Annäherungen. Sondern irgendwie zwischen allen. So ein bisschen.

Impro sprengt den Rahmen

Gedreht haben wir den lieben langen Tag, von morgens 9 Uhr bis spätabends. Mit anschließender Drehschluss-Party, bei der die halb vollendete Wand fertig gestrichen und alle Flaschen leer gemacht wurden. Man soll einen Drehort ja ordentlich verlassen…

Das erklärte Ziel lautete, an einem Tag einen Kurzfilm zu drehen. Bloß, dass ursprünglich ein Film von 9 Minuten Spieldauer geplant war. Weil die ersten beiden Teile dieser Quasi-Kurzfilm-Trilogie (Teil 1: TCHINA WURM, Teil 2 JAW CHILLI) eben je 9 Minuten dauerten und man ja noch seine Neurosen haben dürfen wird. Na, wie dem auch sei, Pustekuchen! Das Konzept »Improvisation« hat etwaige Planungen gesprengt und aus 9 Minuten wurden rund 20 Minuten, die aus diesen 24 Stunden inklusive Aftermath, Pennen und Aufräumen hervorgehen. Wobei nur zwei Bilder im Film – gegen Ende – erst am nächsten Morgen entstanden sind: Die durchs Fenster blinzelnde Sonne und die fertig gestrichene Wand…

Kaum daheim am Schnittplatz, wollte ich mich direkt ans Sichten des Materials machen. Das gestaltete sich aufgrund der Menge an Material als knifflig. Nicht nur, dass wir am Drehtag wirklich fleißig waren und etliches Improzeugs ausprobiert haben. Gedreht wurde außerdem in 4K, einer sehr hohen Bildauflösung. Einfach nur, weil die Kamera es kann. Dabei entstehen immense Datenmengen (allein für AMUREUS KISS kam über 1 Terabyte an Rohmaterial zusammen). Dafür hat man hochwertigeres Footage, aus dem in der Nachbearbeitung mehr herauszuholen ist. Und seien es nur schöne Standbilder wie diese hier:

Impression aus AMUREUS KISS

Florian Gierlichs, Jesse Albert und Stephanie Jost in dem Kurzfilm AMUREUS KISS
Schauspielerin Stephanie Jost ist grandios darin, verschiedene Stimmungen in einer Rolle zu balancieren. Hier im Zwiegespräch mit dem facettenreichen Jesse Albert.
Die Schauspielerinnen Juliana Wagner und Stephanie Jost in dem Kurzfilm AMUREUS KISS
Hat der Rolle der kratzbürstigen Mia doch liebenswerte Facetten abgewonnen: AMUREUS KISS war meine erste Zusammenarbeit mit Juliana Wagner, beeindruckende Schauspielerin und Hundebänderin! Nicht im Bild weil unterm Tisch: Ronald.
Florian Gierlichs und Jesse Albert auf dem Balkon, Standbild aus dem Kurzfilm AMUREUS KISS
Zwei Improvisationstalente unter sich: Zwischen Florian Gierlichs und Jesse Albert stimmte die Chemie so sehr, dass deren »Beziehungskiste« im Film viel mehr Raum bekommen hat, als ursprünglich geplant.
Die Schauspielerinnen Swantje Riechers und Stephanie Jost in dem Kurzfilm AMUREUS KISS
Die Figur Fiona war auf dem Papier noch eher als guter Hausgeist zwischen den Streithähnen, eher unscheinbar. Schauspielerin Swantje Riechers hat die Rolle nicht nur mit Leben gefüllt – sondern mit ihrem ausdrucksstarken Spiel ordentlich Schwung reingebracht! Was für ne Freude, dabei zuzusehen!

Weitere Standbilder in Original-Auflösung gibt es hier zu sehen.

Wunderhübsch, charismatisch, witzig

Sind das nicht ein paar wunderhübsche Menschen, die wir da vor der Kamera versammelt haben? Und charismatisch und witzig und hach, ein Haufen zum Verlieben. JEDENFALLS: 4K heißt vier Mal so groß wie HD heißt jede Menge Gigabyte heißt Speicherplatznot. Ich möchte in diesem Schnittbericht nicht zu sehr auf langweilige technische Details eingehen. Verkürzt gesagt dauerte es nach Drehschluss noch eine Woche, ehe ich meinen heimischen Arbeitsplatz soweit aufgerüstet hatte, dass ich das Material doppelt sichern und endlich sichten konnte. Ach, darum hätte man sich ja auch vor dem Dreh mal kümmern können, meinst du!?

Kommen wir zum eigentlichen Schnittbericht… nach dem technisch kniffligen Part kam die künstlerische Herausforderung: Wie schneidet man einen Improfilm? Zunächst ist es ja kein reiner Improvisationsfilm wie der Mumblecore-Klassiker Hannah Takes the Stairs mit Greta Gerwig (2007). Einige Szenen und Übergänge basierten auf einem geskripteten Dialog, der zumindest als dramaturgische Richtschnur dienen sollte. Wie sehr sich daran gehalten wurde, mag bei Interesse jede*r für sich selbst nachlesen, hier gibt’s das Drehbuch zu AMUREUS KISS als PDF. Nun glichen unsere Dreharbeiten auch nicht denen des deutschen Mumblecore-Films Papa Gold von Tom Lass (2011), bei dem angeblich kein Take wiederholt wurde. Bei der Vorstellung schaudert’s mir regelrecht. Ich gehöre zu den Filmemachern, die lieber ein paar Takes zu viel von einer Szene machen. Man mag argumentieren, damit verbraucht sich die Frische des Spiels oder Authentizität oder sonstwas. Spätestens am Schnittplatz bin ich froh, ein wenig Auswahl zu haben.

Auf die Rundheit kommt’s an – was ist die Rundheit?

Kurzum: Ich hatte eine Handvoll Szenen vor mir, die wir allesamt mehrmals aus verschiedenen Einstellungen gedreht haben, zum Teil lose auf einem Drehbuch basierend, zum größeren Teil frei improvisiert, zuweilen von Take zu Take unterschiedlich. Mir persönlich hat diese variationsreiche und freie Arbeitsweise sehr gefallen. Die Szenen sind in sich weniger rund, da ihre Anfänge und Enden weniger streng durchkomponiert sind. Stattdessen fühlen sie sich alltäglicher und damit echter an. Alltäglich heißt jedoch auch banal, daher kam es am Ende auf Auswahl und Blickwinkel an.

Wie soll von diesem Abend unter Freunden erzählt werden, damit sich daraus eine Geschichte ergibt, die trotz offener Szenen eine runde Sache ist?

Filmposter zum Kurzfilm AMUREUS KISS

Denn »rund« ist wichtig, denke ich. Diesen Anspruch stelle ich an einen Storyteller, dem ich meine Aufmerksamkeit schenke. Nach der Geschichte soll sich das Gefühl einstellen, ein dramaturgisch durchdachtes Werk oder (in Serien gedacht) Kapitel gesehen zu haben. Das hat nichts damit zu tun, ob der Ausgang eines Handlungsstrangs offen bleibt oder alle Fragen beantwortet werden. Letztlich ist keine Geschichte jemals zu Ende erzählt. Aber eben deshalb könnte ich eben so gut einfach aus dem Fenster sehen, das Leben betrachten, den zig Geschichten um mich herum folgen, die sich ständig und gleichzeitig abspielen, daran die schönen Momente entdecken.

Auf die Momente verdichtet

Warum einen Film sehen? Weil ein Film, sofern gelungen, eben »rund« ist. Heißt: das Leben und seine Geschichtenvielfalt verdichtet und einen Fokus gelegt auf die schönen oder bemerkenswerten Momente. Na, man kann viel darüber reden und hat am Ende doch nichts gesagt. Die lieben Leser*innen mögen selbst entscheiden, ob es im Fall von AMUREUS KISS geklappt hat, diesem eigenen Anspruch gerecht zu werden.

Der fertige Film ist nun auf YouTube zu sehen. Wenn er gefällt, würdest du mir einen großen Gefallen damit tun, meinen YouTube-Kanal weiterzuempfehlen und bestenfalls selbst zu abonnieren  (ein kleiner Klick für dich, ein großer Schritt auf meinem Weg in den »Selbständig von Webcontent leben können«-Modus – und ein fettes DANKE vorweg!). Hier ist er, unser Kurzfilm AMUREUS KISS:

Die Musik in AMUREUS KISS

Kein Schnittbericht ohne ein Wort zur Audiospur! Als Fan der isländischen Band Sigur Rós bin ich vor rund 10 Jahren auf ein inoffizielles Musikvideo zu dem Song Inní mér syngur vitleysingur aufmerksam geworden. Es zeigt einfach nur zwei Frauen und einen Mann im Auto, wie sie auf das Lied abgehen. Sehr sympathisch, macht gute Laune. Es hat mich auf weitere Videos des Mannes aufmerksam gemacht, der darin die Kamera »führte« (wenn man das bei dem spontanen Beifahrer-Dreh so sagen kann). Sein Name ist Pavel Ruminov, ein russischer Regisseur, der neben solch rauen Musikvideos in Homevideo-Ästhetik auch wundervolle, preisgekrönte Spielfilme dreht.

Außerdem ist der Tausendsassa als Musikproduzent unterwegs. Er arbeitet unter anderem mit der russischen Band Sherlock Blonde zusammen. Deren großartig stimmungsvoller Sound floss bereits in die Kurzfilme TCHINA WURM und JAW CHILLI mit ein. Für AMUREUS KISS habe ich nun einmal mehr auf das kongeniale Duo Pavel Ruminov und Natalya Anisimova (die Frontsängerin von Sherlock Blonde und Schauspielerin in Pavel Ruminovs Filmen) zurückgegriffen und drei Songs verwendet, die sie unter dem Bandnamen To Live And Die In Moscow herausgebracht haben. Seit fünf Jahren stehe ich mit Pavel im Mailkontakt, bin begeistert von seinem Antrieb und Schaffen und sage DANKE!, dass wir diese tolle Musik verwenden dürfen.

Algiedi von Konstantin Reinfeld

Doch AMUREUS KISS lebt nicht nur von den drei russischen Songs, sondern auch einem besonderen Score. Die instrumentale Untermalung diverser Szenen stammt von dem Musiker Konstantin Reinfeld. Diesen lernte Hauptdarsteller und Moderator Jesse Albert beim SpokenWordClub in Köln kennen und brachte seine Musik ins Gespräch. Als Mundharmonikaspieler und Komponist hat Konstantin Reinfeld 2015 das Album Algiedi herausgebracht, aus dem ich schließlich eine herrlich abwechslungsreiche Auswahl an Songs für AMUREUS KISS verwenden durfte. Auch dafür vielen Dank! Hier geht es zur offiziellen Website von Konstantin Reinfeld.

Schnittbericht-Fazit: Mumblecore, ja oder nein?

Ist AMUREUS KISS nun ein Mumblecore-Film geworden, wie ursprünglich geplant? Ehrlich gesagt, fürchte ich, nicht ganz. Dafür tragen Inszenierung, Tempo und Musikeinsatz zu sehr die aufdringliche Handschrift, die sich schon in TCHINA WURM und JAW CHILLI abgezeichnet hat. Der Kurzfilm erfüllt einige Mumblecore-Elemente, ist jedoch nicht rein genug, um als echter Mumblecore zu gelten. Dazu hätte es mehr Mut bedurft, das Tempo weiter herausnehmen und die Zügel in Sachen Dramaturgie noch mehr aus der Hand zu geben. Schnittbericht Ende.

In jedem Fall aber war es ein spannendes Projekt! Danke an alle Beteiligten, es war mir eine Freude und Ehre, mit euch zusammenzuarbeiten! Oder mit den Worten Sherlocks:

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AMUREUS KISS auf der Kurzfilm_Nacht #1 im Bremer Presse-Club http://www.blogvombleiben.de/kurzfilm_nacht-im-bremer-presse-club/ http://www.blogvombleiben.de/kurzfilm_nacht-im-bremer-presse-club/#respond Fri, 25 May 2018 07:00:10 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=3336 In fetten weißen Buchstaben steht’s auf der knallroten Wand: »UMBRUCH«. Davor ist im großen Halbkreis ein…

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In fetten weißen Buchstaben steht’s auf der knallroten Wand: »UMBRUCH«. Davor ist im großen Halbkreis ein Sammelsurium von Sesseln und Sofas auf eben diese Wand ausgerichtet. Von der Decke hängen Glühbirnen an langen Kabeln, baumeln im Raum, glimmen schwach. Und dort hängt eine Leinwand. Sie ist der Blickfang, heute Abend, in einer Location, die irgendwas zwischen Wohnzimmer und Baustelle ist. Willkommen zur Kurzfilm_Nacht #1 im Bremer Presse-Club!

Kurze Filme, lange Nacht, kleiner Rückblick

Da hat jemand eine Gelegenheit gesehen und sich ordentlich ins Zeug gelegt – und dieser Jemand heißt Andreas Kurowski. Im Laufe des Mittwochabends, nach dem zweiten Haake-Beck, wurde mir langsam klar, wo ich überhaupt bin und was es mit der Location auf sich hat. Es war ein langer Tag, muss ich zu meiner Verteidigung sagen.

Der Kurzfilm AMUREUS KISS auf großer Leinwand bei der Kurzfilm_Nacht #1 Bremer Presse-Club. | Bild: Andreas Kurowski
Der Kurzfilm AMUREUS KISS auf großer Leinwand im Bremer Presse-Club. | Bild: Andreas Kurowski

Das Gegenteil von Schwarmintelligenz

Ich habe diesen Tag zur Hälfte am Schnittplatz in Aachen verbracht – und zur anderen Hälfte auf der Autobahn, A1 Richtung Bremen. Dort tankte ich meine Abneigung gegen lichthupende Audis und meinen vor Straßenstaub starren VW Polo auf. Und stillte meinen Durst nach Kaffee, der an der Tanke nur eimerweise ausgeschenkt wurde. Hat mich und meinen Polo auch nicht schneller gemacht, aber paranoider. Auf deutschen Autobahnen fühle ich mich zunehmend wie Mr. Duke im Fledermausland. Kann’s einfach nicht abwarten, bis künstliche Intelligenz endlich menschliche Audifahrer ablöst.

Keiner meiner Artgenossen kann mir glaubwürdig verklickern, er oder sie hätte bei 130 Sachen auf der Piste die Situation unter Kontrolle. Was ist das Gegenteil von »Schwarmintelligenz«? Das Wort würde ich gerne anwenden, auf Hunderte von Homo sapiens, die selbstsicher in Blechkisten dicht an dicht über Asphalt schießen, ohne miteinander kommunizieren zu können. Von einander blenden und anblöken mal abgesehen.

Bremen und umzu

Wo war ich stehengeblieben? Nahe Münster, um den Regisseur Mark Lorei einzusammeln. Mit ihm ging es weiter zum Zielort, Bremen. Im Hansestädtchen an der Weser parkte ich meinen Wagen im Schnoor und betrat besagten Laden. Die gemütliche Baustelle.

Dabei handelte es sich um den Bremer Presse-Club. Ein Ort »für Journalisten, Publizisten, Blogger und alle, die sich der Medienwelt in Bremen und umzu verbunden fühlen«. Weder war ich je in Bremen, noch kenne ich die Redewendung »und umzu«. Aber seit Anfang des Jahres steht ja offiziell »Blogger« auf meiner Visitenkarte, also konnt‘ ich hier so falsch nicht sein. Außerdem kam ich auf Einladung. Nicht in meiner Funktion als Blogger, wohlgemerkt, sondern als Kurzfilm-Fuzzi. Wie, was, warum?

Kurzfilm_Nacht #1 mit Rohbau-Charme

Der Bremer Presse-Club baut um. Als Zwischennutzer hat sich ein junger Typ namens Andreas Kurowski eingenistet, ein paar Möbel reingeschoben und ne Theke hochgezogen und veranstaltet auf der Baustelle jetzt Kulturveranstaltungen mit besonderem Charme. In der Ecke steht ein Klavier, das bald wieder zum Einsatz kommen soll. Auch ein DJ hat schon aufgelegt und zur Musikmassage geladen, anderntags fand ein Kurioses Kneipen-Kwiz statt. Lauter schöne Ideen! Und am Mittwochabend stand auf dem Programm: Kurzfilm_Nacht #1

Als Moderator begrüßte Julius Heeke das Publikum. Er kommt, wie Mark Lorei und ich, aus der Stadt Bocholt im Westmünsterland, wo wir in unserer Jugend fröhlich Filme gedreht haben, ohne einander je über den Weg zu laufen. 80.000 Einwohner sind einfach zu viele. Big City Life. Inzwischen sind wir raus aus Bocholt und der Jugend, aber haben uns immerhin irgendwann kennengelernt.

Vier völlig verschiedene Filme

So kommt’s, dass Julius uns eingeladen hat, die Kurzfilm_Nacht #1 um ein paar Kurzfilme zu bereichern. Mit am Start waren außerdem ein paar Filmemacher aus Bremen, aber der Reihe nach.

Gespräche mit Günter Gelb

Den ersten Film steuerte der Regisseur Leonardo Re bei. Gespräche mit Günter Gelb ist »eine Hommage an die alten 60er Jahre Talkshows und Günter Gaus«. So liest es sich im Statement des Regisseurs auf der offiziellen Website des Films, die so liebevoll eingerichtet ist, wie der Film umgesetzt wurde. Und dass, obwohl wenig Zeit zur Verfügung stand: Gespräche mit Günter Gelb ist im Rahmen einer 48-Stunden-Wettbewerbs entstanden. Die eigentlichen Dreharbeiten dauerten gar nur drei Stunden, in denen mit vier Kameras gedreht wurde. Für jeden der vier Gesprächpartner*innen in der munteren Runde.

Leonardo Re war in der Kurzfilm_Nacht #1 selbst zu Gast und brachte noch ein paar schöne Anekdoten vom Dreh mit. Fun fact: Es wurde richtiger Alkohol getrunken, in der inszenierten Talkshow, kein langweiliger »Fake Fusel«. Doch dass es vor der Kamera drunter und drüber ging lag weniger am Promillegehalt, als daran, dass in diesem improvisierten Spektakel bewusste Fehlinformationen gestreut wurde. So wurde der arme Moderator tatsächlich mit lauter »Fake News« auf seinen Moderationskärtchen verunsichert. Coole Idee und sehr cooler Film, hier zu sehen:

SAMi

SAMi ist das Werk drei junger Filmschaffender, die Erstaunliches geleistet haben. Es geht um Helge Hoppe, der Regie und Schnitt gemacht hat, Fabian Nolte, der die Hauptrolle übernahm und mit Helge zusammen das Drehbuch schrieb, sowie Moritz Schierenbeck, der dem Film mit seiner Bildregie und Farbkorrektur einen markanten Look verlieh. Die Jungs sind Anfang 20 und damit Vertreter jener Bevölkerungskohorte, die als Generation Y oder Millennials bekannt ist. Vor allem für ihre innige Beziehung zum Internet und einer damit einhergehenden kurzen Aufmerksamkeitsspanne. Entgegen diesem Klischee haben die Filmemacher mit SAMi einen Kurzfilm abgeliefert, der sich viel Ziel lässt, seine Geschichte zu entfalten. In cineastischen Bildern, gemächlichem Tempo und getragen von dem starken Schauspiel Fabian Noltes (aka dailyknoedel) als melancholischer Kauz und Annika Buhrlichs als quirlige Schatzsuchende, erzählt SAMi vom Abschiednehmen. Abschiednehmen vom Leben an sich und dem, was man zurücklässt. Als Drehort diente dem Team dabei das Haus der verstorbenen Großmutter des Regisseurs, womit der Film eine besonders persönliche Note bekommt. Ich möchte an dieser Stelle nicht zu viel verraten. Hier kann man sich das Werk anschauen – mit Musik von Tom Rosenthal übrigens!

Sieben Stecknadeln

Die zweite Hälfte der Kurzfilm_Nacht #1 eröffnete ein Kurzfilm von Mark Lorei, den ich im Frühjahr noch bei dem Dreh seiner Webserie über Preußen und Westfalen begleitete. Mit Mark unterwegs sein, das heißt für mich Hummeln-im-Hintern-Rumzappler immer, ein paar Gänge zurückschalten zu müssen. Gelebte Entschleunigung und Schwelgen in verschiedenen Zeiten, das ist Mark Lorei. Als studierter Historiker interessieren ihn geschichtliche Stoffe. Als leidenschaftlicher Cineast setzt er sie gerne filmisch in Szene. Sieben Stecknadeln basiert gleich auf mehreren historischen Quellen wissenschaftlicher, literarischer und musikalischer Natur.

Der Film erzählt von der verzwickten Liebe eines jungen Arztes (gespielt von Wolf Danny Homann) und seiner adeligen Patientin (Leonie Rainer). Leider ist das klassisch und doch kunstvoll inszenierte Werk nicht online zu finden. Immerhin: auf der Website des Filmfestival Münsters, auf dem Sieben Stecknadeln 2017 gezeigt wurde, finden sich weitere Informationen zum Film.

Von rechts nach links: Kameramann Hans Jakob Rausch hört aufmerksam zu, während Mark Lorei vom Kurzfilm Sieben Stecknadeln erzählt. Derweil hat Moderator Julius Heeke eine Idee. | Bild: Andreas Kurowski
Von rechts nach links: Kameramann Hans Jakob Rausch hört aufmerksam zu, während Mark Lorei vom Kurzfilm Sieben Stecknadeln erzählt. Derweil hat Moderator Julius Heeke eine Idee. | Bild: Andreas Kurowski

AMUREUS KISS

Den Abschluss der Kurzfilm_Nacht #1 machte unser neuer Kurzfilm AMUREUS KISS, den ich am Anfang dieses Monats mit Jesse Albert und Stephanie Jost in den Hauptrollen gedreht habe. Mit von der Partie (vielmehr: Party, nur halt mit Fake Fusel) waren die Kölner Schauspieler Florian Gierlichs, Swantje Riechers und Juliana Wagner. Wie schon im Drehbericht geschrieben, experimentierte ich bei diesem Kurzfilm erstmals mehr mit Improvisation. Das Ergebnis: Dreharbeiten voller überraschender Momente und ein kniffliger Schnitt, bei dem es darum ging, diese Momente zu einem runden Ganzen zusammenzufügen.

Statt geplanter 9 Minuten ist der Film schlappe 20 Minuten lang geworden. Die Schnittphase endete so pünktlich es eben ging: Eine halbe Stunde vor Abfahrt nach Bremen war die finale Schnittfassung erfolgreich ausgespielt, um am selben Abend prompt vor Publikum aufgeführt zu werden. Wie unser Kurzfilm aufgenommen wurde und was den Schnitt so knifflig gemacht hat, darüber demnächst mehr, im Schnittbericht zu AMUREUS KISS. In Kürze geht auch der Film online!

Dickes Dankeschön!

An dieser Stelle nochmal Danke ans ganze Team, das die Dreharbeiten in Aachen mitgerockt hat. Ebenso ein dickes Dankeschön an Andreas Kurowski und Julius Heeke für die tolle Gelegenheit zu einer kleinen Premierenfeier auf der Kurzfilm_Nacht #1 im Bremer Presse-Club! Über weitere Veranstaltungen, die während der Umbauphase dort steigen, kann man sich auf deren Facebook-Seite informieren.

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Mumblecore selbstgemacht – ein Kurzfilm-Drehbericht http://www.blogvombleiben.de/mumblecore-selbstgemacht-ein-drehbericht/ http://www.blogvombleiben.de/mumblecore-selbstgemacht-ein-drehbericht/#respond Wed, 09 May 2018 07:00:56 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=3093 »ALLES AUSSER MUSIK« hat jemand mit Lippenstift auf den Spiegel geschmiert. Daneben baumelt die Kette der…

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»ALLES AUSSER MUSIK« hat jemand mit Lippenstift auf den Spiegel geschmiert. Daneben baumelt die Kette der Klospülung, die heute schon zweimal aus dem Spülkasten gerissen wurde. Das war nach dem ganzen Rumgeknutsche und bevor ich in eine Pfütze schwarzer Farbe getreten bin. Jetzt steh ich hier in den knallbunten Camouflage-Socken eines anderen Mannes und frage mich: Wann genau ist dieses Chaos ausgebrochen? Kleiner Drehbericht.

Alex und Zoey, Teil 3: Das große Nuscheln

Nach der grauen Filmtheorie dieser Tage, dem ganzen Lesen und Schreiben über gesehene Filme, da juckten mir die Finger. Höchste Zeit, mal wieder etwas zu drehen, das nicht Eventclip, Vlog oder Behind-the-scenes-of-Irgendwas ist, sondern ein waschechter Film. Eine kurze Geschichte in bewegten Bildern. Außerdem war’s überfällig, ein paar alte Filmfiguren aus der Versenkung zu holen. Zwei Charaktere, die ich sehr liebhabe. Also schrieb ich den Schauspielern, die diese Charaktere mit Leben füllen, und holte ein paar weitere Schauspieler und Helfer mit ins Boot. Plus einen Hund namens Ronald.

Zum Drehbericht ein Gruppenfoto von Cast und Crew
Von links: die Schauspieler Jesse Albert, Stephanie Jost, Juliana Wagner, Swantje Riechers, Florian Gierlichs und Set-Muffin-Beauftrage Sonia sowie – euphorisch im Hintergrund – Regisseur David. | Bild: Kevin Ramolla

Welche Damen und Herren standen vor der Kamera, was haben wir gedreht und wie kommt es, dass am Ende alle mit allen was hatten und ein fetter schwarzer Farbfleck die Wand am Drehort zierte? Fangen wir vor dem eigentlichen Drehbericht mal vorne an, bei der Autopanne…

Worum geht’s in unserem Kurzfilm?

Wir strickten die Geschichte von Alex und Zoey weiter. Die beiden haben sich bei einer Autopanne kennengelernt, vor 5 Jahren. Damals ist Zoeys Karre liegengeblieben und Alex hat sie mitgenommen. Eine wilde Nacht später waren sie unzertrennlich. Davon erzählt der Kurzfilm TCHINA WURM, den ich 2013 als Bewerbungsaufgabe für eine Filmschule gedreht habe. Die Rollen übernahmen zwei befreundete Schauspieler aus Köln:

Jesse Albert und Stephanie Jost.

Zusammen tanzten sie über die Kirmes, fuhren Karussell, schlugen und liebten sich und landeten in einer Totenhalle. Lange Geschichte. Na ja, nicht sooo lang, 9 Minuten:

Für die Filmschule hat’s nicht gereicht. Stattdessen für ein paar Festivals und Auszeichnungen. Die Motivation war also groß, Alex und Zoey noch weitertanzen zu lassen.

Von der Totenhalle zum Traualtar

Im Jahr 2014 brachte der US-amerikanische Regisseur Richard Linklater sein Langzeit-Projekt Boyhood heraus, in dem er über 12 Jahre die Jugend eines Jungen mitverfolgte. Die Zeit selbst s derartum Thema zu machen, wie ihr Voranschreiten die Menschen und ihr Wesen prägt, das hat mich nachhaltig beeindruckt.

2015 startete ich ein eigenes Langzeit-Projekt (Arbeitstitel: Es wird einmal…) und wollte außerdem der Geschichte aus TCHINA WURM ein weiteres Kapitel hinzufügen: Zwei Jahre nach ihrem Kennenlernen landeten Alex und Zoey daher vorm Traualtar. Der Titel des neuen Kurzfilms war wieder ein Anagramm: JAW CHILLI. Hier ist das Ding zu sehen:

Wie geht’s für Alex und Zoey weiter?

Wie würde es danach zwischen ihnen weitergehen? Diese Frage habe ich mir vor ein paar Wochen gestellt. Inzwischen sind Alex und Zoey knapp zweieinhalb Jahre ein Paar. Zwischenzeitlich hatten sie Gastauftritte in besagtem anderen Langzeit-Projekt, das seit 2015 entsteht. Da kriselte es bereits zwischen den beiden. Jetzt wollte ich das Paar mal auf die Probe stellen und eine weitere wilde Nacht erleben lassen. In Gesellschaft dreier Freunde, die wie ein Wirbelsturm um sie herumfegen.

Fotos vom Cast gibt’s unter dem Drehbericht!

Von der Theorie in die Praxis

Nun stecke ich zufällig seit einer Weile knietief in Recherchen zum Thema »Mumblecore«. Das ist ein streitbares Filmgenre, zu dem ich hier in aller gegebenen Ausführlichkeit geschrieben habe. Mal über die Geschichte des Mumblecore, mal über Mumblecore-Filme, etwa Hannah Takes the Stairs (2007) mit Greta Gerwig oder Papa Gold (2011) und Love Steaks (2013) von den deutschen Lass-Brüdern. Diese Filme vereint ein niedriger Produktionsaufwand und ein hoher Improvisationsanteil. Thematisch bewegen sie sich in der Lebenswelt junger Leute, Mitte zwanzig bis Mitte dreißig, und ihren Lebensabschnitts-typischen Problemen. In der »eigenen Lebenswelt«, kann man sagen, da die Regisseure oft im ungefähr selben Alter ihrer Protagonisten sind.

Genug von der Theorie! Ich hatte große Lust, es mal selbst auszuprobieren. Darum habe ich das nächste Kapitel über Alex und Zoey kurzerhand zu einem Mumblecore-Kurzfilm gemacht. Das war eine sehr spaßige und lehrreiche Erfahrung – aber, rückblickend, vielleicht nicht die beste Idee.

Drehbericht: Mumblecore selbstgemacht

Erst einmal: Das mit dem niedrigen Produktionsaufwand ist ja geschenkt. Die Kurzfilme, die ich seit rund 10 Jahren gerne drehe, sind immer ohne großes Budget und technischen Background entstanden. Eine Spiegelreflex-Kamera im Schulterrig und ab dafür. Damit geht ein entsprechend holpriger Look einher, für den mich befreundete Filmemacher mit etwas mehr Sinn fürs Visuelle gerne schelten. Mumblecore-Bedingung #1 ist jedenfalls erfüllt.

Mit dieser unbedarften Art zu drehen geht ein gewisser Improvisationsanteil einher, was die Bilder angeht. Bei früheren Projekten habe ich stets mit Storyboards gearbeitet (ein Beispiel), doch aktuell lasse ich mich gerne auf Drehorte und ihre Gegebenheiten ein. Weniger Erfahrung in Sachen Improvisation hatte ich, was das Skript anbelangt. Gewohnt, mit Liebe fürs Details am Drehbuch und den Dialogen zu feilen, beließ ich es dieses Mal an einer Szenenstruktur, gab grobe Inhalte und Stimmungen vor und verband diese Szenen (immerhin) mit ein paar ausformulierten Dialogen, die eher als lose Richtschnur dienen sollten: So in etwa könnte das Gespräch verlaufen…

Themen aus der eigenen Lebenswelt? Check. Alex und Zoey haben vor ein paar Jahren geheiratet und zoffen sich jetzt zu unterschiedlichen Erwartungshaltungen ans junge Eheleben. Typisches Um-die-30-Thema also, läuft. Da ich selbst bald heirate, ist es auch durchaus die »eigene Lebenswelt«. Wobei ich hoffe, dass unser Kurzfilm sich nicht als prophetisch entpuppt, denn zwischen Alex und Zoey brodelt es ziemlich. (Mumblecore hin oder her, Otto-Normalos dürfen ihre Filme gerne etwas melodramatischer als ihr eigenes Leben gestalten, sonst: Schnarch!)

Was war das für 1 Drehtag!?

Damit waren drei Bedingungen erfüllt, um einen astreinen Mumblecore-Film hinzulegen. Allein, dass wir ein bisschen wenig Zeit eingeplant haben: An einem Tag (Freitag, 4. Mai) wollten wir das Ding drehen, tutto completti. Dazu trafen wir uns morgens in einer Wohnung nahe der Digital Church in Aachen. Ein Freund – der Fotograf und Filmemacher Kevin Ramolla, hier geht’s zu seinem Foto-Portfolio – ist dort so frisch eingezogen, dass die Bude noch recht spartanisch aussieht. Wenige Möbel oder Bilder an den Wänden, viel Raum zum Austoben. Dass Kev noch eine Wand streichen wollte, hatte ich ins Drehbuch eingebaut und Streich-Zeugs mitgebracht. Die Farbe seiner Wahl war tatsächlich Schwarz. Aber ansonsten geht’s ihm gut.

Der Retter in der Klo

Also strichen wir schwarz. Und weil’s mehr Spaß macht: betrunken. Natürlich nur »in so dumm« (it’s a movie, stupid!). Die Spülungskette vom Klo haben wir leider »in echt« herausgerissen. Aber unser Tonmann war ein technisch versierter RWTH-Student aus Aachen. Wer an der Hochschule besteht, kann der Sage nach aus einer Ravensburger Brettspielesammlung ein funktionstüchtiges Raumschiff bauen – da ist so ne Klospülung im Vorbeigehen repariert. Mit links! Ohne die Tonangel aus der Hand zu legen! Easy! Der Hund Ronald, übrigens, war nur halb so groß, wie sein Name glauben macht. »Hündchen« trifft’s eher, aber klingt so despektierlich… Drehbericht Ende.

Übrigens: Der neue Kurzfilm trägt den Titel AMUREUS KISS. Dabei handelt es sich wieder um ein Anagramm. Wie es sich zusammensetzt und weitere Infos finden sich auf der Projektseite zu AMUREUS KISS.

Wer jetzt mit wem warum was hatte, das muss ich leider aufs nächste Update verschieben – nach dem Drehbericht kommt der Schnittbericht. Der Rohschnitt hat begonnen, ist bei improvisierten Dialogen und einer Million Takes aber ne knifflige Angelegenheit. Hier gibt’s den Film und zu guter Letzt noch ein paar Bilder von unserem bezaubernden Cast. Vor der Kamera mit am Start waren:

Die Schauspieler*innen im neuen Kurzfilm AMUREUS KISS

Schauspielerin Stephanie Jost im Porträt

Schauspieler Jesse Albert im Porträt

Schauspielerin Swantje Riechers im Porträt

Schauspieler Florian Gierlichs im Porträt Schauspielerin Juliana Wagner im Porträt

 

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