Die erste Ortschaft, die sich beim Verlassen des Eurotunnels mit dem Auto ansteuern lässt, ist Folkestone. Da wir es versäumt hatten, vorher ein wenig Geld umzutauschen, hielten wir es für eine gute Idee, erstmal dort auf die Suche nach einer Wechselstube zu gehen. Und – wenn man schonmal da ist – nach einer Imbissbude, und – Macht der Gewohnheit – einem Café für einen Kaffee und natürlich Kuchen, muss ja, zum Kaffee, und… nein, eigentlich wollten wir doch weiter! Chesil Beach und so.
Aus der Höhle in die Höhe
Wenn man aus dem Eurotunnel kommt, begegnen den kontinental-europäischen Autofahrer*innen erstmal einige Verkehrsschilder, die ans Linksfahren erinnern. Daran gewöhnt man sich (von ein, zwei kleinen Aussetzern mal abgesehen) ganz flott. Selbst das Rückwärts-in-linke-Parklücke-Setzen funktioniert, irgendwie. (Es trägt zur Entspannung bei, wenn das Auto ohnehin schon verbeult und zerkratzt ist.) In Folkestone haben wir die Karre in einer Seitenstraße stehen gelassen und zu Fuß die Stadt erkundet. Erst ein Krabbenbrötchen am Hafen, wo wir erste Bekanntschaft mit dem krassen Akzent und den omnipräsenten Möwen gemacht haben.
Die Lieblingsstadt, die wir nicht sahen
Geld zu wechseln erwies sich als minimal schwieriger, als auf der Fahrt nach Polen , wo jede grenznahe Tanke mit einem Kantor (einer Wechselstube) einherging. Stattdessen tauschten wir unsere Euros auf einen Tipp hin im Thomas Cook Reisebüro an der Sandgate Road in Pfund um, bei einem netten jungen Italiener, der seit ein paar Jahren in Groß-Britannien liebt und uns Canterbury als seine Lieblingsstadt empfohlen hat. Sei sehr schön und sehr nah (und trotzdem, na ja, vielleicht beim nächsten Mal… wir mussten in die andere Richtung).
Kaffee, Kuchen, Künstler-Stube
Noch schnell ne Ladung Kaffee reinkippen und Blueberry-Vanille-Cake scheffeln, im wunderschönen Steep Street Coffee House, wo alle Wände bis unter die Decke mit Bücherreihen dekoriert sind – dann ging’s weiter. Unsere erste Airbnb-Unterkunft lag in Hythe, nahe Folkestone. Ein Künstler und eine Yoga-Lehrerin ließen uns in ihrem ziemlich großartigen Dachgeschoss-Loft schlafen. Dort oben war es, obwohl man die Glasfront komplett zu Seite schieben und Meerluft genießen konnte, so ruhig, wie es auf der ganzen Reise nicht mehr würde… Auf Airbnb ansehen Stunning Loft Style Bedroom – Balcony & Sea Views Auf Airbnb ansehen Number Five
Angler statt Saoirse am Chesil Beach
Denn schon unsere nächste Bleibe, in Abbotsbury (siehe oben), lag direkt neben einer kleinen Kirche. Ding dong! 🙂 Aber wirklich halb so wild, trotzdem eine echt geruhsame Nacht. Abgesehen von der gelegentlich läutenden Kirche steppt in Abbotsbury im Übrigen nicht gerade der Bär. Der Grund, weshalb wir auf unserem Weg nach Cornwall dort einen Zwischenstopp eingelegt haben, war ein kleines cineastisches Sightseeing :
Nachdem wir vor zwei Wochen erst den neuen Film Am Strand gesehen und ich derweil das Buch von Ian McEwan gelesen habe, wollten wir uns den Chesil Beach, an dem ein Teil der darin erzählten Geschichte spielt, mal selbst ansehen. Wenn man schon so nah daran vorbeifährt… und siehe da, auf unserem Weg zum Chesil Beach kamen wir an einem weiteren, noch aktiven Filmset vorbei. Laut unserer Gastgeberin wurden dort Szenen für eine neue Adaption von The Secret Garden gedreht, mit Julie Waters und Colin Firth. Keinem der beiden sind wir wohlgemerkt über den Weg gelaufen, und auch am Chesil Beach trieben sich statt Saoirse Ronan und Billy Howle nur jede Menge Angler*innen herum. Dödöm.
Zuvor sind wir zum Abendessen (im Restaurant The Station Kitchen , in einem alten Zug-Waggon , sehr cool, sehr lecker!) noch in West Bay an der Jurassic Coast mit den hohen, gelben Klippen gewesen. Dort nimmt der Chesil Beach seinen Anfang. Tatsächlich waren an dieser Stelle, einige Kilometer weiter westlich des Strandes, die Kieselsteine, nach denen der Chesil Beach benannt ist (altenglisch: cisel = Kies), viel kleiner als in der Höhe von Abbotsbury, wo wir bei Sonnenuntergang herumschlenderten, im knirschenden Kies.
Stürme am Strand
[…] Gleich darauf vernahm sie das Geräusch seiner Schritte auf dem Kies, und das hieß, er könnte auch ihre hören. Er mußte gewußt haben, wo sie zu finden war, weil sie nach dem Essen doch hierher hatten kommen wollen, um mit einer Flasche Wein in der Hand über die berühmte Kiesbank zu spazieren. Sie hatten unterwegs Steine gesammelt und der Größe nach vergleichen wollen, um festzustellen, ob die Stürme tatsächlich Ordnung am Strand geschaffen hatten . | aus: Am Strand (Diogenes), S. 176Denn das kommt im Buch und Film zur Sprache: Dass über die Jahrhunderte die Stürme und Unwetter die Steine am Chesil Beach der Größe nach sortiert haben. Von Westen nach Osten werden sie immer größer. Welch schöne Metapher für eine Beziehung, die durch stürmische Zeiten gehen muss, bis in dem großen Ganzen, das aus vielen kleinen Elementen besteht, eine gewisse Ordnung herrscht.
Von Abbotsbury ging’s mit vier, fünf, sechs Autostunden nach Padstow . Dort trafen wir an einem Freitagmittag ein, in praller Hitze und einem völlig überfüllten Hafenstädtchen. Nach all den abgelegenen Orten entlang der Südküste und den verlassenen Landstraßen in Cornwall war das ein kleiner Schock: Ausgerechnet hier, in diesem glühenden, wuseligen Moloch (mit echt frechen Möwen), da wohnen wir die nächsten paar Tage?
Wandern rund um Padstow
Angenehme Überraschung: So heiß und voll wie am Freitagmittag wurde es danach nicht mehr, und Padstow entpuppte sich als ganz hübscher kleiner Ort in toller Lage (bloß die Möwen blieben sich treu, klauten Eiswaffeln und krächzten lautstark von den Dächern, vermutlich: »Verschwindet, ihr dämlichen Primaten, wir waren zuerst da!« Womit sie ja recht hätten. Was beschwere ich mich über ein geklautes Eis und lautes Krächzen, wenn wir deren Brutplätze plattgewalzt haben, um unsere Städte zu bauen, in denen wir mit brummenden Blechmonstern rumfahren und nichts als Müll hinterlassen? …will sagen: man darf den Möwen ihre bösen Blicke nicht übel nehmen.)
Von Padstow aus, jedenfalls, kann man wunderbare Wanderschaften unternehmen – zwischen Meer und Feldern entlang zu Klippen, an denen Schafe grasen und Falken im Rüttelflug am Himmel stehen.
Filmtipp: Apropos Fotos und Reisen – hier geht’s zu unserer Filmkritik über die Doku Augenblicke – Gesichter einer Reise (2017) rundum um ein spannendes Fotoprojekt von JR und Agnés Varda.
Ein Tag in Tintagel
Neben unserem Tagesausflug nach Land’s End trieb es uns am vorletzten Tag unserer Reise nochmal Richtung Norden: nach Tintagel. Das ist eine Ortschaft an einem besonders zerklüfteten Küstenabschnitt, bekannt durch das Tintagel Castle. Wieder so ein Fleck Erde, der »soaked in history« ist, wie unsere Gastgeberin in Abbotsbury es schon über The Minack formulierte. Von tief unten in Merlin’s Höhle (die wir, Wasserstand sei dank, tatsächlich betreten konnten), bis hoch zu den Ruinen jenes Schlosses, das dem legendären King Arthur gehört haben soll – gemäß Geoffrey von Monmouth, einem fleißigen Geschichtsschreiber mit Hang zum Sagenhaften. Hier noch ein paar Impressionen aus Tintagel :