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Haben 99Fire-Filmer ihre Seele verkauft?

Wer den 99Fire-Films Wettbewerb 2018 boykottiert hat, war fein raus, vergangenes Wochenende. Man konnte seinem Ärger noch in ein paar Kommentaren Luft machen und hatte dann Feierabend. Geil. Wer mitgemacht hat, die 3121 99Fire-Filmer sollte sich hingegen schämen, so liest man in den entsprechenden Kommentaren. Aber wie sehr? Und warum? Und – wirklich?

Nach dem Prozedere, wie ich es in meinem Zweiteiler darüber, wie man Ideen findet, geschildert habe, lag mir am Donnerstag eine Drehbuch-Idee vor, die ich ans Thema angepasst habe. „Ich liebe es“. Super. Aber ich hasse es auch. Also ran an den Speck.

Bastelstündchen

Diesjährige Bedingung: Ein Produkt oder einen „Moment“ im Sinne des Sponsors einbauen. Es wird nicht explizit gesagt, dass man dafür etwas kaufen oder das entsprechende Branding einbringen soll, subtiler wäre vermutlich auch erlaubt. Aber der Plan (?) ist aufgegangen und unzählige 99Fire-Films 2018 machen mehr oder weniger krass deutlich Werbung für dasjenige Unternehmen, welches das Preisgeld stellt, und sind dazu sogar in Vorkasse gegangen, indem sie dort essbare Requisiten gekauft haben.

Auch ich wollte erst diese kleine Investition machen, um die Bedingung zu erfüllen. Letztlich ist aber die Entscheidung dagegen gefallen. Stattdessen habe ich buntes Papier, ne Schere und Kleber ausgepackt und mir kinderstyle ne passende Requisite gebastelt. Dazu musste ich nicht einmal einen Fuß in ein Lokal des Sponsors setzen (obwohl jedem 99Fire-Filmer die optimalen Eintrittszeiten genannt und Teilnehmerausweise zur Hand gegeben wurden, mit denen wir hätten um Drehgenehmigung bitten können. Yay.)

Gruselige Frau mit vier Armen im Gegenlicht, dazu der Schriftzug: Haben 99Fire-Filmer ihre Seele verkauft?

Schauspieler abgesprungen

In diesem Jahr habe ich zum sechsten Mal in Folge am 99Fire-Films Award teilgenommen – und zum ersten Mal ist es mir passiert, dass die wichtigste Person vor der Kamera mich einen Tag vorm Drehstart anruft und sagt: Sorry, aber bei dem Shitstorm, der gerade durch Facebook fegt, möchte sie sich lieber von dem Wettbewerb distanzieren, ob das okay sei? Klar ist das okay.

Zwar habe ich die vakante Rolle noch rechtzeitig neu besetzen können, doch am Set gab es eine erneute Diskussion darüber, dass man so einen Irgendwie-ja-Werbe-Dreh (noch dazu für ein durchaus kontroverses Unternehmen) eigentlich nicht cool finde. Tatsächlich habe ich es nicht allen Komparsen vor dem Drehstart klipp und klar kommuniziert: Wir müssen diesen Burger-King-Mitbewerber im Film berücksichtigen. Ich habe wirklich unterschätzt, wie sehr es für viele Menschen ein sensibles Thema ist. Schleichwerbung für Junkfood. Nun, spätestens nach diesen Zwischenfällen war ich sensibilisiert.

Auch wenn wir letztlich alle gut miteinander verblieben sind und super zusammengearbeitet haben, wünschte ich mir rückblickend, ich hätte gleich am Donnerstag um 10 Uhr allen Beteiligten geschrieben: Leute, so sieht’s aus, wer will sich mit mir prostituieren lassen? Denn so hat es sich angefühlt, ein bisschen. Und wenn Teammitglieder das erst beim Dreh erfahren, mache ich mich als Regisseur in Sachen klarer Kommunikation unglaubwürdig.

Wir leben im Fake Empire

Vielleicht wären also noch zwei, drei Personen abgesprungen. Dafür hätte ich vielleicht noch zwei, drei Personen gefunden, die es nicht schert, welche Marke es diesmal ist, die in der omnipräsenten Werbewelt, in der wir leben, ihren Stempel irgendwo drauf klatscht. Die Prophezeiung aus dem Buch und Film „Fight Club“, in Zukunft werde alles den großen Unternehmen gehören, die ist eben auf dem besten Wege. Zitat:

Wenn die Erforschung des Weltalls erstmal richtig abgeht, werden es die großen Konzerne sein, die allem einen Namen geben: Die IBM-Sternen-Sphäre, die Microsoft-Galaxie, Planet Starbucks.

Schöner Song dazu:

99Fire-Filmer im Fokus

Auf dem Planeten Erde trägt eben auch alles einen Namen und der 99Werbe-Films Award hat sich in diesem Jahr (mal wieder) als Sprachrohr für jenes Burger-Imperium gebückt. Wenn die Kohle stimmt, kein Problem. Weil die Kohle stimmt, machen ja auch so viele mit. Dazu ein YouTube-Kommentar des Users „AUSKOTZEN„, der sich seinem Namen getreu in den Kommentar-Ecken unzähliger Fire-Films auslässt:

Nur mal so, ihr könnt auch so filme drehen und spass haben dafür braucht es nicht zwangsmässig einen film wettbewerb !! Und gerade wenn ihr den film sowieso auf YT landet, ich hätte den film von euch gefeiert

Erstens ja. Zweitens nein. Ja, es stimmt, man kann auch so Filme drehen und Spaß haben. Kein Ding. Aber nein, nur weil der Film dann auch auf YouTube gelandet wäre, hättest du ihn noch lange nicht gefeiert, vermutlich nicht einmal gesehen. Auf YouTube landen nämlich jeden Tag haufenweise Filme, die um die Aufmerksamkeit des Publikums rangeln. So ein 99Fire-Films Award kanalisiert nun die Aufmerksamkeit – er schafft ein Publikum, das sonst woanders hinschaut. Vermutlich auch eben wegen der Art und Weise, wie sie ihre Sponsoren integrieren. Ein bisschen arschig.

Der „größte Kurzfilm-Wettbewerb der Welt“ hat seine 99Fire-Filmer 2018 unverhohlener als zuvor in eine Werbefilm-Kampagne reingetrickst. Klar, man mag den Sponsoren seitens der Veranstalter noch geheim halten wollen, damit das Thema geheim bleibt, das ja oft oder immer, keine Ahnung, deckungsgleich mit dem Slogan des Sponsors ist. Kein Problem. Aber die Pflicht, ein Produkt oder einen „Moment“ im Sinne des Sponsors einbauen zu müssen, das war in den Wettbewerbsbedingungen dann doch etwas zu spitz formuliert. Oder um es in den Worten des Filmemachers und Teilnehmers Sebastian Matthias Weißbach zu sagen:

Es ist eher die vertikale Integration [des Sponsors; Anmerk. d. Bloggers], die mir sauer aufstößt, denn die ist in diesem Jahr etwas steiler als sonst.

Film kann vieles

Nun ist Film ein kreatives Ausdrucksmittel voller Möglichkeiten. Statt den Wettbewerb zu boykottieren, hat Sebastian sich dafür entschieden, einen Protestfilm zu drehen. Er entspricht allen Wettbewerbsbedingungen – nur dass darin Tacheles geredet und in die Schüssel gekotzt wird, Stichwort: Sponsoren-Moment. Ein anderer 99Fire-Filmer, Mücahit Özcakir, dessen Beitrag ein düsterer Mafia-Streifen mit überraschender Wendung geworden ist – ein in diesem Kontext durchaus „seriöser“ (und sehr gelungener) Film – sieht es so:

Wenn ich so viel Wert auf den Sponsor gelegt hätte, hätte ich Ratiopharm [Sponsor im Jahr 2017; Anmerk. d. Bloggers] deutlich schlimmer gefunden (abgesehen davon, dass ich dieses Jahr zum ersten mal mitgemacht habe). Immer wieder erstaunlich, wie eine Massenpanik im Internet entstehen kann. Vor allem bei so etwas Unwichtigem.

Unwichtig, genau. Da gibt es einen Veranstalter, der will Geld, und einen Sponsoren, der will Reichweite – und das Konzept lautet: Wir lassen die Leute Kurzfilme machen und dafür ein Preisgeld kassieren. Völlig legitim. Das ist Marketing. Das ist keine Kulturförderung – nicht einmal der größte Kurzfilmwettbewerb der Welt wäre so anmaßend, sich das auf die Kappe zu schreiben. Kulturförderung. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat meines Wissens beispielsweise nichts damit zu tun. Es geht nicht um Steuergelder, sondern um Werbebudget (das vielleicht deshalb etwas größer ist, weil man an den Steuern gespart hat, passt doch.)

Und der Nachwuchs?

Zuletzt zum Thema Nachwuchsförderung. Da sieht sich der 99Fire-Films Award schon in der Pflicht. Deshalb initiieren die Veranstalter zusätzlich Aktionen wie den 99TALENT-CAMPUS. Man mag nun dessen Aktionen (und Motivation) finden, wie man will – aber letztlich ist alles, was junge Leute zu Aktivität aufruft, für mein Verständnis, Nachwuchsförderung. Und wenn es nicht kein Drogenring ist, der die Jugend aktiviert, umso besser, ist es sogar gute Nachwuchsförderung. 99Fire-Filmer for the future! Und die Diskussion im Nachhinein, mit reichlich Reflexion darüber, wie schön oder scheiße so eine Sponsorendiktatur ist, die trägt noch einmal dazu bei, Film als Medium wahrzunehmen, mit dem man vieles anstellen kann, Werbung, Manipulation, Meinungsmache, Krawall, Kunst, Quatsch.

Das letzte Wort überlasse ich einem Filmemacher namens Fördy, der folgenden Kommentar schrieb:

Ich habe 2015 den Public Choice Award beim 99er gewonnen und empfand die Wettbewerb insgesamt als eine sehr positive Erfahrung. Ich habe dadurch tolle Freunde gewonnen und meinen Geschäftspartner kennengelernt, mit dem ich zusammen sehr viel erreicht habe seitdem. Wer sich darüber aufregt, dass sein Film evtl. an McDonald’s verkauft wird und man keinen Cent davon sieht, der ist höchstwahrscheinlich jemand, der niemals selbst einen Auftrag von einem großen Unternehmen bekäme. Fakt ist, dass es nicht schadet, wenn man sagen kann, dass man einen Film gedreht hat, der beim 99er gewonnen hat und der von einem Milliarden-Unternehmen als Werbefilm verwendet wird. Dann kann das schon mal keine grottenschlechte Arbeit sein. Außerdem sind die Leute, die man auf dem 99er Campus kennenlernt, sehr interessante Kollegen, die einem bei späteren Projekten helfen können. Darunter sind auch bekannte Filmemacher/Schauspieler/Regisseure aus Deutschland. (…)

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